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Klima-ProtestHungerstreikende schelten Kanzler

In Berlin verweigern vier Klima-Protestierende die Nahrungsaufnahme. Der Kanzler fordert sie auf, aufzuhören. Sie wollen weitermachen.

Hungerstreikender Wolfgang Metzeler-Kick in Decken gehüllt am 31. Mai Foto: Paul Zinken/dpa

Berlin taz/dpa | Die Klima-Hungerstreikenden in Berlin wollen trotz einer Kanzler-Aussage mit der Verweigerung der Nahrungsaufnahme weitermachen. „Es reiche nicht aus, ein Statement abzugeben, sondern es braucht mindestens eine Regierungserklärung“, sagte Richard Cluse am Freitag auf X. Es sei an „Peinlichkeit kaum zu übertreffen“, dass sich der Bundeskanzler weigere, „wichtige wissenschaftliche Erkenntnisse auszusprechen, weil gerade vier Menschen, die in Zelten hausen, nicht essen.“

Der 56-Jährige hungert seit 68 Tagen mit mehreren Mitstreitern des Bündnisses „Hungern bis ihr ehrlich seid“ in Berlin, um Kanzler Olaf Scholz (SPD) zu der Aussage zu bewegen, dass die Konzentration von Kohlendioxid in der Atmosphäre schon jetzt zu hoch sei und kein CO2-Budget mehr übrig sei.

Eine Bürgerin hatte Scholz bei einem öffentlichen Gespräch am Donnerstagabend in Erfurt konkret gefragt, ob er diese Aussage für Fakt oder Meinung halte. Mit einer Aussage könne er womöglich den Hungerstreik beenden. Scholz antworte jedoch nicht direkt. Er bekräftigte lediglich, es sei wissenschaftlich erwiesen, dass es einen menschengemachten Klimawandel gebe. Es sei das Ziel seiner Regierung, diesen Klimawandel aufzuhalten. Dabei behalte sie das Ziel im Blick, die Erderwärmung möglichst bei 1,5 Grad zu stoppen.

Aber aus der Wissenschaft ergebe sich kein Automatismus. „Was wir politisch wollen, muss in einer Demokratie miteinander diskutiert werden“, sagte Scholz. Man könne Entscheidungen nicht erzwingen, indem man sage, man esse nichts mehr. Man könne sie auch nicht Gerichten überlassen. „Wir müssen für das, was wir richtig finden, Mehrheiten bei den Bürgerinnen und Bürgern gewinnen. Das kommt nicht von außen.“ Er appellierte erneut an die Teilnehmer des Klima-Hungerstreiks, ihre Aktion abzubrechen.

„Wo, wo, wo ist der Klimakanzler“

„Die Aussagen von Olaf Scholz sind ein Schlag ins Gesicht der Wissenschaft“, erklärte dazu Wolfgang Metzeler-Kick, der bereits seit 80 Tagen keine feste Nahrung zu sich nimmt. Zwei weitere Hungernde kündigten an, in den trockenen Hungerstreik zu treten.

Das heißt laut einer Mitteilung, dass sie ab einem bestimmten Zeitpunkt neben der Aufnahme von Nahrungsmitteln auch auf die Aufnahme von Flüssigkeiten verzichten wollen. „Dies wäre eine drastische Verschärfung des Hungerstreiks“, heißt es in der Mitteilung, „weil ein Verzicht auf Flüssigkeitsaufnahme innerhalb von 1 bis 3 Tagen zum Tod führt“.

Auch am Freitag verfolgte das Klimathema Scholz in Erfurt. Bei einem Auftritt beim Deutschen Katholikentag in der thüringischen Landeshauptstadt wurde der Kanzler von Klimaaktivisten unterbrochen. Sie riefen Fragen laut aus dem Publikum im Theater Erfurt, rollten ein Banner der Protestgruppe Letzte Generation aus und stimmten Sprechchöre an: „Wo, wo, wo ist der Klimakanzler“.

Scholz versuchte bei der Podiumsdiskussion vor etwa 800 Menschen zunächst, etwas zu seiner Haltung zum Klimaschutz zu sagen, wurde aber niedergeschrien. Die Moderatorin unterbrach die Veranstaltung für einige Minuten. Das Publikum fing an zu singen: „Herr, gib uns deinen Frieden“. Daraufhin beruhigte sich die Lage. Die Diskussion wurde fortgesetzt.

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18 Kommentare

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  • Ich verurteile einen solchen Hungerstreik als Mittel des Protests gegen den Klimawandel.

  • Ich kann die Hungerstreikenden nur auffordern den Hungerstreik abzubrechen. Selbst wenn der Kanzler ihnen zuliebe Purzzelbäume schlagen würde, bliebe immer noch die Masse an Uneinsichtigen. Denen sind Hungerstreikende piepegal. Sollen sie doch verrecken, ist deren Einstellung. Die aber wird man mit einem Hungerstreik niemals überwinden.

  • Dieser Hungerstreik wertet einen 'Kanzler' nur auf, dessen Tage sowieso gezählt sind. Wenn sie gegen die Verräter (in grün) der Klimabewegung streiken würden, die fleissig mit den Energiekonzernen kungeln, wäre das viel sinnvoller !

  • Was ist dieser Hungerstreik denn?



    Ein Erpressungsversuch unter Androhung der Selbstzerstörung.



    Schade, dass diese Leute in unserer Demokratie keine angemessenere Ausdrucks Form finden. Mich überzeugen sie nicht. Mich nervt so etwas nur.

    • @Carsten S.:

      Was wäre Ihrer Meinung nach denn angemessen angesichts kippender Klimakrise und Ökosysteme?

      • @Uranus:

        Überzeugungsarbeit leisten statt sich selbst zu schädigen.



        Wie gesagt, mich nervt so etwas.

        Genauso wie Klimakleber, die Urlaub vom Klimakleben machen und dann mal eben als "Privatleute" in die Südsee düsen. Sind nur wenige, aber sie untergraben die Ernsthaftigkeit des Anliegens.

        Leider hat auch die derzeitige Bundesregierung mit der Brechstange gehörig Schaden angerichtet. Die Brechstange ist dann tatsächlich gebrochen, aber die Stimmung ist für die nächsten paar Jahre versaut.

        • @Carsten S.:

          Wie solche Überzeugungsarbeit leisten? Zumindest Debatten braucht es keine mehr. Es liegt alles auf dem Tisch, während live immer mehr Folgen der Klimaerhitzung sogar vor der eigenen Haustür beobachtet werden können. Noch wichtiger: es gibt auch keine Zeit mehr für Debatten. Es muss JETZT gehandelt werden, um das Schlimmste zumindest hinaus zögern zu können.



          Naja, die derzeitige Bundesregierung hat einige Fehler gemacht, nicht nur in ihrem Sinne, auch weil sie zu wenig gehandelt hat. Jedenfalls gab es auch u.a. eine Kampagne der CDU und der Springer-Presse mit Lügen a la "Habeck will Euch die Heizung klauen". Wer da woran eine Brechstange angesetzt hat, ist nicht so eindeutig, würde ich meinen. Nicht gerade konstruktiv ist auch das Einstimmen der CDU und CSU in das Rechte Grünen-Bashing, gelinde gesagt.

      • @Uranus:

        Angemessen ist alles, was in irgendeiner Form lösungsorientiert und zumindest halbwegs erfolgsversprechend ist. Und angemessen ist auch das, was demokratisch legitimiert ist. Politische Entscheidungen durch moralische Erpressung und defakto Gewalt (auch wenn diese autoaggressiv ist) durchsetzen zu wollen, ist nichts der Dergleichen. Und selbst wenn man das außer acht lässt, gibt es für diese Form des Protests auch keinerlei relevanten Rückhalt in der Bevölkerung. Das wäre aber Vorraussetzung, damit überhaupt irgendein ein Handeln erwartbar wäre.



        Somit ist diese ganze Aktion in sich nur destruktiv. Sie hilft weder dem Klima, noch dem Verständnis. Und es ist völlig egal, wie sehr man sich dabei im Recht fühlt.



        Jedes noch so kleine Engagement in irgendeiner Umweltinitiative, einem Verband, einer lokalen Partei, einem ökologischen Start Up, etc. ist sinnvoller und angebrachter als mit einem Hungestreik den Kanzler zu irgendetwas zwingen zu wollen.

        • @Deep South:

          Was legitime Protestformen in der Demokratie sein können, ist umstritten. Von einem staatsverengten, Law and Order geprägten Verständnis halte ich nichts. Die meisten Protestformen halte ich im Vergleich zu den drohenden Folgen für extrem harmlos. Gerade die Letzte Generation agiert meiner Ansicht nach sehr brav, meldet Proteste vorher/zu Beginn der Polizei, bemüht sich um eine Rettungsgasse, kippt Kartoffelbrei bloß über Glasscheiben vor den Gemälden ... und betont gewaltfrei, riskieren ihre Gesundheit (setzen sich der Gefahr blinder Aggressionen mancher Autofahrer*innen aus). Hingegen zeigen Teile der Gesellschaft wie gewaltvoll/verroht (eben bereits genannte Aggressionen und Angriffe) und moralisch verkommen sie sind (lenken von der eigentlichen Problematik, den Krisen, ab).



          Andererseits sehe ich in konkretem Fall es auch so, dass ein Hungerstreik auch ein Tod nichts wesentliches ändern würde und ich hoffe, dass die Hungerstreikenden es nicht bis zum Ende durchziehen.

  • Liebe taz, ich finde eure Berichterstattung über diesen Hungerstreik zunehmend schwierig. In dem ihr die Streikenden immer wieder weitgehend kritiklos zu Wort kommen lasst, bestätigen ihr sie in ihrem Irrglauben, Aufmerksamkeit sei eine harte Währung. Damit leistet ihr einen Beitrag dazu, das Elend weiter in die Länge zu ziehen.

    Darüber hielte ich eine etwas kritischere Betrachtung des Vorgangs im Hinblick auf das zugrundeliegende Demokratieverständnis für angemessen. Bei aller berechtigter Kritik an den Versäumnissen diverser Bundesregierungen im Hinblick auf den Klimawandel, es ist wie Scholz sagt: die Politik muss sich an Mehrheiten orientieren oder diese überzeugen. Radikale Proteste von Minderheiten sind nicht zielführend.

    • @Fairchild670:

      Wenn Sie hier von Demokratieverständnis reden, muß ich aber gerade von einem Politiker wie Herr Scholz erwarten können, daß er die Wahrheit sagt und er nicht immer wieder versucht, sich rauszulavieren (siehe seine jüngste Antwort in Erfurt). Seit dem 2. Mai leben wir hier in Deutschland auf Kosten anderer Menschen. Um das 1,5 Grad Ziel zu erreichen, haben wir laut TAZ noch 2 Jahre, 3 Tage und 6 Stunden Zeit. Warum redet Herr Scholz diesbezüglich nicht endlich Klartext? Die Klimakatastrophe interessiert es leider nicht, daß wir immer wieder meinen, wir könnten uns noch Zeit lassen. Was ist das für eine Denkweise, daß viele Menschen hier in Deutschland immer noch meinen, sie könnten so weitermachen wie bisher angesichts der klimatischen Katastrophen in anderen Weltregionen? Ich bin immer wieder geschockt über so viel Ingnoranz.

    • @Fairchild670:

      Daumen hoch, Erpressungsversuche dürfen kein Gehör finden.

      • @Krumbeere:

        Zustimmung!

  • angenommen, er säge, dass es kein CO2 Budget mehr gäbe (wobei selbst die strenge TAZ CO2 Uhr noch 2 Jahre anzeigt), was wäre dann die Folge?



    Sofortige Einstellung des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens in D?

  • @VOLKER RACHO

    Andererseits... liegt bei Scholz die Entscheidung, seine verdammte Pflicht zu tun. Und da drückt er sich vor.

    • @tomás zerolo:

      Bleibt die Frage, wem Scholz (in welchem Umfang) verpfichtet ist. Der Menschheit, der Mehrheit der Bevölkerung im eigenen Land, den vier Hungerstreikenden?

    • @tomás zerolo:

      Welche Pflicht, sich erpressen zu lassen?

  • Nicht bei Scholz liegt die Entscheidung den Hungerstreik zu beenden, sondern bei den Streikenden.