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Geschlechterparität in der EUMännlich, konservativ, machtbewusst

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen will Geschlechterparität fördern. Doch die EU-Staaten nominieren zu viele Männer für die Behörde.

Zwei der wenigen Frauen auf Spitzenposten: EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Roberta Metsola, Parlamentspräsidentin Foto: Philipp von Ditfurth/dpa

Brüssel taz | Ihre Wiederwahl an die Spitze der EU-Kommission im vergangenen Juli war eine Zitterpartie. Einen Monat später droht der deutschen Europapolitikerin Ursula von der Leyen (CDU) schon die nächste Machtprobe. Und es sieht ganz danach aus, dass sie diesmal den Kürzeren ziehen könnte.

Der Grund: Die meisten EU-Staaten ignorieren von der Leyens Wunsch, je eine Frau und einen Mann für die nächste EU-Kommission zu nominieren und so für Geschlechterparität zu sorgen. Viele schlagen nur einen einzigen Bewerber vor: einen Mann.

Die Folge: akuter Frauenmangel in Brüssel. Sechzehn Männer und nur fünf Frauen – so fällt die Geschlechter-Bilanz kurz vor Ablauf der Bewerberfrist am 1. September aus. Wenn es mit den Nominierungen so weiter geht, könnten die Männer am Ende über eine Zweidrittelmehrheit verfügen.

„Das sind wirklich schlechte Nachrichten“, kritisiert die spanische Europaabgeordnete Lina Gálvez (S&D), die im EU-Parlament für Frauenrechte und Gleichstellung zuständig ist. „Die neue Kommission darf kein Männerclub werden“, warnt die deutsche Europa-Staatssekretärin Anna Lührmann von den Grünen.

Außer der Reihe

Doch die Liste der bisher bekannten Namen spricht eine andere Sprache. Österreich hat Finanzminister Magnus Brunner nominiert – ein Mann. Frankreich hält an Thierry Breton fest – ebenfalls ein Mann. Ungarn möchte eine zweite Amtszeit für Olivér Várhelyi, Lettland schickt erneut Valdis Dombrovskis nach Brüssel.

Die prominenteste weibliche Kandidatin – neben von der Leyen – ist Kaja Kallas aus Estland. Sie war allerdings bereits im Juni nominiert worden – von den 27 Staats- und Regierungschefs, die sie zur neuen EU-Außenbeauftragten ernennen möchten. Sie läuft sozusagen außer der Reihe.

Weitere Frauen kommen aus Kroatien, Finnland und Schweden. Auch Spanien dürfte mit Teresa Ribera, der bisherigen Vizeregierungschefin, eine prominente Politikerin nach Brüssel schicken. Das war’s aber auch schon. Die Frauen sind deutlich unterrepräsentiert. Selbst wenn die noch fehlenden fünf Staaten ihre Wahl treffen, dürfte sich die Lücke nicht mehr schließen.

Dies ist nicht das einzige Problem, mit dem von der Leyen fertig werden muss. Hinzu kommt, dass die meisten Männer auch noch der konservativen Europäischen Volkspartei angehören – und dass sie einen wichtigen Posten für sich reklamieren. Männlich, konservativ und machtbewusst – so sieht das typische Profil der neuen EU-Kommission aus.

Wichtigster Hebel

Um allen Wünschen gerecht zu werden, hat von der Leyen in der letzten Legislaturperiode die Kategorie der „Executive Vice Presidents“ geschaffen, die noch über der „einfachen“ Vizepräsidentin stehen. Doch selbst das dürfte diesmal nicht reichen. Es gibt einfach nicht genug Posten, um den Machthunger zu stillen.

Was tun? Von der Leyen und ihre Berater halten sich bedeckt. Man wolle erst einmal die vollständige Liste der Kandidaten abwarten, heißt es in Brüssel, danach werde man weitersehen. Einzelne Kandidaten kann von der Leyen nach deren Anhörung im Europaparlament zurückweisen – doch weibliche Bewerber erzwingen kann sie nicht.

Ihr wichtigster Hebel ist die Verteilung der Aufgabengebiete. Neben den traditionell wichtigen Dossiers wie Wirtschaft, Finanzen, Binnenmarkt und Handel ist diesmal auch die Erweiterung heiß begehrt – Stichwort Ukraine-Beitritt. Neue Portfolios wie Verteidigung und Mittelmeerpolitik stoßen ebenfalls auf großes Interesse.

Bei wichtigen Dossiers werde sie Frauen bevorzugen, lässt von der Leyen durchblicken. Doch selbst wenn es ihr gelingen sollte, Kommissarinnen auf mächtige Posten zu hieven: Die Geschlechterparität bleibt ein Problem. Von der Leyen droht ein Fehlstart – und das ausgerechnet in der Genderpolitik, auf die sie so viel Wert legt.

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13 Kommentare

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  • Die Länder können nun mal frei entscheiden, wen sie nominieren. Auch jenseits anderer Wünsche.

    Letztlich spiegeln die Nominierungen die tatsächlichen Verhältnisse in der EU wieder. Alles andere wäre Augenwischerei.

    Gleichstellung ist nämlich ein Gut, dass in vielen Teilen der EU sehr niedrig geschätzt wird.

  • Wenn es um die Zusammenstellung von Gremien geht, werden den möglichen Kandidatinnen / Kandidaten zuvor die Zugangsvoraussetzungen genannt.

    Inzwischen wird in bestimmten Fällen auch die anzustrebende geschlechtliche Zusammensetzungen des Gremiums genannt; 50/50 ist dabei nur eine mögliche Variante.

    Warum nicht, auch wenn es die Diskussionen im Vorfeld der endgültigen Entscheidung erschwert und verlängert.

  • Mir ist es vollkommen egal, welches Geschlecht die EU Politiker:Innen haben.

    Sie sollten endlich einmal eine gute Arbeit leisten: pragmatisch-nachhaltig-friedlich ohne Lobbyistengruppen zu bedienen.



    vdL, die noch niemals bei einer Wahl zu einerm EU Parlament zur Wahl stand, ist doch der allerbeste Beleg, dass auch Frauen es nicht automatisch besser machen, nur weil sie Frauen sind.

  • Frau von der Leyen ist für mich als Frau eines der besten Beispiele wieso eine Frauenquote nicht die Lösung von allem ist. "Männlich, konservativ und machtbewusst"- vdL ist weiblich, konservativ und machtbewusst- hinzu kommt noch das sie im Alleingang fragwürdige Deals gemacht hat und Entscheidungen getroffen hat, ihr mehr als einmal Korruption vorgeworfen wurde, Verfahren gegen sie laufen und nur ein Drittel der EU Bürger überhaupt mit ihrer Arbeit zufrieden waren und trotzdem hat sie sich zur Wiederwahl gestellt. Was ist das anderes als Machthunger? Und dann noch auf Kuschelkurs mit der Neofaschistin Meloni gehen und die EU in Sachen Flüchtlinge mit den Deals in Tunesien, Ägypten und co. entgültig vom Pfad der Menschenrechte führen. Selbst wenn die Frauenquote in Brüssel bei 60% liegt- wenn die dann alle so agieren wie Frau von der Leyen was bringt das dann? Wichtig ist es dort Leute zu haben, die sich tatsächlich für die Werte einsetzen, welche die EU mal versprochen hatte zu repräsentieren.

    • @Momo Bar:

      Finde es schwierig, wenn man gleich zu Unterstellungen springt. Niemand außer Frau v.d. Leyen weiß wieso sie Dinge macht, wie sie sie macht. Letztendlich denke ich sie macht die Sachen nicht schlechter als ihre männlichen Vorgänger, nur die Medien (und Leser!) stürzen sich bei ihr mehr darauf. Oder könnten sie im gleichen Detailgrad die Fehler ihrer Vorgänger (die es ja genauso gab!) aufzählen?

  • Frau vdL ist doch der Beweis, dass es darum gehen sollte, die Besten für einen Job zu nominieren, und nicht der Frauen- oder Männerquote zu folgen. Sie selbst ist sicher kein Beweis, dass Frauen die bessere Wahl sind, und Geschlechterwahl sinnvoll ist. Ihre fehlenden Erfolge sind sicher kein Beweis für Qualifikation. Wenn genug gute Frauen nominiert werden, gerne auch mehr Frauen in die Jobs. Aber eben nur, wenn sie gleich gut oder besser sind. Nicht nur wegen einer Männer- oder Frauen-Quote, die durch die freiwillige Geschlechterwahl in Deutschland eh vor einem Problem steht.

    • @Sonja Bleichle:

      Na ja. Frau v.d. Leyen war eben 2019 die am besten geeignete Kandidatin für das EU-Parlament...



      Deswegen wurde sie von Macron vorgeschlagen.

      Wenn dann sollte man sich fragen, wieso denn so wenig geeignete Kandidatin:Innen in Brüssel sitzen.

      Das Perfide daran ist doch, dass es selbst bei einem wesentlich ungeeigneten Mann viel weniger interessiert hätte...

    • @Sonja Bleichle:

      Auch ich danke für Ihre Anmerkung. Sie haben völlig Recht!

    • @Sonja Bleichle:

      Danke

  • Frau von der Leyen kann sich ja wünschen was sie möchte. Die Mitglieder der EU schlagen die jeweiligen BewerberInnen vor und sind bei der Nominierung nicht gebunden. Es gibt keinen Zwang zur Berücksichtigung des Geschlechts bei der Auswahl.

  • Genderpolitik. Geschlechterparität.



    Es wäre mal eine Idee wenn man die fähigsten MENSCHEN für Ämter beruft - ganz unabhängig ob



    ♂️♀️⚧️

    • @Farang:

      ... wenns's denn wirklich die fähigsten wären. Ich habe immer wieder den Eindruck, dass weitgehend die lobby-hörigsten das Rennen machen.

      • @Minion68:

        Siehe die Kommisions Chefin.