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Tausende Euro NachzahlungHeizung auf eins, Konto im Dispo

1,5 Millionen Euro sollen Göttinger Mie­te­r*in­nen an Heizkosten nachzahlen. Der Wärmeversorger ist das überwiegend kommunale Unternehmen Enercity.

Vorsicht, das kann teuer werden! Foto: Fernando Gutierrez-Juarez/dpa

Hamburg taz | Am 1. Juni wären die Zahlungen fällig geworden, aber die Mie­te­r*in­nen im Göttinger Stadtteil Grone wollen nicht zahlen. 9.000 Euro, 8.000 Euro, 5.000 Euro – so hoch sind zum Teil die Heizkostennachzahlungen, die der Vermieter LEG Immobilien von den einzelnen Mietparteien verlangt. Insgesamt sind 1.100 Wohneinheiten von den Monsterrechnungen betroffen. Die Forderungen belaufen sich zusammengerechnet auf 1,5 Millionen Euro.

„Ein riesiger Schock“ sei das gewesen als er und die anderen Mie­te­r*in­nen die Rechnungen in ihren Briefkästen gefunden hätten, sagt Steffen Zimmermann. Das war schon im Dezember, kurz vor Weihnachten. Zimmermann selbst sollte nur 270 Euro bezahlen, aber auch er zahlte nicht. „Wir haben nur ein Druckmittel, wenn wir kollektiv handeln“, sagt der Mieter und Stadtteilaktivist. 600 Ein­woh­ne­r*in­nen haben sich seitdem zusammengeschlossen und wehren sich gegen den ­Immobilienkonzern.

Der Energieversorger ist Enercity, eine 75-prozentige Tochter der Stadt Hannover. Wie es zu diesen Mondpreisen kommt? Das Unternehmen verweist auf den früheren Vermieter: „Die Wohnungsgesellschaft hat seinerzeit beim Abschluss des Vertrages mit uns hinsichtlich des Bezugs von Wärme ausdrücklich ein Produkt gewünscht, was sich an den Börsenpreisen für Gas orientiert hat“, teilt Enercity schriftlich mit. Über „Chancen als auch Risiken dieses branchenüblichen Produktes“ sei die Wohnungsgesellschaft umfassend informiert gewesen. Inzwischen habe es einen Eigentümerwechsel gegeben.

Der Vertrag sei vor der Energiekrise sehr attraktiv gewesen, weil der Börsenpreis für Gas günstig war. Ob die Wohnungsgesellschaften diese Vorteile an Mie­te­r:in­nen weitergegeben hätten, „können wir leider nicht beantworten“, heißt es von Enercity. Im Zuge des Russland-Kriegs gegen die Ukraine seien die Gaspreise dann sehr stark gestiegen.

Mieter Zimmermann sieht noch einen Fehler: „Das Problem sind die ­Contracting-Verträge“, sagt er. Beim sogenannten Contracting gibt ein Wohnungsunternehmen die Zuständigkeit für das Bereitstellen von Heizanlagen und Wärme an ein anderes Unternehmen weiter – in diesem Fall Enercity. Enercity berechnet also nicht nur den Preis für das Gas, sondern lässt auch die Bereitstellung und Wartung der Anlagen einfließen. Hinzu kämen weitere, oft intransparente Faktoren.

„Es ist ein Skandal, dass ein kommunales Unternehmen einer anderen Stadt sich an der Not der Göttinger Mie­te­r*in­nen bedienen will“, sagt der Göttinger Karlheinz Paskuda, Mitglied im Landesvorstand der Linkspartei. „Wer solche Verträge erlaubt, öffnet der Willkür Tür und Tor.“ Schließlich wisse niemand, ob Enercity den teuren Börsenpreis für den Strom überhaupt bezahlt habe, oder sich schamlos bereichere.

Enercity-Sprecher Carlo Kallen betont jedoch, es handele sich gar nicht um Forderungen von Enercity an die Mieter:innen. Sein Unternehmen habe eine Geschäftsbeziehung ausschließlich mit der Wohnungsgesellschaft. Diese übernehme selbst die Abrechnung mit den Mieter:innen.

Energiekonzern hat fette Gewinne gemacht

Im Krisenjahr 2022 hat der Konzern nach eigenen Angaben ein Rekordgeschäft erzielt und 218,5 Millionen Euro Gewinn erwirtschaftet – ein Plus von 3,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Der Landesvorstand der Linkspartei fordert von Enercity, die Forderungen fallen zu lassen. Sie seien „höchst unmoralisch und absolut unvertretbar“, sagt die Landesvorsitzende Franziska Junker.

LEG Immobilien selbst könne jedoch gar nichts für den ­Contracting-Vertrag, sagt die Unternehmenssprecherin Veronika Böhm. Man habe den Vertrag vom Vorbesitzer der ­Immobilie, der Adler Group, übernommen. „Es gab für uns keine Möglichkeit, den Vertrag vorzeitig zu kündigen“, so Böhm.

Die Adler Group ist ein undurchsichtiges und hoch verschuldetes Firmengeflecht, gegen das wegen des Verdachts auf Bilanzfälschung, Marktmanipulation und Betrugs ermittelt wird. Doch Contracting-Verträge mit Energieunternehmen sind auf dem Wohnungsmarkt nicht unüblich. Erst Ende Mai wurde bekannt, dass sechs landeseigene Wohnungsgeber in Berlin ebenfalls Contracting-Vereinbarungen mit verschiedenen Energieunternehmen betreiben. Auch dort wehren sich die Mie­te­r*in­nen.

In Göttingen sind Steffen Zimmermann und die anderen Be­woh­ne­r*in­nen der LEG-­Häuser fest entschlossen, keinen Cent von den übertriebenen Forderungen zu bezahlen. Sie haben sich zu ­einer Prüfgemeinschaft zusammengeschlossen, die Widerspruch eingelegt und sämtliche Kostenbelege von dem Energieunternehmen angefordert hat.

Auch die Mieten wurden erhöht

Der Energieversorger teilt der taz mit, er haben „schon vor Wochen“ in einem Gespräch mit der Stadt Göttingen Bereitschaft signalisiert, im Rahmen einer Zuwendung an den Härtefonds der Stadt Göttingen soziale Härten für Mie­te­r:in­nen in Grone abzufedern. Außerdem hat das Unternehmen einen eigenen Härtefonds, der allerdings bisher nur in Hannover greift. Enercity sei dabei, ihn „so zu erweitern, dass er auch soziale Härten von Mie­te­r:in­nen beispielsweise in Göttingen abfedern kann, wenn die Anspruchsvoraussetzungen vorliegen“, teilt Kallen mit.

Unter den Zahlungspflichtigen des finanzschwachen Stadtteils Grone sind viele Emp­fän­ge­r*in­nen von Bürgergeld oder anderen Transferleistungen. Ihre Wärmerechnungen zahlt das Jobcenter. Im Rahmen der Nebenkostenvorauszahlungen habe LEG zudem die Mieten drastisch erhöht, zum Teil von 620 auf 920 Euro monatlich, sagt Steffen Zimmermann. „Für viele ist das existenzbedrohend.“

Immerhin: Die Vermieterin LEG hat den Vertrag mit Enercity Contracting nicht verlängert, sodass er Ende 2022 ausgelaufen ist. Den neuen Vertrag schloss LEG mit seiner eigenen Tochtergesellschaft „Energie Service Plus GmbH“. Es ist auch wieder ein Contracting-Vertrag.

Transparenzhinweis: Wir haben den Text um die Stellungnahme des Energieversorgers Enercity ergänzt und im Zuge dessen korrigiert, dass nicht dieser die Forderungen an die Mie­te­r:in­nen stellt.

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9 Kommentare

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  • Hersteller, Verkäufer und Installateure von Heizungsanlagen dürfen an der Installation einer Heizungsanlage natürlich etwas verdienen. Letztere auch noch bei nachfolgend notwendigen Reparatur-/Wartungsarbeiten. Aber das sind im Prinzip singuläre Verdienstmöglichkeiten.

    Vermieter dürfen am Betrieb der Heizungsanlagen hingegen nichts verdienen, sondern ausschließlich die tatsächlich anfallenden Betriebskosten auf die Mieter umlegen. Das ist zwar grundsätzlich auch der Fall, wenn der Betrieb der Heizungsanlage via Contracting an einen Dienstleister abgegeben wird, der dann an dieser Dientleistung verdient. Es stellt sich allerdings die Frage, ob das noch mit dem Wirtschaftlichkeitsgebot gem. § 556 BGB vereinbar ist, denn in diesem Fall entstehen durch den Betrieb der Heizungsanlage zusätzliche Kosten, die vermeidbar wären.

  • " Ob die Wohnungsgesellschaften diese Vorteile an Mie­te­r:in­nen weitergegeben hätten, „können wir leider nicht beantworten“,

    Wenn ich das richtig verstehe geht es hier doch um Nebenkosten.



    Also um Kosten die der Vermieter nur eins-zu-eins durchreicht.

    Und bei dieser Betrachtung stellt sich obige Frage garnicht.

    In allen anderen Fällen könnte jemand durchaus rausfinden ob da was "kleben geblieben" ist:



    Die Staatsanwaltschaft.

  • Man darf von Armen, aber auch noch mehr von den Reichen verlangen, dass sie sparsam heizen: Pullover, Stoßlüftung, zügige Dusche etc.



    So haben wir auch den Übergang vom Putin-Gas endlich und verblüffend reibungslos hinbekommen.

    Enercity sollte nicht jetzt Preise nicht weiterdurchreichen, weil die einen so laut protestieren, und sich das Geld dann bei anderen oder der Kommune holen. Das wäre nicht zu argumentieren.

    Die Kosten _waren hoch, und wenn man mit einer solchen Variante mal spart, zahlt man zu anderen Zeiten womöglich mindestens das wieder drauf.



    Unabhängig davon aber möglichst transparente Geschäfte und nicht auf Kosten der Mieter, das auch.

  • Das scheint mir eine recht einseitige Darstellung der Situation zu sein. Denn auch für Contracting-Verträge gilt die AVBFernwärmeV, nach der die Preissteigerungsklauseln transparent und nachvollziehbar gestaltet sein müssen, Und Preiserhöhungen sind nicht gottgegeben, sondern müssen vorher angekündigt werden. Es darf von den Mieter'innen erwartet werden, dass er/sie seine/ihre Vorjahresverbräuche mit dem neuen Tarif hochrechnen und er/sie ggf. ihr/sein Heizverhalten anpasst.

    • @cmkaiser:

      Ich bin Kunde von Enercity in Hannover und habe nur 230 Euro nachgezahlt. Das hier was beim Versorger oder dem Vermieter schief gelaufen ist, ist bei 1100 Betroffenen offensichtlich. Diese Selbst-Schuld-Mentalität ist hier völlig fehl am Platz. Das sind Summen die die Existenz gefährden können.

      • @Andreas J:

        Wenn hier wirklich etwas schief gelaufen ist, z.B. beim Ablesen, der Rechnungserstellung oder der Weiterverrechnung durch den Vermieter, ist die Sachlage eine andere; das muss selbstverständlich korrekt gehandhabt werden. Ich habe nur etwas dagegen, die Schuld an der Kostenerhöhung ohne Prüfung der Sachverhalte einseitig dem Versorger zu geben.

    • @cmkaiser:

      Einseitig ist der Artikel auch insofern, als die Position des Energieversorger nicht dargestellt wird. Vielleicht gibt es ja vernünftige Gründe für so hohe Preise.



      Also bei der Ukraine- Krise stieg der Heizöl- Preis von ca 70- 80cent auf 1,55, für einige auch auf 1,80 pro Liter. So pi mal Daumen der 3fache Preis wie 2020 ist gerade noch vertretbar.

    • @cmkaiser:

      Hehehe, der war gut. ^^

      • @Lahmarsch:

        Klar. Gibt es auch sachliche Kritik?