Protestcamps an Unis: Dialogbereitschaft und Straflust
Antisemitische Ausfälle lassen sich nicht nur mit Dialog einhegen. Und Jugend ist kein Blankoscheck für gefährlichen Quatsch. Unsicherheiten bleiben.
W enn es irgendwo in Deutschland heißt, „Antisemitismus hat bei uns keinen Platz“, dann ist es meistens schon zu spät. Zu spät, da dieser Ausspruch eine Reaktion auf schon begangene antisemitische Taten ist, sich der Antisemitismus also schon den Platz genommen hat.
So geschehen an der Universität Bonn. Die Universitätsleitung reagierte Ende Mai mit diesem hilflosen Satz auf die Besetzung des Hauptgebäudes durch die israelfeindliche Gruppe „Students for Palestine“. Seit Anfang des Monats hatte die Gruppe auf dem Gelände der Universität ein Protestcamp errichtet, Mitte dieser Woche eskalierte es dann. Bei einem Vortrag des Antisemitismusforschers Lars Rensmann über die „Judenfeindschaft heute“ störten Teilnehmer die Veranstaltung. Von der Aufklärung über Judenhass fühlten sich einige wohl belästigt. Ein Mann rief „Freiheit für Palästina“, obwohl es in dem Vortrag nicht um das israelische Vorgehen im Gazastreifen ging. Später folgten körperliche Angriffe. Ein gewaltfreies Umfeld, für das sich die Universitätsleitung versprochen hatte einzusetzen, gab es also bereits wenige Tage nach dem Statement der Unileitung nicht mehr.
Tja, wie also umgehen mit den Protestcamps, den Unibesetzungen und Störaktionen, die, angefangen an den US-amerikanischen Universitäten, mittlerweile auch hier den Lehrbetrieb lahmlegen, die ein ungestörtes Campusleben für jüdische Student:innen kaum mehr möglich machen und bei denen die Gewalt nun ein weiteres Mal eskalierte?
Die Berliner Humboldt-Universität hatte es mit Dialogbereitschaft versucht. Die Präsidentin wollte eine Besetzung dulden, obwohl Demonstranten bereits Hamas-Symbole in die Hochschule gesprüht und den Rahmen einer friedlichen Aktion damit verlassen hatten. Noch während die Präsidentin mit den Studenten ins Gespräch ging, konnten sich Gewaltbereite in einem anderen Stockwerk verschanzen und das Mobiliar zerstören.
Erfahrungen aus den 90er Jahren
Allein mit Dialog lässt sich antisemitischer Protest offensichtlich nicht einhegen. Linke werden das nicht gerne hören: Aber hier braucht es auch eine autoritäre Reaktion. Wer Auslöschungsfantasien gegenüber Juden und Israel propagiert, darf dafür nicht noch mit Verständnis und Gesprächsrunden belohnt werden. Das wissen wir spätestens seit den 1990er-Jahren und gescheiterter sozialpädagogischer Nachsicht gegenüber rechtsradikalen Jugendlichen.
Gleichzeitig beobachte ich bei dem ein oder der anderen ein Bedürfnis nach übermäßiger Bestrafung dieser Student:innen, das den Rahmen einer notwendigen Reaktion verlässt. Ein unbändiges, autoritäres Strafbedürfnis, eine Straflust, halte ich für falsch.
Antisemitismus muss hier aber als identitätsstiftendes Merkmal verstanden werden. Dieses lässt sich nicht allein mit Argumenten auflösen – vor allem bei harten Ideologen. Ein „ja, aber“ oder ein entschuldigendes „Na ja, aber sie sind doch noch jung“ ist hier falsch.
Wenn Studenten ihren Protest also mit Gewaltaufrufen gegen Juden und Israel schmücken, wenn sie sich in ihren Forderungen mit einer Terrororganisation gemein machen, dann offenbaren sie ihren eigenen autoritären Charakter, der für Aufklärung oder Dialog nicht empfänglich ist.
Warum tun sich viele Linke damit so schwer? Liegt es nur daran, dass sie Autorität grundsätzlich ablehnen? Nun, ein Grund von vielen ist sicherlich, dass viele Linke selbst ein Problem mit Antisemitismus haben. Oder haben Sie die Rechtfertigungen vieler linker Gruppierungen und Einzelpersonen nach dem Abschlachten israelischer Zivilisten am 7. Oktober durch die Hamas schon vergessen? Ich nicht.
Wie lautet also das Patentrezept, um die nächste Unibesetzung durch studentische Hamas-Fanboys und -Fangirls zu verhindern? Ich habe keine abschließende Antwort. Ich ringe mit mir selbst.
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