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Scholz und BSWRückenwind vom Kanzler

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Waffenlieferungen und die Stationierung von US-Raketen – Olaf Scholz diskutiert nicht lange. Sein autoritäres Schweigen nützt den Friedenspopulisten.

Der Kanzler schweigt – und das BSW gedeiht Foto: Jan Woitas/dpa

K anzler Olaf Scholz verkündete im Februar 2022 die Zeitenwende, die Aufrüstung der Bundeswehr und Waffenlieferungen an Kyjiw. Es sprach für die Weitsicht von Scholz, dass er die Risiken dieses Kurswechsels sah. Denn in den deutschen Provinzen jenseits der Berliner Blase löste die Zeitenwende weniger Jubel als Sorge aus. Man müsse, so die Erkenntnis des Kanzlers, auch die Hälfte der Bevölkerung berücksichtigen, die Angst vor einer Ausweitung des Kriegs hat.

Selbst wenn man vermutet, dass Putin nur aufrüsten will – was kostet es, ein Verhandlungsangebot zu machen?

So entstand das Bild des besonnenen Kanzlers, der Risiken abwog und auch mal Nein zur Lieferung von Panzern sagte. Dieses Bild ist zertrümmert und das der Friedenspartei SPD auch. Das liegt mit daran, dass Deutschland mehr Waffen an die Ukraine liefert als Europa zusammen und im Baltikum militärische Schutzmacht ist. Beides ist richtig, denn Russland ist eine neoimperiale Macht. Dass die SPD ihren friedenspolitischen Kredit verspielt hat, ist aber kein Automatismus.

Es ist das Ergebnis einer Mixtur aus politischen Fehleinschätzungen und einem Kanzler, der im falschen Moment schweigt. 2022 war Scholz noch skeptisch, weil deutsche Kampfpanzer der russischen Propaganda möglicherweise eine Steilvorlage liefern. 2024 winkte er den Einsatz deutscher Waffen sogar auf russischem Gebiet durch. Auch dafür gibt es Gründe, die Ukraine wollte so russischen Raketenbeschuss auf Charkiw bekämpfen.

Der Eindruck aber ist: Je länger der Krieg dauert, umso dichter wird Deutschland in ihn verstrickt. Und außer immer mehr Waffen in einen Krieg ohne Ende zu schicken, hat Berlin keine Idee. Eine deutsche Friedensinitiative, etwa gemeinsam mit China und Südafrika, hätte dieses Bild korrigieren können. Doch die gibt es nicht.

Top-down statt Debatte

Der zweite Fehler ist die Sta­tio­nierung von US-Mittelstreckenraketen. Das demokratische Verfahren hätte verlangt, diese Frage ausführlich in Medien, Partei, Parlament zu diskutieren, das Pro – mehr Abschreckung – sorgsam gegen das Kontra – eine unkontrollierte Aufrüstungsspirale – abzuwägen. Das Mindeste wäre gewesen, wie beim Nato-Doppelbeschluss, die Stationierung mit einem Verhandlungsangebot zu verbinden. So hätte ein besonnener Kanzler gehandelt.

Doch die Stationierung wurde ohne jede Debatte von oben dekretiert. All das ähnelt nicht Führung, sondern Erpressung. Auch wenn man die Wirkmacht von Kanzlererklärungen in einer fragmentierten Öffentlichkeit nicht zu hoch veranschlagen sollte – diese Mixtur aus autoritärem Top-down und Schmallippigkeit ruiniert Vertrauen.

Das SPD-Präsidium beteuert nun, dass Abrüstung erfreulich wäre, aber nicht mit Putin. Mag sein, dass man dem russischen Diktator nicht mit Entspannungspolitik kommen sollte. Aber an die Erkenntnis, dass man mit den Feinden, die da sind, verhandeln muss, sollte sich die SPD noch erinnern können. Nach dem Nato-Doppelbeschluss 1979 dauerte es sechs Jahre, bis Abrüstungsverhandlungen begannen. Diese Geduld scheint die SPD nicht mehr zu haben.

Und selbst wenn man vermutet, dass Putin nur auf-, aber nicht abrüsten will – was kostet es, ein Verhandlungsangebot zu machen? Scholz’ kluge diplomatische Offensive, mit der er 2022 Staaten des Globalen Südens für die Position des Westens gewinnen wollte, scheint auch an Schwung verloren zu haben.

BSW lockt mit falschen Hoffnungen

Warum die Verengung auf Waffen, Raketen, Militär? Die SPD hat sich von ihren zähen Illusionen über Putin und der Überzeugung, dass Handel Sicherheit schafft, verabschiedet. Sie hat sich schwerfällig von der Nord-Stream-2-Kumpanei in Schwerin und von Gerhard Schröders Putin-Connection distanziert. Kann es sein, dass sie nun überkompensiert?

In dem Sinnloch, das Scholz’ autoritäres Schweigen hinterlässt, gedeiht Sahra Wagenknechts Friedenspopulismus. Das BSW greift geschickt Ängste vor einer Eskalation auf und verbindet sie mit Teilen russischer Propaganda. Dazu gehört die Mär, dass Putin von dem aggressiven Westen halb zu diesem Krieg gezwungen wurde. Und dass der Westen nur Verhandlungsbereitschaft signalisieren müsste, um Frieden zu schaffen. Dass Russland eine aggressive Macht ist, wird in dieser Täter-Opfer-Umkehr ignoriert.

Keine Sanktionen mehr, keine Waffen für Kyjiw – der Frieden, den das BSW will, wäre Kapitulation. Populisten haben nur dann Erfolg, wenn demokratische Politik Stimmungen ignoriert und sich abschottet. Die Erfolge, die sich für das Empörungsunternehmen Wagenknecht bei den drei Ostwahlen abzeichnen, sind kein Defekt eines Diktatur-geschädigten Ostens, den wir im Hochgefühl, zur moralisch intakten Elite zu gehören, händeringend beklagen könnten. Sie sind das Echo des Versagens von Olaf Scholz.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.