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Ausstellung im Jüdischen MuseumJüdischer Sex zum Anschauen

Enthaltsamkeit ist keine Option. Eine Ausstellung im Jüdischen Museum Berlin widmet sich dem jüdischen Sex.

Bilder körperlicher Liebe: Elinor Carucci, „Eran and I, 2016“ aus der Serie „Midlife“ Foto: Elinor Carucci und Edwynn Houk Gallery

Die Religionen tun sich mit dem Sex schwer. Besonders das Christentum hat sich lange Zeit dem Kampf gegen den Eros verschrieben. Die katholische Kirche privilegiert bis heute Lebensformen wie das zölibatäre Priestertum, die „um des Himmelreiches willen“ (Matthäus 19,12) auf Sexualität verzichten.

Die Ausstellung mit dem zweideutigen Titel „Sex. Jüdische Positionen“ im Jüdischen Museum Berlin stellt dagegen freimütig die Sexualität ins Zentrum. Sie zeigt in etwa 140 Objekten, wie das Judentum die biblische Forderung „Seid fruchtbar und mehret euch!“ (1. Mose 1,28) über die Jahrhunderte interpretierte. Altes und Neues, Texte, Kunstwerke oder historische Artefakte stehen auf 800 Quadratmetern unbefangen nebeneinander. Traktate mittelalterlicher Rabbiner treten mit den Porträts halbnackter Männer aus orthodoxen Gemeinschaften oder den umstrittenen BDSM-Fantasien der israelischen Dichterin Yona Wallach (1944–1985) in Austausch.

Die Ausstellung möchte die ganze Vielfalt jüdischer Auseinandersetzung mit der Sexualität sichtbar machen und verzichtet deshalb auf allzu klare Wertungen, die eine bestimmte Perspektive verabsolutieren könnten. Einzig die Feststellung, dass Enthaltsamkeit keine Option ist, hält das Judentum zusammen.

Irgendwie muss mit dem Sex umgegangen werden. Deshalb faszinieren in der Ausstellung besonders die Versuche, der Tradition angesichts einer über die Jahrhunderte gewandelten Sicht auf Sexualität neuen Sinn abzuringen. Die Tradition darf nicht sterben, sondern soll Gegenstand der kritischen Auseinandersetzung bleiben. Obwohl das orthodoxe Judentum keine „Ehe für alle“ kennt, ist zum Beispiel die Ketubba der Fotografin Gay Block und der Rabbinerin Malka Drucker zu sehen.

Die jüdische Tradition wird gequeert und gleichzeitig bewahrt

Das lesbische Paar hat sein Hochzeitsbild auf den traditionellen Ehevertrag montiert und diesen wiederum auf den Stoff seines Hochzeitskostüms geklebt. Die jüdische Tradition wird auf diese Weise gequeert und gleichzeitig bewahrt.

Ähnliches leistet eine Serie handkolorierter Lithographien der feministischen Künstlerin Judy Chicago mit dem Titel „Voices from the Song of Songs“. Sie illustrieren Passagen aus dem alttestamentlichen Hohelied des Königs Salomo, das metaphernreich die Begegnung zweier Liebender beschreibt und durch teils explizit erotische Passagen besticht.

Wenn die Geliebte im Text mit einer Palme verglichen wird, stellt Chicago den Be­trach­te­r*in­nen eine Palme mit menschlichen Gliedmaßen vor Augen, die eine andere Person umarmt. Die Lithographie dient der Künstlerin auf diese Weise als exegetischer Kommentar, der einem zeitgenössischen Publikum den bleibenden Gehalt der hebräischen Bibel erschließen kann.

Von dort ist es zu einem vollständig mystischen Verständnis von Sexualität nicht mehr weit. Ein Zitat des Kabbalisten Moses Cordovero (1522–1570), das in Ockergelb an die Wand geklebt wurde, preist den Geschlechtsverkehr gar als besondere Möglichkeit der Gottesbegegnung: „Die Ehe und Vereinigung von Mann und Frau ist ein Zeichen für eine Verbindung von ganz oben“.

Die Ausstellung möchte einen positiven Blick auf Sexualität vermitteln

Die Ausstellung feiert den jüdischen Sex, möchte einen positiven Blick auf Sexualität vermitteln und ist daher zu Recht in poppigem Pink aufgemacht. Allerdings fehlt ihr gelegentlich der Blick für die dunklen Seiten des Sexuellen. Zwar konfrontiert ein Ausstellungsraum die Be­su­che­r*in­nen mit pornografischen Romanen, die auf drastische Weise den sexuellen Missbrauch alliierter Kriegsgefangener durch deutsche SS-Wärterinnen in sogenannten Stalags („Stammlager“) schildern. Diese Heftchen, lernt man, erfreuten sich in Israel bis zu ihrem Verbot während des Eichmann-Prozesses 1961 großer Beliebtheit.

Dass Religionen sexualisierte Gewalt befördern oder religiöse Institutionen Tatorte sein können, spielt in der Ausstellung aber keine Rolle. In Israel ist der Fall des ultraorthodoxen Kinderbuchautors und Therapeuten Chaim Walder (1968–2021) einschlägig. Er soll über Jahrzehnte die Hilfsbedürftigkeit seiner teils minderjährigen Kli­en­t*in­nen ausgenutzt und sie sexuell missbraucht haben. Walder wurde nach Bekanntwerden der Vorwürfe von einem Rabbinatsgericht für schuldig befunden. Ak­ti­vis­t*in­nen kritisierten aber, dass sich die religiösen Autoritäten zu wenig für die Betroffenen eingesetzt hätten.

Nicht zuletzt sehen Be­su­che­r*in­nen der Schau an, dass sie wahrscheinlich vor dem Überfall der Hamas am 7. Oktober 2023 konzipiert wurde: Vergewaltigung als besonders entwürdigende Form der Kriegsführung gegen Jüdinnen liegt noch nicht im Horizont der Ausstellungsmacher*innen.

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