Politikwissenschaftlerin über AfD-Umgang: „Als eigennützig enttarnen“
Ignorieren, angreifen, enttarnen – Heike Klüver hat untersucht, welche Botschaften gegen die rechtsextreme AfD funktionieren. Und welche nicht.
taz: Frau Klüver, nach den Wahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg, bei denen die AfD jeweils um und über 30 Prozent gewinnen konnte, wirkt die Konkurrenz hilflos. Was läuft bei der Themensetzung und der Kommunikation der etablierten Parteien derzeit schief?
Heike Klüver: Aus der Forschung wissen wir, dass es eine Strategie gibt, die gegen die AfD nicht funktioniert: selber zu versuchen, genau so über Migration zu reden, wie die AfD es tut. Leider passiert genau das.
ist Professorin und leitet den Lehrbereich „Politisches Verhalten im Vergleich“ an der Humboldt-Universität zu Berlin. In der noch unveröffentlichten Studie „How to break populist parties’ appeal?“ untersuchte sie den Einfluss von rhetorischen Strategien auf den Grad der AfD-Unterstützung von 24.000 Deutschen.
taz: Ampel und Union versuchen durch politische Maßnahmen Glaubwürdigkeit bei dem Thema zurückzugewinnen. Warum sollte das nicht funktionieren?
Klüver: Dadurch, dass die etablierten Parteien das Thema Migration anheizen, erhöhen sie dessen Gewichtung im politischen Diskurs. Die Forschung zeigt, dass das dem Issue-Owner, in diesem Fall der AfD, hilft. Wenn Leute basierend auf dem Thema Migration wählen, wählen sie sehr wahrscheinlich die AfD.
taz: Heißt das, wir sind bei der jetzigen Themenlage der AfD hilflos ausgeliefert?
Klüver: Nein. Parteien, zivilgesellschaftliche Akteure und Medien können eigene Schwerpunkte setzen. Um zu untersuchen, wie dies gelingen kann, haben wir zwei groß angelegte Umfrage-Experimente durchgeführt. Das eine zur Frage, welche Themen in Wahlkämpfen gegen die AfD funktionieren, das andere zur Frage, wie Parteien sich gegenüber Rechtspopulisten auf Social Media aufstellen können.
taz: Schauen wir uns ihre erste Studie genauer an. Sie haben untersucht, mit welchen Themen zum Beispiel die Union gegen die AfD erfolgreich sein könnte. Was war Ihr Ergebnis?
Klüver: Unsere Hypothese war, dass sich Keil-Themen, also Themen, bei denen es unterschiedliche Positionierungen bei AfD und CDU gibt, besonders gut eignen. Dafür haben wir Positionen der Union aus dem Wahl-O-Maten für den Bundestagswahlkampf 2021 genommen, sie als Wahlplakate aufbereitet und 2.500 Menschen vorgelegt. Wir wollten messen, ob dies die Wahlbereitschaft für die AfD verändert.
taz: Und?
Klüver: Über alle Studienteilnehmer:innen hinweg war der Einfluss unserer fiktiven Kampagne gering. Aber bei einigen Teilnehmer:innen, denen die von uns identifizierten Keil-Themen wie EU-Mitgliedschaft, Maßnahmen gegen Fake-News und Investitionen in sozialen Wohnungsbau wichtig waren, konnte die Wahlbereitschaft für die AfD gesenkt werden. Statt auf das Migrationsthema aufzuspringen, würde ich daher raten, jene Themen zu betonen, die einen Keil in die AfD-Wählerschaft treiben, weil sie sich bei ihnen nicht einig sind.
taz: In einer noch unveröffentlichten Studie haben sie sich angeschaut, mit welchen rhetorischen Strategien Parteien in den sozialen Medien effektiv gegen die AfD kommunizieren können.
Klüver: Parteien nutzen online die verschiedensten Strategien. Manche ignorieren die AfD und betonen ihre eigenen Leistungen, andere greifen offensiv an und versuchen die AfD zu enttarnen. Um zu überprüfen, welche Strategie funktioniert, haben wir 170 reale Botschaften aus dem Netz genommen, Parteilogos entfernt und diese 24.000 Menschen vorgelegt. Besonders erfolgreich war die Strategie, die AfD als eigennützig und undemokratisch zu enttarnen.
taz: Können Sie dafür ein Beispiel nennen?
Klüver: In einem Post, der sehr gut funktioniert hat, geht es darum, wie die AfD sich als Verfechter von Frauenrechten aufspielt. Dabei sei das eine Heuchelei, ausgerechnet von der Fraktion mit dem geringsten Frauenanteil im Bundestag. Die Widersprüchlichkeit der AfD aufzuzeigen, scheint Menschen zu überzeugen.
taz: In den USA findet Tim Walz, der Vize-Präsidentschaftskandidat der Demokraten, großen Anklang mit seiner Strategie, Donald Trump als „weird“, also seltsam oder schräg, zu bezeichnen. Könnte das in Deutschland erfolgreich sein?
Klüver: Das müsste man empirisch testen. Die AfD als „weird“ zu bezeichnen, wäre eine negative Kampagne. Aber wenn man sagen würde: „Die AfD ist weird, weil sie für eine neoliberale Wirtschaftspolitik kämpft, obwohl ein Großteil ihrer Wählerinnen und Wähler von mehr Sozialleistungen profitieren würde“, ginge dies in Richtung der Eigennutz-Enttarnungs-Strategie.
taz: Sie beschäftigen sich viel mit Fragen der Kommunikation. Aber ist der Erfolg der AfD nicht auch eine Reaktion auf die Politik der Bundesregierung und auf tatsächliche Herausforderungen bei der Migration?
Klüver: Der Aufstieg der AfD ist natürlich nicht nur auf schlechte Kommunikation zurückzuführen. Auch Faktoren wie die reale und wahrgenommene wirtschaftliche Ungleichheit spielen eine große Rolle und die Härten der Transformationspolitik. Trotzdem: etablierte Parteien müssen effektive Strategien finden, um mit der AfD umzugehen, das ist für unsere Demokratie essentiell.
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