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Einsatz bei Anti-AfD-Protesten in EssenKritik an Polizei wird immer lauter

Nach den Protesten gegen den AfD-Parteitag in Essen wächst die Kritik an der Polizei. Ein Bündnis spricht von 80 Gewaltvorfällen durch Einsatzkräfte.

Polizeieinsatz in Essen gegen Demonstranten, die gegen den AfD-Parteitag protestieren Foto: M. Golejewski/AdoraPress

Essen taz | Es waren teils turbulente Proteste, die am Wochenende den AfD-Bundesparteitag in Essen begleiteten. Nun berichtet das Bündnis „Widersetzen“, das zu zivilem Ungehorsam und Blockaden der Zufahrtswege zur Tagungshalle aufgerufen hatte, von immer mehr Berichten über Polizeigewalt, die sie erreichen würden. In mehr als 80 Fällen hätten Demonstrierende dazu inzwischen Schilderungen abgegeben.

„Es kann nicht sein, dass unzählige Menschen an diesem Tag mit Verletzungen sowie physischen und psychischen Beschwerden zu kämpfen haben, während die polizeilichen Berichte ein Bild der aufgebrachten Gewaltexzesse inszenieren und vom eigentlichen Inhalt abgelenkt wird“, kritisierte Katharina Schwabedissen, eine der Sprecherinnen von „Widersetzen“. Sie berichtet von „Verletzungen wie Arm, Nasen- und Jochbeinbrüche, starken Augenreizungen, Atemnot und Bewusstlosigkeit“.

Kritik auch von den Jusos

Auch der Juso-Bundesvorsitzende Philipp Türmer, der am Samstag ebenfalls in Essen war, berichtet von solchen Szenen. „Wir Jusos verurteilen die unverhältnismäßige Gewalt von Teilen der Polizei gegenüber Demonstrant*innen, die wir am Samstagvormittag selbst miterlebt haben.“ Das „reflexartige Verteidigen“ der Polizei und das Beschuldigen von linken De­mons­tran­t*in­nen durch In­nen­po­li­ti­ke­r*in­nen sei „vollkommen unangebracht“. NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) müsse die Vorfälle ordentlich aufklären.

Reul wiederum hatte nach dem Wochenende mehrfach Angriffe auf die Po­li­zis­t*in­nen verurteilt. „Kritik ist legitim, Krawalle nicht“, sagte der Politiker. 27 Po­li­zis­t:in­nen waren leicht verletzt und einer schwerverletzt worden. Ein Demonstrant soll ihm am Boden liegend noch gegen den Kopf getreten haben. Die Polizei sucht jetzt mit Hilfe von Screenshots aus Videoaufnahmen nach dem mutmaßlichen Täter.

Der Polizei waren bis Dienstagnachmittag weder Strafanzeigen gegen Beamte noch Fälle von verletzten Demonstrierenden bekannt. Ein Polizeisprecher verteidigte die Vorgehensweise der Polizei: „Grundsätzlich möchten wir daran erinnern, dass wir vor dem Einsatz angekündigt haben, unfriedliche Proteste und Störaktionen konsequent zu unterbinden, um die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu gewährleisten.“ Zwangsmaßnahmen seien zuvor durch Lautsprecherdurchsagen angekündigt worden.

Am Wochenende stellte die Polizei Essen insgesamt 143 Strafanzeigen, unter anderem wegen Verstößen gegen das Versammlungsgesetz, Landfriedensbruchs, Widerstands und wegen tätlichen Angriffs auf Einsatzkräfte. Insgesamt seien 22 Personen in Gewahrsam genommen und zwei Personen vorläufig festgenommen. Alle Personen sind inzwischen wieder entlassen worden.

Legal-Team kritisiert schlechte Kommunikation

Auch der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV) zeigte sich „bestürzt über den Umgang der Polizei mit dem weitgehend friedlichen Protest gegen den AfD-Parteitag in Essen“. Ein sogenanntes Legal-Team aus 13 An­wäl­t*in­nen war am Samstag ab frühmorgens unterwegs, um als Ver­mitt­le­r*in­nen und rechtliche Beistände zu helfen. Anwältin Anna Magdalena Busl, Teil des Legal-Teams, berichtete von einem „äußerst provokaten und gewaltbereiten Auftreten der Einsatzkräfte“ und „massiver Polizeigewalt“. Die Kommunikation mit dem Legal-Team sei seitens der Polizei „größtenteils verweigert“ worden, so Busl. Ein Beitrag zur Deeskalation sei so nicht möglich gewesen.

taz-Reporter hatten am Wochenende beide Seiten beobachten können. Auf der einen Seite war zu sehen, wie einige Demonstrierende auf Polizeiabsperrungen zurannten. Die Polizei ging sofort mit Schlagstöcken und Pfefferspray dagegen vor. Teilweise wurden mehrere Wasserwerfer in Stellung gebracht. Auf der anderen Seite wurden friedliche Sitzblockaden nach mehrfacher Aufforderung durch die Polizei aufgelöst, indem ebenfalls Schlagstöcke eingesetzt wurden, auch gegen am Boden sitzende Personen.

Die Polizeieinsätze rund um den AfD-Parteitag werden sowohl Demonstrierende als auch die Polizei noch einige Wochen beschäftigen. Das Bündnis „Widersetzen“ prüft, ob Anzeigen gestellt werden. Und die Polizei wertet Videoaufnahmen aus, die von sogenannten Beweissicherungstrupps aufgezeichnet wurden.

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13 Kommentare

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  • Ehrlicherweise wundert mich das Vorgehen von Seiten der Polizei überhaupt nicht. Neonazis und Konzerninteressen schützen die ja schon länger mit völlig unverhältnismäßiger Gewalt und mit allen anderen mitteln. Ist ja hier nur ein weiteres sehr schönes Beispiel. Eine transparente Aufarbeitung wird es wahrscheinlich wieder nicht geben, geschweige denn irgendeine Kontrollinstanz oder ähnliches. Die Ausrede ist dann wahrscheinlich wie immer "wir ham ja nur Befehle befolgt" oder "das sind alles Einzelfälle" ja ganz toll. Vor allem grauts mich bei dem Gedanken, dass die ja vermutlich kein anderes Verhalten an den Tag legen, falls die Faschisten doch mal irgendwo in Regierungsbeteiligung kommen.

  • Danke an Widersetzen, Antifa und alle Linken welche sich so stark gegen Rechts einsetzen. Ich meine nicht Gewalt gegen die Polizisten. Aber halt die Afd-Politiker anschreien, Sitzblockade und all der zivile Ungehorsam. Ich habe Respekt vor deren Mut.

    An all die Leute, die Neonaziaufmärsche mit "ja, aber in einer Demokratie..." verteidigen:

    Ich will dann mal hoffen, dass linke-mittige Politiker genauso extrem beschützt werden von der Polizei wie die NSAFD-Politiker. Oder müssen nur die Rechten geschützt werden vor den pösen Linken, die ja viieeel gewaltätiger sind als die Rechten!? (/s)

  • Notwendige und gute Polizeiarbeit. Nicht verbotene Versammlungen dürfen nicht blockiert werden, Punkt.

  • Man gewinnt den Eindruck, die Polizei sei gar nicht an Deeskalation interessiert.

    Im Gegenteil: Repression, effizient und industriell organisiert.

  • In einer Demokratie ist jede Partei nach dem Parteien Gesetz verpflichtet Parteitage abzuhalten. Solange eine Partei nicht verboten ist, muss es ihr gestattet sein dies auch zu tun, ohne tausende versuchen das zu verhindern. Diejenigen die hier versuchen den Parteitag zu verhindern, zerstoeren die Demokratie von innen.

    • @Carsten1250:

      @CARSTEN1250, Danke für Ihren Kommentar, dem ich mich nur anschließen kann. Ein Hoch auf echte Demokratie!

    • @Carsten1250:

      In einer Demokratie haben die Bürger auch immer das Recht, gegen Parteitage zu demonstrieren, insbesondere ist es geradezu die Pflicht jeder Person in diesem Land gegen Nazis in Parteien demonstrierend vorzugehen! Und in der AfD befinden sich laut richterlichen Urteilen Nazis!

    • 6G
      608196 (Profil gelöscht)
      @Carsten1250:

      Steile These.



      Eine Partei, in deren Parteiprogramm sowie öffentlichen Auftritten die Abschaffung der parlamentarischen Demokratie gefordert wird, lässt sich demokratisch von ca. 20% der Wähler in den BT wählen, beleidigt, diffamiert und erniedrigt dort Andersdenkende, Andersartige und anders Aussehende, wöhrend Sie - wie Sie hier - Toleranz für die eigene Intoleranz fordert.



      Und nun kommen Sie und sprechen den Bundesbürger'innen das Demonstrationsrecht ab, um Antidemokraten das Leben und menschenverachtende Wirken zu erleichtern.



      Also haben die Rechten, wenig überraschend, abseits des Erfassens der Bedeutung von Meinungsfreiheit auch Probleme im Verstehen der anderen Grund- und Bürgerrechte.



      Demokratie überfordert diese Klientel mit allem.



      Kein Wunder, dass die Blaunen Diese abschaffen möchten.



      Wöre es nicht so widerlich, was aus dieser Ecke so kommt, könnten Sie einem fast leid tun.

    • @Carsten1250:

      Achso, Protest gegen eine als rechtsextremisticher Verdachtsfall eingestufte Partei, die Menschen anderer Gesinnung abschieben und auch, nach den Äußerungen einiger ihrer Mitglieder zumindest, die Gegner an die Wand stellen möchte zerstören also die Demokratie von innen?



      Lol

  • Puuh.



    Ich bin mal wieder heilfroh dass da alle Polizisten ihre MPs unter Kontrolle hatten.



    Wir wollen ja kein "Dortmund ist überall" ...

  • Wer die Videos gesehen hat, kann eventuell besser Nachvollziehen wie es zu solchen Taten kam.



    Spannend ist hier auch das Demokratieverständniss der Demonstranten: es existiert nicht.

    • 6G
      608196 (Profil gelöscht)
      @Bob1989:

      Habe ich.



      Aber offenbatmr andere Videos als Sie.



      Tipp: Bürgerrechtsaktivisten stellen schon seit G20 ungeschnittene, unkommentierte Videoaufnahmen ins Netz.



      Schauen Sie da mal rein.



      Besser nicht essen vorher. Da kommt es einem schnell mal hoch angesichts der masslosen Gewalt gegen nicht gepanzerte, nicht bewaffnete und nicht organisierte Demonstrant'innen.

      • @608196 (Profil gelöscht):

        Ich habe ca. 200 Demos Gegen Rechts aufm Buckl.



        Da macht mir keiner mehr was vor.