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Selbstwahrnehmung von Po­li­ti­ke­r*in­nenKann ich was für Geld machen?

Was haben Olaf Scholz, Kamala Harris und Benjamin Netanjahu gemeinsam? Das kann hier nicht verraten werden, das müssen sie schon selbst nachlesen.

„Comb-Over“: Benjamin Netanjahu trägt seit 30 Jahren dieselbe Frisur Foto: Susan Walsh/ap

D ie Teenagerin, die zu meiner Hausgemeinschaft gehört, ist in ständiger Geldnot. Also heißt es zum Wochenende hin fast immer: „Kann ich was für Geld machen?“ Einmal war die Lage so verzweifelt, dass sie sogar Unkraut gejätet und die Terrasse von Grünspan befreit hat. Seitdem kommt der Zusatz: „Nicht draußen.“ Die Tätigkeit sollte also möglichst sauber, bequem und im Idealfall in halb liegender Position zu erledigen sein.

Zum Glück unterrichte ich einen Integrationskurs, und da gibt es immer jede Menge Material für Memory und andere Spiele auszuschneiden, zu bekleben und zu laminieren; bei 25 Teil­neh­me­r*in­nen jeweils in vierfacher Ausführung. Wir sind gerade im Teil „Leben in Deutschland“. Nach 100 Stunden müssen im Test 300 Fragen beantworten werden können. Darunter: „Was bedeutet die Abkürzung SPD?“

Nach der Sommerpressekonferenz von Olaf Scholz diese Woche kann man eigentlich nur zu dem Schluss kommen: SPD steht für Supertollste Partei Deutschlands. Denn der Bundeskanzler hat seine Sache so großartig gemacht, dass er auf jeden Fall 2025 noch einmal als Kanzlerkandidat antreten möchte. Natürlich spielt auch hier der Fachkräftemangel eine nicht zu unterschätzende Rolle. Boris Pistorius muss erst mal seinen Wehrdienst ableisten. Malu Dreyer ist im Ruhestand. Und Angela Merkel will nur noch Dinge tun, die ihr Spaß machen.

Präsidenzlose Maffenvernichtungswaffen

Erfolg in der SPD verhält sich umgekehrt proportional zu den Wahlergebnissen. Deshalb ist Olaf Scholz ein sehr erfolgreicher Bundeskanzler. Bei der Bundestagswahl 2021 erhielt seine Partei 25,7 Prozent, bei den Europawahlen im Juni 13,9 Prozent, und in den aktuellen Umfragen steht die Scholz-Partei in der Wählergunst bei 14 bis 16 Prozent. Aber Umfragen sagen ja bekanntlich nichts darüber aus, ob einer der Beste ist.

US-Präsident Joe Biden ist beispielsweise auch der Beste, das hat er selbst noch einmal in seiner Rede an die Nation diese Woche betont. Denn was sagen Versprecher wie „President Putin“ statt „President Zelensky“ schon über die geistige Verfasstheit oder die Altersschwäche ei­nes*­ei­ner viel beschäftigten Po­li­ti­ke­r*in aus? Die herausragende deutsche Außenministerin Annalena Baerbock ist beispielsweise 40 Jahre jünger als Biden und würde dennoch jeden Verhaspelungswettbewerb gewinnen, sogar gegen Biden. Dabei entstehen so wunderbare Wortschöpfungen wie „Maffenvernichtungswaffen“, „präsidenzlos“, „360-Grad-Wende“ oder „bacon of hope“ (statt „beacon of hope“ – Speck der Hoffnung statt Hoffnungsschimmer). Danke, Annalena! Es hat uns alle bereichert.

Gleichen Unterhaltungswert kann man in dieser Hinsicht von Kamala Harris leider nicht erwarten. Sie stellt die Frage „Was kann ich für Geld machen?“ völlig fehlerfrei an ihre potenziellen Spender. Eine Wahlkampagne kostet schließlich viele, viele Millionen. Obwohl, die Sängerin und Songwriterin Charli XCX wirbt beispielsweise völlig kostenfrei für die neue Präsidentschaftskandidatin der Demokraten. „Kamala is brat“, verkündete sie in den sozialen Medien. „Brat“, Göre, steht hier für cool, denn auch Charlis neues Album heißt „brat“ und ist grün. Deswegen also überall Harris mit Grünfilter. Harris’ Coolnessfaktor konnte die Teenagerin auch aus der Tiktok-Welt bestätigen. Mir persönlich gefällt besonders, dass Harris mit 59 Jahren als „junge“ Alternative zu Donald Trump bezeichnet wird.

Allerdings gibt es auch alterslose Po­li­tiker*innen. Mit der Frage „Kann ich was für Geld machen?“ hat sich diese Woche der israelische Ministerpräsident Benjamin „Bibi“ Netanjahu an den US-Kongress gewandt. Das wirklich Erschreckende: Bibi trägt dieselbe Frisur wie vor 30 Jahren. Und immer gleich geföhnt! „Comb-Over“ nennen es die Amerikaner, wenn verbliebenes Haar gnadenlos mit Seitenscheitel über schüttere Kopfregionen gekämmt wird. Die Teenagerin könnte da fix Flexibilität ins Haar bringen, so sie es „für Geld machen kann“. Allein mit etwas Farbe und Lockenstab könnte das Ganze ziemlich „brat“ aussehen.

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Silke Mertins
Redakteurin Meinung
Kommentatorin & Kolumnistin, Themen: Grüne, Ampel, Feminismus, Energiewende, Außenpolitik
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4 Kommentare

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  • Für die "einmal-quer-drüber-kämmen" Camouflage müssen wir dankbar sein. Denn sie zeigt -vorläufig noch- dass es sich nicht um einen Avatar handelt. Den würde man -vorläufig noch- haartechnisch besser ausstatten.



    Bis die ganz Trickreichen drauf kommen, dass Haar-Failures politischen Erfolg und "Glaubwürdigkeit" versprechen. B. Johnson, D. Trump , G. Wilders lassen grüßen.



    Denn sie werden kommen, die ewigen Autokraten, die nie altern und immer weiter herrschen, weil sie nur noch aus 0 und 1 bestehen...und vielleicht nie gelebt haben......

  • Man musste nicht bis zum Altersinterview von Helmut Schmidt warten, um zu wissen, dass Eitelkeit und Selbstüberschätzung zu den herausragendsten Eigenschaften von PoltikerInnen und anderen Publikum heischenden Berufsgruppen zählen. Es ist auch keine bedauerliche aber unvermeidbare Entwicklung der modernen Massenmedien, dass PolitikerInnen vor allem (Selbst-)Marketing betreiben. Das ist ganz einfach notwendiger Bestandteil jeder Wahldemokratie, ebenso wie leere Versprechungen, die Lügen, die Schmutzkampagnen usw. PolitikerInnen halten sich ohnehin immer für die am besten qualifizierten, um den Menschen Orientierung zu geben und ihnen zu sagen, wie sie zu wählen und zu leben haben. Und natürlich wissen auch PolitkerInnen und ihre Journalsiten am besten, wie Demokratie zu funktionieren hat. Das Spannendste an der Demokratie ist doch, dass PolitikerInnen alles versprechen können, nichts halten müssen und dann doch wieder gewählt werden und die Mehrheit der BürgerInnen immer wieder an demokratische Wahlen glaubt.

  • Michaela Dudley , Autorin , Journalistin/Kabarettistin

    Wäre Kamalas offizielle Flagge also die „Brat-Fahne“?

    Bibi ist ja mit einem Kamm gescheitelt. „Comb-Over“ ist großartig. Und das ist nicht an den Haaren vorbeigezogen.

    Als eingefleischte Veganerin gebe ich zu bedenken: Was mit „bacon of hope“ wirklich gemeint war, ist speckulative.

  • Ich verfüge ja über keine minderjährigen



    MitbewohnerInnen, allerdings klopft immer mal wieder ein "Praktikant"an, der allerdings weniger was lernen, aber gerne was "für Geld" machen will.



    Die letzten zwei habe ich mal Tapete abreißen lassen



    ( denn dabei ist permanentes telefonieren, oder Musik hören jlmöglich).



    Nach einiger Diskussion konnte ich den Einsatz von Wasser zur Durchfeuchtung der Tapete durchsetzen, denn "es geht doch auch so" beschreibt zwar ABM aber nicht ein zu erreichendes Ziel in einer festgelegten Zeitspanne.



    Was Nachhaltigkeit bedeutet wurde mir anschließend wieder vor Augen geführt, als ich in Stundenlanger Arbeit die entstandenen Riefen und Kratzer in den Wänden glattspachteln durfte.



    Die Praktikanten haben sich derweil ebenfalls wieder auf halbliegende Tätigkeiten verlegt, ich glaube TicToc ist zentrales Arbeitsfeld.