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Zeitreise zur Wurzel des ÜbelsZurück auf Anfang

Mit einer Zeitreise in die Vergangenheit ließen sich die Übel der Gegenwart ursächlich verhindern. Aber wo anfangen? Ein Gespräch beim Eisessen.

Fängt hier das Problem an? Adam und Eva, gemalt 1920 von Franz von Stuck, ausgestellt 2016 im Frankfurter Städel Museum

Wenn ihr einmalig durch die Zeit reisen könntet, dann wohin?“, fragt der Freund und löffelt sein Bananasplit. „Wofür würdet ihr es nutzen?“ Für Amüsement oder als Chance, das Böse abzuwenden? Entscheidet selbst.“

„Da weiß man ja gar nicht, wo man anfangen soll!“, sagt der andere Freund.

„Solingen?“, fragt die Freundin.

„Solingen 1993?“

„Irgendwas müsste man verhindern.“

„Aber wir sind doch die Vergangenheit von übermorgen, also dann jetzt.“

„Nur, dass wir eben von nix wissen.“

„Es ist nicht leicht, präventiv perfekte Ideen zu entwickeln.“

„Aber dumme.“

„Wie zum Beispiel: Man könnte das Böse einfach abschieben.“

„Na, wenn, dann aber gleich alles Böse.“

„Aber wie aufspüren? Lupe?“

„Kontrastmittel?“

„Rorschach-Test?“

„Es müsste ein wahrlich findiger Test her!“

„Quasi ein Science-Fiction-Erkenntnisgerät.“

„Wer soll das bezahlen?“

„Und entwickeln?“

„Hier, die beiden Biontechs.“

„Glaub’, die sind gerade busy mit Krebs.“

„Auch böse.“

„Kennt aber keine Nationalitäten.“

„Hautfarben.“

„Geschlechter.“

„Unterscheidet nicht zwischen arm und reich.“

„Dumm und dümmer.“

„Na, das macht Krebs aber nu’ nicht zum Helden.“

„Jedoch zum Menschenkenner.“

„Ich würd’ nach 1968 reisen und das Attentat auf Rudi Dutschke verhindern.“

„Wieso?“

„Das hat meine Eltern spontan politisiert und sie haben sich beim Protest vorm Springer-Haus verknallt.“

„Und?“

„Ich hätte meine Zeugung verhindert.“

„Wozu?“

„Dann müsste ich mir den ganzen Shit nicht reinziehen und überlegen, für welchen historischen Horror ich Verantwortung übernehmen könnte.“

„Nicht zu vergessen: der Butterfly-Effekt.“

„Stimmt, man kann nicht nur eine Sache ändern, alles ändert sich fortfolgend, Menschen verschwinden, grauenvolle Entwicklungen werden durch grauenvollere ersetzt.“

„Es gibt kein Entrinnen, Mensch bleibt Mensch.“

„Das Infame ist resistent.“

„Die Stimmen aller Schlächter überschlagen sich seit Tagen multi-extremistisch in euphorischer Wonne.“

„Ich würd’ eher hedonistisch durch die Zeit reisen und mir ansehen, was es nicht mehr gibt.“

„Twin Towers?“

„Eher ein David-Bowie-Konzert.“

„Dann zumindest eine Rede von Martin ­Luther King.“

„Ein paar Inseln der Salomonen im Pazifik.“

„Im Klimawandel versunken?“

„Reis’ doch jetzt noch schnell nach Tuvalu.“

„Es wär’ schlüssig, in der Vergangenheit den Klimawandel abzuwenden. Hätten alle was von.“

„Aber wie? Kapitalismus verhindern?“

„Industrialisierung.“

„Da kannste ja nu’ nicht die Menschheit im Ganzen von abhalten.“

„Dann Menschheit verhindern.“

„Wäre ein Anfang.“

„Die Menschen von der Erde abschieben, bevor sie loslegen?“

„Also Adam und Eva?“

„Den Plot halte ich für alternative Fakten.“

„Wo Qualm ist, sind auch ausgedrückte ­Kippen im Paradies.“

„Misogyn genug, um real zu sein, ist die Story­line ja.“

„Vielleicht waren die nicht die ersten Menschen, sondern so was wie die ersten Influencer.“

„Zur Sicherheit müsste man also nahe dem Urknall ansetzen und wenn da menschkünftige Zellgemenge an Land kriechen – zurück damit ins Meer.“

„Der Planet wär’ gerettet und könnte selig vor sich hin grünen.“

„Regnen und stürmen.“

„Quantitativ auf den Punkt für jedes grenzenlose Fleckchen Erde.“

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Jasmin Ramadan
Jasmin Ramadan ist Schriftstellerin in Hamburg. Ihr neuer Roman Roman „Auf Wiedersehen“ ist im April 2023 im Weissbooks Verlag erschienen. 2020 war sie für den Bachmann-Preis nominiert. In der taz verdichtet sie im Zwei-Wochen-Takt tatsächlich Erlebtes literarisch.
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6 Kommentare

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  • „Zur Sicherheit müsste man also nahe dem Urknall ansetzen und wenn da menschkünftige Zellgemenge an Land kriechen – zurück damit ins Meer.“

    Holla! Das ist eine ähnlich alternative Story, wie die biblische... Urknall vor 13,6 Milliarden Jahren. Bis zur Erdentstehung dauerte es noch lange 9,1 Milliarden Jahre. Dann noch 600 Millionen bis zu einem Zustand des Planeten, der einigermaßen zuließ, dass was entstehen konnte (nicht umsonst heißt die Periode der Erdgeschichte Hadaikum). Dies was entstehen konnte war Prä-DNA-Zeugs und Resultatr präbiologische bzw. chemischer Evolution. Zum Menschen also noch ein Weilchen hin. Irgendwas, was wir im heutigen Sinne als Mensch bezeichnen kam erst zu Anfang des Holozäns, also von 11000 Jahren. Großzügiger gerechnet, also alle Hominiden miteinbeziehend, können wir mit 300000 Jahren kalkulieren. Also bevor sich einer der Protagonisten des Gesprächs in eine Zeitreise stürzt, sollte er/sie sich kundig machen in welche Zeit man springen müsse, um dem Planeten den Parasiten, den er sich einfing, zu ersparen. "nahe dem Urknall" ist also nicht. Da muß man präziser zielen, sonst landet man in'ner diffusen Gaswolke wo nach 9 Mill. Jahren Erde sein wird.

    • @Chris Demian:

      Und wenn man die auseinander pustet, ist das Ziel erreicht.



      Ein bisschen kollateralschaden in Form allen Lebens im Universum sollte verzeihlich sein, oder?

  • Wenn sie bei der Reise in die Vergangenheit die Menschheit verhindern, verhindern sie sich selbst - dann können sie aber nicht mehr in die Vergangenheit reisen, um diese zu verändern... Dieses Paradoxon ist die Grundlage vieler Science-Fiction-Geschichten. Gabs auch schon im Fernsehen bei Raumschiff Enterprise in den 1960er Jahren und u.a. mit "Zurück in die Zukunft" im Kino.

    • @Offebacher:

      Wenn Sie gleich die ganze Menschheit verhindern brauchen sie ja auch nicht mehr zurück reisen, um irgendwas zu verhindern. Es geht dann eben menschenlos auf einem anderen Pfad zu anderen.... Katastrophen...

  • Die Idee hatte schon einer vor ihr. Um das unerträgliche Leiden zu beenden, zurück in die Zeit reisen und bereits die Entstehung des Lebens als solches insgesamt verhindern. Zuerst müssen alle die diesem Projekt nur im Wege stehen entfernt werden, also zuerst mal gut die Hälfte aller Deutschen und dann hat der Hanauer Attentäter angefangen den Rest aufzuzählen.

    Zuviel Science Fiction und Perry Rhodan.

  • Sehr amüsant, irgendwie ein flotter Telegramm-Stil, ziemlich ungewohnt.