Whistleblower von Kriegsverbrechen: Haft für Ex-Anwalt in Australien
Ein australischer Ex-Militäranwalt half, Kriegsverbrechen in Afghanistan aufzudecken. Jetzt wurde er zu einer hohen Haftstrafe verurteilt.
„Was sagt es über unsere Demokratie, wenn die erste Person, die im Zusammenhang mit Kriegsverbrechen australischer Truppen ins Gefängnis kommt, nicht ein Kriegsverbrecher ist, sondern ein Whistleblower?“
So kommentierten Kieran Pender vom Human Rights Law Center in Melbourne und Peter Greste von der Alliance für Journalists’ Freedom aus Sydney im britischen Guardian die Verurteilung des australischen Whistleblowers David McBride. Der Ex-Militäranwalt war am Dienstag in Canberra wegen Geheimnisverrats zu 5 Jahren und 8 Monaten Haft verurteilt worden. Für Pender und Greste „ein dunkler Tag für Demokratie und Pressefreiheit in Australien“.
Der einstige Elitesoldat McBride hatte sich über das Verhalten australischer Kommandeure im Afghanistankrieg empört. Die hätten das Verhalten ihrer Untergebenen aus Angst vor einer kritischen Öffentlichkeit viel zu penibel untersuchen lassen und sie so Verdächtigungen ausgesetzt, statt sich selbstbewusst vor sie zu stellen. Als interne Beschwerden nicht fruchteten, wandte sich McBride an das Verteidigungsministerium und die Polizei. Vergeblich.
Darauf stahl er zwischen Mai 2014 und Dezember 2015 hunderte geheimer Militärdokumente und übergab sie dem Journalisten Dan Oakes des öffentlich-rechtlichen Senders ABC. Doch der Journalist kam bei Sichtung des Materials zu einem anderen Schluss: Die von ihm auf Basis der Dokumente produzierte siebenteilige Serie „The Afghan Files“ zeigte mutmaßliche Kriegsverbrechen australischer Soldaten. „Je mehr Material ich mir anschaute, konnte ich immer weniger nachvollziehen, dass diese Typen zu sehr überwacht worden seien. Es war genau das Gegenteil der Fall“, so Oaks bei ABC.
Tiefpunkt in Australiens Mediengeschichte
Ein Untersuchungsbericht – der Bereton-Report des Verteidigungsministeriums vom Dezember 2020 – fand Indizien für 39 mutmaßliche Morde an afghanischen Zivilisten und Gefangenen durch australische Elitesoldaten zwischen 2006 und 2016. Einmal hätten sie einen schlafenden Sechsjährigen erschossen, mehrfach seien getöteten Unbewaffneten nachträglich Waffen untergeschoben worden, um die Tötungen zu rechtfertigen.
In Australien kamen die Ermittler schnell auf McBride als Quelle der Enthüllungen. Er konnte sich zunächst für ein Jahr nach Spanien absetzen, wurde aber bei seiner Rückkehr festgenommen. Ein absoluter Tiefpunkt in Australiens Mediengeschichte war dann die Durchsuchung der Zentrale von ABC in Sydney im Jahr 2019. Dort wurde allerdings im Unterschied zu Durchsuchungen in McBrides Haus kein belastendes Material gefunden.
Schließlich nahm die Justiz Abstand davon, auch Oaks und seinen Producer für die Veröffentlichung der Enthüllungen anzuklagen. Das wäre dann wohl doch eine zu große Einschränkung der Pressefreiheit gewesen, zumal auch immer klarer geworden war, dass die Enthüllungen sehr wohl im öffentlichen Interesse waren. Abgesehen davon bekennt sich Australien, das Heimatland des Wikileaks-Gründers Julian Assange, sogar offiziell zum Schutz von Whistleblowern. Doch zeigt die Verurteilung von McBride jetzt nach Ansicht von Beobachtern, dass es damit nicht weit her ist.
Im November 2023 hatte sich dieser vor Gericht ohne Umschweife für schuldig bekannt, schließlich habe er seiner Meinung nach im öffentlichen Interesse und im Rahmen seines Diensteides als Militäranwalt gehandelt. Das Gericht hielt ihm immerhin zugute, dass er nicht aus Geldgier gehandelt habe und nicht um Australien absichtlich zu schaden. Dennoch begründete Richter David Mossop das unerwartet harte Urteil auch damit, dass es abschrecken solle.
Australiens sozialdemokratischer Premier Anthony Albanese weigerte sich auf Nachfrage, das Urteil zu kommentieren. Denn da sei wohl noch nicht das letzte Wort gesprochen. McBrides Anwalt hat schon Berufung angekündigt. Im Index der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen 2024 ist Australien auf den 39. Platz abgerutscht, im Vorjahr lag es noch auf Rang 27.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Auflösung der Ampel-Regierung
Holpriger Versuch endgültig gescheitert
+++ Ampelkoalition zerbricht +++
Lindner findet sich spitze
Scheitern der Ampelkoalition
Ampel aus die Maus
Ampelkoalition gescheitert
Endlich!
Ampelkoalition zerbricht
Scholz will Vertrauensfrage stellen
Antisemitismus-Resolution im Bundestag
Kritik an Antisemitismus-Resolution