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Polizeieinsatz in HamburgSchüsse werfen Fragen auf

Ein Mann bedroht auf der Reeperbahn mit einem Schieferhammer und Molotowcocktail Umstehende. Die Polizei schießt. Musste das sein?

Tatort gesichert: Polizisten auf der Reeperbahn in Hamburg-St. Pauli am 16. Juni Foto: Bodo Marks/dpa

Hamburg taz | Die Hamburger Polizei hat nach ihren Schüssen auf der Reeperbahn darauf hingewiesen, dass ihre Beamten darauf achten müssten, sich selbst zu schützen. Allgemein gelte: „Auch wenn ein Angreifer sich einer Waffe entledigt hat, bedeutet das nicht, dass er nicht trotzdem noch über weitere Waffen wie Messer verfügen könnte.“ Ein solches Risiko sei immer mitzudenken.

Im konkreten Fall überprüfe die Dienststelle für interne Ermittlungen, ob die Polizisten am Sonntag zu Recht schossen. Der angeschossene Mann sei in den frühen Morgenstunden aus dem Krankenhaus entlassen und in die Untersuchungshaft überführt worden. Ein Haftrichter entschied am Montagnachmittag, den Mann in der Psychia­trie unterzubringen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ihn wegen des Verdachts des versuchten Totschlags und wegen eines Verstoßes gegen das Waffengesetz.

Der 39-Jährige aus Buchholz in der Nordheide war am Sonntagmittag in St. Pauli vor Passanten und Polizisten mit einem Schieferhammer und einem Molotowcocktail herumgelaufen. Auf einem Video ist zu sehen, wie er versucht, ein Absperrgitter zur Reeperbahn hin zu überklettern, jedoch abgedrängt wird. Ein Polizist besprüht ihn mit Pfefferspray. Andere Polizisten halten ihre Pistolen im Anschlag.

Der Mann läuft weg, die Silbersackstraße hinauf, Polizisten in Uniform hinterher. In der rechten Hand hält er den spitzen Hammer, in der linken eine Flasche, in deren Hals so etwas wie ein Fetzen Stoff steckt. Einige Passanten wirken unbeteiligt, andere laufen weg. Ein Polizist in Zivil stellt sich dem Mann mit erhobenen Armen gegenüber, offenbar mit der Pistole im Anschlag, ein anderer schießt in die Luft.

Fünf Schüsse fallen

Kurz darauf fallen mindestens fünf Schüsse. Der schwarz gekleidete Mann liegt bäuchlings auf dem Boden. Polizisten kümmern sich um ihn.

Ihre Einsatzkräfte hätten „unmittelbar die erforderliche Erste Hilfe geleistet“, teilte die Polizei mit. Nach Angaben des Krankenpflegers Ronald Kelm haben die Polizisten jedoch eine zufällig anwesende Intensivmedizinerin daran gehindert zu helfen, obwohl diese sich als solche zu erkennen gegeben habe. Stattdessen warteten die Beamten, bis „wenige Minuten später“ herbeigerufene Rettungskräfte zur Stelle waren.

Kelm koordiniert das Gesundheitsmobil, das Menschen ohne Obdach und Krankenversicherung kostenfrei medizinisch versorgt. „Dass man die Ärztin da nicht hingelassen hat, ist für uns sehr merkwürdig“, sagt er. Dabei hätte die sogar einen Notfallrucksack im Gesundheitsmobil gehabt. Sie wisse nichts von einer solchen Ablehnung, teilte die Polizeipressestelle mit.

Polizei in Mannschaftsstärke vor Ort

Kelms subjektivem Eindruck nach hat die Polizei ziemlich konfus agiert. Diese war uniformiert in Mannschaftsstärke vor Ort, weil kurz zuvor rund 13.000 niederländische Fußballfans auf der Reeperbahn vorbeidefiliert waren. Es gebe aber „keinen Zusammenhang zur organisierten Fußballgewalt“, sagte Liddy Oechtering von der Hamburger Staatsanwaltschaft. Der Beschuldigte habe sich zu seinen Motiven nicht geäußert.

Die Polizei verweist darauf, dass es sich um eine „sehr dynamische Einsatzlage“ gehandelt habe, die glücklicherweise nicht zum Alltag gehöre. „Der Einsatz der Schusswaffe ist dabei die Ultima Ratio“, teilte die Polizei mit.

15 Sekunden dauert der Vorgang

Im Video dauert der Vorgang vom Herumlaufen vor der Absperrung bis zu den Schüssen nur 15 Sekunden. Gegen Ende der Sequenz soll der Mann versucht haben, den Molotowcocktail anzuzünden. Das Hamburger Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (SOG) erlaubt den Schusswaffeneinsatz, um Vergehen zu verhindern, die „unter Anwendung oder Mitführung“ von Sprengstoffen begangen werden sollen, worunter auch ein Molotowcocktail fallen kann.

Der Einsatz der Schusswaffe ist dabei die Ultima Ratio

Polizei Hamburg

Dass die Polizei nicht versuchte, mit Schlagstöcken gegen den Mann vorzugehen, erklärte sie, wieder aufs Grundsätzliche verweisend, mit dessen „sehr kurzer Distanz“ beim Einsatz. Um sich selbst zu schützen gilt für Polizisten die Regel, sieben Meter Abstand zu halten, sobald ein Messer im Spiel ist, was in dem konkreten Fall jedoch nicht der Fall war.

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28 Kommentare

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  • Liebe Taz, vielleicht wäre die Einführung eines VAR für Festnahmen eine Möglichkeit an Ort und Stelle über die Verhältnismäßigkeit des Einsatzes zu entscheiden.

  • 6G
    608196 (Profil gelöscht)

    Generell verfestigt sich mein Eindruck, dass Polizeibeamte*innen zunehmend überfordert sind, wenn Gewalt von Bürgern*innen ausgeht.



    Zu jung, falsche Vorstellungen vom Job, schnell und schlecht ausgebildet und dann eine Politik die nun nach Jahrzehnten der politisch gewollten Verrohung der Menschen staunend und wie gelähmt vor dem steht, was ihre Innenminister so säten.



    Ich habe in jungen Jahren viele Jahre in einigen der gefährlichsten Milieus gearbeitet. Habe unzählige Male Messer, scharfe Waffen und auch Handgranaten gegenüber gestanden...und nie ist etwas ernstes geschehen. (Tür a d Reeperbahn, im Kietz, in Bremen, in Hannover, etc.)



    Damals waren Polizisten, die wir riefen deutlich souveräner als das was Heute Recht & Ordnung sichern soll. Wir hatten die Jungs meist bereits befriedet. Durch Gespräche oder durch angemessen justierten Zwang. Aber nie durch rohe Gewalt und schon gar nicht mit Waffengewalt.



    Ich fühle mich bei diesen jungen Beamten*innen mit Waffen an der Seite und in Kampfmontur nicht sicherer. Im Gegenteil.

    • @608196 (Profil gelöscht):

      Ein Türsteher hat gut reden, da er mehr Respekt genießt als ein Polizeibeamter.

      Solange die Polizei nicht über Taser verfügt, soll und muss sie halt bewaffneten Straftätern mit den Mitteln gegenübertreten, die ihr zur Verfügung stehen.



      CASIO hat es auf den Punkt gebracht.



      Leben und Gesundheit der Polizisten schätze ich höher ein als das Wohlbefinden von Gewalttätern.



      Was die psychisch kranken Täter angeht: Polizisten haben nicht die Zeit für eingehende Untersuchungen und Analysen, hier geht es um Sein oder Nichtsein.

    • @608196 (Profil gelöscht):

      Die Auszubildenden bei der Polizei sind im Schnitt nicht jünger als früher.

      In manchen Bundesländern eher älter

      Die Ausbildung ist auch nicht schneller geworden.

  • "Psychisch erkrankte" Täter machen ein Tatgeschehen eher gefährlicher als es zu diskulpieren. "Psychisch kranke" Täter reflektieren nicht, sind selten ansprechbar und die Folgen ihres Handelns sind ihnen häufig egal. Ich hätte mehr Angst vor einem "Psychisch kranken" Täter als vor einem rational handelnden Gewalttäter.

  • Warum werden Polizist*innen immer unter Verdacht gestellt, als dass die gerne Menschen abknallen? NIEMAND sollte mit einer Axt und einem Brandsatz auf eine Menschenmenge zulaufen. Welchen Sinn soll das ergeben? Die Konsequenzen können tödlich sein.

    • @casio:

      Sie sind hier in einem sagen wir "polizeiskeptischen" Soziotop, um mal auf Neusprech zurück zu greifen. So ist auch aus einem Schuß ins Bein (was echt mal konziliant war, angesichts der Bedohungslage) ein "tödlicher Schuß" geworden, so dass die Meldung korrigiert werden musste. Manchmal würde man gerne zurückfragen "Musste das sein?". Zuweilen macht eingeübte Skepsis eben blind und zugleich erfinderisch.

  • Gut gehandelt, Danke Polizei.



    Nun müsst ihr halt noch das leider schon übliche "musste das sein" Spießruten-Laufen aushalten.

  • Welche 'tödlichen Schüssen' meint der Autor?



    Der Angreifer hat lediglich einen Schuss ins Bein abbekommen, bei den restlichen Schüssen handelte es sich meines Wissens um Warnschüsse.



    Wie auch immer:



    Der Beschuldigte lebt und befindet sich jetzt in der Psychatrie.

    • Paula , Moderatorin
      @Steinchen Frank:

      Die Redaktion hat die Überschrift korrigiert, vielen Dank für den Hinweis.

      • @Paula:

        Wie kann so ein eklatanter Fehler



        passieren oder war KI am Werk?

  • In der Überschrift ist von tödlichen Schüssen die Rede, dies paßt jetzt irgendwie nicht zum Sachverhalt, oder sind potentiell tödliche Schüsse gemeint?

  • Natürlich sollte auch dieser Einsatz im Nachhinein analysiert werden und alle Beteiligten (von den bisherigen Behandler_innen, über die Mutter, das Barpersonal bis hin zur Polizei) etwas daraus lernen wie man es besser machen könnte. Platte Polizeikritik ist aber in diesem Moment erstmal die falsche Reaktion

    • @VivaHamburgo:

      kann keine platte Polizeikritik erkennen. Artikel leistet gute Ansätze zur nötigen Analyse. Gerade wenn die Öffentlichkeit nicht drauf sieht haben sich unsere Ordnungshüter in der Vergangenheit die Analyse gespart u lieber mehr Aktivität aufs vertuschen gelegt.

      Gerade in diesen volatilen Zeiten, indem Politiker gern mal nach mehr Polizei u härterem Vorgehen d. P. rufen – zusammen mit den sozial u wirtschftl schlechteren Zeiten, haben wir schnell Zustände wie in Amerika, wo die Polizei zuerst schießt u dann fragt.

      • @ingrid werner:

        fast ohne Worte - Polizisten haben nicht nur das Gewaltmonopol - sondern auch das Recht ihren Einsatz zu überleben.

        de.wikipedia.org/w...t_gegen_Polizisten

        • @zartbitter:

          Richtig, und Missbrauch dieser Sonderrechte zu kontrollieren geschweige denn zu ahnden ist äußerst schwierig. Da kommt es dann zu Erinnerungslücken, abgesprochenen Aussagen und Gegenanzeigen zwecks Einschüchterung. Von daher ist Öffentlichkeit herzustellen eine gute Sache.

  • Also grundsätzlich stimme ich den meisten Kommentatoren hier zu: 'Zurückhaltender' Schusswaffeneinsatz kann hier gerechtfertigt sein. Aber wenn man sich das Video anschaut, dann frage ich mich, ob das nicht auch ziemlich gefährlich war, wenn man die Anzahl der umstehenden Passanten berücksichtigt, v.a. bei so vielen Schüssen. Querschläger?

    • @Anna Bell:

      „Querschläger“ sind weder so gefährlich wie zahlreich, wie uns Kino & co. glauben machen. In erster Linie besteht Gefahr in direkter Schusslinie, das gilt auch wenn das Projektil in flachem Winkel abgelenkt oder zersplittern würde.

  • Und die TAZ tut's schon wieder.

    "Vorsichtshalber lieber Schießen", "Tödlicher Einsatz", Polizei erschoss 2022 10 Menschen", "Fehlerhaftes polizeiliches Handeln", so heißen die Überschriften in der TAZ. Und im Text steht dann mal schnell was von "warum greifen Polizisten bei psychisch Kranken so schnell zur Waffe?". Oder das beliebte "rechtsextreme Netzwerke", das gibt es auch mal, insbesondere wenn ein Mensch mit Migrationshintergrund und Messer erschossen wurde.

    Und dann wundert man sich beim Betrachten des grauenvollen Videos von Mannheim darüber, wie nur ein einziger der anwesenden Polizeibeamten sich ermannt, die Dienstwaffe zu ziehen und auf den Attentäter zu schießen.

    Da rennt nun einer mit einem "spitzen Hammer" und einem Molotowcocktail durch St. Pauli, ob psychisch erkrankt oder nicht, spielt da mal keine Rolle. Der gefährdet die Menschen dort und die Polizei ist dafür da, dass das eben nicht passiert.

  • Hat der Autor aus dem Polizistenmord in Mannheim nichts gelernt. Scheinbar nicht. Ein Schlag mit dem Schieferhammer ist auch tödlich. Und ein Molotowcocktail auf Menschen ist kein Sonnenbrand.

  • Ich darf daran erinnern, das kürzlich ein Polizist in Mannheim im Einsatz ums Leben kam. Schon wieder vergessen?

  • Ein aggressiver, bewaffneter Täter mit einer Hiebwaffe und einem Molotowcocktail. In einer belebten Straße mit Geschäften, mit Nähe zu einer Fanveranstaltung. Der Polizisten angreift. Bei aller Liebe. Wir hatten in der Vergangenheit schon deutlich unklarere Situationen. Der Täter wurde an den Beinen getroffen. Konnte dingfest gemacht werden. Ausser dem Täter wurde niemand verletzt. Für mich war der Schußwaffeneinsatz gegeben.



    Die Polizei hat das getan für das sie eingesetzt war. Andere zu schützen. Fertig.



    Wenn Sie im Eisatz einen Schlagstock nutzen wollen müssen sie an die Person heran. In diesem Fall die klar schlechtere Option.

    Im Büro zu sitzen, sich ein Video dreissig Mal hintereinander anzusehen und dabei Ideen zu entwickeln wie man die Situation "Anders hätte lösen können" ist ein bisschen vermessen.

  • Sollten erst Menschen von dem Mann angegriffen werden?



    Ich sehe nichts, was es an dem Einsatz auszusetzen gibt! Er wurde ja nicht erschossen (was woanders durchaus üblich ist)!

  • Ein Mann läuft auf der Reeperbahn mit Messer und Molotowcocktail herum und bedroht Umstehende. Musste das sein?

    Das wäre die erste Frage, die mir durch den Kopf geht - und nicht, ob die Polizei ihn mit einem Schuss stoppt.

  • Soll dich ein Polizist etwas von einem Molotow Cocktail verbrennen oder von einem Schieferhammer erschlagen lassen? Scheinbar hat der Taz-Kommentator nichts von Mannheim gelernt - der Selbstschutz der Polizisten und der Schutz Unbeteiligter geht vor.

  • Ein Latthammer ist durchaus so gefährlich wie ein Messer.



    Ganz simpler Tip: einfach keine Messer, Hammer, Brandsätze oder (Schreck-) Schusswaffen o.ä. mitnehmen, dann klappt’s auch mit der Polizei!

  • "Die Polizei greift ein und schießt. Musst das sein?"!



    Ja das muss sein, zu lange hat sich die deutsche Polizei strafbar ihre eigene Sicherheit vernachlässigt! Die Welt ist nicht mehr wie vor 20 Jahren!