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Alternative WohnmodelleAm Ende des nomadischen Lebens

Unsere Autorin hat zwei Jahre lang in Ihrem Wagen gelebt. Jetzt reicht es ihr. Dennoch verteidigt sie das nomadische Leben gegenüber Kritiker:innen.

Mit dem Camper unterwegs Foto: Bruno Kickner/imago

M ein Leben im Wagen endet im Paradiestal. Das ist keine cheesy Metapher – im Paradise Valley in Marokko gestehen mein Freund und ich uns langsam ein, dass es reicht. Nach zwei Jahren nomadischem Leben in einem umgebauten Militär-Lkw geben wir zu, dass wir uns verschätzt haben: Es wird nicht für immer sein.

Wir sind im Tal, um eine Pause zu machen. Pause von prekären Dörfern und täglichen Einladungen bei fremden Familien, Pause von den irgendwann erschöpfenden Schicksalen lokaler Freunde, vom Philosophieren unter Reisenden. Pause von Gefühlen, schätze ich; von der Welt, die zu viel wurde.

Es fühlt sich auch an wie eine Niederlage. Unzählige seufzten, sie würden gern frei leben wie ich. Nicht nur Bürgerliche sind in den Zwängen des Spätkapitalismus vom nomadischen Leben fasziniert. Ich hatte immer das Gefühl, meine eigenen Sehnsüchte und die Projektionen anderer damit erfüllen zu müssen.

Die sesshafte Gesellschaft idealisiert das Dauerreisen. Gleichzeitig zerpflückt sie Dr.-Jekyll-und-Mr.-Hyde-mäßig alle Ausbruchsversuche. Menschen lieben Geschichten über nomadisches Scheitern. „So nervig ist das Leben im Camper wirklich.“ „Darum macht es nicht glücklich, alles hinzuschmeißen und um die Welt zu reisen.“

Natürlich ginge das für alle

Was für ein Unsinn! No­ma­d:in­nen sind medial entweder verarmte Elende wie in „Nomadland“ oder lächerliche digitale Hipster. Die Ablehnung hat System. Eine bürgerliche Gesellschaft, die wörtlich festsitzt und der freies Reisen unerreichbar scheint, redet sich ein: ein Glück, es wäre doch nicht besser!

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Klar, nomadisches Leben hat Limitationen. Mir fehlte neben Ruhephasen vor allem das soziale Netz. Aber es vermag auch verdammt viel. Das Leben im Wagen schafft ein Stück wirkliche Freiheit: von Materiellem, Konventionen, dem Fokus auf Lohnarbeit. Es ermöglicht Begegnungen und Freundschaften mit anderen Gesellschaften und Klassen, frei von touristischer Infrastruktur. Bewegung ist subversiv.

Und natürlich ginge das für alle. Zum Beispiel in der Tradition der Walz. Eine mehrjährige Wanderschaft für jede Lohnarbeit, niedrigschwellig mit Autostopp und solidarischem Netzwerk. Oder: Jedes Jahr zwei Monate bezahlte freie Zeit am Stück für jede:n. Wer Bahn statt Flieger nimmt, bekommt die Tage zusätzlich.

Das erscheint irrwitzig, zu teuer, nicht machbar? Kürzlich habe ich zum ersten Mal wieder Urlaub gemacht, eineinhalb Wochen. Ich war schockiert vom Konzept. Kaum angekommen, war ich schon wieder weg. Ich bekam kein Verständnis vom Ort, fühlte mich nicht erholt und es war sauteuer. Warum das als Highlight des Jahres gilt? Weil wir uns einreden, es gäbe keine Alternativen.

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Alina Schwermer
freie Autorin
Jahrgang 1991, studierte Journalismus und Geschichte in Dortmund, Bochum, Sankt Petersburg. Schreibt für die taz seit 2015 vor allem über politische und gesellschaftliche Sportthemen zum Beispiel im Fußball und übers Reisen. 2018 erschien ihr Buch "Wir sind der Verein" über fangeführte Fußballklubs in Europa. Erzählt von Reisebegegnungen auch auf www.nosunsets.de
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5 Kommentare

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  • Nichts ist für immer - das Leben ist Veränderung. Und auch wenn man beim Reisen täglich Veränderung hat, ist es auch in Ordnung, wenn man irgendwann erkennt, dass dieses Leben jetzt genug ist und nun ein anderes ansteht, weil guttut. Es ist gut, Erfahrungen zu machen - aber wenn man sie dann gemacht hat, kann man sich auch Neuem zuwenden.

    Ich habe das Reisen auch irgendwann abgebrochen - und es später doch auch wieder aufgenommen, in ganz anderer Gegend. In diesem Wechsel fühle ich mich am wohlsten - und am freiesten, solange ich selber entscheiden kann, wann was ansteht.

  • Ist das "vorübergehende" nicht selbst Teil des nomadischen Lebens?



    Damit muss auch dieses zwangsläufig irgendwann vorübergehen.



    Ohne die (zumindest theoretische) Möglichkeit, wieder sesshaft zu werden, führt man nämlich kein nomadisches Leben, sondern ist obdachlos. Was wohl niemand in unserer Gesellschaft romantisiert.

  • Als jemand, der selber im Camper reist bzw. wohnt erschließen sich mir die Gründe der Autorin, ihr Nomadenleben aufzugeben, nicht völlig.



    Philosophieren unter Reisenden? Ich fühle mich besser, das Geschwafel von Anderen on the road nicht anzuhören und gehe den Meisten aktiv aus dem Weg. Ständige Einladungen von Fremden? Ich wähle meine Stellplätze weise! Fehlendes soziales Netz? Habe ich zumindest online und Haustiere oder Kinder zur Betreuung habe ich nicht. Schicksale lokaler Freunde? Ich wähle bewusst Distanz, um eben nicht Teil der Probleme Anderer zu werden.



    Insgesamt ist es wohl eine Frage, auf was ich mich freiwillig einlasse, oder was ich bewusst ablehne, denn ich bin ein selbstbestimmter Erwachsener ohne Illusionen.

    Insgesamt schade, dass es für die Autorin nicht zufriedenstellend funktioniert hat!

  • Ich lebe seit 12 Jahren nomadisch, allerdings bin ich mit Fahrrad und Zelt unterwegs. Frankreich ist meine Wahlheimat, aber ich toure auch durch andere europäische Länder. Sesshaft zu sein war noch mein Ding und ich bin glücklich so, auch wenn es so seine täglichen Herausforderungen hat.

  • Es wird wohl immer so bleiben. Egal was man wo macht, man braucht die Utopie der möglichen Veränderung. Ob daraus dann „nur“ eine innere, oder auch gleich eine äußere Reise wird, mag jede(r) selbst entscheiden, sollte aber die Verantwortung für den eigenen Weg und die eigenen Grenzen nicht als Erstes in den Vorgaben, Vorschriften und dem Verhalten Anderer sehen.