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Warnung von Ökonomen und WirtschaftWegen AfD noch weniger Personal

Branchenverbände und Ökonomen befürchten: Die Wahlerfolge der extrem rechten Partei in Sachsen und Thüringen könnten Fachkräfte vergraulen.

„Rechte Hetze schafft keine Arbeitsplätze“: Slogan eines Gegendemonstranten während einer AfD-Wahlkampfveranstaltung in Görlitz Foto: Sebastian Kahnert/dpa

Berlin taz | Die Wahlerfolge der AfD in Sachsen und Thüringen könnten Wirtschaftswissenschaftlern und Branchenverbänden zufolge dringend benötigte Arbeitskräfte aus dem Ausland abschrecken. Der Fachkräftemängel würde sich möglicherweise verschärfen, sagte die Wirtschaftsweise Monika Schnitzer. „Unternehmensnachfolgen würden erschwert, gegebenenfalls könnte das zu Firmenaufgaben führen“, so die Vorsitzende des Sachverständigenrats Wirtschaft.

Staatliche Institutionen, medizinische und Bildungseinrichtungen litten ebenfalls unter Fachkräftemangel und würden in diesem Fall ihre Leistungen weiter verringern müssen. Die beiden Bundesländer hätten seit der Wiedervereinigung bereits etwa 20 Prozent der Bevölkerung verloren.

Einige Landkreise dürften in den kommenden Jahren noch weitere 20 bis 30 Prozent weniger Erwerbsbevölkerung aufweisen. „Die Ablehnung von qualifizierter Zuwanderung ist an der Stelle das falsche Signal, denn sie wird Fachkräfte davon abhalten, diese Bundesländer als Option in Erwägung zu ziehen“, fügte Schnitzer mit Blick auf die AfD hinzu. Ähnlich äußerte sich der Chef des Ifo-Instituts in Dresden, Joachim Ragnitz.

Dabei ist der Fachkräftemangel laut der Bundesagentur für Arbeit in Ostdeutschland schon jetzt größer als im Westen. Wesentlicher Grund sei die Abwanderungswelle junger Menschen nach der Wiedervereinigung, hatte Behördenchefin Andrea Nahles vergangene Woche erläutert.

Deshalb sei die Bevölkerung im Osten überdurchschnittlich alt. In den kommenden Jahren gingen viele weitere Ältere in den Ruhestand, der Fachkräftenachwuchs fehle. Während die Beschäftigung in Westdeutschland noch wachse, sinke sie im Osten bereits.

Vor allem die AfD stehe für Protektionismus und eine Abschottung von Europa, für weniger Zuwanderung von Fachkräften und eine geringere Offenheit und Vielfalt, kritisierte der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, nach den Wahlen.

„Vor allem junge, gut qualifizierte und hoch motivierte Bürgerinnen und Bürger werden die beiden Bundesländer verlassen und dorthin gehen, wo sie mehr Offenheit und Wertschätzung erfahren“, sagte der Ökonom. „Dies dürfte einen Anstieg der Insolvenzen und einen Exodus von Unternehmen zur Folge haben.“

„Die geplanten Halbleiterfabriken in Sachsen werden wir ohne Fachkräfte aus dem Ausland nicht betreiben können“, ergänzte der Präsident des Digitalverbandes Bitkom, Ralf Wintergerst. „Solche Spitzenkräfte können ihren Arbeitsort frei wählen.“ Auch Dorothee Brakmann, Hauptgeschäftsführerin des Pharmaindustrieverbands Pharma Deutschland, warnte: „Investoren und Fachkräfte werden sich zweimal überlegen, ob sie in ein Umfeld investieren, das von internationaler Ausgrenzung und Abschottung geprägt ist.“

In seltener Einigkeit zeigten sich sowohl Wirtschafts- als auch Umweltverbände besorgt, dass die Regierungsbildungen in Sachsen und Thüringen sehr lange dauern könnten. Sebastian König, Landesgeschäftsführer des Bunds für Umwelt und Naturschutz (BUND) Thüringen sagte der taz: „Konkret hängen viele Naturschutzvorhaben vom Landeshaushalt ab, und es ist zu befürchten, dass dieser noch auf sich warten lässt“. Dann könnten der BUND und andere Träger von Naturschutzprojekten in Bedrängnis geraten.

Der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Rainer Dulger, forderte, die demokratischen Parteien müssten nun „Handlungsfähigkeit für Thüringen und Sachsen“ herstellen. (mit rtr, afp)

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13 Kommentare

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  • Vielleicht wird die kommende Entwicklung konkret aufzeigen, welchen Irrweg die Menschen dort gewählt haben und ihre Lehren daraus ziehen.



    Soll mir aber keiner kommen von wg. das haben wir nicht gewußt oder nicht gewollt......DOCH, ihr habt es gewollt!

  • Dem Fachkräftemangel kann man auch mit technischem Fortschritt begegnen, Stichwort Automatisierung, Japan geht diesen Weg sehr erfolgreich, aktuell 125 Mio Einwohner, davon 3,4 Millionen mit Migrationshintergrund.



    Dieser Weg wäre in Deutschland auch möglich, das bedürfte allerdings einer Regierung die die Wirtschaft stärkt und nicht ausbremst...

  • Als ob das nur Fachkräfte aus dem Ausland betreffen würde. Das überlegt man sich doch auch als Inländer jetzt noch dreimal öfter, ob man da hin will, egal ob dauerhaft zur Arbeit oder als Tourist. Außer man steht auf national befreite Zonen natürlich.

    • @LeSti:

      Kommt drauf an, kenne einige Beamte die aktuell sehr gerne Richtung Thüringen tauschen wollen. Sehr hohe Zuschläge für Partner und Kinder (Dank Kopplung ans Bürgergeld), dazu recht günstige Immobilienpreise (abgesehen vom Bermudadreieck Erfurt - Weimar - Jena), landschaftlich reizvoll, Burgen, Schlösser, perfekte ICE-Anbindung Dank dem neuen Superknoten Erfurt (Bernhard-Vogel-Gedächtnis-Trasse) - und, sehr wichtig, verfügbare Kitaplätze und Schulklassen die noch mehrheitlich Kinder haben die Deutsch als Muttersprache gelernt haben - zur Erklärung es handelt sich größtenteils um Berliner Beamte mit denen ich hin und wieder zu tun habe und die tragen mir zu: Privatschule oder versetzen lassen, staatliche Schulen gehen überhaupt nicht mehr außer Gymnasien - da wird ja gesiebt wer hin kann und wer nicht...



      Auch die Batteriefabrik in Arnstadt zieht ordentlich Leute an und ein gewisses Familien-Luxushotel in Oberhof hat auch sehr regen Zulauf an Gästen wie Personal.



      Was halt Thüringen (und dem Osten generell) fehlt sind Standorte von Dax-Konzernen, das old money sitzt halt im Westen...

  • Not macht seltsame Bettgenossen. Da finden Unternehmer- und Naturschutzverbände zusammen. Bis der Haushalt steht und das Hauen und Stechen um die staatliche Unterstützung losgeht. Der rasende Antimigrantismus fast aller Parteien treibt aber auch einen Keil zwischen die, die einst untrennbar miteinander verbunden waren, Wirtschaft und Politik.

  • Ich kann beruhigt sagen, dass ich schon ohne die AfD in D. genug erlebt habe. An meiner Auswanderung sind kleine, narzisstisch-rassistische Behördenmitarbeiter und rechtsradikale Pseudochristen Schuld.

    Man darf nie vergessen, dass die debilen Rechten etwas repräsentieren, was eigentlich in den Köpfen schon längst da war. Jeder Versuch der AfD die Schuld für dummdreiste Politik der letzten Jahrzehnte und deren Ergebnisse zuzuschieben sehr schwach ist.

  • Mal ganz abgesehen von der AfD wurde doch schon der Grundstein für die Abwanderung aus Thüringen viel früher gelegt. Da war z. B. Herr Althaus, der für Thüringen die größte Chance im Billiglohnsektor sah. Und auch heute ist es noch so, daß die Unternehmen mit den miesesten Arbeitsbedingungen und der miesesten Bezahlung die größten Personalprobleme haben.



    Wenn ich es mir aussuchen kann, wo ich am besten von meiner Arbeit leben kann, dann gehe ich dort hin.

    • @Wurstfinger Joe:

      „ Wenn ich es mir aussuchen kann, wo ich am besten von meiner Arbeit leben kann, dann gehe ich dort hin“

      Richtig. Und so denken sich das auch Millionen von anderen Menschen auf diesem Planeten.

      Das hier wird jetzt kein Plädoyer für grenzenlose Migration, aber es steht uns in dieser Debatte gut an, mal einen Moment innezuhalten und zu reflektieren: Wenn wir migrieren, ist das immer positiv konnotiert. Was feiern wir doch unsere Vorfahren, die nach Amerika ausgewandert sind und ihr Glück in der Ferne gemacht haben. Was bewundern wir unsere Freunde, die im Ausland Karriere gemacht haben. Was sind wir stolz auf unseren Lebensstandard, den wir in keinster Weise beeinträchtigt sehen wollen. Und dann kommen dunkelhaarige Menschen aus dem Süden und wollen auch ihr Glück in der Fremde machen… Wie gesagt, ich bin kein Befürworter von no borders und massenhafter Einwanderung. Aber ich würde mir etwas mehr Verständnis, etwas mehr Empathie für die Menschen wünschen, die Freiheit, Frieden und Wohlstand wollen, genauso wie wir, und ich würde mir wünschen, dass dieses Verständnis und die Empathie die Diskussion um Migration und die Steuerung von Einwanderung etwas entgiftet.

      • @Bussard:

        Bei meiner Aussage ging es nicht um Migration aus dem globalen Süden, sondern darum, weshalb das Geheule der "Wirtschaft" wegen Fachkräftemangel zumindest in dem Bundesland mit einem der niedrigsten Lohnniveaus in der BRD einen leichten Geruch der Scheinheiligkeit hat.

        • @Wurstfinger Joe:

          Habe ich so verstanden und da bin ich ganz bei Ihnen. Ich gestehe, dass ich ihr Zitat etwas zweckentfremdet habe für ein Thema, das gerade sehr virulent ist.

  • Ja, ist doch super! Lasst die Nazis unter sich, dann merken sie mal, dass das nicht klappen kann und gehen ganz von allein unter - refugees welcome aus Thüringen und Sachsen :)

  • "fremdenfeindliche" Partei? Nette Umschreibung für Rechtsextremisten, Rassisten, Faschisten, Nazis und Antidemokraten!

  • Da spricht der Thüringer afd Co-Sprecher Stefan Möller von Diffamierungen der afd durch andere Parteien.



    Die afd will andere Jagen, Parteienvielfalt abschaffen, Gegner wegsperren und schwache ausgrenzen.



    Diffamieren kann nur die afd, deren Wähler wollen das, es sind rechtsradikale, einige Nazis sind auch dabei.