Korruption und Justiz in Argentinien: 1.600 Seiten gegen Kirchner

Ausführlich begründet ein Gericht die Verurteilung von Argentiniens Vizepräsidentin zu sechs Jahren Haft. Die Regierung hält das für rein politisch.

Cristina Kirchner fächert sich zu und der Präsident Alberto Fernandes schaut auf sein Wasser, das auf dem Tisch steht

Cristina Kirchner wurde zu sechs Jahren Haft wegen Korruption verurteilt, aber das Urteil ist noch nicht rechtskräftig Foto: Tomas Cuesta/reuters

BUENOS AIRES taz | Argentiniens Justiz hat die Begründung des Urteils gegen Vizepräsidentin Cristina Kirchner wegen Korruption veröffentlicht. Am Donnerstag veröffentlichten die drei Richter des Zweiten Bundesgerichts in Buenos Aires ihre Argumente auf mehr als 1.600 Seiten. „Wir haben es mit einem Akt staatlicher Korruption zu tun, der die Legitimität der öffentlichen Institutionen, die Gesellschaft, die moralische Ordnung und die Gerechtigkeit sowie die umfassende Entwicklung der Völker untergräbt“, schrei­ben die Richter.

Cristina Kirchner war am 6. Dezember zu sechs Jahren Haft verurteilt worden. Darüber hinaus verhängte das Gericht ein lebenslanges Verbot, öffentliche Ämter zu bekleiden. Von den zwölf Mitangeklagten wurden acht ebenfalls zu langen Freiheitsstrafen verurteilt, vier wurden freigesprochen. Das Urteil wird jedoch erst dann rechtskräftig, wenn alle Instanzen durchlaufen sind.

In dem öffentlichen Verfahren ging es um 51 Straßenbauprojekte in der Provinz Santa Cruz, deren Aufträge vor allem die Baufirma Austral Construciones des Unternehmers Lá­za­ro Báez in den Jahren von 2003 bis 2015 von den damaligen Kirchner-Regierungen erhalten hatte. Dabei ging es um umgerechnet fast 1 Milliarde Euro. Báez wurde zu einer sechsjährigen Haftstrafe verurteilt.

Die Beteiligung von „Mitgliedern der höchsten Ebene der Exekutive, der nationalen Straßenbehörde und der Straßenverwaltung der Provinz Santa Cruz in Absprache mit einem Bauunternehmer“ sei erwiesen. „Das Ausmaß des hier untersuchten kriminellen Unternehmens erforderte eine hervorragende Planung und Raffinesse, wobei verschiedene Verwaltungsebenen mit demselben Ziel handelten“, schrei­ben die Richter. Ziel war ein „wirtschaftlicher Nutzen sowohl für den Unternehmer als auch für die eheliche Partnerschaft der ehemaligen Präsidenten Néstor Kirchner und Cristina Fernández de Kirchner“.

Der Weg durch die Instanzen kann Jahre dauern

Kirchners Anwalt Carlos Beraldi hatte einen Freispruch für seine Mandantin gefordert, da „sie nie eine Weisung in Bezug auf die in diesem Fall untersuchten Aufträge erteilt hat“. Das bewerteten die Richter anders. „Kurz gesagt, auch ohne Freundschaft oder formelle Partnerschaft ist der Gewinn, den Fernández de Kirchner dank Báez erzielt hat, mehr als genug, um das Zustandekommen einer solchen betrügerischen Operation zu erklären“, so die Richter.

Diese Feststellung ist für die mögliche Berufung von großer Bedeutung, da Cristina Kirchner jegliche Geschäftsbeziehungen zu Báez zurückgewiesen hatte.

Die erste Reaktion der Regierung kam von Innenmister Eduardo de Pedro. „Es ist ein weiterer Tag der juristischen Verfolgung der Vizepräsidentin, ein weiterer Tag, an dem die Justiz wieder einmal zeigt, welche Rolle sie spielt, eine disziplinarische Rolle“, sagte er und spielte damit auf den Vorwurf des „Lawfare“ an. Lawfare – law und warfare, Gesetz und Kriegführung – meint die Verfolgung der progressiven linken Regierungen der Nullerjahre mithilfe einer politisierten Justiz und der rechten Medien.

Die Staatsanwaltschaft und die Verteidigung haben nun zehn Tage Zeit, ein Berufungsverfahren zu beantragen. Auch von der Anklage wird erwartet, dass sie Berufung einlegen wird. Die Staatsanwaltschaft hatte eine Strafe von zwölf Jahren Haft für Cristina Kirchner beantragt, da sie nach ihrer Auffassung als Chefin einer illegalen Vereinigung handelte. Dieser Anklagepunkt war von den Richtern mehrheitlich verworfen worden.

Der Gang durch die Instanzen könnte mehrere Jahre dauern. Deshalb steht Cristina Kirchner bei den im Oktober anstehenden Präsidentschaft- und Kongresswahlen offen, für jedes Amt zu kandidieren. Sollte das Urteil am Ende bestätigt werden, müsste Cristina Kirchner dennoch nicht ins Gefängnis. Am 19. Februar wurde sie 70 Jahre alt und kann aus Altergründen nur unter Hausarrest gestellt werden.

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