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Klimaklage kommt nach KarlsruheKlimakrise vor Gericht

Vier Privatpersonen unterstützt durch zwei Verbände reichen Klage ein. Das Bundesverfassungsgericht soll die Regierung zu mehr Klimaschutz zwingen.

Kerstin Lopau, Ingenieurin für erneuerbare Energien, ist eine der Klä­ge­r:in­nen Foto: Achille Abboud/imago

Berlin taz | Das Bundesverfassungsgericht muss sich abermals mit der Klimakrise befassen. Am Donnerstag haben der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und der Solarenergie-Förderverein Deutschland (SFV) gemeinsam mit vier Privatpersonen Klage eingereicht.

Sie werfen der Bundesregierung vor, dass ihre Klimaziele zu niedrig angesetzt sind. Die Maßnahmen würden nicht ausreichen, um eine Erderwärmung von 1,5 Grad zu verhindern. „Diese 1,5-Grad-Grenze ist nach dem Pariser Klima-Abkommen und unserer Ansicht nach aber verfassungsrechtlich verbindlich“, sagte der Rechtsanwalt der Klä­ge­r:in­nen Felix Ekardt.

Im Fokus der Klage steht das vor zwei Monaten reformierte Klimaschutzgesetz. Dieses „macht selbst die Einhaltung der unzureichenden deutschen Klimaziele noch unwahrscheinlicher“, so Ekardt. Damit spielt der Anwalt auf die Veränderungen im Klimaschutzgesetz an, unter anderem die Streichung der Sektorenziele.

Bereiche, in denen künftig weiterhin viel Treibhausgase ausgestoßen werden, allen voran Verkehr und Gebäude, müssen nun keine verbindlichen Ziele mehr einhalten. Stattdessen ist die ganze Bundesregierung für Klimaschutz im Gesamten verantwortlich.

Einschnitt in die Freiheit

Rechtlich stützt sich die am Donnerstag eingebrachte Klimaklage auf das Recht auf Leben und Gesundheit sowie auf das Gebot der intertemporalen Freiheitssicherung. Damit ist gemeint, dass Deutschland sein CO2-Budget nicht zu schnell aufbrachen darf. Sonst würde für jüngere Generationen nichts mehr übrig bleiben, was ihre Freiheit einschränken würde.

Dass es diesen individuellen Rechtsanspruch auf Freiheit gibt, hatte das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2021 entschieden. In ihrem historischen Urteil verpflichteten die Rich­te­r:in­nen die Bundesregierung außerdem, das damalige Gesetz nachzuschärfen. Trotzdem scheitere die aktuelle Gesetzgebung daran, die enormen Lasten der Klimakrise fair über die Zeit und über die Generationen zu verteilen, so der Rechtsanwalt Ekardt.

Die Bundesregierung hält dagegen. Sie sei von der Verfassungsmäßigkeit der Novelle des Klimaschutzgesetzes überzeugt, sagte ein Sprecher des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz der taz: „Durch die Novelle werden das Monitoring und die kontinuierliche Evaluation der Klimaschutzpolitik weiter verbessert.“

Das Klimaschutzgesetz ist deshalb so wichtig, weil es den rechtlichen Rahmen bietet, um sowohl die nationalen Klimaschutzziele als auch die EU-Vorgaben einzuhalten. Dabei geht es vor allem um Treibhausgasemissionen. Diese sollen laut Gesetz im Vergleich zum Jahr 1990 um mindestens 65 Prozent und bis 2040 um mindestens 88 Prozent sinken.

Klimaklagen im Trend

In jüngster Vergangenheit gab es bereits mehrere Klagen, die den Umgang mit der Klimakrise vor Gericht brachten – sowohl international als auch in Deutschland. Die Klage von BUND und SFV ist damit nicht die einzige, mit der sich die Karlsruher Rich­te­r:in­nen künftig beschäftigen müssen.

Bereits im Juli reichte die Deutsche Umwelthilfe (DUH) eine Klage ein. In der Klage der DUH ist der Vorwurf an die Bundesregierung ähnlich: Das reformierte Klimaschutzgesetz sei nicht mit der deutschen Verfassung in Einklang zu bringen.

BUND und SFV betonen in ihrer Klage, dass sich das Klimaschutzgesetz an den neuen klimawissenschaftlichen Erkenntnissen orientieren müsse. „Momentan tut es das aber nicht“, kritisiert Tina Löffelsend, Klimaexpertin beim BUND, gegenüber der taz. Und das, obwohl sich die Prognosen zur weiteren Entwicklung der Klimakrise seit dem letzten Urteil 2021 verschärft und erhärtet hätten.

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22 Kommentare

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  • In diesem Land sind soviele Dinge erfunden worden, und Erfindungen anderer perfektioniert worden. Umweltschutz ist hier kein Thema von gestern, sondern wird seit Jahrzehnten gelebt. Jetzt deindustrialisieren wir uns und schmeißen dieses wertvolle Talent fort, weil chinesische AKW's sicherer und amerikanischer Weizen gesünder ist. Aber immerhin haben wir die Lust am Krieg wieder entdeckt.

  • Die Klagen scheinen nötig zu sein. Wer es gerne anschaulich hat:

    tracker.ariadneprojekt.de/de/

  • Das Bundesverfassungsgericht soll die Regierung zu mehr Klimaschutz zwingen."



    Hm, und wie soll das funktionieren? Es wird ein Urteil geben, das dann vermutlich wie auch das von 2021 keine Konsequenzen hat. Oder wird diesmal der 'Klimakanzler' in Beugehaft genommen?

    • @Felis:

      Gute Frage. Die nächste ist: im GG sind weder Grad-Ziele noch CO2 Emissionen definiert. Was ist also in diesem Zusammenhang "mehr" Klimaschutz?

      Bis ein Urteil gesprochen wird haben wir sicher schon eine neue Regierung. Gilt das Urteil dann auch für die dann neue?

      Und was ist wenn der Bundestag per 2/3 Mehrheit den Klimaschutz wieder aus dem GG streichen möchte?

  • Diese Regierung zum Klimaschutz zwingen ?

    Das ist ja gerade so, als ob man seinem Dackel das Fliegen beibringen wollte.

  • taz: *Vier Privatpersonen unterstützt durch zwei Verbände reichen Klage ein. Das Bundesverfassungsgericht soll die Regierung zu mehr Klimaschutz zwingen.*

    Ist es nicht eigentlich sehr erbärmlich, dass man als Bürger schon gegen die eigene Bundesregierung klagen muss, weil unsere "Volksvertreter" den Klimaschutz - den die nachfolgenden Generationen 'jetzt' dringend brauchen und nicht erst wenn es zu spät ist - immer noch nicht durchsetzen?

    Der Klimawandel wird von Jahr zu Jahr mächtiger und brutaler, aber unsere Politiker (egal aus welcher Partei auch immer) setzen lieber weiterhin auf das klimaschädliche Wirtschaftswachstum. Inzwischen wächst der Klimawandel immer mehr an (CO2-Konzentration > 420 ppm), weil ja keiner an diesem zerstörerischen System etwas ändern möchte - weder der Bürger, der seine Ruhe und seine Bequemlichkeit nicht aufgeben will und auch weiterhin mit dem Billigflieger nach Mallorca "düsen" möchte, noch der Politiker, der wohl von einem Aufsichtsratsposten in der Wirtschaft träumt. Dass wir alle auf der Titanic sind und der Eisberg schon in Sicht ist, sollte eigentlich 'jedem logisch denkenden Bürger' und auch 'den meisten Politikern' langsam mal klar sein.

    • @Ricky-13:

      Mir stellt sich die Frage, wie diese oder die nächste Bundesregierung ihre Ziele und Verpflichtungen nachkommen möchte, wenn in D kein Wirtschaftswachstum mehr erzielt wird.

      • @Tom Tailor:

        Eine gute Frage, denn so funktioniert das Spiel ja schließlich. Die Menschheit hat sich weltweit vom klimaschädlichen Wirtschaftswachstum total abhängig gemacht. Die Gier nach 'immer mehr' und 'immer mehr' ("Die Anstalt" hat eine gute Folge darüber gemacht - siehe den LINK unten), sowie der ausufernde Kapitalismus ('der die Natur mitsamt den Menschen auffrisst') hat die Menschheit fest im Griff, und deshalb wird es höchstwahrscheinlich auch keine Zukunft für die Menschheit mehr geben.

        ***Für Klimaschutz auf Wohlstand verzichten? Bringt doch eh nix! | Die Anstalt*** www.youtube.com/watch?v=6jRR7iTnMGs

  • Klimaschutz kann jeder bei sich selber. Einfach ab sofort nur noch maximal ein Viertel von dem konsumieren, was man bisher konsumiert hat.



    Auf die Regierung zu hoffen, wird nicht klappen. Jede Wette.

    • @Micha.Khn:

      Also ich verzichte ja schon sehr erfolgreich auf Austern, Kaviar und Trüffel.

      Und ich versuche pro Minute einen Atemzug weniger. Das gelingt zwar nicht immer aber zumindest solang' ich daran denke.

    • @Micha.Khn:

      Beides. Individuell schon mal anfangen. Aber wenn die Anreize und Regeln so schief sind wie gerade, müssen wir da anpacken. Fossil wird noch mit -zig Mrd. € pro Jahr sogar bezuschusst (Umweltbundesamt), da müssen wir ran, da werden noch die Falschen und das Falsche gepäppelt.

  • Übel, dass das offensichtlich Menschenleben, sehr viel Geld und Recht sichernde klimaschützende Handeln (vgl. Staatsziel im Grundgesetz) durch Klagen vor Gericht erzwungen werden muss.



    Muss es aber anscheinend wohl. Dann eben so.



    Spätere Generationen werden unsere Fossilsackgasse kaum verstehen.

  • "Das Bundesverfassungsgericht soll die Regierung zu mehr Klimaschutz zwingen."

    "Der Politologe Philip Manow befürchtet, dass Verfassungsgericht und Verfassungsschutz die Radikalisierung der AfD erst befeuert haben. Er sagt: Deutschland hat ein Demokratiedefizit. " (Der Spiegel)

    sic est

  • Ich bin mal gespannt, wann hierzulande das Parlament durch Klageparteien ersetzt wird. Ist lukrativer und man muss nicht mehr erst so viele Menschen in demokratischen Prozessen mitnehmen.

    • @vieldenker:

      Die Schuld lieber mal bei den untätigen und ignoranten Parteien suchen. Vorne weg die CDU die die Klimaskepsis zusammen mit der Bild anfacht. Wenn Politik nicht reagiert oder sich verweigert bleibt nur das Bundesverfassungsgericht. Was Flüchtlinge und Rassismus angeht ist zur Zeit das Bundesverfassungsgericht auch das einzige demokratische Korrektiv.

      • @Andreas J:

        Gut gebrüllt, aber ob Sie das auch so laut fordern würden, wenn es nicht in diesen Fragen Ihrer politischen Überzeugung entspräche? Bin mal gespannt, was Sue sagen, wenn die vier dem Verfassungsgericht eingeklagte enge Schuldenbrense in Ihren Lieblingsbereichen richtig greift.

        • @vieldenker:

          Der Weg des Bundesverfassungsgerichtes steht jedem offen und ist kein wünsch dir was. Da die Schuldenbremse im Grundgesetz verankert wurde liegt der Ball wieder bei der zunehmend handlungsunfähigen Politik. Die Ignoranz gegenüber dem Klimaschutz und die quasi Abschaffung des Asylrechts betreffen dagegen das Wohlergehen der Bevölkerung und dem im Grundgesetz verankerten Recht auf Asyl.



          Sie fordern laut Dinge die ihrem politischen Überzeugungen zuwider laufen? Blödsinn.

          • @Andreas J:

            Warten wir‘s ab, wie lange es dauert, bis die ersten regierenden Mitglieder der „Letzten Generation“ über die Urteile des BVG aufregen und es als eine unzumutbare Behinderung ihrer Arbeit sehen. Glaube kaum, dass das Geschäftsmodell der Umwelthilfe keine Nachahmer im anderen Teil des politischen Spektrums findet…

    • @vieldenker:

      Ihnen ist also egoistisch es und willkurliches regieren,das gegen die eigenen Gesetze verstößt also lieber. Na dann, viel Spaß. Kann man nur hoffen, dass die Regierung nicht gegen sie regiert und ihr Recht beschneidet.

      • @fmraaynk:

        Wie kommen Sie darauf? Ich finde es nur merkwürdig, dass die politische Debatte zunehmend vor Gericht geführt wird.

        • @vieldenker:

          Gerichte urteilen nach den Gesetzen, die die gewählten Politiker aufgestellt haben.



          Hätte die Regierung sich nicht dazu verpflichtet, könnte man auch nicht dagegen klagen.



          Ist ja nicht wie beim Supreme-Court in den USA, dass man eine hunderte Jahre alte Verfassung nach seiner Vorstellung auslegt.

          • @RonSlater:

            Ist ja nicht so in einer Demokratie, dass die geltenden Gesetzte immer von den gerade regierenden Politikern gemacht wurden, oder einfach geändert werden könnten. Unabhängig von der eigenen Agenda gibt es viele komplexe Verpflichtungen aus früheren Mehrheiten, internationalen Verträgen und auch veränderter Deutungen der Verfassungsmäßigkeit. Da bleibt schon ein deutlich höherer Spielraum für das Verfassungsgericht, als viele gerade glauben wollen.