Nach den Wahlen in Mexiko: Von Banden und Journalisten
Journalisten leben in Mexiko gefährlich. Ob die neu gewählte Präsidentin Sheinbaum daran etwas ändern kann, ist fraglich. Gedanken über einem Meskal.
B esuch bei Kolleginnen und Kollegen in Chilpancingo, der Landeshauptstadt des mexikanischen Bundesstaats Guerrero: Bei einem ausgiebigen Abendessen, Bier und ein paar Gläschen des Agavenschnapses Meskal sprechen wir über die jüngsten Wahlen in dem Land. „Gewonnen hat der Narco“, ist der langjährige Journalist Sergio Ocampo überzeugt. Die anderen Anwesenden stimmen zu: Wie so oft habe die organisierte Kriminalität auch am 2. Juni das Rennen gemacht.
Dabei denken sie weniger an Claudia Sheinbaum, die frisch gewählte künftige Präsidentin, die jüngst versprochen hat, sich für die Sicherheit von Medienschaffenden einzusetzen. In Guerrero wurden zeitgleich Lokalwahlen abgehalten. Und in der von Armut geprägten Region sind Politiker nur Marionetten. De facto regieren Mafiabanden und ebenso kriminelle „legale“ Unternehmer sowie bewaffnete autonome Selbstverteidigungskräfte, die im besseren Falle im Interesse jener agieren, die von den anderen bedroht, erpresst und skrupellos ausgebeutet werden.
Mittendrin befinden sich korrupte Justizbeamte und Polizisten sowie Nationalgardisten und Militärs, die allesamt nicht fähig oder erst gar nicht willens sind, rechtsstaatliche Verhältnisse zu garantieren. So etwa in La Palma, einer kleinen Gemeinde in den Bergen der Sierra. Die 20 dort stationierten Soldaten eines Lagers der Armee können nicht verhindern, das die Einheimischen regelmäßig mit Bomben angegriffen werden, die von Drohnen abgeworfen werden.
„Zonen des Schweigens“
Die Bewohnerinnen und Bewohnern weigern sich, einer kriminellen Bande „Steuern“, also Schutzgeld zu zahlen. Der letzte Angriff fand vier Tage nach der Wahl statt. Eine gute Woche später ermordeten Unbekannte den frisch gewählten Bürgermeister der Stadt Copala, wenige Tage danach fand man die Leiche des Gemeindepräsidenten der Ortschaft Malinaltepec in der Region Montaña.
Wo Gewalt dominiert und Rechtsstaatlichkeit ein Fremdwort ist, leben Journalisten gefährlich. Warum also sollten Ocampo und seine Kollegen daran glauben, dass sie nach der Wahl sicherer arbeiten können. Im Gegenteil: In Chilpancingo wurde ein Politiker zum Bürgermeister gewählt, der für die falsche Partei und damit für die falsche kriminelle Organisation arbeitet. Soll heißen: Durch den Machtwechsel könnte ein fragiler Waffenstillstand zwischen zwei Banden beendet sein und der Krieg wieder beginnen.
Ocampo, der unter anderem für die regierungsnahe Tageszeitung La Jornada schreibt, hat erlebt, was solche Eskalationen bedeuten: Raubüberfälle, Drohungen und tödliche Angriffe auf Medienschaffende. Auch die anderen Kollegen machen sich keine Illusionen: Weiterhin wird es „Zonen des Schweigens“ geben, also Regionen, über die niemand berichtet, weil es lebensgefährlich ist.
Guerrero besonders umkämpft
Guerrero zählt zu den besonders umkämpften Gebieten. In einigen Bundesstaaten herrschen ähnlich schwierige Verhältnisse, aber nicht in allen. So gesehen ist die Ankündigung Sheinbaums trotz allem ein Hoffnungsschimmer. Wenige Tage vor ihrer Wahl traf sich die Politikerin der gemäßigt linken Morena-Partei mit Reporter ohne Grenzen (ROG). Sie verpflichtete sich, 22 Maßnahmen anzugehen, um Journalisten mehr Sicherheit zu garantieren.
Dazu zählt etwa der Kampf gegen die Straflosigkeit durch die Stärkung des Justizsystems. Hoffen lässt auch, dass von der künftigen Präsidentin nicht zu erwarten ist, dass sie wie der noch amtierende Präsident Andrés Manuel López Obrador ständig gegen kritische Kolleginnen sowie Kollegen hetzt und diese so zu Freiwild erklärt.
Immerhin konnte Sheinbaum in ihrem bisherigen Amt als Bürgermeisterin von Mexiko-Stadt die Zahl der Morde verringern. Sie ließ viele Überwachungskameras installieren, erhöhte die Zahl der Polizeistreifen und sorgte für eine bessere Beleuchtung von Straßen. Das mag für die Hauptstadt funktionieren. Doch für Regionen wie Guerrero, wo Kriminalität und Korruption seit Jahrzehnten tief in die Gesellschaft eingeschrieben sind, braucht es weitergehende Konzepte. Und die müssen erst noch erfunden werden. Sheinbaums Vorgänger López Obrador ist daran leider gescheitert.
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