Schlesisches Museum in Görlitz: Schlesisch harmonisch
Das Museum am östlichsten Zipfel Deutschlands widmet sich dem kulturellen Erbe Schlesiens – aber nicht revanchistisch, sondern verbindend.
A m Museum weht keine Fahne der Region, deren Namen das alte Haus trägt: Schlesisches Museum zu Görlitz (SMG). Manche mögen solcherlei Beflaggung erwarten, doch damit kann und will dieses Haus nicht aufwarten: keine Folklore, keine Nostalgie, keine Heimattümelei. „Wenn ich erzähle, wo ich arbeite“, sagt der Museumspädagoge Matthias Voigt, „verdrehen manche erst mal die Augen.“ Dann sagt Voigt stets schnell: „Ich weiß, was Sie jetzt denken!“ Dass er in einer Art schlesischer Heimatstube oder einem Andenkenladen des Bunds der Vertriebenen arbeiten könnte – unzeitgemäß, rückwärtsgewandt, revanchistisch? Falsch gedacht.
„Es geht bei uns nicht automatisch um die Opferrolle der Schlesier“, sagt Voigt. „Es geht um die Geschichte, aber auch um die Gegenwart Schlesiens als europäische Kulturlandschaft.“ Gerade in Polen habe mit der jüngeren Generation ein Wandel stattgefunden, sie wolle die schlesische Geschichte aus ihrer Perspektive erkunden und erzählen.
Agnieszka Gąsior, Museumsleiterin
Das ist eine erstaunliche Erkenntnis dieser Reise: Dass das Interesse auf deutscher Seite erlahmt sei, während es in Polen stetig wachse, berichten alle. „Dass die Zahlen aus Deutschland nachlassen, liegt auch daran, dass der emotionale Bezug zu Schlesien in den Familien schwindet“, erklärt Voigt. „Die Enkel- oder Urenkelgeneration hat mittlerweile andere Identifikationsgrößen als Schlesien als Heimat der Vorfahren.“
Das Schlesische Museum, wo Voigt seit sechs Jahren arbeitet, ist eine Einrichtung mit wissenschaftlichem Auftrag, die eng mit polnischen und tschechischen Institutionen kooperiert, die Geschichte der Region aufarbeitet und sie in einen europäischen Zusammenhang einbettet. Denn Schlesien, das nie ein Staat, sondern eine Provinz, eine Region mit wechselnden politischen, konfessionellen und ethnischen Zugehörigkeiten war, wies früh slawische und germanische Einflüsse auf, war mal bei der böhmischen, dann bei der österreichisch-ungarischen Krone angedockt, bevor es 1741 von Preußen erobert wurde.
Matthias Voigt, Museumspädagoge
Bei seiner Gründung 2006 wurde das Schlesische Museum zu Görlitz von polnischer Seite zunächst misstrauisch beäugt, sagen die heutigen Macher*innen. Seit wann wollen die schuldbeladenen Deutschen polnische Geschichte und Gegenwart erklären? Heute ist seine Lage ein Vorteil, ist es doch vom Schlesischen Museum mit seinem Standort in der Altstadt, unweit der Neiße, nur ein kleiner Spaziergang ins heutige polnische Schlesien.
Lange Jahre war die Oder-Neiße-Linie in westdeutschen Schulatlanten nur als vorläufige Grenze in gestrichelter Linie zu erkennen – erst im November 1990 wurde sie nach der Wiedervereinigung Deutschlands im deutsch-polnischen Grenzvertrag völkerrechtlich anerkannt. 45 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs, der mit dem militärischen und moralischen Zusammenbruch des NS-Regimes und dem Vorrücken der Roten Armee die Vertreibung der überwiegend deutschen Bevölkerung Schlesiens zur Folge hatte.
Dass das Schlesische Museum heute auf deutscher Seite existiert und grenzübergreifend kooperiert, ist der politischen Entwicklung und kulturellen Verständigung der vergangenen 30 Jahre zu verdanken. Und Sachsen, das am 1. September einen neuen Landtag wählte, zeigt sich hier von seiner weltoffenen Seite.
Die Stadt Görlitz gehörte bis 1945 zu Schlesien und dessen Folklore ist heute ein Vermarktungspotenzial der nicht ganz 60.000 Einwohner*innen zählenden Stadt, die sich als östlichste Stadt Deutschlands bezeichnet. Zu DDR-Zeiten waren die Themen Vertreibung und Schlesien mit der Blockbildung in Ost und West politisch tabu. Wer Görlitz nicht kennt, der oder dem ist die Stadt mit ihrer reichen Architektur aus Renaissance-, Barock- und Gründerzeitbauten vielleicht aus dem Film „Grand Budapest Hotel“ von Wes Anderson bekannt. Heute steht das ehemalige Kaufhaus mit der Aufschrift „Drehort Kaufhaus“ leer und träumt den Traum der Filmstadt. Auch die Bewerbung zum UN-Weltkulturerbe ist gescheitert.
Auf den engen Straßen der Görlitzer Innenstadt ist viel Polnisch und Deutsch zu hören, kaum Englisch. Auf dem Obermarkt harrt ein weißes Riesenrad seiner Entfesselung beim Altstadtfest. Am Abend sitzen Einheimische wie Tourist*innen in den Lokalen längs der Neiße – und essen Pizza oder Piroggen. Wer auf der polnischen Seite essen geht, hat die erleuchtete Altstadtkulisse von Görlitz mit ihren Türmen und Kirchen im Blick; wer von Deutschland aus hinüberschaut, sieht eine kleine schmucke Häuserzeile im historischen Stil, Zigarettenwerbung, auch wenn Zigaretten in Polen längst nicht mehr billiger sind, und im Hintergrund eine Hochhaussiedlung, die das Manhattan von Zgorzelec genannt wird, so heißt der polnische Zwilling von Görlitz. Die deutsche Polizei parkt mit einem Wagen an der Brücke, die diensthabenden Beamten stehen an der polnischen Imbissbude an.
In heller Hose und blauem T-Shirt, das ein Fahrradsignet zeigt, steht Matthias Voigt, 54, wartend vor dem Museum. Der gebürtige Sachse lebt seit 30 Jahren in Görlitz, hat in Bonn und Görlitz studiert: Sozialpädagogik, später Kulturhistorische Studien. Beides kommt dem Leiter der Museumsbildung zugute. Er führt im Schnelldurchgang durch die Ständige Ausstellung des Museums, das in einem ehemaligen Gasthof aus dem 16. Jahrhundert untergebracht ist.
Der Schönhof selbst ist damit viel älter als die preußische Provinz Schlesien. Von Raum zu Raum der insgesamt 17 Ausstellungsräume werden die behutsam freigelegten Original-Holzdecken mit ihren verblassten Farben und dekorativen Ornamenten immer schöner. „Oh ja, die stehlen uns öfter die Schau“, scherzt Voigt, wenn die Besucher*innen zunächst staunend in die Höhe und dann erst in die lichtgeschützten Vitrinen mit ihren Ausstellungsobjekten schauen.
Nur eine Handvoll Besucher*innen sind dort an einem Wochentag unterwegs. Die Dauerausstellung ist thematisch wie chronologisch gegliedert. An die 30.000 Eintritte wurden vor Corona pro Jahr gezählt, man nähert sich dieser Zahl wieder an. Geschätzte sieben Prozent kommen mittlerweile aus Polen. Voigts Lieblingsraum ist die untere Diele: „Ereignisse und Figuren“. Ein ausdrucksstarker Frauenkopf aus Gips erzählt dort die Biografie einer einfachen Frau aus dem Riesengebirge der 1930er Jahre.
Es liegen gestickte Borten für Wäscheschränke aus, die den „Stolz der deutschen Frau“ ansprechen. Sie zeugen von traditioneller Rollenverteilung in schlesischen Haushalten: „Hier kann ich mit Schulklassen an das Frauenbild damals und heute anknüpfen“, klingt bei Voigt der Museumspädagoge durch. An anderer Stelle erlaubt eine Karte mit Touchscreen, sieben schlesische Hauptmundarten an Wortbeispielen durchzuhören. Es gibt deutsches und polnisches Schlesisch, aber auch Wasserpolnisch, das wiederum durch die Flößer der Oder deutsche Sprachanteile ins Polnische trug und damit die polnische Sprache „verwässerte“.
Hat der Museumspädagoge schon rechte Pöbeleien erlebt? Nur an „eine politische Entgleisung“ kann er sich erinnern, die kam vor Jahren von einem älteren Mann. „Ich weiß nicht, was die Zukunft bringen wird“, sagt Voigt hinsichtlich der anstehenden Landtagswahlen. Er habe angemeldet, im Herbst ein Seminar zu belegen, wie man als Vermittler in Museen oder Gedenkstätten rechte Tendenzen erkennen und ihnen begegnen kann.
Bei der Bundestagswahl 2021 erzielte die AfD im Wahlkreis Görlitz 32,5 Prozent der Stimmen. Schon bei der Kommunalwahl 2019 ließ sich nur durch den Verzicht der zweitplatzierten Grünen-Kandidatin Franziska Schubert zugunsten des CDU-Mannes Octavian Ursu der AfD-Kandidat als Oberbürgermeister verhindern.
Die beiden letzten Räume des Museums sind Schlesien im Nationalsozialismus und Zweiten Weltkrieg gewidmet, dem Ende und dem Neubeginn. Die flachen Vitrinen seien bewusst niedrig gestaltet, erklärt Voigt, damit man sich in eher gebückter Haltung dieser Geschichte von Gewalt, Tod und Vernichtung nähere. In einer Vitrine hängen bei der Flucht zurückgelassene Schlüssel. Einfach aber sehr berührend. Für das kommende Jahr plant das Haus eine große Ausstellung zu Schlesien ab 1945.
Auf einem Tablet lässt sich das Thema bereits jetzt im Atrium erkunden, auf Deutsch und Polnisch, so wie alle Erklärungstafeln und Audios zweisprachig sind. Einen Tag nach dem Rundgang nehmen auf den weißen Bänken im überglasten Innenhof Agnieszka Gąsior und Agnieszka Bormann Platz. Die Kunsthistorikerin Gąsior leitet seit drei Jahren das Museum, die Kulturmanagerin Bormann seit 2018 das Kulturreferat für Schlesien. Denn das Schlesische Museum hat einen besonderen Auftrag: „die Förderung der Pflege und Erhaltung von Kulturwerten aus der schlesischen Geschichte“, so ist es in § 96 des Bundesvertriebenen- und Flüchtlingsgesetzes von 1953 festgeschrieben und 2002 durch die Einrichtung der Kulturreferate neu konzipiert worden.
Spielt das heute noch eine Rolle? Wie pflegt man etwas, das es nicht mehr gibt, ohne dass es leeres Brauchtum wird?
„In Ihrer Frage stecken die ganzen Imageprobleme, die das Thema Schlesien in Deutschland hat“, sagt Gąsior. „In Deutschland wird auf Schlesien meist aus der Perspektive des Verlustes geblickt.“ Das sei eine mögliche Perspektive, für viele Deutsche dominierend. Dabei werde aber übersehen, dass Schlesien eine Region mit unglaublich bewegter Geschichte und reichhaltiger Kultur sei, die tausend Jahre zurückreiche und bis heute fortbestehe. „Die Deutschen hatten immer starken Anteil daran. Aber sie waren nicht die einzigen, die diesen Landstrich geprägt haben. Wir versuchen, die verschiedenen Einflüsse im breiteren Kontext zu zeigen – und zwar multiperspektivisch.“
Gąsior spricht vom „mental mapping“, das, je nachdem, wo jemand herkommt, ein ganz anderes Schlesien kennt oder meint. „So richten die Deutschen den Blick vor allem auf Niederschlesien, während für Polen mit dem Begriff Schlesien in der Regel Oberschlesien konnotiert ist.“ Gąsior ist wie ihre Kollegin Bormann in Polen aufgewachsen, beide sind perfekt zweisprachig. Oft sei der Blick auf Schlesien durch die historischen Erfahrungen verstellt, mal getrübt, mal verklärt. Zwar verdankt das Museum – wie auch die Museen der anderen Landsmannschaften – den Vertriebenenverbänden seine Entstehung, aber „der Auftrag des Museums“, sagt Gąsior, „war von vornherein dem europäischen Gedanken verpflichtet: die deutsche Geschichte zu zeigen, den nachfolgenden Generationen erfahrbar zu machen, gleichzeitig aber auch den Dialog mit den Nachbarn zu fördern.“
Üben die schrumpfenden Vertriebenenverbände heute noch Druck aus, so wie in der alten BRD, als die Landsmannschaften ihre verlorene Heimat lautstark reklamierten und ein Recht auf Heimat, Heimkehr und gar Rückgabe forderten? Die Direktorin sagt diplomatisch, das Verhältnis sei heute konstruktiv und sei sicher in den Anfangsjahren „spannungsreicher“ gewesen. Die Landsmannschaft Schlesien ist im Stiftungsrat vertreten, der über die Programmatik und Projekte des Museums entscheidet, ist aber kein Geldgeber.
Ein wissenschaftlicher Beirat berät bei der inhaltlichen Ausrichtung. Die Stadt Görlitz stellt die Immobilie als Sitz des Museums.
Hat Agnieszka Gąsior Befürchtungen hinsichtlich ihrer Arbeit, je nach Ausgang der Landtagswahlen in Sachsen? „Die Stimmung in Sachsen beobachte ich mit Sorge“, sagt die 52-Jährige, die 20 Jahre im Leibniz-Institut für Geschichte und Kultur des östlichen Europa (GWZO) in Leipzig arbeitete. „Was dies für das Museum bedeuten könnte, ist schwer zu sagen. Wir werden paritätisch vom Bund und Land finanziert und insofern könnten wir durch bestimmte politische Entscheidungen auch betroffen sein.“ Inhaltliche Auswirkungen auf ihre Arbeit befürchtet sie bisher nicht. „Wir sehen es als unsere Aufgabe, die Demokratie aktiv mitzugestalten“, bekräftigt sie. „Zur gesellschaftlichen Stimmung tragen wir am stärksten durch unsere Arbeit bei, indem wir Vermittlungsarbeit leisten oder Themen wie Krieg und seine Folgen aufgreifen, das Ankommen und Weggehen, den Beitrag der Migrierenden, wie wir das für unsere Ausstellung ‚(Um)Brüche 1945‘ im nächsten Jahr planen.“
Die jüngste Geschichte Schlesiens ist eine Geschichte der doppelten Vertreibung. Die meisten Deutschen verließen Schlesien jenseits der Oder und Neiße spätestens im eisigen Winter 1945, sehr viele Menschen starben durch Bomben, erfroren oder verhungerten. Das Potsdamer Abkommen von 1945 legte fest, dass die in Ungarn, der Tschechoslowakei und Polen verbliebenen Deutschen zwangsausgesiedelt werden sollten. Es kam zu einem gigantischen „Bevölkerungsaustausch“, wie die Fachleute es nennen, da aus Ostpolen, das bei den Verhandlungen der Alliierten der Sowjetunion zugeschlagen wurde, die dort Vertriebenen ins westpolnische, entvölkerte Schlesien zogen. Klar, dass sie mit dem Schlesiertum gefremdelt haben – mit dem deutschen insbesondere. Die Spuren wurden von den neuen sozialistischen Machthabern stillschweigend getilgt, übertüncht.
Die polnische Autorin Karolina Kuszyk beschreibt in ihrem Buch „In den Häusern der anderen“ anhand von Objekten den schwierigen Umgang mit den Hinterlassenschaften der Deutschen. Das ist vorbei, die dritte und vierte Generation der Zugezogenen im polnischen Schlesien entwickelt eine neue regionale Identität und begibt sich auf Spurensuche – egal, ob sie in tschechische, polnische oder deutsche Geschichte führt.
Kuszyks Buch findet man auch ein paar Meter weiter vom Museum in der „Schlesischen Schatztruhe“, die in erster Linie ein Souvenirladen ist und Bunzlauer Keramik in großem Umfang anbietet, aber auch Wanderkarten und Schlesienfanartikel. Über dem Eingang weht die Schlesienfahne, in der Auslage wird für Reisen nach Polen und das Schlesische Oktoberfest geworben. Leider weilt Geschäftsführer Alfred Theisen an diesem Tag nicht in Görlitz, er betreut gerade eine Reisegruppe in Polen. Es folgt eine Verabredung per Mail zum Telefonieren.
Theisen spricht mit rheinischem Singsang, den er auch nach 30 Jahren in Görlitz nicht verloren hat. Wie kommt jemand aus dem Rheinland, „ohne familiäre Wurzeln in Schlesien“, wie er am Telefon erklärt, zu diesem Geschäft? Er habe sich schon früh für Osteuropa interessiert, erzählt er, besonders die polnische Widerstandsbewegung Solidarność faszinierte ihn in den 1980er Jahren. Theisen war als junger Mensch selbst aktiv in den Vertriebenenverbänden der alten BRD und ist froh, dass in deren Reihen die „radikalen Narren“ und „profilierungssüchtigen Funktionäre“ weniger werden.
1994 zog er nach Görlitz und ergriff die Chance, einen Verlag zu gründen, der mit Publikationen und seiner Zeitschrift Schlesien heute den Osten Europas in den Blick nimmt. „Bei den meisten Westdeutschen war schon bei Dresden Schluss mit Osten“, sagt er. Theisen organisierte Reisen nach Belarus, in die Ukraine, Bukowina, nach Galizien, Moldau – das alles ist seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine vorbei. Das Geschäft sei eingebrochen – was bleibt, seien die Polenreisen, für die sich immer weniger Deutsche interessierten. Die Heimwehtouristen, die es nach dem Fall des Eisernen Vorhangs in Scharen in ihre alte Heimat zog, die dort „phantastische“ Städtepartnerschaften initiierten oder als Investoren alte Höfe oder Betriebe sanierten, wie Theisen schwärmt, sie sterben weg. Um so mehr sieht er es als „Aufgabe an, über Polen zu informieren“. Ein ehemaliger Vertriebenenaktivist als Brückenbauer.
Mit dem Schlesischen Museum sieht Theisen ein friedliches Nebeneinander. Bunzlauer Keramik oder böhmisches Glas findet sich dort in den Museumsvitrinen, die Touristen werden eher ins Souvenirgeschäft abbiegen, ohne zu wissen, was Bunzlau mit Schlesien zu tun hat. Die Kulturreferentin Agnieszka Bormann arbeitet daran, die Inhalte des Museums und alles, was mit Schlesien früher und Schlesien heute zu tun hat, „in die Breite und in die Fläche“ zu tragen.
Das Kulturreferat Schlesien ist eines der acht vom Bund getragenen Kulturreferate, die die Geschichte der ehemals deutschen Siedlungsgebiete in Ost- und Mitteleuropa vermitteln helfen. Es hat den anderen eines voraus: die Nähe zu der Region, die thematisch behandelt wird. Das Landesmuseum Ostpreußen liegt in Lüneburg. Ursprünglich sollte das Schlesische Museum in Niedersachsen entstehen, da verschiedene Bundesländer der alten BRD Patenschaften für einzelne Landsmannschaften übernommen hatten.
Bormann verabschiedet sich. Sie wird eine Gruppe an die Orte in der polnischen Oberlausitz führen, die mit dem 1624 verstorbenen Philosophen aus Görlitz, Jacob Böhme, verbunden sind, dem das Museum ab dem 30. August eine Sonderausstellung widmet. Auch Wanderungen in die Sudeten oder Ausflüge zu Künstlerateliers im polnischen Schlesien gehören für Bormann zur praktischen Arbeit. Zugleich setzt das Museum verstärkt auf digitale Angebote: den „Geschichtspfad“ beidseits der Neiße, den man aufs Mobiltelefon laden kann, oder den von Bormann betreuten Info-Blog silesia-news.de. Die Zugriffszahlen steigen.
Braucht es neue inhaltliche oder pädagogische Konzepte für die Arbeit des Museums, wenn sich die Besucherstruktur wandelt? „Inhaltlich braucht es die nicht“, sagt die Direktorin Agnieszka Gąsior überzeugt, „doch wir müssen über neue Vermittlungskonzepte nachdenken. „Wie stelle ich unser Thema für Menschen dar, die nichts oder wenig damit verbinden?“
Der neben ihr sitzende Museumspädagoge Voigt, der gleichermaßen deutsche wie polnische Schulklassen oder Reisegruppen betreut, hätte da ein paar Ideen. Er spricht gern über das Thema Identität. „Was ist ein Schlesier, eine Schlesierin? Wer spricht Schlesisch? Welches Schlesisch?“ Wenn er deutschen Schüler*innen diese Frage stelle, komme neuerdings zu der Aufzählung – deutsch, sächsisch, preußisch, aus der Oberlausitz oder Görlitz – eine neue Kategorie hinzu: ostdeutsch.
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