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Pastorin über Rassismus„Jesus war ein Systemkritiker“

Sarah Vecera ist evangelische Theologin. Ein Gespräch über Rassismus in der Kirche, Hagar als Vorbild und wie Jesus weiß wurde

„Mein Glaube ist Teil meiner Identität.“ Sarah Vecera in den Räumen der Vereinten Evangelischen Mission in Wuppertal Foto: Jörn Neumann
Sabina Zollner
Interview von Sabina Zollner

An einem grauen Tag im Mai sitzt Sarah Vecera in einem Konferenzraum in der Vereinten Evangelischen Mission in Wuppertal. Vecera trägt einen pinken Cardigan, sie hat ein breites, offenes Lächeln. Auf dem Tisch liegen Brötchen und Kekse auf Tellern bereit. Nach Kirche fühlt es sich hier wenig an, der braune 60er-Jahre-Bau mit einer großen Fensterfront erinnert eher an eine Schule. Im Büro ist Vecera nur ein oder zwei Mal pro Woche, sonst ist die Bildungsreferentin im Home Office, arbeitet an ihrem Podcast, hält Lesungen oder ist auf Workshops unterwegs, in denen sie Kir­chen­mit­ar­bei­te­r:in­nen über Rassismus aufklärt. Gerade schreibt sie zudem an einer vielfaltssensiblen Kinderbibel.

wochentaz: Frau Vecera, Sie sind seit Ihrer Kindheit regelmäßig in der Kirche. Wie war Ihre Erfahrung dort als Schwarze Frau?

Im Interview: Sarah Vecera

ist Theologin, Autorin und Bildungsreferentin im internationalen Bildungsteam der Vereinten Evangelischen Mission (VEM). Sie ist 1983 in Oberhausen im Ruhrgebiet geboren. Durch ihr Buch „Wie ist Jesus weiß geworden? Mein Traum von einer Kirche ohne Rassismus“ ist sie eine starke Stimme gegen Rassismus in der deutschen evangelischen Kirche geworden und klärt regelmäßig im Podcast „Stachel&Herz“ mit ihrer Kollegin Thea Hummel über Diskriminierung in der Kirche auf.

Sarah Vecera: Ich war in einem katholischen Kindergarten, im evangelischen Kindergottesdienst und auf einer Montessorischule im Ruhrgebiet, das war alles schon ein sehr weißer Raum. Über Fragen, die mir gestellt worden sind, habe ich immer gemerkt, dass ich nicht der Norm entspreche. Als ich als Teenager in die evangelische Jugend kam, hat sich das geändert. Die Kirche wurde für mich zu einem Ort, an dem ich Zugehörigkeit erfahren habe. Es waren dort auch andere Menschen of Color, es wurde nicht gefragt, wer woher kommt, wir waren alle Teil dieser Gemeinschaft. Das war für mich damals ein ganz besonderes Gefühl und wichtig für meine Identitätsbildung.

Inwieweit spielte der christliche Glaube in Ihrer Familie eine Rolle?

Ich komme aus einer evangelischen Arbeiterfamilie aus dem Ruhrgebiet und bin bei meinen Großeltern aufgewachsen. Mein Opa hat ehrenamtlich Kindergottesdienst gemacht, von daher hat sich Kirche schon immer sehr familiär angefühlt. Gleichzeitig habe ich von klein auf mitbekommen, dass Kirche eine andere Form von Gerechtigkeitsdenken hat. Das habe ich vor allem über die Figur von Jesus gelernt: Er hat an vielen Stellen Reichtum abgelehnt und ist auf Menschen zugegangen, die am Rande der Gesellschaft lebten.

Hat Glaube für Sie immer auch eine politische Dimension?

Mein Glaube ist Teil meiner Identität, genauso wie meine Auseinandersetzung mit Unterdrückungsmechanismen. Das war aber auch ein langer Prozess. Durch meine Familie und die Kirche hatte ich für vieles ein Gefühl, aber konnte es noch nicht in Worte fassen. Das änderte sich, als ich nach der Schule ein Jahr für einen Freiwilligendienst mit der Vereinten Evangelischen Mission nach Tansania gegangen bin. Das hat mich politisiert, weil ich dort Menschen kennenlernte, die eine Sprache für mein Empfinden hatten.

Inwiefern?

Als Schwarze Deutsche in einer ehemaligen deutschen Kolonie zu sein, hat meinen Blick auf die Welt sehr verändert. Ich habe gelernt, wie Eurozentrismus und Kolonialismus bis heute nachwirken. In Begleitseminaren habe ich einen kritischen Blick auf White Savorism gelernt und verstanden, wie europäische Menschen in den Globalen Süden reisen, um dort Menschen zum Objekt ihrer Nächstenliebe zu machen. Diese Form der Entwicklungsarbeit ist ja auch sehr kirchlich geprägt. Es wird dabei zwar gerne von Begegnungen auf Augenhöhe gesprochen, aber Machtdynamiken wirken, wir sind nicht im luftleeren Raum miteinander.

Wie können diese Machtdynamiken durchbrochen werden?

Man kann beispielsweise bestimmte Bilder einfach weglassen. Mit einem Patenkind in Afrika kann man zwar mehr Spenden generieren, denn Rassismus verkauft sich gut, aber man reproduziert ein koloniales Abhängigkeitsverhältnis.

Ein afrikanisches Kind finanziell zu unterstützen ist rassistisch?

Es ist problematisch, weil es lediglich individuell hilft, aber nicht die Struktur ändert. Im Vordergrund steht, emotionale Abhängigkeitsverhältnisse fortzuführen und nicht das System zu verändern. Diese Bilder nicht mehr zu verwenden, kann ein Ansatz sein. Das bedeutet zwar de facto einen Verlust von Spendeneinnahmen, aber wir müssen Strukturen schaffen, in denen Geld auf andere Art und Weise zusammenkommt. Die Vereinte Evangelische Mission macht das zusätzlich über Mitgliedsbeiträge oder Drittmittel.

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Warum ist der Vereinten Evangelischen Mission das wichtig?

Als internationale Organisation mit 39 Mitgliedskirchen in Afrika, Asien und Deutschland sind wir stetig dabei, unsere kolonialen Wurzeln aufzuarbeiten. Seit über 30 Jahren durchlaufen wir eine rassismuskritische Organisationsentwicklung und sind seit 1996 auf allen Ebenen paritätisch aufgestellt. Die Deutschen sind in der Minderheit, Entscheidungen werden mit einer Mehrheit aus dem Globalen Süden getroffen. Wir machen Missionsarbeit, die Austausch-, Entwicklungs- und Bildungsprogramme sowie transkulturelle Begegnungen umfasst. Unser Generalsekretär kommt aus Indonesien, meine Abteilungsleiterin aus Kamerun. Wir bewegen uns zwar global in einer monetären Ungleichheit, aber wir sind uns tagtäglich bewusst darüber, dass das koloniale Folgen sind und es auch reichere Kirchen im globalen Süden als in Deutschland gibt, wo die Kirchen stetig schrumpfen.

Die Missionsarbeit ist auch eine Folge des Kolonialismus. Dabei denkt man an weiße Christ:innen, die Menschen aus dem Globalen Süden ihre Religion aufzwangen. Wie definiert Ihre Organisation heute Mission?

Es stimmt: Die Missionsarbeit hat eine problematische Geschichte. Deswegen gibt es immer wieder die Diskussion, ob wir das Wort „Mission“ aus unserem Namen streichen sollten. Das wünscht sich aber meist nur der deutsche Teil der Vereinten Evangelischen Mission. Die Kirchen in Asien und Afrika wollen den Begriff behalten. Sie sehen ihn als Teil der Geschichte und wollen den Begriff über eine gleichberechtigte Zusammenarbeit lieber neu definieren als ganz streichen.

Sie haben in Deutschland Theologie studiert. Gab es dort eine kritische Auseinandersetzung mit kolonialen Strukturen innerhalb der Kirche?

Nein, die Norm war deutschsprachig, männlich und weiß. Das habe ich in meinem Studium auch kaum hinterfragt. Durch meinen darauf folgenden Job in einer multidiversen Jugend-Gemeinde in Essen konnte ich einiges beobachten und habe dann später im Selbststudium rassismuskritische Bücher gelesen und durch die Struktur der Vereinten Evangelischen Mission und meine internationalen Kol­le­g*in­nen und deren Perspektive einiges verstanden. Dabei habe ich gemerkt, dass wir in der Theologie nur diese eine eurozentrische Sicht auf die Bibel gelernt haben. Ich habe dann plötzlich alte Geschichten, die mir noch aus dem Kindergottesdienst vertraut waren, ganz anders gelesen.

Haben Sie ein Beispiel?

Als Erstes denke ich an Hagar, Sara und Abraham aus dem Ersten Testament. Abraham wurden viele Kinder prophezeit, aber Sara konnte nicht schwanger werden. Deshalb musste ihre Magd Hagar als Leihmutter herhalten. Hagar heißt übersetzt aus dem Hebräischen „die Fremde“. Sie musste sich von Abraham schwängern lassen.

Das haben Sie als Kind so hingenommen und später nicht mehr?

Heute würde ich sagen, dass sie sexualisierte Gewalt erfahren hat und eine Sklavin war. Hagar wird permanent von Sara gedemütigt, irgendwann ist es ihr zu viel und sie flieht in die Wüste. Dort begegnet ihr ein Engel Gottes. Das ist eine sehr besondere Begegnung, denn Hagar ist die einzige Person, die Gott einen Namen geben darf. Sie nennt ihn „El Roi“, was übersetzt bedeutet: „Gott sieht mich.“ Das ist eine der biblischen Geschichten, die ich unglaublich bestärkend finde. Denn sie zeigt, dass sich Gott zuerst an der Seite derer sieht, die fremd, unterdrückt und auf der Flucht sind.

Leihmutterschaft, sexualisierte Gewalt, weibliche Sichtbarkeit – das sind alles feministische Themen, die uns heute immer noch beschäftigen. Kann man die Bibel auch feministisch lesen?

Natürlich darf man nicht ausblenden, dass es in der Bibel sehr brutale und antifeministische Aussagen gibt. Aber in der patriarchalen Welt, in der die Bibel entstanden ist, Frauen wie Hagar eine so deutliche Rolle zu geben, spricht dafür, dass wir sie feministisch lesen sollten. Es gibt auch noch andere Beispiele: Es waren Frauen, die als Erstes an Jesu Grab waren. Gott hat ihnen anscheinend zugetraut, dass sie in die Welt gehen und die frohe Botschaft verkünden. Und Jesus ist nach der Auferstehung erst einer Frau begegnet und hat sie gefragt: „Warum weinst du?“ Er hat sich für ihren Schmerz interessiert. Auch an der Stelle, als ihm eine sogenannte Ehebrecherin vorgestellt wird, sagt er: „Wer von euch ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein.“ Diese Szene zeigt, wie Jesus sich damals gar nicht erst auf diese patriarchalen Debatten eingelassen hat. Also, das finde ich alles ziemlich feministisch.

Die Kirche wurde für mich zu einem Ort, an dem ich Zugehörigkeit erfahren habe. Es waren dort auch andere Menschen of Color, es wurde nicht gefragt, wer woher kommt, wir waren alle Teil dieser Gemeinschaft

Wie kommt es dann, dass sich etwa die katholische Kirche dem verweigert? Frauen dürfen dort keine entscheidenden Ämter übernehmen, sie sind von der Priesterweihe ausgeschlossen. Missbrauchsfälle werden – in beiden Kirchen – nicht ausreichend aufgearbeitet.

Zur katholischen Kirche kann ich als evangelische Theologin nicht viel sagen. In der evangelischen Kirche beobachte ich aus meiner Perspektive viel. Ich finde es interessant, wie sich eine Institution über Jahrhunderte so weit von ihrem Ursprung entfernt hat. Wenn ich mir etwa das Leben Jesu anschaue, war er nicht reich, hat Wohlstand kritisiert, unbequeme Fragen gestellt, Kritik am System geübt und war mit Menschen unterwegs, die am Rande der Gesellschaft standen. Und dann sehe ich die Kirche: weiß, akademisch und wohlhabend. Kritik wird gegen andere gerichtet, aber es ist wenig Raum für Selbstkritik. Unsere Gesellschaft ist sehr viel diverser als die Menschen, die ich in der Kirche antreffe.

Wie geht es denn anderen BIPoC, also Schwarzen, Indigenen und People of Color, in der Kirche in Deutschland. Stehen Sie da im Austausch?

Wir haben ein kirchliches Netzwerk von BIPoC aus ganz Deutschland gegründet, das sind so rund 100 Leute. Schon diese geringe Zahl bei knapp 20 Millionen Mitgliedern ist ein Symptom davon, wie weiß die Kirche als Institution ist. Die allermeisten schweigen. Sie sagen, mein Job ist es nicht, Anti-Rassismusarbeit zu machen, sondern Pfarrarbeit, Jugendarbeit oder Kirchenmusik. Wenn sie anfangen, Dinge zu kritisieren, und die meisten sind Einzelkämpfer:innen, dann kommen sie nicht mehr zu ihrer eigentlichen Aufgabe. Es würde sie zu viel Kraft kosten, die Abwehrreaktionen auszuhalten. Gerade deshalb ist es wichtig, dass wir dieses Netzwerk haben, um uns gegenseitig zu empowern und über Alltagsrassismus auszutauschen. Viele fühlen sich durch den Austausch weniger allein, das ist schön und das gab es vor fünf Jahren noch nicht.

Welche Erfahrungen von Alltagsrassismus werden in diesem Austausch konkret benannt?

Pfarrpersonen of Color berichten etwa, dass beim Abendmahl Menschen nach ihnen nicht mehr aus dem Kelch trinken wollen oder dass sich weiße Menschen nicht neben sie auf die Kirchbank setzen. In Seelsorgegesprächen kommt es vor, dass sich weiße Menschen rassistisch äußern. Das ist besonders herausfordernd. Denn als Seel­sor­ge­r:in jemanden auf seine rassistischen Gedanken hinzuweisen, dessen Mutter gerade gestorben ist, ist im Prinzip unmöglich. Hier bräuchte es innerhalb der Kirche bessere Strukturen, damit diese Pfarrpersonen eine Ansprechperson haben, mit der sie sich über solche Vorfälle austauschen können.

Um Rassismus in der Kirche zu begegnen, haben Sie auch ein Buch mit dem Titel „Wie ist Jesus weiß geworden?“ geschrieben. In der Kirche ist Jesus fast immer weiß abgebildet. Warum hält sich dieses Bild so konsequent?

Zum einen hat das historische Gründe, aber Jesus ist auch eine Figur, die christlich geprägte Menschen von klein auf kennen. Da können sich Menschen sehr schnell angegriffen fühlen, wenn man plötzlich die Hautfarbe ändert. Es ist ein sehr emotionales Thema. Ich stelle ja nicht nur gesellschaftliche Systeme in Frage, sondern ich stelle den Glauben von Menschen in Frage, der auch auf einem rassistischen und diskriminierenden System aufgebaut ist. Und das reizt Menschen nochmal viel tiefer, als wenn es nur um gesellschaftliche Strukturen geht. Deshalb müssen wir schauen, wie wir Räume schaffen können, über diese Emotionalität zu reden. Die Kirche hat die Netzwerke dafür, sie müssen nur genutzt werden.

Wie sieht es in den Mitgliedskirchen bei der Vereinten Evangelischen Mission in Asien und Afrika aus? Ist Jesus da auch weiß?

Es gibt in Afrika und Asien Krippen, wo die Jesusfiguren kontextualisiert sind und Jesus kein weißer Mitteleuropäer mehr ist. Aber es gibt auch dort überwiegend den weißen Jesus in den Kirchen. Das ist eine Auswirkung der Geschichte und hält sich vor allem durch den Kolonialismus sehr stark.

Sie fordern auch eine rassismuskritische Auseinandersetzung mit der Bibel. Wie könnte das aussehen?

Es geht erst einmal darum, bestimmte Geschichten sichtbar und Teil des kollektiven Gedächtnisses werden zu lassen. Denn es gab schon immer Schwarze Widerstandsbewegungen gegen Unterdrückungsregimes, die sich auf die Bibel berufen. Sojourner Truth ist da ein gutes Beispiel. Sie war eine Schwarze, ehemalige versklavte Frau aus dem 19. Jahrhundert, die sich für die Rechte Schwarzer Frauen einsetzte. Es gibt eine Rede von ihr, in der sie davon erzählt, dass Männer behaupten, dass man Frauen immer beim Einsteigen in eine Kutsche helfen sollte. Ihr sei das noch nie passiert, betont sie und fragt: „Bin ich keine Frau?“ In der Rede erzählt sie außerdem, dass die meisten ihrer dreizehn Kinder an Sklavenhändler verkauft wurden. Am Ende sagt sie: „Und wenn ich um sie weinte, hörte mich keiner außer Jesus. Bin ich etwa keine Frau?“ Dass sie damals schon auf diese Form der Mehrfachdiskriminierung hinweist, die in ihrem Glauben nur Jesus sehen kann, macht sie zu einer christlichen Begründerin der Idee von Intersektionalität.

Das heißt, in der Bibel steckt politisches Widerstandspotenzial?

Auf jeden Fall. Ein anderes Beispiel aus der Geschichte belegt das ganz gut: In Zeiten der Sklaverei in den USA gab es für versklavte Menschen eine sogenannte Sklavenbibel. Darin wurden alle Stellen gestrichen, in denen es hieß, dass Gott an der Seite der Unterdrückten steht. Die Sklavenhalter wollten damit verhindern, dass sich die Sklaven zum Widerstand erheben.

Wie ist es bei Ihrer Arbeit: Rennen Sie mit Ihrem Aktivismus für eine rassismussensible Kirche offene Türen ein oder ist der Widerstand groß?

Beides. An unserer vielfaltssensiblen „Alle-Kinder-Bibel“, in der Jesus als PoC abgebildet ist, sehe ich, dass es an der Basis in den evangelischen Gemeinden einen Willen für Veränderung gibt. Wir gehen mit dem Buch jetzt in die sechste Auflage, es wird gut angenommen. Auch die Nachfrage nach Antirassismus-Workshops ist hoch, aber es geht meistens darum, wie man weißen Menschen Rassismus erklären kann. Es ist selten Thema, wie man Strukturen schafft, um Menschen of Color zu empowern.

In Ihrem Buch fordern Sie auch, dass die Bibel weniger individualistisch gelesen werden sollte. Was meinen Sie damit?

Ich habe als Jugendliche gelernt, dass es um die Beziehung zwischen Gott und mir geht. Sich in seinem Glauben nur darauf zu fokussieren, kann aber auch problematisch sein. Natürlich darf ich mich als Mensch von Gott gesehen und geliebt fühlen. Aber in all diesen Beziehungsgeflechten ist es wichtig, die eigene Beziehung zu Gott nicht über das große Ganze zu stellen. Sondern sich auch als Gemeinschaft zu sehen, das fehlt oftmals in unseren westlich geprägten Gesellschaften. In der Ubuntu-Philosophie aus dem südlichen Afrika habe ich gelernt, dass wir vor allem kollektive Wesen sind. Es täte uns gut, wenn wir es als Chris­t:in­nen schaffen würden, das gemeinschaftliche Wohl über das eigene Wohl zu stellen. Auch in der Bibel geht es immer um die Beziehung von Gott zu den Menschen, aber auch um die Beziehung von Menschen untereinander. Es geht um ein Verbundensein.

In welchen Momenten haben Sie dieses Verbundensein besonders gespürt?

In Momenten der Trauer. Menschen im Trauern und am Ende ihres Lebens zu begleiten, das kann Kirche wirklich gut. In unserer Gesellschaft wird Trauer ja gerne eher ausgeblendet. Für mich waren es prägende Erlebnisse, wenn ich Menschen beerdigt, beim Sterben oder Trauern begleitet habe, weil sie so ehrlich waren. Weil vieles von dem, was wir in unserem Alltag als wichtig erachten, dann nicht mehr zählt. Aber auch für mich persönlich waren diese Momente wichtig. Es passiert viel Schlimmes in der Kirche, und sie war nie ein sicherer Ort für alle. Auch das zu betrauern habe ich in der Kirche gelernt. Denn gegen Trauer hilft nur Trauern.

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35 Kommentare

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  • Wenn schon Kolonialismuskritik dann richtig:

    Das Christentum ist eine mediteran-orientalische Religion, die den (weißen) Europäern aufgezwungen wurde.

    • @Chris McZott:

      Interessant ist, dass dem Islam im linken Diskurs nie vorgeworfen wird, dass er sich durch Mission und natürlich auch oft durch Zwang verbreitet hat. Dass die Küstengebiete Ostafrikas muslimisch sind, ist da irgendwie ganz natürlich, es ist halt irgendwie geschehen. Da ist man ähnlich blind wie bei der Tatsache der arabischen Sklaverei.

      • @Suryo:

        Meine Theorie dazu:

        1. Der moderne antirassistische/ antikoloniale Diskurs ist us-amerikanisch geprägt, regelrecht amerikazentrisch. Vor allem die Perspektive der Afroamerikaner wird gerne als universell gültig betrachtet.

        2. Die afroamerikanische Perspektive kennt nur weiße Herren und schwarze Sklaven - dass dies nur exklusiv in der neuen Welt so galt, ist egal - siehe 1.

        3. Die islamische Welt hatte keinen Anteil an der Kolonisierung Amerikas. Folglich kann sie nur "schwarz" sein.

        Dass führte im Ergebnis z.B. dazu dass Afroamerikaner das Christentum als weißes Herrschaftsinstrument, den Islam hingegen als originär afrikanische Religion der Befreiung (siehe Black Muslims) betrachten.

        Das ist äußerst kurios in Anbetracht der Geschichte des Sklaverei im Islam (siehe: Zandsch) und dem allgemeinen Arabozentrismus dieser Religion. Man kann den Islam auch sehr gut als Herrschaftsinstrument und Ethnoreligion der Araber interpretieren.

  • Nach 2000 Jahren Christentum plakatiert die Evangelische Kirche in Berlin folgendes:

    "Liebe tut der Seele gut."

    Das ist also die Lehre Christi?

    Demnächst kommt wahrscheinlich "Live, laugh, love."

    • @Suryo:

      ....& dabei gibt es länger Glaube und Liebe schon viel länger als 2024 Jahre...



      Wunder Wunder 🫠

  • Für die Kirche gilt im Grunde dasselbe wie für jede Firma und jeden Verein: Hätte sie keine Mission mehr, würde sie sehr bald aufhören zu existieren. Das erklärt den Niedergang der Volkskirchen auf der einen Seite, aber auch den vermehrten Zuspruch zu Freikirchen auf der anderen: denen ist Mission nach wie vor ein Anliegen. Wer für den eigenen Glauben nicht einsteht (oder ihn bis zur Unkenntlichkeit verwässert), braucht sich nicht wundern, wenn die Mitglieder in Scharen austreten.

  • "Jesus war ein Systemkritiker"



    Der Spruch 'Gebt dem Kaiser was des Kaisers ist' hört sich für mich nach ziemlich wenig Systemkritik an.

    • @Encantado:

      Das Wort vom "Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist" wurde Jesus mumaßlich erst in den Mund gelegt im Vorfeld sog Konstanischer Schenkung um 335 n. Chr. durch römischen Kaiser Konstantin der Große (270-337 n. Chr.), der seiner Mutter folgend, zum Christentum übergetreten war, diesen von seiten Christentums für sich einzunehmen, an kirchliche Gottesstaat in Rom gelangt, recihsweit wie er Steuern einzutreiben für römische Gemeinwesen aber nun mit Gemein- vor Eigennutz

    • @Encantado:

      Richtig: Weltliche Machthaber hat Jesus nicht in Frage gestellt. Die geistlichen Autoritäten seiner Zeit dafür umso mehr. Sein Konflikt mit den Pharisäern und der Priesterschaft hat ja am Ende zu seiner Verhaftung und Verurteilung geführt. Es ging ihm um die geistliche Freiheit seiner Follower und das Reich Gottes ("Mein Reich ist nicht von dieser Welt").

      Das unterscheidet Jesus deutlich von anderen Propheten, die sich um weltliche Macht gestritten haben und sogar Kriege führten. So war Jesus nicht drauf und dazu hat er seine Follower auch nie aufgefordert.

      • @Winnetaz:

        Was des römischen Kaisers ist, wurde von Pharisäern, Tempel Priesterschaft Gottesstaates Judäa bis hin zur Unterstützung militanter Rebellion eines gewissen Barabbas bekämpft, samt Forderung seiner Freilassung als er inhaftiert war. Wenn da in diesem politischen Spannungsfeld Jesus anmahnt, gebt dem römischen Kaiser was des Kaisers ist, stand das in Judäa unter Kollaborationsverdacht, mit römischer Besatzungsmacht offen zusammenzuarbeiten, was andererseits Pharisäer, Tempel Priester u.a. bei Verfolgung, Inhaftierung von Jesus im Garten Genezareth durch römische Häscher gleichermaßen allerdings verdeckt taten

  • Und die Kirche wundert sich, dass bei so einem Geblubber die Gläubigen die Flucht ergreifen.

  • Menschen of Color..



    Pfarrpersonen of Color…



    Bin ich denn hier der einzige, der dabei Pickel kriegt?

    • @Dromedar:In:

      …benötigens Hilfe - auch höheren Orts?

      • @Lowandorder:

        Ja bitte, ich glaube, ich bin zu alt für solchen Sprachunfug.



        Na, immerhin bezeichnet sich Frau Vecera Als schwarze Deutsche.



        Da kann ich noch folgen.

        • @Dromedar:In:

          Sehnse - das wird - nur Mut 🙀🥳

        • @Dromedar:In:

          Bin zwar z. B. über den stimmigen Gebrauch des Wortes „weiß“ in der dt. Gesellschaft auch kritisch aber: Bin über das Wort „Pfarrpersonen“ gestolpert und hab gesucht. „Pfarrpersonen“ ist wohl in der ev. Kirche ein geläufiger Begriff. Er bezeichnet ganz allgemein gesagt eine Gruppe von „Funktionsträgern“ in der Kirche, die dafür qualifikatorische Voraussetzungen für versch. Aufgaben haben müssen.



          Bitte berichtigen, wenn falsch beschrieben.



          Man kann die Kombination des Wortes mit „people of colour“ dann so oder so finden. Erst mal kennzeichnet Frau Vecera damit ja nur, dass es in ihrem Berufsfeld Menschen mit anderer Hautfarbe gibt als „weiß“. Und damit kann es Probleme geben, wie bekannt an vielen „Stellen“ der Gesellschaft, wie sie es im Interview schildert. Sie bringt mit ihrer Wortwahl ihr Anliegen zum Ausdruck. Egal zu welcher Einschätzung man dann dazu kommt, das muss erst einmal gelten.



          Ihr Anliegen zu vermitteln, ist offensichtlich nicht ganz einfach. Dazu gefunden: Evangelische Zeitung: „Missionsgesellschaft verurteilt Übergriff auf Autorin Sarah Vecera“. (2023) Link:



          www.evangelische-z...torin-sarah-vecera

  • Leider ist die Evangelische Kirche alles andere als systemkritisch, sondern seit Jahrhunderten mehr Mitläufer der Regierungen als die katholische Kirche.

  • ...schon schlimm, was Kommerzialisierung des Glaubens, bei Menschen anrichten kann...

    Glauben ist individuell und muss frei sein - wie die Liebe...

    Glauben & Liebe brauchen keine Institutionen - keine Hierarchien - nur dann sind sie wirklich, & echt ...

  • "In der Ubuntu-Philosophie aus dem südlichen Afrika habe ich gelernt, dass wir vor allem kollektive Wesen sind."

    ...und ich in der klassischen griechischen Philosophie über die Aufklärung bis zur Moderne, dass das zwar schön wäre, real aber genau andersrum ist: Wir sind das zwar auch, aber vor allem sind wir Individuen und denken als solche denken und vertreten Interessen als solche. Jeder horche in sich hinein, was auf ihn zutrifft und was nicht - oder ob es vielleicht nur Wunschvorstellung ist.

    Der Streit währt ja schon Jahrtausende. Vor etwa zweitausend Jahren kurz vor der Sportschau (minus ein paar Tage) in Jerusalem:



    Brian Kohn:"Ihr seid doch alle Individuen!“



    Alle [unisono]: "Ja! Wir sind alle Individuen!!“



    Brian: "Und Ihr seid alle verschieden!"



    Alle [unisono]: "Ja. Wir sind alle verschieden!!“



    Einer: "Ich nicht."

    Sollen wir eine Münze werfen, wer richtig geraten hat? ;-)

  • Also abgesehen davon das es G*ttes Idee nicht eingelöstes Verprechen war das überhaupt dazu geführt hat das Hagar als „Nebenfrau“ herhalten musste hat ihr der Engel auch nicht wirklich geholfen sondern sie angewiesen zu ihrem Vergewaltiger zurückzukehren und sich als Sklavin wieder unter zu ordnen.



    G*tt war nun wirklich kein Feminist!



    Ein allwissender und ewiger G*tt kann sich auch nicht damit entschuldigen ein Kind seiner Zeit gewesen zu sein, er muss auch damals schon gewusst haben das Sklaverei und Vergewaltigungen falsch sind.

  • Anton Mayer: "Der zensierte Jesus".

  • 9G
    95820 (Profil gelöscht)

    „Leihmutterschaft" ...



    Maria und der Heilige Geist, war das auch was mit Leihmutterschaf?

    • @95820 (Profil gelöscht):

      Klar - hieß unbefleckt nur anders! Newahr



      Normal

      • @Lowandorder:

        ...wie begeistert " G'tt " wohl von den Kreuzzüge war...

  • Hola! “„Jesus war ein Systemkritiker“



    Ob Niklas Luhmann das auch so gesehen hätte?! - 🙀🥳🧐 -

    Anyway. Auch schön “…wie Jesus weiß wurde.“



    Reminiszenz - wenn ich mal wieder inden gehobenen Kreisen der weiß überlegenen Bildungsplattköpfen gestrandet bin - wa!



    Blas ich die trüben Funzeln derart aus:



    “Wo wir grad dabei sind! Sie wissen ja doch - wer als der gebildetste Mann des Mittelalters galt! Klar nich!“



    ????? - “Nun. Augustinus naturellement!“



    “Ach so! Augustinus!! Ja klar! Wie konnt ich nicht drauf kommen!“



    “Der war schwarz!“ - “Waaas?! Wußt ich gar nicht!“



    “Kanns ma sehn - wa!“ & Ruhe im Karton! Gelle



    Und ergreif die nicht enden wollende Stille - wechsel das Etablissement!

    unterm——



    de.wikipedia.org/w...gustinus_von_Hippo

    • @Lowandorder:

      Ich wundere mich immer noch über diesen Hype über Augustinus - vollkommen ungeachtet irgendeiner Hautfarbe - weil er Befürworter der Prädestinationslehre war: Gott habe bereits das Schicksal der einzelnen Menschen vorbestimmt - was dann von den Calvinisten übernommen wurde, während die katholische Kirche das Konzept des freien Willens betonte (man höre und staune, da waren die Katholen liberaler)

      Weiter hat er das Konzept der Erbsünde wahrscheinlich falsch übernommen (aufgrund seiner schlechten Kenntnisse des biblischen Griechisch - der gebildeteste Menschen des Mittelalters) und vertrat die Auffassung der endlosen Qualen in der Hölle. Er war Antisemit, Anhänger des gerechten Krieges und vertrat die Auffassung, dass es einer Kirche als Mittlerin zwischen dem Mensch und Gott bedürfe.



      Wie Sie sehen, war er also Vorreiter für sehr viele der späteren Probleme, die sich Calvinisten und auch die katholische Kirche aufgehalst haben.



      Er hat gleichsam vieles, was die katholische Kirche zu einer Kirche des Mittelalters ausgemacht hat, ganz fern von der Bergpredigt der Liebe, mit geprägt.

      Da kommt es auf Werke wie "Der Gottesstaat" wirklich nicht mehr an...

      • @Werner2:

        Bin da ganz bei ehna - wennse bedenken - daß er als Manichäer gestartet ist!

        Wie sagt es der kluge Alte aus Wiedesahl



        “Und jeder Manichäer



        Ist auch ein Grobian!“



        Lied eines Lumpen!;)))



        www.staff.uni-main.../BuNachl/lump3.htm



        Viel Spaß

        • @Lowandorder:

          Wäre der Augustinus mal besser ein Manichäer geblieben, angesichts des beschriebenen "Heiden"dienstes, den er der damaligen noch sehr jungen Kirche erwiesen hat.







          Zehn Gulden hätte ich dem alten Grobian gerne dafür gezahlt



          :)

    • @Lowandorder:

      Wo lesen Sie das?

      Ich finde nur:



      "Augustinus’ Vater Patricius war ein kleiner Landeigentümer und als städtischer Beamter tätig. Seiner Herkunft nach war er möglicherweise Nachkomme eines römischen Veteranen,"

      • @Mitch Miller:

        Hatte das aus einer früheren Wikipedia-Fassung. Den Vater könnte man noch als unklar einordnen. Die Mutter nicht!



        “Monika wurde 331 in Thagaste im heutigen Algerien geboren. Sie stammte aus einer begüterten christlichen Berber-Familie mit einem kleinen Landbesitz.‘



        www.vaticannews.va...l--augustinus.html



        Legense mal ihren “weißzentrierten“ Blick ab. Weiß ja nicht - ob Sie sich mal unter Berbern bewegt haben - Cabylei et al. Von “weiß“ oder hell - kann da nicht die Rede sein! Ganz im Gegenteil!



        Entsinne mich gut anlässlich einer längeren untouristischen sechswöchigen Reise durch Marokko!



        Daß ich mich bei dem beliebten Spiel der Kids und Jugendlichen: “Arab? Berber? Negro?“ mich regelmäßig voll verhauen habe! But “weiß?“ - vergiß es •

        • @Lowandorder:

          "Weiß ja nicht - ob Sie sich mal unter Berbern bewegt haben "

          Jepp - ich sass mit ihnen im Zelt. Authentisch, nix Touri-Darbietung.

          Schon dunkler, aber nicht schwarz. M.E. näher am Arabischen als an Schwarzafrika.

          • @Mitch Miller:

            Schön & Neid -

            Bei Mahmid war Schluß - Tuaregs etc



            Via Algerien => Tamamrasset war uns mit Käfern zu riskant!



            Anyway - wie gesagt dunkelhäutig - könne mer uns einigen! Woll

        • @Lowandorder:

          MITCH MILLER hat nicht behauptet, dass Augustinus "weiß" gewesen sei. Sie behaupten, dass er schwarz gewesen sei. Übrigens habe ich bei einem untouristischen, aber zugegeben nur zweiwöchigen, Aufenthalt in Algerien - der Geburtsort von Augustinus liegt nicht in Marokko - relativ wenige schwarze Menschen gesehen, aber ja, die gab es - es besteht also eine gewisse Möglichkeit, dass Augustinus schwarz war...

          • @Volker Scheunert:

            nun mal nicht so angefaßt vollmundig:



            hab ich ja auch alles hier behauptet!



            Beim pato-Stammtisch den dicken 🖊️



            Ansonsten - dunkelhäutig - drauf wäre sich gut zu einigen!



            (ansonsten “piiips sagte die Poi🦆 & da war sie 💀! Woll)



            Btw “Arthur ärgert alle Leute“ mein nicht nur innerfamiliärer Nickname!;)



            Heute im Fabian von Erich Kästner - zuvor wg frivol abgelehnt!;))



            Kann diese Sandalinistas et al eh nicht ernst nehmen!

            kurz - mal wieder abplustern! Gelle 🙀🥳

            • @Lowandorder:

              Sorry NICHT BEHAUPTET to be korrekt