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Kamala Harris als PräsidentinEin progressiver Move

Eine Präsidentschaftskandidatin Harris hat eine Chance insbesondere bei Frauen und Mi­gran­t:in­nen – wenn sie sich ihrer Versprechen von 2020 erinnert.

Kamala Harris bei einer Wahlkampfveranstaltung in Michigan. Das Abtreibungsrecht ist eines der Kernthemen der Ex-Staatsanwältin Foto: Carlos Osorio/ap

Kamala Harris könnte die erste Frau an der Spitze der Vereinigten Staaten werden. Momentan sieht jedenfalls alles danach aus, dass sie gegen Donald Trump antreten wird: Es dauerte nur etwa eine halbe Stunde, bis Joe Biden nach seinem Rückzug als Bewerber um die Präsidentschaftskandidatur der Demokraten verkündete, fortan seine Vize Harris zu unterstützen. Sollte sie Trump, der in den Umfragen vorn liegt, am Ende an der Wahlurne tatsächlich überholen, wäre sie nicht nur die erste Frau an der Spitze der ältesten Demokratie der Welt. Sie wäre auch die erste schwarz-asiatische Person in dieser Position. Und das ist – trotz aller Kritik, die es an ihr in den vergangenen vier Jahren gab – ein progressiver Move.

Harris steht für ein diverses Amerika, sie könnte, wenn sie in vier Wochen auf dem Parteitag der Demokraten tatsächlich als Präsidentschaftskandidatin nominiert wird, mi­grantische Wäh­le­r:in­nen und vor allem Frauen für sich gewinnen. Das könnte sie erreichen, indem sie ihre Versprechen bei ihrem Amtsantritt 2020 einlöst: für eine bessere Bezahlung von Women of Color zu sorgen. Indem sie sich noch stärker als bisher für das Recht auf Abtreibung, eines ihrer Kernthemen, und gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen einsetzt.

Und auch das hatte sie als Bidens Vize angekündigt, indem sie sich stärker um die Karrierechancen von Mädchen kümmert: nicht als marktkapitalistischer Akt der Selbstoptimierung, sondern als feministischen Ansatz. Wie sonst sollen junge Frauen verstehen, dass sie nicht hinter Männern zurückstehen müssen, wenn sie es nicht deutlich gesagt und vorgelebt bekommen? Schon als Kind wollte sie Staatsanwältin werden und sich in dieser Rolle für finanziell und sozial Schwächere einsetzen.

Harris würde, sollte sie also tatsächlich die erste US-Präsidentin werden, nicht nur ein progressives Signal ins eigene Land senden, sondern auch ein internationales: Frauen können Staatsführung. Sie würde sich einreihen in die Riege von Politikerinnen, die viele Jahre erfolgreich und fortschrittlich ihr Land regierten, wenngleich auch nicht immer bis zum Ende konsistent – Jacinda Ardern in Neuseeland, Sana Marin in Finnland, Nicola Sturgeon in Schottland, Vaira Vīķe-Freiberga in Lettland, Michelle Bachelet in Chile. Und nicht zu vergessen, Angela Merkel in Deutschland. Sie alle stehen und standen mehr oder weniger für eine Politik, die die Rolle von Frauen in der Gesellschaft verändert hat, oder die diese Rolle zumindest im Blick hatte.

Frauen in hohen und höchsten Ämtern sind, nur weil sie sich mit Biss in männlichen Gefilden hochgearbeitet haben, natürlich keine Garantie für eine fortschrittliche, schon gar nicht für eine linke Politik. Das beweisen rechtsex­treme Politikerinnen wie Giorgia Meloni in Italien, Marine Le Pen in Frankreich und die AfD-Co-Chefin Alice Weidel in Deutschland. Diese Frauen zeigen die Grenzen des Feminismus auf: Die Gleichstellung schreitet in weiten Teilen der Welt voran und bietet Frauen die Möglichkeit zum Aufstieg. Aber natürlich wollen nicht alle Frauen die Welt automatisch ein bisschen besser machen, nur weil sie Frauen sind. Cristina Kirchner, die einstige Präsidentin Argentiniens, wurde wegen veruntreuter öffentlicher Gelder zu sechs Jahren Haft verurteilt.

Zurück zu Harris: Will sie ihre Chance nutzen, darf sie Fehler nicht wiederholen. Sie darf migrantische Communitys nicht instrumentalisieren, sondern muss sich wahrhaft für sie einsetzen. Sie muss präsent in der Öffentlichkeit und dabei authentisch sein. Sie muss die freiheitliche Demokratie im Auge behalten und gleichzeitig für Sicherheit im Land der Waffen sorgen. Sie muss Sozialpolitik können, die Wirtschaft ankurbeln, für Stabilität in der Welt sorgen. Das ist viel, das ist hart – und ist unabhängig vom Geschlecht.

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20 Kommentare

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  • Progressiv? Der als identity politics verbrämte Tribalismus geht nach hinten los. Je mehr die Minderheiten-Karte gespielt wurde, desto mehr hat sich die weiße Mehrheit um Trump geschart. Die hat aufgrund der Kombination von Föderalismus und Mehrheitswahlrecht eine strukturelle Mehrheit, die der demografische Wandel noch lange nicht gefährden wird. Außerdem werden Wahlen in der Mitte gewonnen und diese Mitte ist genau wie Links oder Rechts eben keine politische, sondern eine statistische Position.

  • Ich habe Harris in sicherheitspolitischen Fragen als überhaupt nicht progressiv wahrgenommen.

  • Man kann es nicht oft genug zitieren: "It's the economy, stupid!"

    Harris mag ihre Chancen in gewissen Klientelen erhöhen, wenn nicht nur vielgerühmte Inkarnation von Diversität wäre sondern auch noch als Lobbyistin derselben auftreten würde. Aber die harte Wahrheit ist, dass man mit diesem Delta keine Wahl gewinnen kann.

    Am Ende muss sie sehr vielen Menschen weit über die Grenzen irgendwelcher identitär definierten "interest groups" hinaus beweisen, dass es ihnen unter einer Präsidentin Harris in vier Jahren besser gehen wird als unter einem Präsident Trump. Und das Hauptargument dafür ist eine starke Wirtschaft. Am Ende ist auch eine bisexuelle schwarze Frau mit einem illegal immigrierten Lebenspartner in den USA in aller Regel zunächst mal ein Mensch, der einen auskömmlichen Job braucht. Für so jemanden ist im Zweifel selbst das Argument, dass Kamala Harris eine überzeugte Gegnerin von Abtreibungsverboten ist und in der nächsten Präsidentschaft wahrscheinlich wieder drei Supreme Court-Sitze freiwerden, im Zweifel ein netter Nebenaspekt und nicht mehr.

    • @Normalo:

      Sorry, ich muss widersprechen.



      Nobody in the US cares about the economy. It's all about religion.



      Schon lange hat die amerikanische Ökonomie nicht so gebrummt, gab es so wenig Arbeitslose, kein Land kam aus so der tiefen Coronakrise besser auf die Füsse etc. Das interessiert nur keinen



      Es gewinnt, wer die bessere Show liefert, und gewählt wird gerne mal einer, der den eigenen Interessen schadet, Hauptsache er zeigt sich als starker Führer.

      • @Stechpalme:

        Das wieder halte ich für zu oberflächlich. Das ideologisierte Getöse mag den Eindruck erwecken, aber wenn es hart auf hart kommt, wählen die Leute Brieftasche.

        Es gibt freilich sehr unterschiedliche Herangehensweisen, sich als der Richtige für diese Brieftasche zu präsentieren. Trumps Weg geht in Richtung Faschismus - ein rassistisch durchsetzter Nationalismus, der auf einem ellbogenbewehrten, apodiktischen Anspruch beruht, eine große Nation zu sein (statt einem leistungsbasierten Patriotismus, wie z. B. Kennedy ihn predigte) mit voll ausgebildetem Führerkult. Er sagt den Leuten: "Unter mir geht es Euch gut, weil ich für unser Land nehmen werde, was ihm zusteht - und ich werfe Alles den Hunden zum Fraß vor, was dabei stört. Der Zweck heiligt die Mittel." Das ist natürlich - auch - die "Show", die Sie ansprechen. Aber die Show ist nicht der entscheidende Faktor. Und die reaktionären gesellschaftspolitischen Resultate von Trumps Politik sind auch nur Nebeneffekte. Er ist ja gar kein glühender, abtreibungsfeindlicher wiedergeborener Superchrist.

        Kamala Harris muss auch eine Show liefern, aber dabei eben primär vermitteln, dass auch IHR Weg die Wähler zum Schotter führt.

  • Ich finde die Entwicklung sehr erfreulich!



    Es ist eine zeitgemäße Entscheidung Bidens, aus Altersgründen zurück zu treten.



    Er stellt hier tatsächlich eigene Ambitionen zurück und trifft eine persönliche Entscheidung für sein Land und den Erhalt der Demokratie. Denn um nichts weniger geht es.



    Trump hat den USA, der Demokratie und der Welt durch seine egoistische Politik schwer geschadet.



    Dass wäre wirklich ein schwerer Schlag für uns Alle, wenn Trump noch einmal gewählt würde.



    Kamala Harris ist das genaue Gegenteil.



    Während Trump ein verurteilter Verbrecher ist, der Menschen mit seiner Hetze zu Gewalt und Spaltung anstachelt, setzt sich Harris für den Erhalt einer unabhängigen Justiz und die Rechte von Frauen und Kindern ein.



    Ich wünsche Ihr und somit Allen, denen Demokratie



    Etwas bedeutet, viel Erfolg!

  • Progressiver Move? Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer und eine POC noch keine progressive Politik. Davon abgesehen, glaube ich auch nicht, dass eine progressive Politik, wie sie der taz vorschwebt, bei den amerikanischen Wählern allzu viele Chancen hat. Die USA sind nicht Dänemark.

  • Mag sein das es in linken Kreisen als Qualifikation reicht, wenn jemand die gleiche Hautfarbe hat oder das gleiche Geschlecht, bei der Mehrheit dürfte das nicht Ausschlaggebend sein.

    Frau Harris hat bis auf die Hautfarbe auch nichts gemein mit migratischen communities. Sie gehört ihr ganzes Leben der Oberschicht an. Weshalb sie auch so gut wie nichts gemeinsam hat mit den meisten Frauen.

    Wer es nicht schafft, für einen persönliche wichtige Dinge, innerhalb von 4 Jahren zumindest mal aufs tableau zu bringen, scheint diese Themen vllt auch eher aus wahltaktischen Gründen gewählt zu haben. Dazu schimmert noch durch aus manchen Artikeln, dass sie wohl nicht die beste Vorgesetzte ist.

    Biden hätte Sie auch wesentlich besser ins Spiel bringen können. Sie als beste Entscheidung in seiner Amtszeit zu markieren wirft Fragen auf. Verglichen mit den ganzen Erfolgen die er aufgezählt hat blieb Frau Harris sehr farblos. Vllt wusste er aber das sie keine Konkurrenz wird.

    Das die meisten möglichen Kandidaten sich nicht verbrenner wollen ist nachvollziehbar, ob es aber so gegen Trump reicht wird man sehen.

    Er wird sicherlich in Frage stellen, ob sie überhaupt in der Lage ist zu führen.

    • @Hitchhiker:

      Achso - Oberschicht = ungeeignet.

      Das kommt mir im Zusammenhang mit Luisa Neubauer und anderen reichen FfF-Aktivistinnen irgendwie bekannt vor.

      Ich sehe Ihren Kommentar nicht als Ihre Meinung an und weiß auch, dass viele so denken, wie Sie es beschreiben.

      • @Erfahrungssammler:

        Oberschicht = ungeeignet ist natürlich nicht zwangsläufig der Fall.

        Das Video von Frau Neubauer zum Beispiel über Einschränkung und Freiheit, richtet sich nur an Menschen die nicht über ausreichend finanzielle Mittel verfügen. Oder kennen Sie Konzepte, welche zu Einschränkungen führen der oberen 5 Prozent?

        Desweitern empfehle den Podcast Hörsaal über die zusammensetzung des Bundestsges und wie sich der gewandelt hat in den letzten Jahrzehnten. Ist zumindest ein Anhaltspunkt warum eine gewisse Entfremdung stattfindet.

        Interessant ist auch die Frauenquote in Vorständen. Männer welche aus unteren Schichten es dort hingeschafft haben werden jetzt ersetzt durch Frauen aus der Oberschicht. Die durchschnittliche Frau profitiert davon nicht.

        Hinzu kommen wissenschaftliche Untersuchungen Untersuchungen, dass der Arzt in Indien mehr Gemeinsamkeiten mit dem Arzt in Deutschland hat als dieser mit dem deutschen Verkäufer im Supermarkt.



        Ich bring jetzt Frau Lang nur ungern als Beispiel, aber wenn eine Sozialpolitikerin nicht mal die durchschnittlichsrente weiß, wie soll sie dann an den Problemen arbeiten.



        Ja, ich sehe einen Zusammenhang zwischen Oberschicht und Politik für die breite Masse.

        • @Hitchhiker:

          Bitte nicht übelnehmen:

          Also brauchen wir eher Maler- und Lackierermeister???

          Eine echte Diskussion funktioniert für mich leider nur live, mit Körpersprache und Tonfall.

          • @Erfahrungssammler:

            Ne, ich nehme das Ihnen nicht Übel, aber vllt die Malermeister und die Lackierer ;)

            Aber auch ein Malermeister muss nicht zwangsläufig geeigneter sein. Allerdings gibt es Korrelationen.

            Bezüglich der Diskussion gebe ich Ihnen recht, ich mag die live auch mehr. Dennoch mag ich das Forum, da ich hier meist mehr lerne und diversere Meinungen vorfinde als in den Artikeln.

            Und das oben war wirklich meine Meinung aufgrund des Wissens was ich angesammelt habe. ich bezweifle es zwar, aber ich würde nicht ausschließen das diese sich, bei entsprechender Argumentation, irgendwann ändern könnte.



            Haben Sie noch einen wunderschönen Tag.

  • LOL.



    Die progressiven US-Demokraten (z. B. TYT) sind entschiedene Gegner einer Kandidatur von Harris, da sie die handverlesene Kandidatin des Establishments und der Grossspender ist und zudem nur sehr geringe Chancen gegen Trump haben dürfte.



    Als Gefangene ihrer eigenen Identitätspolitik können die Demokraten aber praktisch keinen anderen Kandidaten aufstellen.

  • Besser als Trump allemal und der orangefarbene müsste seine Beleidigungs- und Beschimpfungsstrategie ändern.

  • Die Versprechen des Jahres 2020 hätte sie in den letzten Jahren einlösen sollen, hat sie aber nicht. Das liegt auch an der Politik von Biden, oder den Interessen der Hinterzimmer.

    Jetzt, wird sie wie das bewusste Kaninchen aus dem Hut gezogen, für alles andere, auch eine generelle Diskussion über die notwendige Politik, ist keine Zeit.



    Harris ist nicht die einzige, die in den letzten Jahren entzaubert wurde, AOC, Sanders, gehören mit dazu. Die Democrats sind die Partei des Establishments, progressiv ist sind da nur die Versprechen "vor den Wahlen", danach geht um die wirtschaftlichen Interessen der Unterstützer.

    Wie ist die Situation von Frauen, jetzt ist sogar ihr Zugang zu Kontrazeptiva und IVF infrage gestellt, wie die der Schwarzen? Wie die Situation von Arbeitern?



    Die Wirklichkeit sieht nicht gut aus, und es wird nicht besser, nicht mit den Democrats und nicht mit der GOP.

  • Harris ist abgesehen von wenigen Themen (Abtreibung, Hautfarben diskriminirung und Frauen Rechte u.a)nicht sehr progressiv besonders nicht ökonomisch . Sie ist eine Farblose Establishment Demokratin .



    Wen es einem wirklich um progressivität UND Diversität ginge wäre AOC die perfekte Kandidatin.



    Bei Harris nominierung wäre das einzig gute die Repräsentanz von Frauen und POC mehr kann man von ihr nicht erwarten.

  • Nur weil sie Frau ist, wird sie nicht gewählt, auch von Frauen nicht. Andersherum bei Männern mag das anders sein, entsprechend beim Migrationshintergrund, aber Harris wird ohne das leisten und liefern müssen.



    Sie hat wenig Profil gewonnen, gewinnen dürfen, jetzt gilt es das nachzuholen. Schade, dass sie Trump nicht gleich in der Fernsehdebatte auseinandernehmen konnte.

    • @Janix:

      Ja, das mit der Tv Debatte find ich auch schade. Jeder halbwegs intelligente Kandidat müsste den Affen Trump mit Argumenten in der Luft zerreißen können.

      • @DocSnyder:

        Etwa so wie Hillary Clinton?

      • @DocSnyder:

        Naja, Argumente allein halfen Hillary Clinton auch nur bedingt weiter. Leider gehören noch andere Zutaten zum Erfolg an den Urnen dazu.