Erneuerbare Energien: Strompreise häufig unter null
Immer öfter wird Strom produziert, der nicht gebraucht wird. Die Stromwirtschaft sorgt sich um die lokale Netzstabilität. Was fehlt, sind Speicher.
![Blick auf eine Photovoltaikanlage auf dem Dach eines Hauses. Blick auf eine Photovoltaikanlage auf dem Dach eines Hauses.](/picture/7149837/624/35939578-1.jpeg)
Photovoltaik geht durch die Decke in Deutschland Foto:
David Inderlied/imago
BERLIN taz | Der massive Zubau an Photovoltaik stellt die Stromwirtschaft vor riesige Herausforderungen. Zum einen warnen Netzbetreiber inzwischen davor, dass das Netz lokal zusammenbrechen kann, wenn zu viel Solarstrom gleichzeitig eingespeist wird. Zum anderen belegt auch der Stromhandel, dass der Markt durch die unkontrollierte Erzeugung von Wind und Solar zunehmend aus dem Ruder läuft.
Die Entwicklung ist ein untrügliches Zeichen dafür, dass es ganz erheblich an Stromspeichern fehlt
Die Anzahl von Stunden mit negativen Strompreisen macht das deutlich: Am Montag wurde bereits der historische Spitzenwert aus dem Jahr 2023 überschritten, der bei 301 Stunden mit negativen Strompreisen gelegen hatte. Im laufenden Jahr sind es nun schon 305 Stunden.
Über Befürchtungen der Stromwirtschaft, dass die Verteilnetze bei zu viel Sonne in manchen Regionen unbeherrschbar werden, berichtete am Dienstag das Handelsblatt. Einen Hintergrund hatte am Tag zuvor das Statistische Bundesamt geliefert: In Deutschland seien bis April mehr als 3,4 Millionen Photovoltaikanlagen installiert worden – ein Zuwachs in zwölf Monaten um fast 30 Prozent. Auf rund 90 Gigawatt beläuft sich inzwischen die theoretische Gesamtleistung aller Photovoltaikanlagen.
Das Handelsblatt zitiert nun den Chef des Nürnberger Regionalversorgers N-Ergie mit den Worten: „Wenn der Zubau einfach ungebremst weitergeht, steigt die Gefahr, dass es zu instabilen Netzsituationen kommt.“ Laut dem Verband Kommunaler Unternehmen besteht die Gefahr, dass Ortsnetztrafos abschalten, wenn die Einspeisung zur Überlastung eines Netzstrangs führt. Einzelne Straßenzüge wären dann ohne Strom.
Vor allen Dingen in den ländlichen Regionen Süddeutschlands ist die Überlastung der Netze ein großes Thema, weil dort die Bürger seit zwei Jahrzehnten besonders solarbegeistert sind. Da die klassischen Dachanlagen in der Regel aber nicht flexibel steuerbar sind, drücken sie an sonnigen Sommertagen inzwischen Leistungen ins Netz, für die die Infrastruktur nicht ausgelegt ist.
Aber nicht nur schwache Netze sind ein Problem. Manchmal ist auch schlicht mehr Strom da, als bundesweit überhaupt gebraucht wird. Durch negative Preise im Großhandel werden solche Zeiten offenkundig. Denn negative Preise bedeuten, dass niemand den Strom im betreffenden Moment haben will – nicht einmal mehr geschenkt. Nur durch eine Mitgift von mitunter einigen Cent pro Kilowattstunde kann man den Strom dann noch loswerden.
Im Sommer ist es die Photovoltaik, die immer öfter die Preise auf null oder gar ins Minus fallen lässt – an sonnigen Sommertagen oft gleich für viele Stunden. Am vergangenen Sonntag zum Beispiel war der Strom von 10 bis 18 Uhr nichts mehr wert. In dieser Zeit deckten die erneuerbaren Energien in Deutschland bis zu 117 Prozent des Strombedarfs.
Alleine die Photovoltaik erzeugte in diesem Zeitraum in der Spitze fast 40 Gigawatt bei einer Nachfrage von 45 Gigawatt. Aufgrund des Zubaus an Photovoltaik – allein seit Jahresbeginn wurden in Deutschland mehr als sieben weitere Gigawatt installiert – dürften die Stunden mit negativen Preisen weiterhin stark zunehmen.
Speicher fehlen
Diese Entwicklung ist ein untrügliches Zeichen dafür, dass es im Stromnetz ganz erheblich an Speichern fehlt. Das hat – neben den Gefahren für die lokale Netzstabilität – vor allem zwei Konsequenzen.
Zum einen werden die vielen negativen Preise teuer für die Steuerzahler, denn der Bundeshaushalt muss einerseits für die garantierte Einspeisevergütung nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) aufkommen und zugleich bei negativen Preisen auch noch für die „Entsorgung“ des erzeugten Stroms. Alleine im ersten Halbjahr mussten für den Ausgleich des EEG-Kontos rund 10 Milliarden Euro bereitgestellt werden.
Zugleich werden die negativen Preise zunehmend zu einem wirtschaftlichen Risiko für neue Wind- und Solarprojekte. Aktuell bekommen Bestandsanlagen – ausgenommen sind Anlagen bis 400 Kilowatt – keine Vergütung mehr, sobald der Strompreis mindestens drei Stunden negativ ist.
Vom Jahreswechsel an will die Bundesregierung die Förderung für Neuanlagen bei negativen Preisen grundsätzlich aussetzen. Eine Ausnahme sollen weiterhin Kleinanlagen bis 25 Kilowatt bleiben, denn diese sind mit vertretbarem Aufwand nicht steuerbar.
Welche Auswirkungen die explodierende Zahl an Stunden mit negativen Preisen und der dann greifende Förderstopp auf die Rentabilität und damit auf den Bau neuer Anlagen haben wird, ist schwer abzuschätzen.
Die Unternehmen der Branche zeigen sich in diesem Punkt auf Anfrage wortkarg. Das hat zum einen damit zu tun, dass sie sich bei ihren Kalkulationen nicht in die Karten schauen lassen wollen – zum anderen aber wohl auch damit, dass sie sich gerade selbst schwertun, die Entwicklungen am Strommarkt vorauszusehen.
Leser*innenkommentare
Altunddesillusioniert
Man könnte ruhig mal ein bißchen kritischer mit dem von der "können wir bitte wieder Atomkraftwerke haben"-Lobby umgehen, statt nur deren mimimi zu wiederholen.
Strolch
@Altunddesillusioniert Man könnte auch Probleme, die die Energiewende hat, anerkennen, anstatt es als Hirngespinste abzutun.
Paul_Verhoven
Merkel hatte gerade den AKW Betreibern noch eine Laufzeitverlängerung geschenkt, ohne irgendeine Gegenleistung zu erhalten, da passiert Fukushima und es kam zu dem absolut chaotischen Ausstieg. Alle Experten haben vom ersten Tag an darauf hingewiesen, dass erneuerbare Energien unbedingt ein Hochleistungsnetz für die Übertragung und Speicher benötigen. Nichts davon ist gebaut worden und heute bekommen wir die Quittung für Merkels Unfähigkeit.
Strolch
@Paul_Verhoven Jetzt müssen Sie nur noch sagen, welchen Speicher die Regierung denn hätte anschaffen wollen. Es gibt keine Großsspeicher, die mit vertretbaren Aufwand anschaffen kann. Es gibt derzeit ein paar vielversprechende Ansätze (Salzsspeicher, etc.). Leider habe ich bei allen Ansätzen immer nur gelesen, dass diese günstig wären. Leider wurde aber nie ein konkret genannt, was den die kwh Speicher kosten würde...
Gnutellabrot Merz
Tja, so ist das, wenn man immer erst reagiert wenn’s zu spät ist, statt einmal proaktiv zu handeln.
Warum bauen die Energieversorger keine Speichermöglichkeiten auf?
Am Ende geht’s darum, dass auf einmal alle Strom produzieren können und den Konzernen Gewinne verloren gehen. Ganz einfach.
Strolch
@Gnutellabrot Merz Aktuell liegt der (Industrie-)Marktpreis für eine kwh Speicher bei ca. 130 Euro. Ein richtig großer Speicher würde aber nur wenige volle Zyklen schaffen, da er in der Regel zu groß dimensioniert ist, wenn er wirklich was helfen soll.
Jalella
@Gnutellabrot Merz Na ja, Planwirtschaft will ja komischerweise niemand. Und so sieht halt ungeplantes Wirtschaften aus. ;-)
Strolch
@Jalella Nein. Es ist Planwirtschaft, die die Probleme einbringt. Es wird eine fixe Vergütung gezahlt, egal ob man den Strom braucht oder nicht. Es ist leider ein Paradebeispiel, das Planwirtschaft nicht funktioniert...
Janix
Gäbe es flexible Kraftwerke dabei (Pumpspeicher, Gas) und nicht noch die eher starren Kohlegroßkraftwerke, sähe es auch anders aus.
Waschmaschine mittags beim Workfromhome laufen lassen. Als Industrie von flexiblen Preisen profitieren. Privat bei zunehmend besseren Speichern zugreifen und puffern.
Der Markt, der vorher dafür nicht da war, entsteht ja gerade nun durch die Preisunterschiede. Die sind daher die Lösung, nicht das Problem.
Sonnenhaus
Nicht der rassante Zuwachs an PV-Anlagen ist das Problem, sondern die stete unzureichende Nachrüstung der Netze. Das liegt vor allem daran, dass die Netzbetreiber immer hinterherlaufen müssen, da sie keine verlässlichen Lastprognosen haben, da der Zubau von PV-Anlagen dem Markt überlassen ist.
Somit kommen die Netzbetreiber ihren Verpflichtungen nicht nach. Was wäre es für ein Aufstand, wenn EOn und RWE seine Kraftwerke nicht nach deren Zubauraten an das Netz bringen könnte.
Seit Jahren wird den Netzbetreibern empfohlen die Netze mit Quartiersbatterien zu stabilisieren und diese einzubauen. Geschehen ist nicht viel. Da sind uns die Amerikaner mal wieder weit voraus. Schließlich hofften die Gaskraftwerksbetreiber auf weiterhin stabile Geschäfte und einen nur zögerlichen Zubau der Regenerativen. Oder anders ausgedrückt, sie haben nicht erwartet, das der Zubau so rassant sein wird, das alte Kraftwerksleistungen wie z.B. Kernkraft vollkommen überflüssig wird.
Stubenhocker1337
Das ist für mich jetzt leider keine neue Meldung.
Erkenntnissreich ist es auch wenn man diese Meldung auf der einen Seite offen hat und auf der anderen das Deutschland mehr Strom exportiert als importiert hat.
Ferner ist die E-Auto Debatte schwieriger als "jeder muss nur ein E-Auto wollen". Gerade wenn die Menge an Energie aus Fossilen Kraftstoffen nun durch das Stromnetz bereitgestellt werden muss. Auch in Bezug auf Lastspitzen (fast jeder lädt nachts).
Aber gut, dafür wurde ich schon als "Klimaleugner" und von der Fossilindustrie manipuliert gelabelt.
Strolch
@Stubenhocker1337 Auch in Bezug auf Lastspitzen (fast jeder lädt nachts).
Wo haben Sie denn das her? Ich lade, wenn der Strom günstig ist oder vom Dach genug kommt.
Das E-Auto kann hier teil der Lösung sein, weil es Speicher sind, die den Strom aufnehmen können, wenn zu viel da ist. Und in der Regel ein paar Tage ohne Laden auskommen.
Graustufen
Bei den meisten Gütern gibt es seit Jahrhunderten funktionierende Mechanismen, die Angebot und Nachfrage angleichen. Auch beim Strom liegt die Lösung offen auf der Hand, versteht jeder auch ohne BWL-Studium: Wenn Strom zu bestimmten Zeitpunkten sogar billiger als gratis ist aber zu anderen Zeiten relativ teuer, muss sich mit der Differenz Geld verdienen lassen. Ist nichts anderes, als im Spätsommer Getreide zu kaufen und im März zu verkaufen.
Eines der Probleme, das diesem Geschäftsmodell (und damit dem Aus-dem-Boden-Sprießen von Speichern und Elektrolyseuren) ist die damit verbundene Bürokratie und die absurde Besteuerung (Stichwort Doppelbesteuerung).
Strolch
@Graustufen Das Problem ist nur, dass ein Getreidespeicher spottbillig ist und ein Stromspeicher nicht.
Albrecht Thomas
Wenn man Verbraucher beim Lastmanagement beraten würde, dann käme man auch voran. Von mir aus kann mein Gefrierschrank am Sonntagnachmittag auch auf -30 Grad runterkühlen und in der Nacht darauf wieder ein paar Grad wärmer werden. Kann ich so einen kaufen?
LeKikerikrit
Als Laie:
Kein Wind- bzw. Solarpark mehr ohne Wasserstoff-Erzeugung-Speicher.
Früher hieß es (und Milliarden an Subventionen wurden eingestampft): Wasserstoff-Produktion sei zu teuer.
Das stimmt ja nun nicht mehr.
Strolch
@LeKikerikrit Das Problem hier ist, dass die Anlagen so teuer sind, dass sie sich nur rechnen, wenn sie dauerhaft laufen. 305 Stunden sind gerade mal 13 Tage. Rentiert sich nicht. Zudem darf man das Netzentgelt und die Steuern nicht vergessen. Das sind auch ca. 20ct/kwh.
Knuty
Nicht die EE verursachen die negativen Preise, sondern die schlecht regelbaren Wärmekraftwerke.
Graustufen
@Knuty Naja, Ihr Kommentar ist nicht falsch. Aber auch nicht vollständig richtig. Es gibt ja durchaus Situationen (siehe Artikel) wo die thermischen Kraftwerke gar nicht mehr im Spiel sind und alleine durch den Überschuss an PV- oder Windstrom ein negativer Preis entsteht.