Performerin über Hamburger Esso-Häuser: „Wieder Klobürsten in die Hand“
Vor zehn Jahren trauerte der Megafonchor in Hamburg um die abgerissenen Esso-Häuser an der Reeperbahn. Nun protestiert er wieder.
taz: Frau Kretzschmar, hätten Sie gedacht, dass der Megafonchor nach zehn Jahren nochmal am Bauzaun auftritt?
Svlvi Kretzschmar: Nein, bis vor einem Jahr war das Projekt für mich Vergangenheit. Die Geschichte, die ich dazu immer erzählt habe, war eigentlich die eines unverhofften Erfolgs. Der Chor hat die Proteste gegen den Abriss der Esso-Häuser 2012 bis 2014 begleitet und nach deren Scheitern eine Hausbeerdigung durchgeführt …
taz: … als Sie zwei Tage lang auf dem Spielbudenplatz gespielt haben.
Kretzschmar: Ja, im Nachhinein betrachtet hatte das die Funktion, die Häuser gemeinsam mit dem Stadtteil zu beerdigen. Das öffentliche Trauern des Megafonchors hat dazu beigetragen, dass vor Ort diskutiert wurde, dass der Bauzaun gestaltet wurde; dass die „Planbude“ erstmals in Erscheinung trat; dass Ausschnitte aus dem damals noch unfertigen Film „Buy Buy St. Pauli“ gezeigt wurden und so weiter. Obwohl wir damals nicht weiter wussten, die Bewegung komplett gescheitert zu sein schien, hat der Megafonchor geholfen, Dinge in Bewegung zu halten und schließlich: eine heute international gefeierte Stadtplanung von unten zu ermöglichen.
taz: Gebaut hat die Bayerische Hausbau dort trotz allem bislang nichts. Es heißt, sie wolle das Gelände verkaufen. Wie klingt denn so eine Zukunft, die doch nicht stattfindet?
46, ist Performancekünstlerin und Musikerin. Mit ihrem Megafonchor hat sie die Proteste gegen den Abriss der Esso-Häuser 2012–2014 kontinuierlich begleitet.
Kretzschmar: Es ist schwierig, Klang und Zukunft zu beschreiben, das haben beide gemeinsam. Kunst kann aber Dinge aussprechen, für die sich die richtigen Worte noch nicht finden lassen. Wir arbeiten mit Megafon, Mikrofon und Verstärkung. Wir werden den Bauzaun verstärken, abtasten und abhören, wie der klingt, also wirklich schauen, wie der Sound dieses Platzes aktuell ist.
taz: Und Sie vertonen Interviews mit ehemaligen Bewohner:innen der Esso-Häuser?
Kretzschmar: Ja, elf Frauen mit Megafonen singen, rappen und sprechen Passagen aus Interviews mit Leuten, die in den Häusern gewohnt haben oder am Planungsprozess beteiligt waren.
taz: Sind das dieselben Leute, mit denen Sie vor zehn Jahren gesprochen haben?
Fr, 4. 10., + Sa, 5. 10., 18 Uhr, Hamburg, Spielbudenplatz/Reeperbahn
Kretzschmar: Zum großen Teil ja. Es leben nicht mehr alle, manche habe ich auch nicht mehr finden können. Ich habe mit Leuten von der Initiative Esso-Häuser und von der Planbude gesprochen, auch mit einem der Architekten. Also mit allen, die irgendwie in diesen Prozessen Lebenszeit investiert haben. Aus ihren Worten habe ich gemeinsam mit der Komponistin Rahel Kraft die Performance erarbeitet, die den Ort mit dem beschallt, was aktuell ist und was dort passieren könnte.
taz: Was denn?
Kretzschmar: In unserem Stück gibt es zum Beispiel eine Genossenschaftspredigt, um kommunale Formen des Bauens anzurufen, die es in der Vergangenheit gegeben hat und für die es jetzt wieder Zeit ist; die unabhängig von Investoren sind und umsetzen, was ein privater Investor vielleicht nicht leisten kann.
taz: Damals stand hinter dem Megafonchor eine Bewegung. Aber die ist weg, oder?
Kretzschmar: Wir sind an einem absurden Punkt, der sich sehr unterscheidet von dem, was damals war. Es gibt viel zu wenig Kritik am Vorgehen der Bayerischen Hausbau, auch vonseiten der Stadt, keine Skandalisierung des Vertragsbruchs. Dabei ist es eine irre Form von Scheinpartizipation, aber auch von Immobilienspekulation. Was mich noch mehr ärgert, ist, dass es aus der Hamburger Politik so klingt, als wäre sozusagen diese Wunschproduktion schuld.
Wer ist denn schuld?
Die Schörghuber-Unternehmensgruppe, zu der die Bayrische Hausbau gehört, hat ihre Geschäftsstrategie geändert. Es gab einen Wechsel in der Führung und weil sich Bauen nicht mehr rentiert, machen sie jetzt „normale“ Finanzinvestitionen. Das Scheitern liegt also nicht daran, dass die partizipative Planung kompliziert wurde oder die Leute zu viel wollten und an der Politik vorbei sich irgendetwas Dummes ausgedacht hätten, was die Mieten in die Höhe treibt. Da möchte ich widersprechen.
taz: Und was muss dann passieren?
Kretzschmar: Wahrscheinlich müssen wir wieder die Klobürsten in die Hand nehmen wie 2014. Anders geht es wohl nicht.
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