piwik no script img

Verkehrswende-Aktivist vor GerichtAmsel schießt zurück

VW klagt gegen eine satirische Website, die ihnen den Umstieg auf Straßenbahnbau unterstellt. Der beklagte Aktivist von Amsel44 sieht das als Erfolg.

Für eine Neuausrichtung von VW: Protest von Amsel44 vor dem Hauptliefereingang in Wolfsburg Foto: regios24/Imago

Bremen taz | Eine VW-Bahn. Ein VW-Bus. Ein VW-Lastenrad. „Unsere drei Prototypen aus dem neuen Stammwerk“ steht unter den Piktogrammen auf der Webseite „Volkswagen umbauen“. Darunter ein paar Zitate aus dem Jahr 2025, von VW-Mitarbeitenden und -bossen, die das neue VW-Portfolio, ganz ohne Autoproduktion, lobend hervorheben. Die Homepage verantwortet Tobias Rosswog – als Aktivist des losen Bündnisses Amsel44 kämpft er von Wolfsburg aus mit satirischen Mitteln für eine Verkehrswende bei VW.

Rufschädigend sei das, findet der VW-Vorstand – und will den Aktivisten zivilrechtlich belangen. Nur gut fünf Stunden bekam Rosswog vom Unternehmen Anfang Juni Zeit, um eine Unterlassungserklärung für zukünftige Anti-VW-Aktionen mit VW-Logo zu unterzeichnen – obwohl die Homepage zu diesem Zeitpunkt schon offline war. Rosswog unterschrieb nicht – am Dienstag fand nun die mündliche Verhandlung im Eilfahren statt.

„Das war der schönste Tag meiner Karriere“, sagt Rosswogs Anwältin Nina Onèr. Die Rechtsanwältin hat sich erst vor kurzer Zeit selbstständig gemacht. VW, also die Gegenseite, wird dagegen durch den bekannten Star- und Medienanwalt Matthias Prinz vertreten, mit mehr als vierzig Jahren Berufserfahrung.

Doch Anwältin Onèr konnte, so ihr Eindruck, das Gericht in weiten Teilen von ihrer Argumentation überzeugen. Die geht so: Die Satireabsicht lasse sich aus der beanstandeten Webseite leicht erkennen – nicht nur aufgrund der Zitate aus der Zukunft, sondern auch, weil die Seite mit einer Einladung zu Protestaktionen gegen VW aufmacht. „Auch ein Laie sieht auf den ersten Blick, dass hier nicht VW selbst spricht“, sagt Onèr.

Einschüchterung von Ak­ti­vis­t*in­nen

Dass der Aktivist Rosswog auf der Homepage das VW-Logo verwendet, hält sie ebenfalls nicht für angreifbar. „Marken sind nur vor markenmäßigem Gebrauch geschützt, aber hier sollte ja nichts verkauft werden.“ Insgesamt, berichtet Onèr, habe das Gericht bereits in der Verhandlung durchblicken lassen, dass die Website wohl durch die Meinungs- oder Kunstfreiheit gedeckt sei – genau festlegen wollte sich der Vorsitzende Richter noch nicht. Eine Entscheidung wird Ende Juli erwartet.

Und die Gegenseite? „Die wühlten nur noch wie wild in ihren Akten und wussten nichts mehr zu entgegnen“, schildert der Beklagte Rosswog seine Eindrücke aus dem Gerichtssaal. „Man konnte Mitleid bekommen.“ Ob das so war? Die Pressestelle des Landgerichts will sich zu möglichen Tendenzen im laufenden Verfahren nicht öffentlich äußern; Rechtsanwalt Prinz selbst verweist auf taz-Anfrage auf VW – und die bleiben in ihrer Antwort knapp.

Nicht immer geht es Klägern um Sieg oder Niederlage. „Schon der Streitwert der Unterlassungsklage von 350.000 Euro dient vor allem der Einschüchterung“, sagt Anwältin Onèr. Dass die Summe in dieser Höhe nicht durchgehen werde, habe der Richter sehr deutlich gemacht – und eher einen Streitwert von 25.000 Euro in Aussicht gestellt. „VW wollte einfach mit Kanonen auf Spatzen schießen“, vermutet Onèr.

Das Vorgehen ist nicht unüblich. Manche Prozesse sind Selbstzweck: Indem Privatpersonen von übermächtigen Gegnern mit Gerichtsverfahren überzogen werden, sollen sie eingeschüchtert werden und sich nicht weiter engagieren. Slapp heißt diese Strategie. Die Abkürzung steht für Strategic Lawsuit against Public Participation, strategische Prozesse gegen öffentliche Beteiligung also.

Bühne für Aktivismus

Doch die Strategie der Einschüchterung muss nicht aufgehen: Nicht nur Anwältin Onèr hat die Verhandlung genossen, auch der Beklagte Rosswog wertet das Gerichtsverfahren schon vor Abschluss als Erfolg: „Jede Klage zeigt uns, dass unsere Aktionen nicht einfach ignoriert werden können.“ Jeder Prozess sei die Einladung auf eine Art Theaterbühne – eine Möglichkeit, die nötige Verkehrswende als Thema zu platzieren und Resonanz in den Medien hervorzurufen. „Wir spielen da gerne mit.“

Das Gericht hat mittlerweile beiden Streitparteien einen Vergleich vorgeschlagen. VW schreibt dazu: „Das einstweilige Verfügungsverfahren wurde durch einen Vergleich beendet, in dem Volkswagen alle geltend gemachten Ansprüche zugesprochen bekommen hat.“

Doch das ist falsch: Tobias Rosswog hat den Vergleich noch gar nicht angenommen. Dafür müsste das Angebot schon sehr gut aussehen, sagt er. Ansonsten warte er die Entscheidungsverkündung des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens Ende Juli gelassen ab – und freue sich auf eine mögliche Hauptverhandlung. „Wenn du David gegen Goliath spielst, dann musst du es konsequent zu Ende spielen und nicht als Bittsteller enden“, sagt er.

In einer Hauptverhandlung könnten auch Zeugen geladen werden – die sich dann, so seine Hoffnung, öffentlich zu den ihnen in den Mund gelegten Zitaten äußern müssten. Unter anderem übernimmt in den fiktiven Zitaten der Webseite Wolfgang Porsche Verantwortung für die Zwangsarbeit in der NS-Zeit, und die aktuelle Zwangsarbeit für VW durch Uiguren. „Ich würde gerne sehen, wie er sich da rauswindet.“

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • Bei VW gibt es also einige Mitarbeiter aus dem mittleren bis oberen Management, denen es im Büro zu langweilig ist und denen nichts Besseres einfällt, als den Betreiber einer Satire-Webseite mit anwaltlichen Schriftsätzen und sogar einem Prozess zu belästigen. Für den Betreiber der Webseite ist das wohl die beste Werbung, die er bekommen konnte, für VW selbst ist es eher Anti-Werbung.



    Für mich ist Eines klar: Ich werde in Zukunft auf VW-Produkte konsequent verzichten. Meine nächste Straßenbahn wird also nicht von VW hergestellt worden sein.

  • Wäre die Straßenbahn mit Diesel oder Benzin angetrieben? Wir werden es wohl nie erfahren.