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Hamburgs Verschleierungs-VerbotspläneAktionismus löst keine Probleme

Alexander Diehl
Kommentar von Alexander Diehl

Grüne und SPD möchten die „offene Kommunikation“ an Hamburgs Schulen bewahren. Blöd, dass ihnen dazu nur verschleierte Mädchengesichter einfallen.

Sorgte bundesweit für Aufsehen: Islamisten-Demo am 27. April 2024 in Hamburg Foto: dpa | Axel Heimken

M üssen nun zehn muslimische Mädchen ausbaden, was versäumt wurde im Kampf gegen den Islamismus? Bloßer Zufall wird es ja kaum sein, dass Hamburgs SPD und Grüne am 30. April den nun zur Abstimmung stehenden Antrag vorlegten, der die „offene Kommunikation“ an den örtlichen Schulen bewahren soll – deren Gefährdung demnach in den stoffverhüllten Gesichtern von nicht mal einem Dutzend Schulmädchen besteht.

Drei Tage vorher, am 27. April, hatte eine islamistische Demonstration der Stadt Rufe nach einem „Kalifat“ beschert – und in der Folge überregional schlechte Presse. Woraufhin eine Idee wieder hervorgeholt worden zu sein scheint, die schon seit Anfang 2020 in Umlauf ist. Damals hatten das Verwaltungs- und das Oberverwaltungsgericht zugunsten einer verschleierten Berufsschülerin geurteilt – und die Schulbehörde angekündigt: Diese Rechtslücke wird geschlossen!

Es wird sich zeigen, ob die Be­hör­den­ju­ris­t:in­nen zu einer rechtssicheren Konstruktion gelangen; immerhin sind von einem Verschleierungsverbot im Bildungswesen die Grundrechte der betroffenen Schülerinnen berührt. Dabei kann man aus guten Gründen gegen religiös begründete Kleiderregeln im öffentlichen Raum sein. „Als Opfer und zugleich als Störerin“ behandele ein damals neues Verbot in Frankreich die Burka-Trägerin: Das hat 2015 allerdings kein islamischer Verbandsfunktionär kritisch angemerkt, sondern der katholische Theologe Heiner Bielefeldt.

Der Aktionismus-Verdacht bleibt – und ebenso der Eindruck, Hamburg handele nun gerade an dieser Stelle, weil die eigentlich zu stellende Frage nach einer möglichen Radikalisierung unter Musli­m:in­nen so viel konfliktträchtiger wäre. Bloß: Wem ist am Ende gedient mit lediglich symbolisch bleibender, ja: mit Pseudo-Politik?

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Alexander Diehl
Redakteur taz nord
Wollte irgendwann Geisteswissenschaftler werden, ließ mich aber vom Journalismus ablenken. Volontär bei der taz hamburg, später auch mal stv. Redaktionsleiter der taz nord. Seit Anfang 2017 Redakteur gerne -- aber nicht nur -- für Kulturelles i.w.S.
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9 Kommentare

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  • Mein Eindruck ist, dass wir uns in Deutschland verstärkt mit (direkt und indirekt) "religiösen" Problemen beschäftigen müssen, was ich sehr bedauerlich finde. All' diese Zeit, Energie und auch die finanziellen Mittel fehlen an anderer Stelle, wo ich sie sinnvoller eingesetzt fände.



    (Ich merke gerade den Widerspruch, da ich jetzt selbst auch mit meinem Kommentar in diesem Thema Zeit und Energie investiere.)

    Ich "will" endlich eine rigorose Trennung von Kirche/Religion und Staat, die Zurückdrängung des Religiösen in das Privatleben, incl. Abschaffung der kirchlichen Feiertage, religiösen Eidesformeln, usw.. ... und den Passus im Grundgesetz "4 Abs. 1 und 2 GG garantiert die Religionsfreiheit eines jeden Einzelnen." möchte ich gerne geändert haben in "... Glaubensfreiheit ...".

    Wir entwickeln uns, meiner Meinung nach, mit diesen religiösen Befindlichkeiten und Brauchtum immer weiter zurück in archaische, patriarchalische, frauen- und homosexuellen/queer-feindliche Zeiten.

    Das Verbot der Verschleierung finde ich demzufolge richtig.

  • Vielleicht ist ja den betroffenen Mädchen gedient, die jetzt in der Schule zumindest etwas mehr von der Welt mitbekommen.

  • Ich möchte dem Autor zustimmen, dass nur eine Verschleierungsverbot alleine zu kurz greift und umfassende Maßnahmen gegen einen politischen Islam notwendig sind. Nichtsdestotrotz finde ich ein Verbot als eine von vielen Maßnahmen richtig. Eine offene Gesellschaft muss verteidigt werden gegen jede Art von Extremismus. Viel zu lange haben wir dabei nur an Rechtsextreme gedacht, maximal vielleicht noch an Linksextreme, aber die religiösen Extremisten vornehmlich muslimischer Natur vollkommen aus den Augen gelassen.

    • @Fran Zose:

      Ich denke auch, dass nur mit diesem Verbot der Islamismus nicht nachhaltig bekämpft werden kann.

      Dennoch finde ich es als Symbol wichtig. Wer sich durch solche Kleidung massiv außerhalb unserer Gesellschaft stellt und klar signalisiert, nichts damit zu tun haben zu wollen, muss, vor allem im Bereich der Schule, mit Konsequenzen rechnen.

      Der Islamismus und die damit verbundenen Gefahren werden in Deutschland kleingeredet, relativiert und wer sich kritisch äußert, wird mit Rassismus-Vorwürfen überzogen.

      Menschen wie Ahmad Mansour können ihrer Arbeit nur unter Polizeischutz nachgehen.

      Khola Maryam Hübsch kann bei Lanz, natürlich mit Kopftuch gekleidet, verkünden, ihre Gemeinde habe auch einen Kalifen und sie würden die Scharia befolgen.

      Mag ja sein, dass diese beiden Worte dies und das bedeuten können, religiöse Werke sind ja extrem interpretierbar und jeder liest das heraus, was ihm passt, aber Scharia und Kalifat sind im öffentlichen Diskurs eindeutig konnotiert.

      Schmankerl am Rande, eine der ersten Handlungen von Nancy Faeser war es, den Arbeitskreis "Politischer Islam" aufzulösen. Brauchen wir nicht.

      Ich sehe eher schwarz für die Zukunft.

      Houellebecq lässt grüßen.

    • @Fran Zose:

      Vielleicht lassen Sie die Islam-Debatten der letzten 20 Jahre noch einmal Revue passieren; dass man "religiöse Extremisten vornehmlich muslimischer Natur" aus den Augen gelassen hätte, ist schlichtweg falsch. Man hat in Politik und Medien - auch in angeblich liberalen Kreisen - allzu oft ein Feindbild Islam kultiviert, von dem nicht zuletzt die extreme Rechte profitiert hat: man dürfte wieder gut bürgerlich hassen. Nicht wenig von dem, was die AfD rausposaunt, konnte man vorher schon auf Spiegel-Titelseiten lesen.

      • @O.F.:

        Nein, viel zu lange wurde der politische Islam mit seinem Machtanspruch grade von linken Kreisen relativiert und negiert. Man hat ihn gewähren lassen aus Angst vor unangenehmen Debatten die vielleicht auch das eigene Weltbild hätten gefährden können. Da wurde das Kopftuch zum Symbol der Selbstbestimmung hochgejazzt wider besseren Wissens und jeder Kritik an dahinterstehenden archaischen Weltbildern als islamophob abgewiesen. Mit der Negierung von Problemen hat man es den Rechten sehr einfach gemacht, denn die Probleme waren und sind ja offensichtlich. Eine ehrliche Analyse ist die Grundlage auf der man dann eine Lösung finden kann und damit den Rechten den Wind aus den Segeln nimmt. Probleme zu negieren führt nur dazu, dass sie Ihenen am Ende umso heftiger um die Ohren fliegen. Das ist es übrigens was ich diesen an sich ja Wohlmeinenden übel nehme, dass sie am Ende das Gegenteil erreichen und das kann niemand wollen. Sie vertauschen hier Ursache und Wirkung, wenn Sie behaupten es sei andersrum.

        • @Fran Zose:

          Sie können ja gerne einmal die Probe machen: fast jede Tageszeitung hat ein digitales Archiv; Talkshows und Politikerreden finden Sie im Internet; suchen Sie in Buchhandlungen nach "islamkritischer" Literatur; auch die Haltung diverser linker Gruppen zum Islam lässt sich leicht recherchieren (und die war keineswegs durchgehend positiv). Es gab kein Schweigen über islamischen Extremismus, sondern allzu polemische und pauschalisierende Debatten, die sich oft genug gegen harmlose und gesetzestreue Durchschnittsmuslime gerichtet haben. Dazu gehört übrigens auch das Kopftuch: es gibt in diesem Land ein Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit - auch für religiöse Menschen. Den Rechten hat man es nicht leicht gemacht, weil man etwas tabuisiert hätte, sondern weil man den Hass auf eine Minderheit enttabuisiert hat - und das ganz auch noch als Akt der Aufklärung vermarktet.

          • @O.F.:

            Vom Artikel 2, Absatz 1 des GG wird gern immer nur der erste Halbsatz zitiert:

            "Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit,"

            und nicht selten so verstanden, als würde der Satz statt mit "Jeder hat" mit "Ich habe" beginnen. Der Satz geht zudem noch weiter:

            "soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt."

            Mit anderen Worten: Die eigene Freiheit hört da auf, wo die anderer anfängt. Je mehr Menschen zusammen leben, desto weniger freie Entfaltung ist möglich.

            Und dem nachfolgenden Artikel 3, Absatz 2 des GG kann man entnehmen:

            "Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin."

            Wenn also in der Bibel (NT / Paulus / Brief an die Epheser, Kapitel 5) steht:

            "Das Weib sei dem Manne untertan"

            dann hat der Artikel 3, Absatz 2 Vorrang vor dieser Aussage der Bibel. Und das gilt für Gebote und Verbote anderer Religionen gleichermaßen. Sie sind hinfällig, wenn sie mit grundlegenden Werteentscheidungen der demokratischen Gemeinschaft kollidieren.

            • @Al Dente:

              Nun schränkt es die Persönlichkeitsentfaltung anderer nicht ein, wenn eine Frau Kopftuch oder irgend ein anderes religiöses Kleidungsstück trägt. Niemand hat einen Anspruch darauf, nicht mit anderen Weltbildern konfrontiert zu werden. Übrigens auch nicht mit solchen, in denen die Geschlechter nicht gleichberechtigt sind: denn der von Ihnen zitierte Paragraph regelt weder die private Lebensgestaltung (eine Hausfrau macht sich nicht strafbar) noch unterbindet er Dissens (an Gesetze muss man sich halten, aber es gibt keinen Zwang, Ihnen zuzustimmmen). Ohnehin erinnere ich daran, dass die im GG definierten Grundrechte primär Schutzrechte des einzelnen gegenüber dem Staat sind - es geht hier also gerade nicht darum, Anpassung zu verlangen, sondern die Freiheit individueller Lebensgestaltung zu sichern - vor dem Staat ebenso wie vor der Mehrheitsgesellschaft. Man muss sich in Deutschland - zum Glück - nicht von der "grundlegenden Werteentscheidung der demokratischen Gemeinschaft" auf Linie bringen lassen. Darunter hätten nämlich nicht nur verschleierte Musliminnen zu leiden.