Debatte über Reformen beim ÖRR: Bitte mehr kürzen!
Im Diskurs über die Zusammenlegung von 3sat und Arte kommt der digitale Wandel zu kurz. Es braucht mutige Strategien, damit der ÖRR relevant bleibt.
Für ARD und ZDF werde es jetzt richtig heikel, titelt die Süddeutsche Zeitung. Für die angekündigte Zusammenlegung von 3sat mit Arte fehle der 3sat-Koordinatorin Natalie Müller-Elmau aber die Fantasie, wie das denn alles genau von den medienpolitischen Entscheider*innen gedacht sei, sagte sie kürzlich im Interview. Angst und Perspektivlosigkeit scheinen die Themen zu sein, die die aktuelle Debatte über die Reformen der öffentlich-rechtlichen Sender bestimmen. Befürchtet wird der Verlust eines Senders, der zum Erhalt des Programmauftrags und damit zumindest mittelbar zum Erhalt der Demokratie beitragen könnte.
Angst und Perspektivlosigkeit scheinen die Themen zu sein, die die aktuelle Debatte über die Reformen der öffentlich-rechtlichen Sender bestimmen
Dass der Wegfall von einigen Sendern des ÖRR allerdings auch eine Chance für einen starken und zukunftsgerichteten öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland sein könnte – das können wir alle uns nur schwer vorstellen. Denn allein die Worte „Reform“ und „Einsparungen“ machen ja schon Angst und Bange. Das ist nur menschlich. Wissenschaftler*innen der University of Virginia haben kürzlich in einem Experiment die menschliche Tendenz untersucht, bei Problemlösungen bevorzugt etwas hinzuzufügen, statt etwas wegzulassen, selbst wenn das Entfernen effizienter wäre.
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk steht unter erheblichem Druck, nicht nur, aber sehr laut von rechtsaußen. Die AfD würde ihn am liebsten ganz abschaffen, auf Demonstrationen nehmen verbale und körperliche Angriffe gegen Journalist*innen zu.
Online hetzen rechte Parteien und Einzelpersonen gegen „die Medien“ und damit immer auch gegen die Werte der Demokratie. Der daraus resultierenden Angst und Perspektivlosigkeit dürfen wir uns aber auf keinen Fall beugen und den ÖRR entsprechend dieser Vorstellungen demontieren.
Mehr Mut
Und trotzdem braucht der ÖRR mutige Reformen, weil die Zeit für sie gekommen ist. Der Betrieb zahlreicher, oft ähnlich ausgerichteter Programme ist nicht nur teuer, sondern verliert auch an Relevanz, schlicht durch den Wandel im Nutzungsverhalten der Zuschauer*innen. Der Anteil, der lineares Fernsehen konsumiert, wird von Jahr zu Jahr kleiner.
In einer Zeit, in der Streamingdienste wie Netflix, Amazon und andere digitale Plattformen das Konsumverhalten der Menschen bestimmen, muss sich der ÖRR den veränderten Realitäten anpassen. Die einzige Antwort, die die Sender darauf in letzter Zeit fanden – wenn sie sich was trauten – war: Wir müssen auf die Plattformen! Funk macht Inhalte auf Tiktok, der SWR erfindet das „SWR X Lab“ oder der WDR den „Innovation Hub“; und die ARD-Audiothek läuft mit einem unübersichtlichen Programm über. Hinzufügen statt Bündelung als Patentlösung.
Über diese Vorstellung müssen wir hinwegkommen und neue Visionen entwickeln. Das bedeutet, auch über die Zusammenlegung von 3sat und Arte zu reden. Beide Sender bieten hochwertige Kulturberichterstattung, europäische Perspektiven und zumindest oft anspruchsvolle Dokumentationen.
Durch eine Zusammenlegung könnte ein stärkerer gemeinsamer Sender entstehen, der das Beste aus beiden Welten vereint. Das könnte Ressourcen sparen und einen klareren, attraktiveren Rundfunk schaffen. Das muss nicht bedeuten, Inhalte oder Arbeitsplätze zu opfern, sondern sie in eine modernere Form zu kippen, die den Ansprüchen des digitalen Publikums gerecht wird.
Im digitalen relevant bleiben
Der ÖRR hat es verdient und es ist seine Aufgabe, durch eine Neuausrichtung im digitalen Raum an Relevanz zu gewinnen. Gut produzierte und recherchierte Inhalte könnten durch bessere Positionierung aus dem Programmdickicht hervorstechen. Und das könnte dann auch für die Streaming-Plattformen ein echter Konkurrent werden.
Wie das funktioniert, dafür gibt es Beispiele. Vielleicht hilft ein Blick in Nachbarländer, wie etwa Großbritannien, in denen eine solche Sendervielfalt wie hierzulande nahezu absurd erscheint; oder auf die Ergebnisse des Zukunftsrats, einem extra für Zukunftsvisionen des ÖRR geschaffenen Gremium, das Anfang dieses Jahres Reformvorschläge veröffentlichte. Auch die gemeinnützige Organisation Agora Digitale Transformation sieht einen starken ÖRR nur mit mutigen Schritten im Digitalen für relevant und will Anfang kommenden Jahres konkrete Handlungsempfehlungen für die Sender veröffentlichen. In der Zwischenzeit hilft den Entscheidungsträger*innen ja vielleicht auch mal: durchatmen und Ballast abwerfen.
Leser*innenkommentare
Hatespeech_is_not_an_opinion
Da kann ich nur heftig widersprechen. Hörenswert dazu der Rant von Sybille Berg auf Deutschlandfunk. Dlf| Fazit | Sibylle Berg – Warum 3sat erhalten bleiben muss share.deutschlandr...=dira_DRK_9d66ad41
Das Programm von 3sat, arte und phoenix ist nicht gleich ausgerichtet. Es bildet sowohl lokal, wie länderübergreifend, die Kulturlandschaft ab, die uns gleichermaßen trennt (wegen der Sprachbariere) und uns verbindet. Zudem übertragen keine anderer Sender als 3sat und arte Theateraufführungen, Opern, Konzerte, Dokumentationen in dieser Qualität und Dichte.
Als jemand, der sich selten Tickets zu Kulturveranstaltungen leisten kann, ist das überlebenswichtig.
Der Hintergrund des neuen Medienstaatsvertrages ist jedoch ein anderer. Im Ministerium im NRW ist ein gewissen Leminski für die Ausarbeitung zuständig, ein ultrakonservativer CDU-Mann, der im Gleichklang mit Linnemann und Spahn wirkt, und Springers Politico als "erfolgreiches Medienkonzept" lobt. Da weht der Wind her. Springer's Döpfner ist ein starker ÖRR stets ein Dorn im Auge gewesen. Dazu lesenswert: m.dwdl.de/a/99886
peter brunner
Bei aller Bereitschaft zu Kritik und Veränderung erscheint es mir nachgerade lächerlich, ausgerechnet diese Debatte zu führen, während gleichzeitig ein Mehrfaches des Jahresetats von 3sat für Fussballrechte ausgegeben werden - wohlgemerkt für Rechte an Spielen, die andernfalls sehr wohl gesendet würden.
Ahnungsloser
@peter brunner Naja, wenn über 20 Mio Menschen das schauen wollen, schlägt Quote eben Qualität. Gilt auch für andere sportliche Großereignisse.
Paul Schuh
ARD und ZDF haben mit ihren immer gleichen billig produzierten Serien (Sokos, Tatort, Polizeiruf, Regionalkrimis) sich selber das Grab geschaufelt. Das Publikum ist in die Streaming Portale abgewandert, mittlerweile gilt "Succsession", "White Lotus", "The Bear" als der Goldstandard der Serienproduktion.
Die Lösung wären internationale Koproduktionen und Programmankäufe ausländischer Serien.
Auf der politischen Ebene haben bestimmte Podcasts die Information übernommen, wie z.B. Tilo Jungs "Jung und Naiv", wo Menschen ausreden können, statt wie in ARD und ZDF in eine Politzirkusarena gesteckt zu werden.
Ich persönlich schaue nur noch die "Heute Show", "Die Anstalt" und ARTE Mediathek mit tollen Dokus.
Von mir aus könnte ARD und ZDF zusammengelegt werden, aber nicht ARTE und 3Sat.
Ich würde mir zudem mehr Bildung wünschen, ohne das heute so oft praktizierte Infotainment. Im Gunde genommen sollte sich das ganze Wissen von der 5.- 12. Klasse in den Mediatheken aufbereitet finden, in 20 Sprache untertitelt, das wäre auch eine Möglichkeit für Migranten Anschluss an das deutsche Schulsystem zu finden.
denkenmachtschön
Reformen? Ja, klar. Aber nur, wenn sie auch Sinn ergeben. Geld muß eingespart werden? Will die Mehrheit so, also bitte.
Aber es ist doch kein Reformwille, die größten Einsparungen ausgerechnet bei Sendern, die Kultur ernst nehmen, die den gesetzlichen Bildungsauftrag auch mit Leben füllen durchzusetzen .Oder bestimmen die ÖRR-Feinde etwa die Diskussion. Redundanzen ergeben sich doch viel zahlreicher imm Vergleich mit den Unterhaltungsangeboten der Privaten und Streamingdienste.
arte und 3sat haben übrigens wenig Überschneidungsflächen - hier die deutschsprachigen Länder, dort zuerst deutsch-französisch und inzwischen europaweit ausgerichtet. Wie soll da eine Sendung wie z.B. 3sat-Kulturzeit integriert werden? Kulturtipps aus ganz Europa, die ich persönlich nie besuchen können werde, weil schlicht nicht erreichbar. Und wenn jedes Land der EU auch nur einmal im Monat vorkommen soll, dann zersplittert es in Kulturinfohäppchen auf tiktok-Niveau.
Was sie bei den Streamingdiensten hervorheben, machen die Mediatheken doch im ÖRR schon seit vielen Jahren vor, hier kann sicher Vieles verbessert und weiter entwickelt werden, ohne das riesige finanzielle Mittel erforderlich sind.
sanity could be emailed
Nachtigall, ick hör dir trappsen!
Da wird lautstark gefordert, 2 super Sender zusammenzukürzen - wohl um ABZULENKEN von der tatsächlich dringenden Notwendigkeit, den Wildwuchs an Quatschsendungen (und deren Finanzmitteln) zu halbieren.
Rikard Dobos
3 TV Sender (ARD, ZDF, Phoenix), 1 Mediathek für alle, und 13 Radiosender für die Bundesländer (Berlin, Bremen und Hamburg kriegen keinen), würde ausreichen.
Dem Informationsauftrag würde nachgekommen werden, etwas regionaler Touch durch die Radiosender ist auch gegeben.
Rundfunkbeitrag dann senken auf genau soviel wie die Sender kosten + was an Pensionen aus der Vergangenheit noch zu zahlen ist.
PeerTuba
Nicht nur das „lineare Fernsehen“ in Form des ÖRR hat ein Problem.
„ Die Zuschauer von ARD und ZDF haben ein Durchschnittsalter von 64 bzw. 65 Jahren – Tendenz steigend. Selbst die Jugendsender One und ZDFneo werden vor allem von Menschen mit einem Durchschnittsalter zwischen 57 und 60 geschaut.“
www.deutschlandfun...-rundfunk-100.html
Ganz grundsätzlich muss sich die berechtigte Frage stellen, was ÖRR eigentlich in zehn Jahren noch legitimiert. Insbesondere in Form der Zwangsabgabe aller Haushalte.
Der „Versorgungsauftrag“ geht ja offensichtlich an den Nichtrentner/innen glatt vorbei.
nutzer
@PeerTuba Stellen Sie sich mal ein Programm ohne "Zwangsabgabe" vor. Entweder wird es über Werbung finanziert oder eben dirigistisch über die aktuelle Tagespolitik, wie in Italien. Neue Regierung, neue Berichterstattung.
Was ein ÖRR für ein Land bedeutet, wird sehr gut an den USA sichtbar, ohne ÖRR gibt es viele streng abgeschottete Blasen, mit eigenen Informationsquellen, mit den bekannten Folgen.
Ein ÖRR ist zwangsläufig ein Konsens des aktuellen Mainstreams und es gibt viel berechtigte Kritik, aber die Funktion als Plattform, als ein wichtiges Kommunikationsmedium, das ein Land mit definiert ist, nicht zu unterschätzen.
Rudi Hamm
50% sparen wären kein Problem
1) kleinste Bundesländer wie das Saarland oder Bundesländer wie Bremen, Hamburg, Berlin, brauchen keine eigenen Fernsehanstalten.
2) Wozu brauchen Bundesländer derart viele Radioprogramme?
3) Mehr Bildungs- und Informationsauftrag statt Musikstadel und Quizshows.
4) Wieso zahlen wir "Quizmastern" Millionengagen?
5) Schluß mit den vielen seifigen Shows mit gigantischem Bühnenaufwand.
6) Schluß damit, dass fast jeder Sender eigene große Orchester hat.
Ausgerechnet an arte, ein wunderbarer Dokumentations- und Informationssender mit klar erkennbaren Wissensauftrag, soll nun gespart werden, während die ARD und ZDF sich weiterhin hoch dotierte Wasserköpfe halten.
Rainer Konrad
Warum jetzt ausgerechnet zwei Sender zusammengelegt werden, die schon ihre eigenen Prioritäten haben, 3 Sat = Alpenregionen, Arte = französischsprachig / deutsch und sehr kulturintensiv, verstehe ich jetzt nicht so recht. Wenn man sich dagegen die ganzen Regionalen Sender anschaut, da wird durch die Bank fast identisches Programm gesendet. Beim MDR hat man den Eindruck die DDR existiere in Teilen noch . Die Talkshows sind teilweise schon Sender übergreifend sehr anstrengend geworden , teilweise überforderte Moderatoren und immer wieder Gäste die sich den konstruktiven Diskussionen verweigern. Über Unterhaltung und Unterhaltungswert kann man natürlich streiten, das aber durch alle Programme uralte Serien wieder ausgegraben werden und schlicht als " Kult" vermarktet werden ist schon als unverschämt zu sehen.Ja, es muß dringend ein moderneres Konzept für die öffentlich Rechtlichen her , aber gerade dies beiden Sender zusammen zu legen halte ich persönlich für absolut falsch.
nutzer
Es gibt durchaus Möglichkeiten für Veränderungen, nur wieso sich dies an arte und 3Sat aufhängt ist nicht ganz zu verstehen. Dies sind die beiden Sender, die am meisten einem Vollprogramm entsprechen, eine Überschneidung beider Sender ist auch nicht unbedingt gegeben.
Der Verweis auf netflix etc. ist in Bezug auf arte merkwürdig, hat doch gerade arte eine Mediathek, die sehr gelobt wird und ein Angebot abseits des Mainstreams bereithält.
Inge Koschmidder
@nutzer Ich kann hier nur vollends zustimmen! Ausgerechnet Arte und 3sat, das Beste, was der ÖRR zu bieten hat, sollen mindestens in ihrer TV-Tagesausstrahlung quantitativ halbiert werden? Während man, wie im Text richtig erwähnt wird, den belanglosen Kram erweitert?
Es ist einfach nicht nachvollziehbar. Gerade in Sachen Digitalisierung bietet auch der starke Content keinerlei Rechtfertigung dafür, denn etwa Arte besticht auch in absoluten Zahlen. Der Youtube-Kanal hat das Dreifache an Subscribern im Vergleich zum ARD-Hauptkanal oder etwa zur Sportschau, immerhin 50 % mehr als der Hauptnachrichten-Kanal "Tagesschau" (und fünfmal mehr als Phoenix).
Neutrale Berichterstattung, zeitige Krisenwarnungen mit umfangreichen Dokumentationen bezüglich Risiken und Chancen nebst wissenschaftlicher Ausführungen sowie unterhaltender Content mit Niveau befinden sich in einem wohltuenden Gleichgewicht. Qualitativ ist es am Optimum - und wird durch eine Zusammenlegung nicht verbessert, sondern verkürzt.
Insbesondere Arte ist zu einer Marke geworden, die selbst die Petersburger mittlerweile ins Visier nehmen (Kommentare). Man darf schon fragen, aus welchem Grund der ÖRR sein bestes Pferd schlachten will.
Goldi
@nutzer Dem schließe ich mich an. ARTE und 3Sat sind Perlen des öffentlich rechtlichen Fernsehens/Rundfunks.
Ahnungsloser
@Goldi Quoten entscheiden, was Perlen des ÖRR sind. Nicht die individuellen Wünsche Einzelner.
Ich höre regelmäßig HR-Info, bin mir aber im klaren darüber, dass HR3 mehr Hörer hat. Und wenn entschieden werden muss, was weg kann, spielen eben die Quoten eine Rolle, nicht die Qualität
Botho von Rienäcker
Dieser Essay hebt sich in der Debatte wohltuend ab. Ansonsten ist die Diskussion leider sehr elitär-klassistisch. Pseudointellektuelle Bildungsbürger fordern lautstark ein, dass ihr Nischenprogramm von der Allgemeinheit finanziert werden soll.
Wenn der ÖRR – richtigerweise – durch allgemeine Gebühren finanziert wird, muss das Programm auch eine Vielfalt an „höherer“ und „leichterer“ Unterhaltung bieten. Rosamunde Pilcher oder Tatort tragen auf ihre Weise im Übrigen auch zur kulturellen Bildung bei.
Gerald Müller
Ein Blick nach England würde wirklich hlefen, wenn amn denn etwas lernen möchte. Der größte Unterschied den ich wahrnehme ist dass in England sowohl Qualität als auch Originalität der Sendungen schlicht sehr viel höher ist. Man denke an die Krimi-Serien denen gegenüber der Tatort altbacken und langweilig wirkt. Dann Serien wie "Sherlock", "Jeremy´s Farm", David Attenborough usw, Das alles ist seit Jahrzehnten bekannt, und im ÖRR hat sich nichts verändert. Im Gegenteil, die Qualität ging mit sehr wenigen Ausnahmen weiter runter und von Originalität will ich garnicht reden. Und weil das so ist, und dieselben Leute an den Schalthebeln bleiben werden, wird sich auch nichts ändern.