Autor Linus Giese über Menstruation: Blut hat kein Geschlecht
Nach Jahren ohne Periode kehrt das Menstruationsblut unseres Autors unerwartet zurück. Über den komplizierten Umgang mit Menstruation als trans* Mann.
Passenderweise schreibe ich diesen Text, während ich menstruiere. Diesen Satz zu schreiben fühlt sich komisch an, weil ich fast fünf Jahre lang keine Menstruation mehr hatte. Dieser Satz fühlt sich auch komisch an, weil ich mir vorstelle, was andere Menschen denken, wenn sie ihn lesen: ein Mann, der menstruiert? Ja, so etwas gibt es tatsächlich.
Mein Coming-out als trans* Mann ist mittlerweile sieben Jahre her, kurze Zeit später begann ich, Testosteron zu nehmen. Ein paar Monate danach sollte ich meine letzte Menstruation haben. Ich erinnere mich daran, wie ich diesen Moment gefeiert habe: Endlich nie wieder in die Abteilung für Damenhygiene gehen! Doch fünf Jahre später kehrte das Blut zurück, zunächst nur als schwache Spur auf dem Toilettenpapier.
Zuerst habe ich gar nicht an meine Menstruation gedacht, erst bei einer Untersuchung in meiner BVU-Praxis (die Abkürzung steht für Brust-Vulva-Uterus, ich habe mir im Laufe der letzten Jahre versucht abzugewöhnen, von Frauenärzt*innen zu sprechen, denn diese Praxen sollten auch ein Ort für mich sein und ich bin nun mal keine Frau) wurde festgestellt, dass es sich um Menstruationsblut handelt.
Das war ein Schock. Eine medizinische Erklärung dafür, wieso meine Menstruation trotz Testosteron zurückgekommen ist, gab es nicht. Auf der Suche nach Antworten, fing ich an zu googeln und fand heraus, dass auch andere trans* Männer diese Erfahrung machen. In Foren erzählen sie, wie bei ihnen nach Jahren die Menstruation wieder zurückkam.
Andere berichten, ihre Menstruation habe trotz Testosteron nie wirklich aufgehört. Es gibt auch trans* Männer, die keine Hormontherapie machen und deshalb weiterhin ihre Menstruation bekommen.
Überschwemmt von Traurigkeit
Zu dieser Gruppe gehöre ich mittlerweile auch. Seit Anfang des Jahres pausiere ich aus gesundheitlichen Gründen mit Testosteron. Schlimmer kann es sowieso nicht mehr werden, dachte ich – ich hatte zumindest keine Angst davor, dass meine Menstruation wieder zurückkehren könnte, denn die war ja eh wieder da.
Doch aus der leichten Blutung, die mich noch durch das vergangene Jahr begleitet hatte, wurde seit Januar ein richtiger Sturzbach. In den ersten Tagen meiner Menstruation, brauche ich oft mehrere Binden – wenn ich morgens aufwache, kommt es nicht selten vor, dass meine Schlafanzughose und das Bettlaken trotzdem voller Blut sind. Dazu kommen die Schmerzen. Meine Menstruation ist für mich nicht mehr ohne Schmerzmittel zu überstehen.
Ich leide unter Schwindel, Hitzewallungen, geschwollenen Lymphknoten – doch fast noch schlimmer ist, was in den zwei Wochen vor meiner Periode passiert. In dieser Zeit werde ich überschwemmt von einer kaum zu ertragenden Traurigkeit.
Fragile Identität
In dieser Traurigkeit steckt – glaube ich – auch der Schmerz darüber, dass mein Körper nicht so funktioniert, wie ich mir das wünsche. Als ich meine Periode zum ersten Mal bekam, wusste ich nicht, wie mir geschah, ich erinnere mich nur noch an die Ohnmacht, an die Hilflosigkeit und daran, wie ich in der Badewanne stand und mir das Blut am Bein herunterfloss.
Wenn ich meine Periode heutzutage bekomme, fühlt es sich genauso an wie damals. Ich bin überzeugt davon, dass meine Menstruation mich nicht weniger „männlich“ macht – und doch nehme ich meine Identität während der Menstruation als besonders fragil wahr.
Zu diesem Gefühl tragen viele Kleinigkeiten bei, zum Beispiel auch, dass es auf vielen Männertoiletten weniger Einzelkabinen gibt, in denen dann oft die Mülleimer fehlen. Wenn ich auf einer Männertoilette die Verpackung einer Binde öffne, kommt mir das wie das lauteste Geräusch auf der Welt vor.
Nur cis Frauen machen Tampon-Werbung
Es fällt mir auch schwer, plötzlich wieder Binden und Tampons kaufen zu müssen. Als ich das letzte Mal im Supermarkt vor einem Aufsteller mit Binden stand, auf dem augenscheinlich drei cis Frauen abgebildet waren, habe ich mich gefragt, ob es einfacher für mich wäre, wenn ich dort zwei cis Frauen und einen trans* Mann sehen würde?
In den Foren, in denen ich mitlese, gibt es trans* Männer, die ihre Regelblutung als „shark week“ bezeichnen (weil das männlicher klingt) oder sich vorstellen, dass sie bluten, weil sie in einem Kampf verwundet wurden – doch ich glaube nicht, dass mir das helfen würde.
Der Versuch, aus der Periode eine universelle – und nicht mehr nur rein weibliche – Erfahrung zu machen, ist nicht nur ein sprachliches Anliegen, sondern auch ein existenzielles: Viele trans* Männer trauen sich nicht zu gynäkologischen Vorsorgeuntersuchungen zu gehen, weil sie an diesen Orten nicht mitgedacht werden.
Oft ist schon das Aufrufen im Wartezimmer eine schmerzliche Erfahrung. Selbst in einer Stadt wie Berlin ist es nicht einfach, BVU-Praxen zu finden, die auf trans* Menschen spezialisiert sind – und spezialisierte Praxen nehmen oft keine Neu-Patient*innen mehr auf.
Es braucht neue Studien
Ich habe mir einen Termin in der Praxis „obenrum – untenrum“ gemacht, die auf ihrer Homepage verspricht, dass sie „alle Geschlechter“ betreuen, beraten und untersuchen. Der Haken: Es ist eine Privatpraxis. In den anderen Praxen, in denen ich letztes Jahr gewesen bin, habe ich auf die Frage, warum meine Menstruation zurückgekehrt ist, keine Antwort bekommen. Was sicherlich auch daran liegt, dass es – bisher – noch kaum wissenschaftliche Forschung zur Menstruation bei trans* Männern gibt.
Wir bräuchten ganz dringend Studien, die untersuchen, wie sich Testosteron auf die Menstruation auswirkt, welche kurz- und langfristigen Effekte es gibt, zu welchen hormonellen Schwankungen es kommen kann und – das ist wahrscheinlich die zentrale Frage – welche Aspekte die Wiederkehr der Menstruation begünstigen können.
Es bräuchte auch Studien zur Qualität der Gesundheitsversorgung und der Unterstützung, die trans* Männer im Zusammenhang mit der Menstruation erhalten können.
Wie ist die Qualität der medizinischen Beratung, wie ist die Zugänglichkeit von Produkten für die Menstruationshygiene, wie steht es um die Kompetenz von Gesundheitsdienstleistern bei diesen Fragen. Genauso wichtig wären Studien über die Auswirkung der Menstruation auf die mentale Gesundheit von trans* Männern, inklusive Stress, Angst und Depressionen im Zusammenhang mit der Menstruation.
Der Scham den Kampf ansagen
Warum gibt es diese Studien bisher nicht? Das hat wahrscheinlich mit dem sogenannten Gender Health Gap zu tun. Es ist kein Zufall, dass über das Thema Erektionsstörung in den vergangenen 35 Jahren fast viermal so viele Fachartikel publiziert worden sind wie über Menstruationsschmerzen.
In meiner BVU-Praxis wurde mir die Pille verschrieben – und alternativ die Spirale empfohlen. Beides kommt für mich derzeit nicht in Frage. Was bleibt mir noch, um nicht mehr das Gefühl haben zu müssen, zwei Wochen im Monat in einer beängstigenden Dunkelkammer verbringen zu müssen?
Ich versuche meinen eigenen Weg zu finden. Gerade suche ich nach Boxershorts, in die auch Binden gut passen, ohne ständig zu verrutschen. Ich habe mir eine App heruntergeladen, um meinen Zyklus zu tracken (die gibt es mittlerweile auch immer öfter geschlechtsneutral!), von einem Freund wurde mir empfohlen, Mönchspfeffer auszuprobieren, und ich habe auch gemerkt, dass es mir hilft, zu entspannenden Yoga-Kursen zu gehen, wenn der größte Schmerz vorbei ist.
Kampfansage an die Scham!
Die Erkenntnis, dass es keine einfache Lösung gibt, ist schmerzhaft. Neben dem Blut, dem Schmerz und der Traurigkeit ist da auch ganz viel Scham. Es beschämt mich, plötzlich wieder Treffen absagen zu müssen, weil ich meine Tage habe. Es beschämt mich, meiner Wandergruppe zu sagen, dass ich wegen meinen Tagen nicht mit schwimmen gehen kann.
Ich schreibe diesen Text auch, um meiner Scham den Kampf anzusagen! Um nicht ganz alleine gegen die Scham kämpfen zu müssen, würde ich mir wünschen, dass es uns irgendwann gelingen wird, die Periode nicht mehr zu etwas ausschließlich Weiblichem zu machen.
Und den Blick dafür öffnen, dass nicht nur cis Frauen menstruieren können, sondern auch trans* Männer und nicht-binäre Menschen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bundestag bewilligt Rüstungsprojekte
Fürs Militär ist Kohle da
Kürzungen im Berliner Haushalt
Kultur vor dem Aus
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
BSW-Chefin im ZDF
Wagenknecht räumt Irrtum vor russischem Angriff ein
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren