BDSM und Christsein: Auch die andere Wange

Beim Kirchentag ist der Arbeitskreis BDSM und Christsein vertreten. Wie passen harte Schläge mit dem vermeintlich sanften Christenglauben zusammen?

An einem Andreas-Kreuz hängen Handschellen und eine Peitsche

Gefesselt vom Herrn und der heiligen Schrift Foto: Elizabeth D. Herman/TNYT/laif

BERLIN taz | Eine Peitsche und ein Seil, geformt zu einem Kreuz. Rechts darunter die Bibel, links stählerne Handschellen. In Halle 1, Themenbereich „Lebensführung und Zusammenleben“, präsentiert sich beim Evangelischen Kirchentag der Arbeitskreis BDSM und Christsein, ein Grüppchen, das über „sadomasochistische Sexualpräferenzen aus christlicher Sicht“ informieren will.

Doch wie gehen harte Schläge mit dem vermeintlich sanften Christenglauben zusammen? Und was sagen jene, die mit der Gewalt lustvoll spielen, zur sexualisierten Gewalt im Raum der Kirche?

BDSM steht für Bondage (Fesselung), Disziplinierung, Sadismus und Masochismus. Letztere Vorlieben tragen die Namen zweier Schriftsteller, des französischen Marquis de Sade (1740–1814) und des Österreichers Leopold von Sacher-Masoch (1836–1895). Die gewaltpornografische Literatur der beiden beschreibt die Lust an Züchtigung und Schlägen.

Am BDSM-Stand in Nürnberg wird Markus präsent sein. Der Wahlberliner will Öffentlichkeit für die Sache, seinen Nachnamen jedoch nicht veröffentlicht sehen. Mit de Sade und Sacher-Masoch habe die heutige BDSM-Szene nicht mehr viel zu tun, sagt der 50-Jährige der taz. Was in den Romanen beschrieben sei, führe zum Schaden der Beteiligten, teils zum Tod. BDSM im Sinne des Arbeitskreises sei „intensive Körperlichkeit, intensive zwischenmenschliche Interaktion“.

Machtgefälle muss einvernehmlich sein

Auf dem Kirchentag will Markus Chris­t:in­nen mit einer ähnlichen Präferenz sagen, dass sie okay seien, „dass wir allesamt als begnadigte Sünder mit Gottes Liebe beschenkt werden, ohne etwas dafür tun zu müssen“. Bis er das selbst so sehen konnte, war es für Markus ein langer „Kampf gegen den frommen Rahmen“.

In einem schwäbischen Dorf ist er aufgewachsen, katholisch getauft, der Tradition halber. Ein Film lässt ihn mit acht Jahren sexuell erwachen: „Wüstenräuber überfielen eine Karawane und legten die erbeuteten Frauen in Ketten. Die Gefühlsexplosion, die diese Bilder in mir auslösten, stellte alles in den Schatten, was ich bis dahin empfunden hatte“, sagt Markus. Doch er sei überzeugt davon gewesen, dass er aus der menschlichen Gemeinschaft ausgeschlossen würde, „wenn jemand merkt, was da in mir tobt“.

Im Jahr 2003 entschied Markus sich, ernsthaft als Christ zu leben, jetzt evangelisch. Der Konflikt zwischen seinem SM-Begehren und seiner Liebe zu Jesus spitzte sich noch zu. Bis er in einem BDSM-Onlineforum seine Frau kennenlernte, die ebenfalls Christin ist. Bis er im Arbeitskreis BDSM und Christsein Kontakt zu Leuten fand, die auch „ein bisschen komisch sind und darüber sprechen wollen“.

1999 ist der Arbeitskreis entstanden, aus einer Kontaktanzeige im Hamburger Szenemagazin Schlagzeilen. 50 Menschen stehen heute auf seiner Mailingliste, zwischen 12 und 20 Leute sind bei den monatlichen Onlinetreffen dabei. Die Signalwirkung sei aber deutlich größer, da ist man sich in der Gruppe sicher. Zweimal im Jahr gibt es ein Bundestreffen, mit Andachten und Gesprächen über Glaubensthemen und Praktiken. Einige stehen auf Fesselspiele nach dem Vorbild des japanischen Shibari, andere auf Züchtigungsszenarien in Leder- oder Tierkostümen. Der Konsens: Das Machtgefälle muss einvernehmlich sein.

Doch selbst aus Sicht fortschrittlicher evangelischer Ethi­ke­r:in­nen ist das leichter gesagt als praktiziert. „Fragwürdig bleibt der Sadomasochismus als Sexualpräferenz, weil das verantwortungsvolle Spiel mit Macht und Ohnmacht eine große Bewusstheit und Empathie voraussetzt, die im sexuellen Vollzug der oft extrem energetisch gespeisten Ekstase ausgeübt werden müssen“, schreibt eine Gruppe um Peter Dabrock und Cornelia Helferich in „Unverschämt – schön: Sexualethik: evangelisch und lebensnah“, eine Handreichung, die ursprünglich als EKD-Denkschrift geplant war.

„BDSM hat nichts mit Gewalt zu tun“

Auch aus feministischer Warte gibt es Kritik an BDSM, etwa von Alice Schwarzer oder Eva Illouz. Selbst wenn die „erbeuteten Frauen in Ketten“ nur eine Fantasie waren, selbst wenn Frauen freiwillig die passive Rolle im Züchtigungsspiel annehmen: Ist die gesellschaftliche Struktur dahinter nicht eine von männlicher Macht über Frauen?

„Nein, das sehe ich nicht so“, sagt Petra vom Arbeitskreis BDSM und Christsein. Auch die 53-Jährige ist beim Kirchentag dabei, auch sie will ihren Nachnamen nicht in der Zeitung lesen. BDSM gehe in beide Richtungen: „Es gibt ja auch Dominas, die Männer dominieren.“ 25 Jahre lang sei sie mit einem Nicht-BDSMler verheiratet gewesen, sagt die Lübeckerin. Mit ihrem Mann habe sie eine Vereinbarung gehabt, die ihr erlaubte, ihren BDSM-Vorlieben nachzugehen. Seit acht Jahren ist sie verwitwet und steht offen zu ihrer BDSM-Leidenschaft. Trotz Gegenwind aus ihrer Kirchengemeinde.

Markus, BDSM und Christsein

„BDSM wie Kirche geben einen sicheren Rahmen. Aber …“

Sie selbst nehme gerne die Rolle der Devoten ein, sagt Petra. „Ich kann die andere Seite auch, aber sie gibt mir nichts.“ Dass auch Frauen mit Frauen und Männer mit Männern BDSM praktizierten, verdeutliche zusätzlich, dass es nicht um die gesellschaftliche Unterwerfung der Frau gehe. Und, darauf besteht Petra: „BDSM hat nichts mit Gewalt zu tun.“ Gewalt, sexualisierte Gewalt, sei immer nicht einvernehmlich.


Doch wie stellt man tat­sächliches Einvernehmen her? Für Markus ist dabei die ge­meinsame Reflexion der eigenen Bedürfnisse entscheidend, wie sie im Arbeitskreis stattfinde. Nicht zuletzt als Regulativ in der Szene. „BDSM scheint erst einmal einen sicheren Rahmen zu geben, wie die Kirche auch“, sagt Markus. Dahinter gebe es allerdings auch Menschen, die diesen Rahmen ausnutzten, den Konsens nur scheinbar ein­gingen. „Ich finde, das ist auch etwas, worüber man sprechen muss. Bevor einem die ­Befreiung von den Sexualnormen eruptiv um die Ohren fliegt.“

Wenn Verantwortung und Sicherheit ernst genommen würden, wäre BDSM aber das Gegenteil von Missbrauch. Es gehe nicht darum, „Kopulation hinzukriegen, die ein paar Minuten dauert und meine Lust befriedigt, sondern sich sehr nah zu kommen. Sehr genau hinschauen zu müssen.“ Beim Tango sei es ganz ähnlich, das Führen und Folgen.

Kritische Nachfragen vor Ort

Im Paartanz, aber auch im Neuen Testament sieht man im Arbeitskreis Analogien zu BDSM. Darin gebe es „eine generelle Tendenz, in der die Niederlage und die Schwachheit in den Sieg und in die Herrlichkeit umgewandelt werden“, heißt es auf der Webseite. Begriffe wie „Gehorsam“, „Demut“, „Hingabe“ seien im christlichen Glauben ebenso zentral wie im BDSM. „Christus selbst wird über die Erniedrigung ‚erhöht‘, wie es im Philipper-Hymnus, einem sehr frühen christlichen Glaubensbekenntnis, heißt: ‚Er war Gott gleich, / hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein, / sondern er entäußerte sich / und wurde wie ein Sklave …‘“

Denker wie Friedrich Nietzsche oder Theodore Reich kritisierten die „masochistische Struktur“ des Christentums. Der Arbeitskreis feiert sie. Ohne biblische Anleihen und wesentlich vorsichtiger formulieren aber auch die Ethi­ke­r:in­nen um Dabrock und Helferich: „Solange die Kriterien von Freiwilligkeit, der Lebensdienlichkeit und des Schutzes der Beteiligten […] gewahrt bleiben, müssen sadomasochistische Neigungen moralisch nicht verworfen werden.“ Eine generelle Ächtung würde die potenziellen Gefahren eines Kontrollverlustes erhöhen.

Doch konservative Kräfte in der evangelischen Kirche verhinderten 2015, dass „Unverschämt schön“ zur EKD-Denkschrift wurde. Und auch bei den Kirchentagen hatten sexuelle Minderheiten nicht immer einen Stand, schon gar keinen leichten. Als der Kirchentag 1979 schon einmal in Nürnberg stattfand, war die Teilnahme der Ökumenischen Arbeitsgruppe Homosexuelle und Kirche noch umstritten. Die Veranstalter hatten Bedenken, es kam zu Übergriffen von Evangelikalen.

Seit 2005 sind die Sadomaso-Jünger:innen dabei. Der „Arbeitskreis entspricht der Idee von Kirchentag“, sagt eine Sprecherin auf taz-Anfrage und meint damit eine breite Vielfalt an „gemeinnützigen Gruppen aus Kirche und Gesellschaft“. Sexuelle Minderheiten gehörten heute selbstverständlich dazu. Es habe im Vorfeld keine Beschwerden über die Teilnahme des Arbeitskreises gegeben, dennoch „kann es sein, dass vor Ort kritische Nachfragen kommen“.

Markus und Petra stellen sich darauf ein, dass sie auch in diesem Jahr wieder die sprichwörtliche Wange hinhalten müssen. Markus sagt: „Wir kämpfen nicht gegen die Institution, sondern wollen ergänzen, was dort nicht abgebildet wird.“ Auch Petra fordert nichts – außer Akzeptanz.

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