Künstlerin über Stadtplanung von unten: „Wir knüpfen an das wahre Leben an“

Die Künstlerin Margit Czenki realisiert seit den 1980er Jahren Bürgerbeteiligungsprojekte auf St. Pauli. Ein Gespräch über demokratische Stadtplanung.

Margit Czenki steht vor einem zum Büro umfunktionierten Container auf der Reeperbahn.

Andere Konzepte statt nur Protest: Margit Czenki vor der Planbude auf der Reeperbahn. Foto: Miguel Ferraz

taz: Frau Czenki, kann man Kultur eigentlich planen?

Margit Czenki: Natürlich, warum fragen Sie?

Weil es so schwer vorstellbar ist, was Sie als Dozentin im Fachbereich Cultural Planning an der Zeppelin-Universität in Friedrichshafen genau lehren.

Im Moment lehre ich das zwar grad' nicht, aber grundsätzlich geht es dabei gar nicht um die Planung von Kultur, sondern mit den Mitteln der Kultur. Das kommt aus einer kanadischen Tradition der Analyse örtlicher Begebenheiten und Bewohner, um daraus Beteiligungs-, am Ende also auch Planungsverfahren zu entwickeln. Damit liegt das Konzept nahe an dem, was wir hier auf St. Pauli in der Planbude machen.

Also mit allen statt von oben herab.

Genau. Wie schon bei unserem Bürgerbeteiligungsprojekt Park Fiction verbinden wir aktuelle Politik mit Kunst und Kultur. So kann man Leute ganz anders einbeziehen als durch Zahlen und Daten, die Menschen eher deaktivieren als motivieren. Dieses Konzept will explizit die Erfahrungen derer einbeziehen, die sonst nie gefragt werden. Wir knüpfen also auch in St. Pauli an das wahre Leben an, ohne damit bloß unsere eigenen Wünsche zu verwirklichen.

78, Filmemacherin und Künstlerin, gründete den ersten antiautoritären Kinderladen in München. 1971 überfiel sie zusammen mit drei Komplizen eine Bank. Motiv: Klassenkampf. Ihr Projekt Park Fiction wurde auf der Documenta ausgestellt.

Aber was ist Ihre persönliche Motivation, die Wünsche anderer zu verwirklichen?

Eine demokratische. Denn obwohl Bürgerbeteiligung sogar im Gesetz steht, ist Stadtplanung zurzeit lächerlich undemokratisch. In Hamburg beschränkt sie sich in der Regel auf willkürlich gestreute Informationen durch den Investor. Dem wollen wir das Wissen der vielen entgegensetzen, schon aus persönlicher Neugier.

Ihr Ansatz ist also eher demokratietheoretisch als kulturell?

Da will ich beides nicht gegeneinander werten. Wir kommen ja alle aus ganz verschiedenen Zusammenhängen – zum Beispiel aus der sozialen Arbeit, dann eine Architektin, ich als Künstlerin, aber immer als Team.

Ist Ihr Antrieb abstrakt oder hat er auch mit Ihrer Nähe als Nachbarin zu tun, ist also doch privater Natur?

Natürlich spielt der Raum bei dem, was man tut, immer eine Rolle. Aber unabhängig davon habe ich noch nie anders gearbeitet als in Projekten mit künstlerischem Ansatz, die oftmals weit weg von meiner Nachbarschaft stattfanden.

Sind Sie, was Ihr Hang zum Widerstand gegen herrschende Strukturen betrifft, familiär vorgeprägt?

Einer meiner Großväter war Bildhauer in Freiburg, was meine Mutter wohl wegen des Krieges nicht fortführen konnte. Ob man das schon familiär vorgeprägt nennen kann, weiß ich gar nicht.

Wer ums Jahr 1968 herum gesellschaftlich derart aktiv wurde wie Sie, kam doch meist entweder aus einer konservativen Familie, gegen die man rebelliert, oder aus einer progressiven, die es vorgelebt hat.

Mag sein. Als ich 1969 in München einen Kinderladen eröffnet habe, geschah das allerdings weniger aus politischer Überzeugung als aus der Not heraus. Mein Sohn …

Ted Gaier von den Goldenen Zitronen …

… ging damals in den Kindergarten, während ich noch studiert habe. Und Ted hat eine Woche lang wirklich jeden Tag wie am Spieß geschrien, weil alles darin fast militärisch geregelt war: totale Dressur, Untertanenproduktion. Da blieb mir – auch als gelernte Heilpädagogin – fast nichts anderes übrig, als mit anderen berufstätigen Müttern den Kinderladen zu gründen. Mit Politik, Kunst, Emanzipation, gar Feminismus hatte das also weit weniger zu tun als mit Pragmatismus.

Aber schwangen Politik, Kunst, Emanzipation und Feminismus dennoch schon bei Ihnen mit in jener Zeit?

Wenn man wie ich in Schule und Ausbildung fast immer von Nonnen umgeben ist, eckt man natürlich irgendwann an. Dass in einem Aufsatz behauptet wurde, Jesus sei von den Juden ans Kreuz genagelt worden, ging mir schließlich schon lang, bevor ich nach Hamburg gekommen bin, gegen den Strich.

Wann genau sind Sie denn hergezogen?

Ich glaube, 1984.

Weil hier ein freierer Wind als in München wehte?

Auf jeden Fall. Hinzu kam, dass das, was später Gentrifizierung genannt wurde, in München schon Ende der Siebziger begonnen hatte, als all die schönen Jugendstilwohnungen in teure Appartements verwandelt und all die alten Mieter rausgeschmissen wurden. Wir auch. Plötzlich gab es keine Treffpunkte mehr für uns, da hatte ich so die Schnauze voll, dass ich mir die am weitesten entfernte Großstadt in Deutschland gesucht habe – denn woanders als in Großstädten drehe ich durch. Das Ergebnis war Hamburg.

Klingt ähnlich pragmatisch wie der Kinderladen.

Hatte am Ende aber auch damit zu tun, dass ich als Regieassistentin von Christel Buschmann zuvor mal in einem Abbruchhaus in der Bernhard-Nocht-Straße gedreht hatte. Witzigerweise lernte ich damals in St. Georg ein paar Prostituierte kennen, die dieses Haus kaufen wollten, um daraus einen Puff zu machen. Das hat zwar nicht geklappt, aber als ich nach Hamburg kam, war es frisch renoviert und ich konnte dort einziehen. Ich lebe immer noch im vierten Stock.

Wobei St. Pauli Mitte der Achtzigerjahre noch ein heruntergekommener Brennpunkt zwischen Aids, Drogen und Bandenkrieg war.

Andererseits wurde damals aber ja auch gerade die Hafenstraße besetzt.

Hat sich die Geschichte für Sie als Flüchtling der Münchener Gentrifizierung gewissermaßen wiederholt und Sie vom Flüchtling zur Kämpferin gemacht?

Schon, aber das waren bei aller Solidarität Kämpfe derer, die darin gewohnt haben, und zwar sehr handfeste. Ich benutze den Begriff des Kampfes nicht so gerne; der klingt mir viel zu heroisch, martialisch. Militärisch kann man eh nie gewinnen. Aber in der Hafenstraße haben wir damals wirklich wunderschöne Barrikaden nach alten Vorbildern gebaut.

Pariser Kommune?

Nee, spanischer Bürgerkrieg, auch sehr heroisch, auch sehr martialisch, aber eben auch sehr eindrucksvoll. Gemeinsam mit dem Nato-Stacheldraht sorgte das dann für die wichtige Botschaft nach außen, wie übel die Situation für die Besetzer war. Abseits dieser symbolischen Kraft ging es allen, besonders den Bewohnern, aber irgendwann auch richtig auf den Wecker, zum Einkaufen ständig über Sandsäcke zu klettern. Deshalb lag mir die Arbeit am Park Fiction viel mehr.

Warum?

Weil der Protest gegen die Gentrifzierung da mit einem sehr konkreten Planungsprozess, was wir uns anstelle dessen genau wünschen, vonstatten ging. Wir wollten die Kultur militarisierter Auseinandersetzungen um Freiräume, in diesem Fall eines kleinen Areals an der Hafenkante, ein wenig aufbrechen.

Und durch eine Diskurskultur ersetzen?

Zum Beispiel. Andere Wege, andere Konzepte statt nur Protest. Ohne zu behaupten, Militanz sei grundsätzlich Mist, wollten wir ein neues Beteiligungskonzept jenseits brennender Barrikaden. Ehrlich – ich scheue keinen Kampf, aber dieser Ansatz war mir lieber.

Sind Park Fiction oder das Paloma-Viertel an der Reeperbahn demnach vor allem Referenzobjekte eines neuen Weges von Bürgerbeteiligung und Widerstand oder Kernbestand der lokalen Struktur?

Mittlerweile beides, aber auch das sollte man nicht gegeneinander werten. Natürlich dient Park Fiction noch immer als gelungenes Referenzobjekt einer Stadtteilplanung für alle – zugleich jedoch ist es ein lebendiger, benutzbarer, beliebter Ort, der den Menschen vor Ort wie die Häuser der Hafenstraße tagtäglich zeigt: Hey, wir können auch mal gewinnen!

Was man vom Paloma-Viertel momentan ja offenbar nicht behaupten kann, oder wie ist da der neueste Stand in den Verhandlungen mit dem Investor Bayerische Hausbau?

Na ja, im Wesentlichen wird wohl alles so gebaut, wie mit ihr vereinbart. Die Frage ist nur, ob es öffentlich auch so wie ursprünglich vereinbart benutzt werden kann und vor allem: zu welchem Preis. Weil wir da gerade in Verhandlungen mit dem Investor und der Stadt stehen, dürfen wir darüber allerdings nicht reden.

Wenn das Paloma-Viertel irgendwann auch nur annähernd so steht, wie es in der Planbude erkämpft wurde – sind Sie dann ein Typ, der sofort weiterzieht auf der Suche nach dem nächsten, wenn’s sein muss ähnlich hart umkämpften Projekt?

Was heißt „dann“ – wir haben schon längst das nächste Projekt.

Hier in der Nachbarschaft?

Nein, auf einem viel größeren Gelände in Süddeutschland, und anders, als immer behauptet wird, auch nicht in einer Großstadt, wo solche Projektbeteiligungen ja angeblich nur möglich sind.

Sie wandern also weiter?

Nein, nein. Ich bleibe hier, bin aber öfter dort. Das geht allerdings auch schon seit drei Jahren so. Wir bringen unser neu gewonnenes Wissen woanders mit ein, zur Not auch in andere Länder, aber ich will nirgendwo anders wohnen als hier.

Und wo könnte hier die nächste Planbude entstehen?

Ach, fast überall. Wir liegen jetzt nicht auf der Lauer nach neuen Einsatzorten, aber die Planbude ist Teil von „Recht auf Stadt“, da ist dauernd irgendwas am Brennen. Der nächste Schritt wäre also, dieses Recht auch in Gesetzesform zu bringen. Wir wollen ja nicht nur punktuell, sondern politisch was ändern.

Das ginge dann noch tiefer in die Mühlen von Verwaltungsrecht und Bürokratie. Trauen Sie sich das zu?

Also wenn ich mir ansehe, wie fürchterlich die Verhandlungen mit der Bayerischen Hausbau gerade sind, stelle ich mir das geradezu erholsam vor. Aber stimmt schon: Schlimmer kann’s immer kommen.

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