Haushaltsstreit der Ampel-Koalition: Schulze kriegt die Krise
Finanzminister Lindner will sparen. Entwicklungsministerin Schulze betont deutsche Interessen, um Kürzungen in der Entwicklungspolitik abzuwenden.
Lindner hat die Ministerien inzwischen öffentlich dazu aufgefordert, Sinn und Zielgenauigkeit ihrer Ausgabenpolitik zu überprüfen. Als Beispiel nannte er ein Projekt des BMZ aus Zeiten Gerd Müllers (CSU), das Fahrradwege in Peru finanzierte. Die AfD hatte das Projekt als Symbol für verschwendete Steuergelder in den sozialen Medien lanciert. Angeblich habe Deutschland dafür 315 Millionen Euro gezahlt – tatsächlich waren es aber 44 Millionen in Form von Krediten und Zuschüssen.
„Es ist wichtig, einzelne Projekte anzuschauen und zu hinterfragen, aber daran die Notwendigkeit von Entwicklungspolitik festzumachen, folgt populistischer Rhetorik“, sagt Stephan Klingebiel, der zu Wirksamkeit von Entwicklungspolitik am Deutschen Institut für Entwicklung und Nachhaltigkeit in Bonn (IDOS) forscht.
Auffällig ist, dass Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) im Haushaltsstreit zunehmend die Eigeninteressen der Bundesrepublik hervorhebt: „Entwicklungszusammenarbeit ist gut investiertes Geld“, betonte sie in der ARD-Sendung „Bericht aus Berlin“ am Sonntag. „Jeder zweite Euro wird im Export verdient, deswegen müssen wir uns auch mit unseren Partnerländern beschäftigen.“
Überall ein bisschen kürzen oder „der Rasenmäher“
Um die Abhängigkeit von China zu reduzieren, müsse in die Rohstoffproduktion in anderen Ländern investiert werden. Es gehe um Sicherheit und Geopolitik, Schutz vor der nächsten Pandemie und Begrenzung von Fluchtbewegungen.
Auch Klingebiel betont die strategische Funktion von Entwicklungspolitik. Die meisten Mittel in der Entwicklungsarbeit sind langfristige Investitionen über mehrere Jahre. Ganz pragmatisch gebe es zwei Möglichkeiten zu kürzen: erstens, „der Rasenmäher“ – überall wird ein bisschen gekürzt – oder zweitens, Gelder für bestimmte Themen oder Länder zukünftig zu streichen.
Beide Methoden wären nicht schnell umsetzbar aufgrund bestehender rechtlicher Verpflichtungen und kämen mit Kosten, wie einem Vertrauensverlust der Partnerländer in Deutschland. Man könne über „kluge Einsparungsstrategien nachdenken“, sagt Klingebiel, aber nicht in diesen „überproportionalen Größenordnungen“, wie sie Christian Lindner vorschlägt.
Technisch leicht kürzbar sind vor allem die Mittel der humanitären Hilfe im Auswärtigen Amt und die Krisenbewältigung im BMZ. Dort fielen bereits im letzten Etat die meisten Kürzungen an. Zum Beispiel: 2023 erhielt das Welternährungsprogramm der UN (WFP) rund 250 Millionen Euro weniger vom BMZ als im Vorjahr.
Die Organisation hatte insgesamt einen Bedarf von 24 Milliarden US-Dollar angemeldet, davon kamen durch internationale Geber 8,5 Milliarden zusammen. In der Konsequenz musste die Hilfsorganisation in all ihren Operationen kürzen, etwa im Jemen, in Syrien, im Südsudan oder in Haiti.
„Das heißt, wir können nur noch die besonders vulnerablen Menschen versorgen. Viele Menschen bekommen dann von einem auf den anderen Tag keine Versorgung mehr“, sagt WFP-Pressesprecher Martin Rentsch. Das führe zu anderen „Bewältigungsstrategien“ wie Kinderehen oder Betteln. Es destabilisiere die Regionen weiter, führe zu mehr Fluchtbewegung.
„Zeitenwende sieht anders aus“
„Wir befürchten, dass mit weiteren Kürzungen 2025 auch kritische Infrastruktur abgebaut wird“, sagt Rentsch. Dann müssten etwa Logistikzentren geschlossen werden. „Aus Erfahrung wissen wir, dass, wenn wir uns einmal zurückgezogen haben und lokale Akteure nicht mehr unterstützen können, es schwer ist, diese Strukturen später wiederaufzubauen.“ Die Lücke würde von anderen Akteuren geschlossen, die sich weniger für die humanitäre Lage interessieren.
Verständnis für die Sparvorgaben hat der ehemalige entwicklungspolitische Sprecher der FDP, Christoph Hoffmann. Er schlägt vor, sich etwa aus Afghanistan oder Mali zurückzuziehen. „Wir müssen uns auf Freunde der Demokratie konzentrieren“, so Hoffmann.
Nicht nur Abgeordnete der SPD, der Grünen und der Linken haben sich gegen die Reduzierung der Mittel ausgesprochen. Auch der entwicklungspolitischer Sprecher der CDU, Volkmar Klein, warnt vor Kürzungen, die „zu einem Minus von dann mehr als 30 Prozent in drei Jahren“ führten. „Zeitenwende sieht anders aus.“
Die Zahlen zu den Etats wurden im Nachhinein konkretisiert und verbessert.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Autoritäre Auswüchse beim BSW
Lenin lässt grüßen
Prozess zum Messerangriff in England
Schauriger Triumph für Rechte
BSW in Thüringen auf Koalitionskurs
Wagenknecht lässt ihre Getreuen auf Wolf los
Rückgabe von Kulturgütern
Nofretete will zurück nach Hause
Nahostkonflikt in der Literatur
Literarischer Israel-Boykott
Kamala Harris’ „Abschlussplädoyer“
Ihr bestes Argument