Alternative Wohnmodelle: Am Ende des nomadischen Lebens
Unsere Autorin hat zwei Jahre lang in Ihrem Wagen gelebt. Jetzt reicht es ihr. Dennoch verteidigt sie das nomadische Leben gegenüber Kritiker:innen.
M ein Leben im Wagen endet im Paradiestal. Das ist keine cheesy Metapher – im Paradise Valley in Marokko gestehen mein Freund und ich uns langsam ein, dass es reicht. Nach zwei Jahren nomadischem Leben in einem umgebauten Militär-Lkw geben wir zu, dass wir uns verschätzt haben: Es wird nicht für immer sein.
Wir sind im Tal, um eine Pause zu machen. Pause von prekären Dörfern und täglichen Einladungen bei fremden Familien, Pause von den irgendwann erschöpfenden Schicksalen lokaler Freunde, vom Philosophieren unter Reisenden. Pause von Gefühlen, schätze ich; von der Welt, die zu viel wurde.
Es fühlt sich auch an wie eine Niederlage. Unzählige seufzten, sie würden gern frei leben wie ich. Nicht nur Bürgerliche sind in den Zwängen des Spätkapitalismus vom nomadischen Leben fasziniert. Ich hatte immer das Gefühl, meine eigenen Sehnsüchte und die Projektionen anderer damit erfüllen zu müssen.
Die sesshafte Gesellschaft idealisiert das Dauerreisen. Gleichzeitig zerpflückt sie Dr.-Jekyll-und-Mr.-Hyde-mäßig alle Ausbruchsversuche. Menschen lieben Geschichten über nomadisches Scheitern. „So nervig ist das Leben im Camper wirklich.“ „Darum macht es nicht glücklich, alles hinzuschmeißen und um die Welt zu reisen.“
Natürlich ginge das für alle
Was für ein Unsinn! Nomad:innen sind medial entweder verarmte Elende wie in „Nomadland“ oder lächerliche digitale Hipster. Die Ablehnung hat System. Eine bürgerliche Gesellschaft, die wörtlich festsitzt und der freies Reisen unerreichbar scheint, redet sich ein: ein Glück, es wäre doch nicht besser!
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Klar, nomadisches Leben hat Limitationen. Mir fehlte neben Ruhephasen vor allem das soziale Netz. Aber es vermag auch verdammt viel. Das Leben im Wagen schafft ein Stück wirkliche Freiheit: von Materiellem, Konventionen, dem Fokus auf Lohnarbeit. Es ermöglicht Begegnungen und Freundschaften mit anderen Gesellschaften und Klassen, frei von touristischer Infrastruktur. Bewegung ist subversiv.
Und natürlich ginge das für alle. Zum Beispiel in der Tradition der Walz. Eine mehrjährige Wanderschaft für jede Lohnarbeit, niedrigschwellig mit Autostopp und solidarischem Netzwerk. Oder: Jedes Jahr zwei Monate bezahlte freie Zeit am Stück für jede:n. Wer Bahn statt Flieger nimmt, bekommt die Tage zusätzlich.
Das erscheint irrwitzig, zu teuer, nicht machbar? Kürzlich habe ich zum ersten Mal wieder Urlaub gemacht, eineinhalb Wochen. Ich war schockiert vom Konzept. Kaum angekommen, war ich schon wieder weg. Ich bekam kein Verständnis vom Ort, fühlte mich nicht erholt und es war sauteuer. Warum das als Highlight des Jahres gilt? Weil wir uns einreden, es gäbe keine Alternativen.
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