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Sanierungsfall Bahn und EMEin Kurswechsel ist überfällig

Kommentar von Dirk Eckert

Fußballfans beschweren sich zu Recht über die Deutsche Bahn. Dann jedoch zu erwägen, Strecken im Osten Deutschlands zu streichen, ist verheerend.

Fussballfans in Gelsenkirchen Foto: Simon Stacpoole /imago

D ie EM legt schonungslos offen, wie schlecht es um das deutsche Bahnsystem steht. Überfüllte Züge, ausgefallene Klimaanlagen, dazu Baustellen und Oberleitungsschäden. Fußballfans aus aller Welt posten es in den sozialen Medien. „Einst war die Deutsche Bahn der Goldstandard des Schienenverkehrs in Europa, heute ist sie weit entfernt von dieser Spitzenposition“, schreibt die New York Times.

Ein vernichtendes Urteil, aber leider korrekt. Jahrelang wurde zu wenig investiert; Strecken wurden stillgelegt. Es ist die Politik seit CDU-Kanzler Helmut Kohl und aller Bundesregierungen seither, die die Bahn seit den 1990ern zu dem Sanierungsfall gemacht haben, der sie bei der EM 2024 ist. Und das in Zeiten des Klimawandels, wo klimafreundliche Verkehrsmittel dringend benötigt werden.

Aber bei der Bahn halten es manche offenbar dennoch für eine gute Idee, Verbindungen einfach zu streichen, statt die nötigen Streckensanierungen zu bezahlen. So kann man das Problem natürlich auch lösen: keine Zugverbindung, kein Problem. Entsprechende Pläne, aus denen der Spiegel wörtlich zitiert hatte, dementierte die Bahn zwar umgehend. Aber das Dementi der Bahn ist halbherzig und schließt, wie der Fahrgastverband Pro Bahn bemerkt, künftige Kürzungen keineswegs aus.

Besonders verheerend ist, dass zwei der drei angeblich nicht geplanten Streichungen Städte im Osten betreffen würden. Angesichts der Wahlerfolge der AfD ist das politisch mehr als instinktlos. Jedenfalls kann sich die Bundesregierung ihre Treffen mit Ost-Ministerpräsidenten schenken, wenn die bundeseigene Bahn gleichzeitig die Abkoppelung des Ostens auch nur in Erwägung zieht.

Schon wegen des Klimawandels braucht es mehr Schienenverkehrsangebote, nicht weniger. Für ein funktionierendes Bahnsystem braucht es alle Strecken, nicht nur einzelne, die hochprofitabel sind. Laut Grundgesetz – Artikel 87e – muss der Bund übrigens das „Wohl der Allgemeinheit“ gewährleisten beim „Ausbau und Erhalt des Schienennetzes“ und bei den Verkehrsangeboten auf diesem Netz. Nach dem EM-Desaster kann die Bahn nicht so weiterfahren wie bisher.

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30 Kommentare

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  • Zu investieren gäbe es also viel … schade nur, dass dann so viel Geld in einem tiefen Loch in der schwäbischen Metropole vergraben wird (und vor allem eine wohl nicht wegzuwischende Gefahr für Bahnreisende).

    • @Earl Offa:

      Das war eine bewusste Entscheidung bei damals bereits bekannten Fakten durch CDU, SPD, FDP und CSU. Gegen bekannte Fakten, eher.



      Aber wir müssen auch an die Schieflage ran, dass das Geld der Gemeinschaft immer noch an den Auto-Komplex fließt, statt in die Grundversorgung für uns alle.

  • @MICHAS WORLD

    Lesen Sie bitte richtig. Ich schrieb von "Schnapsidee, das Ding privatisieren zu _wollen_".

    Die Idee war sehr wohl da.

    Daraufhin kam die Sparorgie auf Kosten der Infrastruktur -- um das Ding aktienmarkttauglich zu machen (Details schön in @NUTZERs Beitrag).

    Dass dann daraus (zum Glück! vgl. UK) nichts wurde macht die zertrümmerte Infrastruktur nicht heile.

    Lesen Sie also bitte richtig.

    • @tomás zerolo:

      "Die Idee war sehr wohl da."



      Richtig !



      Und dazu engagierte man den Herrn Mehdorn, der zuvor die Fa. Heidelberger Druckmaschinen fast an die Wand gefahren hat, nachdem das das mit der Bahn nicht klappte, stieg er ins Fliegergeschäft ... ach, lest doch selber :-)



      de.wikipedia.org/wiki/Hartmut_Mehdorn

  • Alles richtig, aber für mich ist es seltsam, das gerade im Zusammenhang mit Fußballfans zu lesen. Bei Fußballfans und Bahn erscheinen mir ganz andere leidvolle Erfahungen, für die die Bahn selbst nun eher nichts kann...außer vielleicht dafür, dass sie nicht, wie manche Privaten, ein Alkoholverbot verhängt.

    • @blutorange:

      Gebe Ihnen recht. Wenn ich z.B. mit der Bahn nach Nürnberg oder Fürth fahren möchte, schau ich erst mal ob einer der beiden Vereine ein Heimspiel hat (fast immer) - und gegen wen !!!



      Persönliche Erfahrung: laut, aber nicht übergriffig, selbst gegen verfeindete Fans.



      Die Züge sehen aus wie die Sau (am Boden). Und da könnte man in "weiser" Voraussicht einen zusätzlich Putztrupp ordern, um den weiter Reisenden eine "angenehme Reise" zu ermöglichen.

  • Die freundlichen Fußballfans sollten sich zu einem Besuch bei Volker Wissing, noch besser: Christian Lindner verabreden.



    Man muss die Schuldigen für diese Spasmen ja benennen und ansprechen.

    • @Janix:

      Stimmt, diese beiden Herren sind für die DB-Fehlentwicklungen der letzten 20 Jahre bestimmt verantwortlich :D

      • @Tom Tailor:

        Nö, sie sind für das jetzt Gemachte verantwortlich, weil sie nicht umsteuern.

        Wer sogar die geringen Gelder von der Schiene heimlich zu Auto schieben will wie Lindner und Wissing aktuell, wer das Auto immer noch hofiert in der Hoffnung auf eigene Anschlussjobs, ist verantwortlich ... oder sollte mal mit seiner Arbeit loslegen!

        Gerne aber auch Tiefensee, Dobrindt und v.a. Scheuer mit in den Senkel.

  • "... kann die Bahn nicht so weiterfahren wie bisher. Richtig festgestellt, aber wieso brauchte es erst dieses "Desaster" bei der EM, um zu dieser Schlussfolgerung zu gelangen??? Desaströs ist die Bahn seit Jaaaaahren!

  • "Besonders verheerend ist, dass zwei der drei angeblich nicht geplanten Streichungen Städte im Osten betreffen würden. Angesichts der Wahlerfolge der AfD ist das politisch mehr als instinktlos."



    Bei aller Liebe, es ist nicht Aufgabe der Bahn auf politische Entwicklungen Rücksicht zu nehmen.



    Die Bahn ist ein Unternehmen. Ein kaputtgespartes Unternehmen. Die Pünktlichkeitsquote im Fernverkehr fällt gen 50%. Zwei nicht ausgelastete IC-Stecken zu schließen und in der Nebensaison keinen leeren ICE mehr nach Stralsund fahren zu lassen ist nicht instinktlos, es schafft Kapazitäten.



    Es wird mittlerweile großflächig saniert, zahlreiche Baustellen sind angelaufen - es wird aber dauern. Jahre das marode und überlastete Netz zu modernisieren, Jahrzehnte für den Bau neuer Strecken.



    Deutschland hat nach wie vor das längste Schienennetz Europas, knapp 35.000 Kilometer aktuell. Demgegenüber stehen aber 630.000 Straßenkilometer.



    Instinktlos ist es da höchstens zu glauben die Bahn könne quasi über Nacht das Auto ersetzen, wenn man es nur genug will 🤷‍♂️



    Der Bahnausbau ist eine Jahrhundertaufgabe, kein Akutheilmittel - dieser Realität sollte man sich links endlich bewusst werden.

    • @Farang:

      Und weil es (inzwischen) eine Jahrhundertaufgabe ist und weil die Bahn grottenschlecht gemanagt wird und weil alle Verkehrsminister bislang kein Interesse zeigen (der derzeitige schon gar nicht) --- deswegen machen wir dann lieber gar nix und gucken weiter zu. Oder wie soll man das verstehen?

      • @Perkele:

        Ich habe nirgends etwas von nichts tun gesagt - ich sage es wird Jahre dauern bis allein das bestehende Netz wieder pünktlich betrieben werden kann und Jahrzehnte, bis ein merkliches Mehr im Personen- und Güterverkehr bewegt werden kann.



        Wie sie ja selbst andeuten, was Jahrzehnte lang verschlafen und kaputtgewirtschaftet wurde kann nicht 'über Nacht' aus der Asche gehoben werden.



        Es braucht eine politische Einsicht von rechts, dass wir eine starke Bahn brauchen um der Klimakrise begegnen zu können (Reaktivierung, Ausbau, Kapazität, Personal) - und eine Einsicht von links, dass die Bahn im Hier und Jetzt in diesem Zustand keine sofortige Alternative ist.



        Es war ja hier Thema zuletzt mit Frankfurt, Bahn oder Autobahn ausbauen - ich sage beides. Die Bahn muss ausgebaut werden, die Autobahn aber bis zur Fertigstellung der Verkehrsnachfrage angepasst werden.



        Keine Autobahnen im Heute mehr bauen zu wollen weil man in 20, 30, 50 Jahren ein hochleistungsfähiges Bahnnetz haben möchte ist betriebswirtschaftlicher Irrsinn - eine Alternative muss ERST leistungsfähig sein, DANACH kann man zu ihren Gunsten bestehende Varianten zurückfahren. So geht Wirtschaft.

    • @Farang:

      "Die Bahn ist ein Unternehmen. Ein kaputtgespartes Unternehmen."



      Der Herr Mehdorn sollte die Bahn an die Börse bringen, was gott sei Dank, gescheitert ist. Nachhaltig geschädigt hat er sie trotzdem.



      Die Privaten machen nichts, aber auch gar nichts besser*. Auch sie sind nicht gegen technische Ausfälle gefeit. Ich in einem nigelnagelneuen RE mußte aussteigen, weil die Klimaanlage ausgefallen war.



      Das Personal bekam die Sache in den Griff.



      *Auch die Toiletten werden nicht öfter gereinigt.

      • @LeKikerikrit:

        Er hat ja nicht unbedingt gut geheißen, dass es ein Unternehmen ist. Trotzdem stimmt es natürlich. Auch wenn das Unternehmen dem Staat gehört, ist es dem Profit verpflichtet.Leider.

      • @LeKikerikrit:

        Ich muss noch nachschieben: seit Jahren wird die A6 in Bayern dreispurig ausgebaut. Unglaubliche Erdbewegungen, Brückenabrisse, Brückenneubauten usw. In beiden Fahrtrichtungen (noch zweispurig) ist zumindest die linke Fahrspur verengt.



        Trotz allem: der Verkehr läuft super - dank(trotz) Tempo 80.



        Wer beschwert darüber?

  • Und wo sollen die zusätzlichen Gleise verlegt und neue Strecken gebaut werden?



    Es fehlt nicht nur an Geld für Oberbausanierungen, Leittechnik und Fahrzeuge, sondern auch an Streckenkapazitäten. Und da kommt NIMBY ins Spiel.

    • @metalhead86:

      "Und wo sollen die zusätzlichen Gleise verlegt und neue Strecken gebaut werden?"



      Soll eine Straße verbreitert oder neu gebaut werden, gibt es keine grundsätzlichen Probleme.



      Die paar Querulanten in ihren Baumhäusern.

  • Wer ist bloss auf die Schnapsidee gekommen, das Ding privatisieren zu wollen.

    Sowas sollte schadensersatzpflichtig sein.

    • @tomás zerolo:

      Und wieder der Irrglaube, dass die Deutsche Bahn privatisiert wurde. Die Deutsche Bahn ist zu 100 % in Staatsbesitz. Nur durch einen Rechtsformwechsel zur AG wird nichts privatisiert. Ich bin übrigens überzeugt, dass in einem privatisierten Wirtschaftsunternehmen ohne Staatsbeteiligung die Pünktlichkeit und Effizienz maßgeblich für Vorstandsboni wäre und nicht die Erfüllung des Frauenförderplans.

      • @Michas World:

        Privatisierung hat nicht unbedingt etwas mit dem Eigentümer zu tun. Die Bahn ist strukturell eine AG, nebensächlich, dass der Bund 100% Anteile hält. Die Organisation ist rein renditeorientiert, was sich nicht rechnet, wird gestrichen, eine selbsterfüllende Prophezeiung.



        Erst eine Angebotskürzung, weil buchhalterisch so berechnet, weil nicht (rendite)rentabel , es wird gekürzt. Das geringere unzureichende Angebot führt zum Umstieg aufs Auto, das führt zu noch geringerer Auslastung, Folge Streckenstreichung. Angebot schafft Nachfrage, das gilt beim ÖPNV ganz besonders, BWLerische Maßstäbe führen zu Angebotskürzung.



        Ohne Staatsbeteiligung wäre es noch schlimmer, nach dem Kaputtsparen wäre niemand da, der noch Finanzspritzen gibt, oder nur unter der Maßgabe weiterer Kürzungen, irgendwann gehen dann die Lichter ganz aus.

        • @nutzer:

          Die Organisation ist rein renditeorientiert weil der Eigentümer, also der Bund, das genauso vorgegeben hat.

          • @Chris McZott:

            ja auch der Bund möchte das, aber durch die Organisation als AG ist es auch gar nicht anders möglich.

      • @Michas World:

        Pünktlichkeit IST bereits maßgeblich für die Vorstandsboni, mit 100%iger Staatsbeteiligung, wie Sie richtig feststellen.



        Das ist vermutlich auch der Grund, warum ich neulich am Bahnhof auf einen Zug gewartet hab, der ohne Ansage plötzlich von der Anzeigetafel verschwand. Laut App fuhr er, ich konnte live verfolgen, wie er die nächsten Bahnhöfe anfuhr, sagenhaft pünktlich sogar, nur existierte er nicht. Das gleiche ist mir auch schon mal mit Schienenersatzverkehr passiert.



        Privatisierung löst dieses Problem überhaupt nicht.

  • Über die Unfähigkeit der Bahnausen an der Konzernspitze kann man sicher trefflich streiten, aber daraus jetzt eine Ost-West-Lamento unter Hinweis auf die dort drohenden politischem Verhältnisse zu machen, ist dann doch etwas sehr schräg. Nach der Logik müssten die Sauer- und Siegerländer bei der nächsten Wahl wohl auch mit der Alternative drohen. Immerhin will man denen nicht nur den einzigen IC streichen, sondern hat da ja auch schon die Autobahn gesperrt.

  • Ich denke nicht, dass die Bahn dies für eine gute Idee hält, sondern dies aufgrund von politisch verordneten niedrigen Preisen machen muss, da der Steuerzahler dies nicht mehr ausgleichen kann.

    Dies ist ein in der Berlin-Bubble gut bekanntes Gebaren

  • Bald kommt Merz sn die Macht.



    Dann wird alles gut.



    Ich brauche einen Kübel, mir wird übel!

    • @M. S.:

      Tatsächlich glaube ich so komisch das klingt, aber Schwarz Grün unter Merz würde das Land nicht so kaputtsparen. Dafür würden andere Sachen verbrochen, trotzdem denke ich das die CDU in Regierungsverantwortung investiert hätte statt wie die FDP kaputtzusparen.

    • @M. S.:

      Supi, dann darf die ganze "Mittelschicht" mit dem Jet fliegen und darf auf den wegen der kaputten Brücken gesperrten Autobahnen landen.



      .... läuft

      • @Axel Schäfer:

        Pst....nicht laut sagen.



        Der M. macht das!