G20-Prozess in Hamburg: Im Schwarzen Block wird gespitzelt
Haben V-Personen Teilnehmende der G20-Proteste angestiftet? Für den Rondenbarg-Prozess wäre das laut Verteidigung ein Einstellungsgrund.
Das hatte der Abteilungsleiter Linksextremismus des niedersächsischen Landesamtes, Marc-Alexander Schindelar, Ende Juli im Prozess ausgesagt. Die Information ist zwar nicht überraschend, aber aufgrund der Rechtskonstruktion, die eventuell zur Verurteilung der beiden Angeklagten G20-Gegner*innen führen wird, könnte es für die Richterin zum Problem werden.
Die Kammer hatte die Anwesenden in einer der letzten Sitzungen des nun schon seit Januar andauernden Prozesses darüber informiert, dass sie eine Verurteilung in Erwägung ziehe, bei der sie die Angeklagten „nur“ wegen Beihilfe zu Straftaten schuldig sprechen würde.
Ursprünglich hatte die Staatsanwaltschaft ihnen schweren Landfriedensbruch, tätlichen Angriff, versuchte gefährliche Körperverletzung, Bildung einer bewaffneten Gruppe und Sachbeschädigung vorgeworfen, ohne ihnen individuelle Taten zuzuweisen. Im Laufe des Verfahrens bröckelten alle Vorwürfe, bis auf den des schweren Landfriedensbruchs weg. Doch auch der lässt sich nur noch schwer halten. In Betracht komme nun, so die Richterin, aber auch ein Schuldspruch wegen Beihilfe zu schwerem Landfriedensbruch.
Von „Taten“ zu sprechen, ist gewagt
Und die könnte so ausgesehen haben: Durch ihre Anwesenheit und das Tragen szenetypischer Kleidung sollen die G20-Gegner*innen andere zu ihren Taten ermutigt und ihnen das Verschwinden in der Masse ermöglicht haben. Von „Taten“ zu sprechen, ist allerdings einigermaßen gewagt. Am Rande der Demonstration war ein geringer Sachschaden entstanden – zerbrochene Gehwegplatten und Mülleimer waren auf die Straße gezerrt, der Fahrplanhalter einer Bushaltestelle beschädigt worden.
Aus der Demo wurden außerdem Steine und Böller in Richtung der Polizei geworfen, trafen jedoch niemanden. Dieser Steinbewurf ist jedoch für die Verhandlung irrelevant, weil er zu einem Zeitpunkt erfolgte, zu dem niemand mehr die Demo verlassen konnte, weil sie von vorn und hinten von zwei Polizeieinheiten angegriffen wurde. Innerhalb von Sekunden zerlegten die Polizist*innen die Demo und nahmen Teilnehmer*innen fest. Für eine mögliche Schuld der Angeklagten ist nur relevant, ob die Demo schon unfriedlich war, als sie sie noch hätten verlassen können.
In den bisher 21 Verhandlungstagen, zu denen die beiden Angeklagten immer stundenlang anreisen müssen, ging es vor allem um die Fragen: War die Versammlung eine vom Versammlungsrecht geschützte Demo oder ein geschützter Protestzug im Rahmen der Fünf-Finger-Taktik, mit denen Protestierende die Zufahrtswege der G20-Staatschef*innen lahmlegen wollten? Oder war es ein auf Chaos und Zerstörung ausgerichteter Schwarzer Block wie in der Elbchaussee?
Bloße Teilnahme am Schwarzen Block nicht strafbar
Auch die bloße Teilnahme an einem Schwarzen Block ist nach bisheriger Rechtsprechung nicht strafbar. Sollte die Kammer die Angeklagten dennoch verurteilen, wäre das eine gravierende Änderung der gängigen Rechtsauslegung.
Doch die Verteidiger*innen wiesen am Donnerstag auf ein Problem hin: Wenn das bedrohliche Szenario, zu dem die Angeklagten beigetragen haben sollen, durch Mitarbeiter*innen des Verfassungsschutzes mitgestaltet wurde, wäre es höchst problematisch, die Demonstrant*innen dafür zu verurteilen. „Wir müssen ausschließen, dass staatlich bezahlte Akteure das Bedrohungsszenario mitgestaltet haben, für das andere bestraft werden sollen“, sagte Verteidiger Sven Richwin. Die V-Personen hätten sonst – genau wie die Angeklagten – durch ihre stille Solidaritätsbekundung und das Tragen szenetypischer Kleidung Beihilfe geleistet.
Eine solche aktive Teilnahme an kriminellen Handlungen wäre eine rechtsstaatswidrige Tatprovokation. Der Anwalt Adrian Wedel sagte: „Das wäre ein rechtsstaatswidriges Verfahrenshindernis und müsste zur Einstellung des Verfahrens führen“ – die die Verteidigung sogleich beantragte.
Waren V-Personen in der Rondenbarg-Demo?
Aber waren die V-Personen aus Niedersachsen – und vermutlich weiteren Bundesländern – wirklich in der Rondenbarg-Demo? Der Abteilungsleiter des niedersächsischen Verfassungsschutzes hatte das in seiner Zeugenbefragung nicht verraten. So konkrete Angaben seien von seiner Aussagegenehmigung nicht gedeckt, gab er an.
Aus Sicht der Verteidigung spricht aber einiges dafür. So befanden sich unter den am Rondenbarg Festgenommenen der Hamburger Halil Simsek, den der Verfassungsschutz vor Gipfel-Beginn als einen von drei Hauptorganisator*innen des Protestes im Internet geoutet hatte. Unwahrscheinlich, dass die Spitzel sich während der Proteste nicht an seine Fersen hefteten.
Sven Richwin, Strafverteidiger
Zudem befanden sich unter den Festgenommenen bekannte Göttinger Linke – für die sich niedersächsische Verfassungsschützer ebenfalls interessiert haben dürften. Ende 2018 enttarnten Göttinger Aktivist*innen den V-Mann Gerrit Greimann, der als Spitzel an den Protesten teilgenommen hatte.
Zweifelsfrei feststellen, ob Greimann und andere wirklich an der Rondenbarg-Demo teilnahmen, konnte das Gericht bisher aber nicht – wegen der beschränkten Aussagegenehmigung des VS-Abteilungsleiters Schindelar. Die Verteidigung forderte per Eilverfahren das Verwaltungsgericht Hannover auf, für Schindelar eine erweiterte Aussagegenehmigung anzuordnen.
Bis zum nächsten Termin am 26. August könnte dort eine Entscheidung ergangen sein – dann müsste Schindelar noch mal aussagen. Falls das nicht passiert, deutete die Richterin allerdings schon an, dass sie den Prozess zu Ende bringen will – notfalls auch, ohne den Zweifel über die Beteiligung der V-Personen auszuräumen. Ein Urteil soll am 3. September ergehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Auflösung der Ampel-Regierung
Holpriger Versuch endgültig gescheitert
+++ Ampelkoalition zerbricht +++
Lindner findet sich spitze
Scheitern der Ampelkoalition
Ampel aus die Maus
Ampelkoalition gescheitert
Endlich!
Ampelkoalition zerbricht
Scholz will Vertrauensfrage stellen
Antisemitismus-Resolution im Bundestag
Kritik an Antisemitismus-Resolution