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KatastrophenschutzHochwasser kennt keine Grenzen

Bayern, Sachsen und Brandenburg blieben diesmal von einer Flutkatastrophe verschont. Wie gut ist Deutschland für kommende Hochwasser gerüstet?

Zwei Männer helfen einem älteren Nachbarn, der sich vor den Fluten im rumänischen Dorf Slobozia Conachi in Sicherheit bringen will Foto: Daniel Mihailescu/afp

1. Was ist überhaupt passiert?

Das Sturmtief „Anett“ führte vergangene Woche in Polen, Rumänien, Österreich und Tschechien zu einer Hochwasserkatastrophe. In den betroffenen Regionen brachen mehrere Dämme, weite Landstriche waren zeitweise von der Außenwelt abgeschnitten. Mehr als 20 Menschen kamen bislang ums Leben, mehrere Personen gelten als vermisst. Obwohl die Flusspegel auch in Bayern, Sachsen und Brandenburg stiegen, blieb dort die ganz große Katastrophe aus. Doch der Klimawandel wird in Zukunft mehr Fluten und Hochwasser mit sich bringen. Die nächste Katastrophe kommt bestimmt, und sie lässt sich mit symbolpolitischen Grenzschließungen nicht verhindern. Es braucht weitsichtigen Katastrophenschutz.

2. Katastrophenschutz – was heißt das?

Mit Katastrophenschutz sind alle Maßnahmen gemeint, die Menschen und Infrastruktur vor Gefahren schützen, wozu auch Überschwemmungen zählen. Der Katastrophenschutz gliedert sich in drei Schritte: Vorsorge, Bewältigung und Nachsorge. Für die Vorsorge gegen Flusshochwasser sind bauliche Maßnahmen besonders wichtig. Dazu gehören Überschwemmungsflächen, Deiche und Talsperren, um das Wasser aufzuhalten und abzubremsen. Im Katastrophenfall muss die Bevölkerung möglichst früh durch Warnapps und Sirenen informiert werden. Krisenstäbe koordinieren Rettungsaktionen und bündeln alle verfügbaren Informationen. Ziel der Nachsorge ist es, Schäden zu beseitigen und Betroffene bei der Rückkehr in ihren Alltag zu unterstützen. Hierzulande kann sich da noch einiges verbessern.

3. Lassen sich Hochwasser voraussagen?

Eine präzise Prognose ist die beste Voraussetzung, um sicher durch eine Hochwasserkrise zu kommen. Der Deutsche Wetterdienst berechnet anhand meteorologischer Modelle, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Flusshochwasser oder eine Sturzflut eintreten. Neben dem Niederschlag beziehen Me­teo­ro­lo­g:in­nen auch die Bodenbeschaffenheit in der betroffenen Region in ihre Modelle ein. Ist der Boden ausgetrocknet, gesättigt oder versiegelt, sickert das Wasser nicht ab und sucht sich andere Wege.

Leistungsfähige Computer können heute mehrere Vorhersagen über den bevorstehenden Niederschlag in „Ensemblevorhersagen“ zusammenfassen. In den letzten 20 Jahren sind diese Prognosen immer präziser geworden. Trotzdem stehen Me­teo­ro­lo­g:in­nen beim Vorhersagen von Hochwasser­ereignissen weiterhin vor Herausforderungen. Wie viel Wasser vom Himmel kommt, ist vergleichsweise gut vorhersehbar. Die schwierigere Frage ist, wo genau der Regen fallen wird. Großflächige Ereignisse wie das Tief „Anett“ lassen sich daher leichter vorhersagen als lokaler Starkregen. Der Deutsche Wetterdienst warnt die zuständigen Behörden frühzeitig, damit diese sich auf ein mögliches „Jahrhunderthochwasser“ vorbereiten können.

4. Warum gibt es ständig „Jahr­hunderthochwasser“?

Die Flut an der Elbe 2002, das Hochwasser 2013 und die Ahrtalkatastrophe 2021 – innerhalb von 20 Jahren gab es mehrere Jahrhunderthochwasser in Deutschland. Das klingt so, als ob es sich jeweils um das größte Hochwasser des vergangenen Jahrhunderts handelt. Wie kann das sein? Jahrhunderthochwasser ist ein hydrologischer Fachbegriff. Er bezeichnet tatsächlich nicht den neusten Rekordhalter, sondern ein Ereignis, das aus statistischer Sicht nur einmal in 100 Jahren vorkommt. Durch die Erderwärmung werden wir in Zukunft noch häufiger Überschwemmungen dieses Ausmaßes erleben. Je wärmer die Meere, desto mehr Wasser gelangt in die Atmosphäre, die Niederschläge verstärken sich dementsprechend. Außerdem kommt es durch den Klimawandel immer häufiger vor, dass sich Tiefdruckgebiete länger an einem Ort halten. Das begünstigt weitere Jahrhunderthochwasser.

5. Wer ist eigentlich für Hochwasser zuständig?

Dem Hochwasser sind Landesgrenzen egal. Dem Föderalismus nicht. In Deutschland ist der Katastrophenschutz Ländersache. Jedes Bundesland ist selbst für seinen Hochwasserschutz zuständig – so sieht es das Grundgesetz vor. Gemeinde und Städte koordinieren jeweils ihre Rettungskräfte und Feuerwehren bei Überschwemmungen. Tritt der Katastrophenfall ein, übernehmen die Katastrophenschutzbehörden der Länder die Gefahrenabwehr. Der Bund stellt im Krisenfall Ausstattung und Personal des Technischen Hilfswerks, der Bundespolizei und der Bundeswehr zur Verfügung, wenn die Länder das anfordern. Sind mehrere Bundesländer betroffen, koordiniert der Bund den Informationsaustausch und die Hilfsmaßnahmen. Eine verschachtelte Sache.

6. Behindert der Föderalismus den Hochwasserschutz?

Dass der Katastrophenschutz in Deutschland Ländersache ist, ist nur bedingt sinnvoll. Einerseits kennen die jeweiligen Gemeinden die örtlichen Gegebenheiten am besten und wissen, welche Maßnahmen nötig sind. Bei Hochwasser ist man aber immer von den Nachbarn flussaufwärts abhängig. Überschwemmungsgebiete auszuweisen und Talsperren zu bauen bremst ein Flusshochwasser aus und schützt so die stromabwärts liegenden Städte und Gebiete – die sogenannten Unterlieger. Die Oberlieger haben selbst nichts von der Überschwemmung ihrer Flächen. „Beim überregionalen Hochwasserschutz ist die Solidarität zwischen den Flussanrainern entscheidend“, sagt Holger Schüttrumpf, Hochwasserexperte und Professor an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen. „Bisher fehlt in Deutschland allerdings der ökonomische Ausgleich, um die Solidarität der Oberlieger auszugleichen.“ Technische Schutzmaßnahmen der Oberlieger können aber auch zu höheren Wasserständen bei den Unterliegern führen. So hatte Sachsen nach der Hochwasserkatastrophe 2002 in seine Deiche investiert und diese saniert. Mit Erfolg. Das Junihochwasser 2013 verursachte in Sachsen nur einen Bruchteil der Schäden von 2002. Stromabwärts jedoch, in Sachsen-Anhalt, brachen mehrere Deiche unter den hohen weitergeleiteten Wasserlasten.

„Im Idealfall würde es für jeden Fluss und dessen Einzugsgebiet eine Behörde geben, die die Schutzmaßnahmen koordiniert. Das ist in Deutschland und bei transnationalen Einzugsgebieten allerdings utopisch“, sagt Daniel Bachmann, Professor für Hochwasserrisikomanagement an der Hochschule Magdeburg-Stendal.

7. Investiert Deutschland genug in den Hochwasserschutz?

Das verheerende Hochwasser von 2013 verdeutlichte die Schwachstellen des Hochwasserschutzes in Deutschland, insbesondere entlang der Donau und der Elbe. Wie es sich für eine solche Katastrophe gehört, versprachen damals die zuständigen Politiker in Gummistiefeln und vor Sandsäcken öffentlichkeitswirksam Besserung.

2014 brachte das Bundesumweltministerium das Nationale Hochwasserschutzprogramm auf den Weg, um die Länder bei überregional wirkenden Maßnahmen zu unterstützen. Zurückverlegte Deiche sollten den Flüssen mehr Platz verschaffen und Talsperren die Flutwellen ausbremsen. Die Bilanz fällt nach zehn Jahren jedoch mager aus. „Nur neun der 168 beschlossenen Maßnahmen wurden seit 2014 vollständig umgesetzt“, kritisiert Holger Schütt­rumpf.

Für die schleppende Umsetzung der Schutzmaßnahmen gebe es viele Gründe: „Lange Genehmigungsverfahren, unterschiedliche Interessen der Oberlieger und Unterlieger sowie Konflikte über die Flächennutzung. So haben die Land- und Forstwirtschaft, Denkmalschutz und Gemeinden oft berechtigte Ansprüche auf die für den Hochwasserschutz benötigten Flächen“, sagt Experte Schüttrumpf. Es mangelt also nicht am Wissen, sondern an der realpolitischen Umsetzung vor Ort.

8. Wie könnte es besser laufen?

Wie weitsichtiger Hochwasserschutz geht, zeigt das Vorbild der Niederlande. Seit den 90er Jahren setzt das Land das Konzept „Raum für den Fluss“ um. Durch weiter ­entfernte Deiche bekommen Flüsse Platz, auf dass Menschen vor Fluten geschützt werden. Die Holländer haben erkannt, dass sich der Mensch an das Hochwasser anpassen muss, nicht andersrum.

9. Wie sieht es mit der europäischen Zusammenarbeit aus?

Zum Schutz großer Flüsse wie der Elbe, der Donau und des Rheins gibt es internationale Kommissionen. Neben der Überwachung der Wasserqualität koordinieren die Länder in diesem Rahmen auch Maßnahmen für den Hochwasserschutz. Die EU fördert zudem Projekte, um Überschwemmungen über Landesgrenzen hinweg besser zu managen. Im Rahmen der sogenannten Strima-Initiativen sollen beispielsweise sächsische und tschechische Warnsysteme grenzübergreifend und automatisiert verknüpft werden. Wie sinnvoll die europäische Zusammenarbeit ist, zeigt sich gerade an der Elbe. Dresden profitiert direkt davon, dass in Tschechien die Talsperren erst nach und nach Wasser ablassen.

10. Was kann je­de:r Einzelne tun?

Sollten Sie sich jetzt oder in der Zukunft in einem Gebiet befinden, das akut von Hochwasser betroffen ist, halten Sie sich durch Rundfunk, Internet und Nina-Warnapp auf dem Laufenden. Folgen Sie den Anweisungen von Rettungskräften, und wenn dafür Zeit ist, dichten Sie vor dem Verlassen des Hauses Türen und Fenster ab, um Schäden zu vermeiden. An alle Bauherren und -herrinnen: Auch wenn der Blick aufs Wasser schön ist – Neubauten in Überschwemmungsgebieten tragen zu unnötiger Versiegelung bei und bringen die Menschen, die dort einziehen, in Gefahr. Besteht akute Hochwassergefahr, auf keinen Fall in den Keller gehen. Auch Katastrophentourismus ist ein absolutes No-Go. Er behindert Rettungskräfte und ist allgemein cringe.

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