piwik no script img

Rechtsextreme MusikszeneNeue Genres, alte Botschaften

Die Rechtsrock-Szene beschränkt sich mittlerweile auf kleine Konzerte. Dafür sind neue Genres und neue Vertriebswege hinzugekommen.

Mittlerweile treffen sie sich eher im kleinen Kreis: Nazi-Fan 2019 bei einem Rechtsrock-Festival in Thüringen Foto: dpa/dpa-Zentralbild | Bodo Schackow

D ie Fußball-Europameisterschaft ist in vollem Gange und in Deutschland kommt wieder Party-Patriotismus auf. Eigentlich ein perfekter Anlass für die rechtsextreme Szene, auch musikalisch gegen die in ihren Augen zu divers besetzte deutsche Nationalmannschaft zu hetzen. Als 2006 die Weltmeisterschaft in Deutschland ausgetragen wurde, übernahm das die rechtsextreme Hooligan-Band „Kategorie C“ (KC). Sänger Hannes Ostendorf grölte damals: „Deutschland dein Trikot / Das ist schwarz und weiß / Doch leider auch die Farbe deiner Spieler“. Die Band tritt bis heute auf und gehört zu einer der beständigsten Rechtsrock-Formationen. Zur EM ist noch kein einschlägiger Hit aus der Rechtsszene aufgetaucht. Wie sieht die rechtsextreme Musikszene heute eigentlich aus?

„Die rechtsextreme Musikszene hat sich gewandelt, die politischen Botschaften sind jedoch geblieben“, sagt Thorsten Hindrichs. Der Musikwissenschaftler von der Universität Mainz beobachtet das Rechtsrock-Spektrum seit Jahren.

Der Wandel geht mit den Veränderungen des gesamten Musikmarktes einher. Viele Bands veröffentlichen ihre Musikprojekte heute über Streaming-Dienste und Videoportale. Ostendorf zum Beispiel preist seine Produkte aus dem eigenen Onlineversand über seinen Telegram-Kanal an. Im Angebot eine CD „Auf nach Walhalla“ oder ein T-Shirt mit der Aufschrift „Gott mit uns 25 Jahre KC“. Er bietet seine Musik auch auf der Internetseite eines Rechtsextremen aus Berlin an, „nun auch direkt erhältlich – also ohne Amazon, Apple & Co (…) Lieber direkt die Band unterstützen als amerikanische Großkonzerne“, schreibt er.

Die Musik aus der rechten Szene hat sich genremäßig erweitert: Rap- und Hip-Hop-Projekte entstanden. Auch Musiker aus der Identitären Bewegung griffen diese Stile auf. Neonazi Daniel Giese brachte mit „Gigi & Die braunen Stadtmusikanten“ Songs der Neuen Deutschen Welle neu heraus und veröffentlichte aus Solidarität mit dem NSU den Song „Döner-Killer“: „Neun Mal hat er es jetzt schon getan / Die Soko Bosporus, sie schlägt Alarm (…) Am Dönerstand herrscht Angst und Schrecken / Kommt er vorbei, müssen sie verrecken“.

Im Malle-Party-Sound gegen die „Scheiß“-Nationalmannschaft, „sie werden immer bunter“

Giese, der wie Ostendorf von „Kategorie C“ aus Niedersachsen kommt, wirkt noch bei „Stahlgewitter“ und „Zillertaler Virenjäger“ mit. Auf dem Album „Endzeit Party“ wetterten die „Virenjäger“ schon vor ein paar Jahren im Malle-Party-Sound gegen die „Scheiß“-Nationalmannschaft, „sie werden immer bunter“.

In der rechtsextremen Musikszene ist Karin Mundt aus Neumünster mit dem Alias „Wut aus Liebe“ eine der wenigen Frauen. Für die „Heimat“ – Ex-NPD – sitzt sie im Rat der schleswig-holsteinischen Stadt. Die Zeit für neue Songs scheint sie gerade nicht zu finden.

Noch überwiege in der Szene die klassische Rechtsrock-Oi-Musik, sagt Hindrichs. Bei den Konzerten ziehe dieses Genre auch mehr Fans „Ü 30“ an.

Hindrichs sagt, dass schon vor der Pandemie keine Großkonzerte mehr stattfanden, weil es sich wegen Alkoholverboten, Presse vor Ort und Protest der Zivilgesellschaft nicht mehr lohnte. Die Rechtsrock-Szene beschränke sich auf kleine Konzerte mit bis zu 200 Be­su­che­r*in­nen, die meist klandestin vorbereitet werden. Im schleswig-holsteinischen Neumünster traten zum Beispiel 2023 „Endstufe“, „Radikal“ und „Hart & Smart“ in einer Gartenkolonie auf. Als die Polizei die Veranstaltung auflöste, griffen Fans die Polizei an. Viele junge Rechts­rock­an­hän­ge­r*in­nen waren nicht gekommen. Die Szene attestiere sich selbst ein „Nachwuchsproblem“, sagt Hindrichs.

Die Begleitmusik für Mord und Totschlag erreicht aber dennoch Jugendliche. Im Netz kann Rechtsrock – ganz ohne Anbindung an die Szene – gehört werden. Die Zugriffe auf die Musik im Internet ist weit größer als die Szene, stellte auch der Verfassungsschutz Niedersachsen fest.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Andreas Speit
Autor
Rechtsextremismusexperte, Jahrgang 1966. In der taz-Nord schreibt er seit 2005 die Kolumne „Der Rechte Rand“. Regelmäßig hält er Vorträge bei NGOs und staatlichen Trägern. Für die Veröffentlichungen wurde er 2007 Lokaljournalist des Jahres und erhielt den Preis des Medium Magazin, 2008 Mitpreisträger des "Grimme Online Award 2008" für das Zeit-Online-Portal "Störungsmelder" und 2012 Journalisten-Sonderpreis "TON ANGEBEN. Rechtsextremismus im Spiegel der Medien" des Deutschen Journalistenverbandes und des Ministeriums für Justiz und Gleichstellung des Landes Sachsen-Anhalt. Letzte Bücher: herausgegeben: Das Netzwerk der Identitären - Ideologie und Aktionen der Neuen Rechten (2018), Die Entkultivierung des Bürgertum (2019), mit Andrea Röpke: Völkische Landnahme -Alte Sippen, junge Siedler, rechte Ökos (2019) mit Jena-Philipp Baeck herausgegeben: Rechte EgoShooter - Von der virtuellen Hetzte zum Livestream-Attentat (2020), Verqueres Denken - Gefährliche Weltbilder in alternativen Milieus (2021).