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Zwang zum DigitalenIch! Will! Analog! Sein!

Ulf Schleth
Gastkommentar von Ulf Schleth

Ob Bank, Arztpraxis oder Carsharing – alle setzen auf digitalen Zugang. Wer nicht digital ist, wird ausgeschlossen.

Als Carsharing noch voll analog war Foto: Ray van Zeschau/imago

N eulich versuchte ich, einen Termin bei einem Orthopäden zu bekommen. Doch niemand ging ans Telefon. Auf der Webseite der Praxis nur der Hinweis „Terminvereinbarung bitte über Doctolib“. Wenige Wochen zuvor kam Post von der Bank: Ich möge mir doch die neue App zulegen, das alte Banking-Verfahren werde sicher bald eingestellt. Ähnliches beim Handy-Anbieter: Bitte die App nutzen, statt die Hotline des Kundenportals anzuwählen. Die ist ohnehin irgendwo tief im Impressum versteckt.

Auch die letzten Menschen, die geglaubt hatten, dass sie ein Recht auf ein analoges Leben haben, spüren inzwischen, dass das ein Irrtum ist.

Und so geht es weiter. Für mich lohnt es sich nicht, ein eigenes Auto vor der Tür zu haben, also vergleiche ich Carsharing-Anbieter. Der vielversprechendste verlangt nicht nur das Installieren der App, sondern auch die Nutzung von Google-Diensten beziehungsweise die eines iPhones. Um es anders zu sagen: Der Digitalisierungsterror macht vor nichts und niemandem halt. Auch die letzten Menschen, die geglaubt hatten, dass sie ein Recht auf ein analoges Leben haben, spüren inzwischen, dass das ein Irrtum ist.

Was aber ist mit all jenen, die kein passendes Endgerät haben oder es nicht bedienen können? Sie werden de facto dazu genötigt, sich digital anzugleichen. Das jedoch fördert nicht nur die Finanzmacht in den Händen von Konzernen der Informationstechnologie. Die wissen darüber hinaus die Kundendaten für sich zu nutzen. Das ist gefährlich: Große Mengen an sensiblen Gesundheitsdaten sammeln sich auf Arztportalen, andere Websites horten private Daten und Nutzeranalysen.

So schrumpfen Privatsphäre, digitale Selbstbestimmung und die Möglichkeit paritätischer Teilhabe in allen Lebensbereichen auf ein Minimum zusammen. Während die kritische Medienkompetenz insbesondere bei den Jüngeren auf dem Rückzug ist.

Der Verein Digitalcourage, der jetzt mit einer Unterschriftenaktion ein „Recht auf Leben ohne Digitalzwang“ im Grundgesetz fordert, verlangt nur etwas, das selbstverständlich sein sollte. Mehr noch: Das sollte Teil der gelebten Demokratie sein. Digitales Zeitalter hin oder her.

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12 Kommentare

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  • Ich habe einige Sympathie für die Position.



    Es ist auch weiterhin möglich, analog unterwegs zu sein .



    Es gibt weiterhin Banken, die Gebäude besitzen, in denen Mensch Geschäfte mit realen Personen abschließen kann.



    Wer kein Auto besitzt, kann sich mal eins leihen (von Bekannten) , bzw. man/frau fahren gemeinsam zum Großeinkauf.



    Das klappt aus meiner Perspektive gut .

  • Guten Morgen



    Umzug von Hamburg nach Stralsund…



    Ich habe mein Umzugstransporter selbstverständlich nur online buchen können. Habe mir natürlich das günstigste Angebot ausgesucht und musste das geparkte Fahrzeug auf einer abgelegenen Straße im Industriegebiet abholen. „Ohh cool, ein ein Elektro Transporter„. Bei zwei Touren musste ich ihn 5 mal aufladen, bei 3 verschiedenen Anbietern. Für jeden einzelnen musste ich jeweils eine App installieren. Bei einem Anbieter bin ich sogar an einem Abo hängen geblieben, 5€ monatlich. Komplette Intransparenz auf allen ebenen.



    Zum Glück waren wenigstens meine Umzugshelfer analog.

    P.s: in Stralsund angekommen wurde ich mit Bargeldlosen Bankfilialen konfrontiert. Die einzige Angestellte im Rentenalter versuchte mit zu erklären wie praktisch dass jetzt für sie wäre.

    Gruß



    Roberto

  • Ein Problem ist, dass die "analogen" Lösungen inzwischen oft so versteinert, unpraktisch und verwaltungsgelähmt sind, dass trotz aller Bedenken die Alternativen oft geradezu ein Lichtblick sind.

    Beispiel Arzttermine: Ich habe eine Überweisung zum Facharzt und brauche einen Termin. Analog suche ich mir Ärzte in der Umgebung, finde ihre Telefonnummer heraus (OK, wahrscheinlich mit Google Maps...), rufe dort an, bis ich endlich jemanden erreiche und frage nach Terminen. Spätestens beim dritten Versuch habe ich die Schnauze voll und nehme den mir angebotenen Termin in vier Monaten.

    Doctolib: ich melde mich an, gebe meine PLZ ein und scrolle die nächstgelegenen Ärzte durch, bis ich einen finde, der gerade einen mir genehmen Termin in den nächsten Tagen frei hat und buche den mit einem Klick sofort. Fertig.

  • Noch kann man sehr weitreichend analog leben - die Frage ist wie konsequent man dabei sein möchte.

    Nur mal so als Tip:



    Es gibt keine analoge Telefonie mehr - Telefonie ist wie die meisten anderen digitalen Dienst heute IP basiert.



    Wenn man konsequent analog sein möchte fällt bedeutet das heute : Ohne Telefon. Auch das kann man wollen und machen.

    Bei mir verläuft es so in der Mitte - oder genauer da, wo man ein "SmartPhone" bräuchte.



    Stadtrad geht ohne Smartphone über ein Token an Schlüsselbund und ist gesünder-billiger als Roller, Online Banking geht noch wunderbar über einen separaten ChipTAN-Generator und noch kann ich Dinge des täglichen Bedarfs bar zahlen.



    Man kann sich das SmartPhone noch recht gut vom Leibe halten - und das wäre im Moment meine persönliche Grenze.



    Und nachdem ich vor Jahren ein paar Monate Facebook hatte ... reichte es für die Erkenntnis das "SocialMedia" mein Leben nicht verbessert.

    Es gibt Dinge da ist digital nützlich, es gibt noch mehr Dinge da ist digial unnütz bis schädlich ( z.b. die Dienste wo man nur 150-500 Zeichen hat und kaum einen sinnvollen Gedanken zur "Papier" bringen kann )



    Und dann gibt es noch "Dating-Apps" *rofl*

  • Mit den analogen Lösungen ist es wie mit dem Gasnetz in der Zukunft: die immer weniger Menschen, die es nutzen, müssen dafür die Kosten tragen.

  • …rückwärts nimmer!

    Meinen Lohn hätt‘ ich auch gern wieder in bar, das Fernsehen analog und auch UKW, KW und LW, die GEZ dafür weg; ein Auto, dass jeder Mechaniker ohne PC reparieren kann, mein Telefon ohne Akku und mit Wählscheibe und schalldichte Telefonzellen als Pflicht für Telefonate in der Öffentlichkeit, sofort!

    Ipad, GPS, facebook und TikTok können bleiben, is doch klar…

  • Digitalisierungszwang ist besonders dann "lustig", wenn die einzige Meldung der ach so tollen Technik wieder einmal nur "Error" heißt. ;-)

    Und wieder einmal regiert König "Geht nicht" das Land.



    Über Faxe sollten wir vielleicht weniger lachen, die funktionieren zumeist meistens.

  • Na ja, ich halte Datenschutz auch für wichtig. Aber der Rest ist halt einfach nur "Ich!Will!Nicht!". Man nicht all die Annehmlichkeiten einer modernen Gesellschaft haben wollen, aber sich den Neuerungen konsequent verweigern. Das hat noch nie funktioniert.



    Dann muss man halt auf modernen Krimskrams wie Online Banking verzichten und die Bankgeschäfte klassisch am Schalter der nächtsgelgen Filiale erledigen. Und statt Carsharing muss man zur Filiale der Autovermietung. Und für den Arzttermin in die Praxis latschen. Usw. Gibt auch Aussteiger irgendwo in der Prärie, die können auf all das verzichten.

    • @Deep South:

      Carsharing wollen und dafür kein Smartphone benutzen, finde ich auch etwas schräg.



      Aber Bankgeschäfte am Schalter? Bei welcher Bank sind Sie, dass das noch geht? In meinem Heimatort gibt es keine Bankfiliale, zu der ich mein Konto verlegen könnte. Bis zum nächsten Bankschalter bin ich eine Stunde unterwegs.



      In den meisten Fällen würde es doch sogar reichen, wenn man die Dinge mit einem normalen Computer machen könnte. Aber man braucht oft mindestens zwei Endgeräte, die nicht älter als drei Jahre sein dürfen.



      Und Online-Termin-Vergabe bei Ärzten ist theoretisch klasse. Führt meiner Erfahrung nach aber zu einem deutlichen Rückgang an Freundlichkeit und Mitdenken beim Personal. Dass Termine verloren gehen, hatte ich bisher nur bei digital organisierten Praxen.

      • @Herma Huhn:

        Bin bei einer großen Bank und da geht das ohne Probleme. Wie bei eigentlich alle größeren instituten und Sparkassen. Muss man halt unter Umständen eine gewisse Distanz zurücklegen.



        Auch beim Online Banking konnte ich wählen zwischen dem Authorisierungsverfahren per push Tan oder per sms Tan. Ich hab ein uraltes Samsung S7, damit isses kein Problem. SMS kannste mit nem 20 jahre alten Nokia 3210 empfangen.



        Und für nen einfachen Arzttermin geh ich selbst manchmal in die Praxis, weil mir die ewigen Telefonwarteschleifen auf den Keks gehen. Nur ein einziges mal hab ich einen Termin online abgeschlossen. Das war die 3. Corona Impfung, weil ich den Termin so schneller bekommen hab..



        Ich mach auch nicht jeden Quatsch mit, hab keine social media accounts, kein smart home, bezahle nie mit dem Telefon. Man kann klar kommen, wenn man denn will.



        Und nochwas. Ohne digitalen Zugang könnte man nichtmal diesen Artikel lesen.

        • @Deep South:

          SMS hat meine Bank vor einer Weile eingestampft.



          Alternative gab es allerdings: Ein Extra-Gerät, welches nur zum TAN-Generieren existiert. War auch gut.



          Die neue Bank bietet nichts dergleichen an. Nun könnte es heißen, warum dann diese Bank? Nun, weil ich bei der in einer Stunde sein kann, die alte ist noch weiter weg.

  • Weiterhin analog wäre natürlich klasse. Ich fänd es schon gut, wenn man nicht gezwungen wäre ein Schmartfon zu benutzen. Bisher habe ich meine Aktivitäten ohne so ein Gerät hinbekommen. Mein Laptop reichte bisher aus.

    Allerdings mache ich auch kein CarSharing mehr. Und beim ÖPNV reicht zum Glück ein Deutschland-Ticket als handfeste Scheckkarte (Ruhrbahn Essen, und auch in Dortmund).

    DigitalCourage sind doch auch die Leute, die Ed Snowden noch nicht vergessen haben, und sein Asyl in Deutschland fordern. Guter Verein!