Vier erfolgreiche Klimaklagen: Für das Klima vor Gericht
Gegen die Bundesregierung, gegen RWE oder gegen Shell: Weltweit klagen Aktivisten für mehr Klimaschutz. Vier relevante Beispiele im Detail.
Wer an Aktivismus für den Klimaschutz denkt, hat oft die Straße als Ort der Auseinandersetzung vor Augen, vielleicht noch die Parlamente für hitzige Debatten und schärfere Gesetze. Doch auch in Gerichtssälen wurden in den vergangenen Jahren wegweisende Entscheidungen getroffen – in Deutschland und international. Vier Beispiele zeigen, wie weitreichend juristische Entscheidungen sein können.
Wenn ein Dammbruch droht
Bereits 2018 hat das Oberlandesgericht (OLG) Hamm festgestellt, dass Klimaschäden grundsätzlich eine Unternehmenshaftung begründen können. Jetzt muss es in einem konkrten Anwendungsfall urteilen – mit einem Kläger aus einem viele tausend Kilometer entfernten Land.
Denn der peruanische Bauer Saúl Luciano Lliuya hat den deutschen Kohlekonzern RWE wegen dessen Beitrag zur Klimaerhitzung verklagt. Er lebt in den Anden, wo die Gletscher rasant schmelzen. Oberhalb seines Dorfes ist dadurch ein See stark angeschwollen. Die Anwohner fürchten, dass der Damm brechen und eine Flutwelle ihre Häuser wegspülen könnte. Deshalb pumpen sie Wasser ab, was Geld kostet.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Jetzt muss das OLG Hamm entscheiden, ob RWE für Klimaschäden haftbar gemacht werden kann. Der Essener Kohlekonzern, so die Argumentation, sei mit seinem Ausstoß von Treibhausgasen maßgeblich mitverantwortlich für das Abschmelzen der Andengletscher. Auf das Konto von RWE gingen 0,47 Prozent aller weltweiten Treibhausgas-Emissionen. Diesen Anteil soll RWE auch an den Kosten der Vorsichtsmaßnahmen für Saúl Luciano Lliuyas Andendorf tragen. Es geht nur um einige tausend Euro, an sich ein verschwindend geringer Betrag für den Konzern, der für das Jahr 2023 einen Jahresnettogewinn von 4,5 Milliarden Euro vermeldete. Doch bekäme Saúl Luciano Lliuya Recht, hätte das eine Signalwirkung. So könnten etwa auch untergehende Inselstaaten wie die Malediven den Konzern auf Schadensersatz verklagen. Für RWE wäre das ein Dammbruch und kaum finanzierbar.
Zuletzt hatten Gutachter den See in den Anden untersucht. „Es geht um die Frage, ob der Damm tatsächlich zu bersten droht“, erläutert Bernhard Kuchler, Sprecher des Gerichts. Kläger und Beklagte hätten nun umfangreiche Anmerkungen an das Gutachten gemacht, die zu erörtern seien. Kuchler: „In diesem Jahr wird es wohl keinen Verhandlungstermin mehr geben.“
Das Volk gegen den Ölgiganten
Beim Bündnis „Das Volk gegen Shell“ aus den Niederlanden ist der Name Programm. Mehr als 17.000 Bürgerinnen und Bürger schlossen sich mit sieben Umweltschutzgruppen zusammen und verklagten im Jahr 2020 den Fossilkonzern Royal Dutch Shell.
Die Mitglieder sehen Klimaschutz als elementares Recht. Das niederländische Unternehmen sei einer der weltweit größten Produzenten fossiler Brennstoffe, argumentierten die Kläger, die Treibhausgas-Emissionen von Shell seien höher als die vieler Staaten. Während Staaten durch das Paris-Protokoll zum Klimaschutz verpflichtet sind, heize Shell den Klimawandel weiter an. Damit gefährde der Konzern die Umwelt und sogar das Recht auf Leben.
Die Klage war erfolgreich: Das Bezirksgericht Den Haag verdonnerte den Konzern im Mai 2021 dazu, seine Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 45 Prozent gegenüber dem Jahr 2019 zu senken.
Ein sensationelles Urteil, denn die Pflicht zum Klimaschutz gilt nicht nur für die eigenen Unternehmungen, sondern auch für Zulieferer und Endabnehmer. Die Richter argumentierten: Die Shell-Gruppe müsse die in der Gesellschaft übliche Sorgfalt beachten, unterbleibe eine Reduzierung, laufe Shell Gefahr, die angeführten Menschenrechte zu verletzen.
Passiert ist nach der Klage jedoch für den Klimaschutz erst mal nichts. Shell ging in Berufung, die Verhandlungen laufen derzeit in den Niederlanden.
Trotzdem wurde Shell zum Handeln gezwungen, wenn auch nicht im Sinne der Anklage. Der Konzern verlegte seinen Firmensitz nach London – und entzog sich so der niederländischen Vollstreckbarkeit. Zuletzt fuhr der Konzern, der jetzt Shell plc heißt, mit seinem Fossilgeschäft Rekordgewinne von 42 Milliarden Dollar ein.
Die Bundesregierung auf der Anklagebank
Unzureichende Klimaschutzpolitik beeinträchtigt die Freiheits- und Grundrechte künftiger Generationen – das entschied 2021 das Bundesverfassungsgericht. Deshalb ist Reduktion von Treibhausgasen verfassungsrechtlich notwendig und darf nicht länger hinausgezögert werden. Als Folge musste die Bundesregierung das Klimaschutzgesetz von 2019 nachbessern und mehr Tempo beim Klimaschutz machen. Geklagt hatten neun Jugendliche, unterstützt von Umweltorganisationen wie Germanwatch, Greenpeace und Protect the Planet.
Weil die Bundesregierung trotz verschärftem Gesetz aber immer noch keinen vernünftigen Klimaschutz betreibt, verklagte die Deutsche Umwelthilfe die Ampelkoalition vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg. Im November 2023 bekam sie zum ersten Mal Recht, die Richter verpflichteten die Bundesregierung, „gesetzeskonforme Klimaschutz-Sofortprogramme in den Sektoren Gebäude und Verkehr“ umzusetzen. Im vergangenen Jahr verfehlten die Bereiche Verkehr und Bau ihre Ziele an Emissionseinsparung, zu denen sie nach dem Klimaschutz-Gesetz verpflichtet sind.
Doch statt Sofortprogramme aufzulegen, änderte die Bundesregierung einfach das Gesetz: Sektorengrenzen gibt es jetzt nicht mehr. Die Umweltbewegung wirft der Regierung eine Verwässerung vor. Greenpeace, Germanwatch, der BUND und andere legten neuerlich Verfassungsbeschwerde ein.
Und dann ist da noch das Urteil aus dem Mai, das die Deutsche Umwelthilfe vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg erstritt: Demnach ist das von der Ampelkoalition 2023 beschlossene Klimaschutz-Programm rechtswidrig, weil mit ihm die im Klimaschutzgesetz festgelegten Ziele nicht erreicht werden können. Allerdings ist das Urteil noch nicht rechtskräftig. Statt es als Motor für Klimaschutzpolitik zu nutzen, ging ausgerechnet der bündnisgrüne Klimaschutzminister Habeck in Revision.
Im Land des unbegrenzten Rechtsstreits
Mehr als die Hälfte aller weltweiten Klimaklagen werden in den USA eingereicht. Spektakulär war beispielsweise ein Urteil im Bundesstaat Montana im Jahr 2023. Geklagt hatten sechzehn Menschen im Alter zwischen 5 und 22 Jahren – Vertreter der Generation, die besonders stark unter dem Klimawandel leiden wird. Mit der Genehmigung von Öl- und Gasprojekten verstoße die Regierung des Staates gegen das verfassungsmäßige Recht der Kläger:innen auf eine saubere und gesunde Umwelt. Die Kläger gewannen: Ab sofort muss in Montana, das besonders für seine Bodenschätze bekannt ist, bei jeder Genehmigung zur Förderung von Öl oder Gas auch der Klimaaspekt berücksichtigt werden.
In Kalifornien wiederum ist die Regierung nicht Angeklagte, sondern Klägerin gegen mehrere Ölfirmen. Die Konzerne wüssten seit Jahrzehnten, dass ihre Geschäftspraktiken „katastrophale Folgen“ für Mensch und Atmosphäre haben – deswegen sollten sie jetzt selbst für die Kosten aufkommen, die sie durch die Klimaerhitzung verursacht haben. Der Fall hat neben der eigentlichen Zerstörung noch eine zweite Ebene: Kalifornien fordert zusätzlich harte Geldstrafen von BP, Chevron, ConocoPhillips und Exxon, weil die Konzerne die Öffentlichkeit belogen haben und schon „seit mehr als 50 Jahren wissen, wie gefährlich die von ihnen produzierten fossilen Brennstoffe sind“, wie es Kaliforniens Gouverneur Gavin Newsom formulierte. Ausdrücklich angeklagt ist außerdem der Lobbyverband American Petroleum Institute. Die im September 2023 eingereichte 135-seitige Klageschrift wird am Superior Court in San Francisco verhandelt.
Das Beispiel aus Kalifornien zeigt, dass auch Staaten für mehr Klimaschutz den Klageweg beschreiten können. Dafür müssen sie allerdings auch selbst engagierten Klimaschutz betreiben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Gastbeitrag in der „Welt am Sonntag“
Bequem gemacht im Pseudoliberalismus