piwik no script img

Zum ersten Magnus-Hirschfeld-Gedenktag„Eine Ikone der queeren Geschichte“

Erstmals erinnert am 14. Mai ein Gedenktag an den Berliner Sexualwissenschaftler Magnus Hirschfeld. Alfonso Pantisano über das Ziel des Erinnerns.

Magnus Hirschfeld in seinem Institut für Sexualwissenschaft in Berlin, eine Aufnahme von 1919 Foto: Keystone/Getty Images
Andreas Hergeth
Interview von Andreas Hergeth

taz: Herr Pantisano, Berlin hat als erstes Bundesland den 14. Mai zum Gedenktag für Magnus Hirschfeld gemacht. Warum braucht es einen solchen Tag für diesen Arzt und Sexualwissenschaftler, der Jude und Homosexueller war?

Alfonso Pantisano: Magnus Hirschfeld erinnert uns alle daran, dass wir der Wissenschaft vertrauen sollten, denn nur so kommen wir zu wirklicher Gerechtigkeit. Queeres Leben war schon immer zu Hause in unserer Stadt und ist nie ein Trend gewesen, sondern eine Realität. Das zu akzeptieren ist unsere Aufgabe, denn nur so können wir garantieren, dass alle Menschen in der Regenbogen-Hauptstadt ein würdiges und sicheres Leben in Freiheit leben können. Das ist die Mahnung von Magnus Hirschfeld.

Bernd Elmenthaler/imago
Im Interview: Alfonso Pantisano

49, wurde im Juli 2023 erster Beauftragter für die Rechte queerer Menschen, zuvor Mitglied im Bundesvorstand des Lesben- und Schwulenverbandes, Referent von Innensenatorin Iris Spranger sowie persönlicher Referent der SPD-Vorsitzenden Saskia Esken.

Zur langen Geschichte von queerem Leben in Berlin fällt mir das „Eldorado“ ein. Auch im Programm des Magnus-Hirschfeld-Tages taucht der Name des Lokals auf. Was hat es damit auf sich?

Im historischen Regenbogen-Kiez rund um den Nollendorfplatz blühte ja schon vor über 100 Jahren das queere Leben – so lange, bis die Nazis kamen und alles zugrunde gerichtet haben. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat es die Community durch viel Leid und viel Stärke geschafft, aus den dunklen Zeiten hervorzutreten und wieder ins Licht hineinzukommen. Diese Position der Stärke, des Selbstbewusstseins und des Stolzes gilt es jetzt zu verteidigen. Das Eldorado, ein Travestielokal, war einer der vielen Orte für Homosexuelle und Transpersonen in den 1920er Jahren. Das Eldorado stand für Freiheit – wurde von den Nazis geschlossen und ist später nie wieder zurückgekehrt. Wir bringen das Eldorado jetzt für eine Nacht zurück.

Ins „Metropol“ am Nollendorfplatz – dort war aber das originale Eldorado nicht, oder?

Das Eldorado gab es in Berlin an drei verschiedenen Locations: zuerst an der Kantstraße, dann auf der heutigen Martin-Luther-Straße und später auf der Motzstraße – in den Räumlichkeiten befindet sich heute ein Biomarkt.

Wer hatte die Idee zu diesem Gedenktag am 14. Mai?

Die Idee kommt aus der Community. Wir haben es geschafft, diese in den Koalitionsvertrag zu schreiben und in den Richtlinien der Regierungspolitik zu verankern. Damit ist es jetzt ein Projekt des gesamten Berliner Senats und der Stadt Berlin.

Gedenktag am 14. Mai

Mit dem Magnus-Hirschfeld-Tag will Berlin an einen der ersten Aktivisten erinnern, der sich für das Verständnis von Homosexualität einsetzte. Er wird am 14. Mai begangen – dem Geburts- und Sterbetag von Hirschfeld (s. Kasten unten). Unter anderem soll es an der Gedenkstele für Hirschfeld in der Otto-Suhr-Allee eine Kranzniederlegung geben. Am Montagabend ist eine Festveranstaltung unter dem Titel „Magnus Hirschfeld – Seele der queeren Community" geplant. Zahlreiche Veranstaltungen stehen auf dem Programm. Auf magnus-hirschfeld-tag.de gibt es alle Infos. (taz)

Berlin ist damit Vorreiter, denn der erste landesweite Magnus-Hirschfeld-Tag ist deutschlandweit einmalig.

Es hat schon den einen oder anderen Magnus-Hirschfeld-Tag gegeben, der von Organisationen wie der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft organisiert wurde, aber wir sind das erste Bundesland, das einen landesweiten Magnus-Hirschfeld-Tag begeht.

Es ist leider ein Gedenktag und kein gesetzlicher Feiertag. Das würde ja bedeuten, man hätte einen freien Tag an so einem queeren Feiertag. Das wäre ja eigentlich erstrebenswert!

Das wäre natürlich schön. Ich finde, Berlin hat sowieso noch ein, zwei, drei Feiertage zu wenig. (lacht) Aber Spaß beiseite, ich bin sehr glücklich darüber, dass wir die Gelegenheit nutzen, diesen einen Tag jetzt offiziell begehen zu können und dafür sorgen können, dass das Leben und Wirken von Magnus Hirschfeld in der Stadtgesellschaft näher gebracht werden kann. Denn wir müssen ganz ehrlich sein: Obwohl er eine Ikone der queeren Emanzipationsgeschichte und der Sexualgeschichte gewesen ist, kennen ihn hier bei uns nur wenige. Denn der Nationalsozialismus hat versucht, sein Wirken und Andenken systematisch zu zerstören. Im Ausland ist das anders, dort wird er sehr viel breiter geschätzt und geehrt.

Pionier der Sexualforschung

Magnus Hirschfeld, am 14. Mai 1868 in Kolberg (Preußen, heute Polen) geboren, stammte aus einer jüdischen Familie, war Arzt und Sexualwissenschaftler. 1897 gründete er in Berlin das Wissenschaftlich-humanitäre Komitee (WhK), die weltweit erste Organisation, die sich zum Ziel gesetzt hatte, sexuelle Handlungen zwischen Männern zu entkriminalisieren. Von 1899 bis 1923 gab Hirschfeld 23 Jahrgänge der Zeitschrift Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen heraus. 1918 richtete er die Dr.-Magnus-Hirschfeld-Stiftung ein und gründete das von ihm geleitete Institut für Sexualwissenschaft in Berlin, die weltweit erste Einrichtung für Sexualforschung. Im selben Jahr war Hirschfeld Berater und Mitwirkender im ersten Schwulenfilm der Filmgeschichte „Anders als die Andern“ von Richard Oswald. Hirschfeld spielte quasi sich selbst als einen Arzt, der vermittelt, dass Homosexualität keine Krankheit ist. 1933 wurde die Schließung des Instituts für Sexualwissenschaft durch die Nationalsozialisten angeordnet. Hirschfeld starb am 14. Mai 1935, seinem 67. Geburtstag, im Exil im französischen Nizza. (taz)

Dann kann dieser Tag sicher einen Beitrag dazu leisten, Hirschfeld und sein Wirken den jüngeren Generationen bekannter zu machen.

Nicht nur bei der jungen, auch bei der älteren Generation. Viele glauben immer, dass die queere Emanzipationsgeschichte bei den Aufständen in Stonewall in den 1960er Jahren ihren Anfang nahm. Das ist mitnichten so. Berlin ist eine der Geburtsstätten der queeren Emanzipationsbewegungen. Hirschfeld hat hier den ersten queeren Verein gegründet – 1897. Er hat im selben Jahr dann die erste Petition zur Abschaffung des Paragrafen 175 mit 6.000 Unterschriften eingebracht und sich somit damals schon dafür eingesetzt, dass dieser Unrechtsparagraf, der Homosexualität unter Straße stellte, abgeschafft wird. Das ist ihm nicht gelungen, und später haben die Nazis den Paragrafen noch drastischer verschärft. Und auch das ist eine Mahnung von Magnus Hirschfeld: genau aufzupassen, was wir als Demokraten zulassen und was nicht. Denn wir laufen derzeit Gefahr, dass die Errungenschaften queerer Menschen, die in der Vergangenheit für Gerechtigkeit gekämpft haben, wieder auf dem Spiel stehen.

Wie wollen Sie das Interessen an Hirschfelds Leben und Wirken wecken?

Wenn Menschen sich fragen „Magnus – wer?“ haben wir schon etwas erreicht. Denn wenn das Interesse geweckt ist, lassen sich heute schnell dank digitaler Medien Informationen besorgen. So kann man auch Dinge über Magnus Hirschfeld hinterfragen, denn wir wollen auch, dass sich alle kritisch mit ihm auseinandersetzen, so wir es auch tun. Wir haben parallel dazu eine sehr breite Informationskampagne gestartet, die in der Stadt sichtbar sein wird. Wir haben unterschiedliche Clips produziert, damit Menschen auf diesem Wege Informationen darüber bekommen, wer Hirschfeld gewesen ist. Wir weisen unter anderem auch darauf hin, dass sein Institut für Sexualwissenschaften weltweit das erste seiner Art war. Auch da war er ein Pionier. Und wir zeigen, dass sein Institut auf dem heutigen Gelände des Haus der Kulturen der Welt gestanden hat.

Das wusste ich noch nicht.

Das ist ja der Grund dafür, dass das Haus der Kulturen der Welt heute eine Magnus-Hirschfeld-Bar und einen Lili-Elbe-Garten hat.

Warum Lili Elbe?

Weil Magnus Hirschfeld die vermutlich erste geschlechtsangleichende Operation an Lili Elbe durchgeführt hat. Lili Elbe war eine dänische Malerin. Haben Sie zufällig „The Danish Girl“ gesehen? Der Film erzählt die Geschichte von Lili Elbe. Und im Film sagt sie, dass sie nach Deutschland geht, um sich in einer Klinik von Magnus Hirschfeld der Operation zu unterziehen.

Neben der breiten Kampagne, um Hirschfeld wieder bekannter zu machen, wird es Veranstaltungen geben …

… Lesungen, Talks in Volkshochschulen, Stadttouren, es gibt Vereine und Träger, die ihre eigenen Programme anbieten. Und wir haben einige Unternehmen, die sich engagieren, indem sie ihre Kundschaft und Mitarbeiterschaft über den Gedenktag informieren, über die internen und auch externen Kommunikationswege.

Das ist eine interessante Herangehensweise.

Unser Ziel war es ja, möglichst viele Menschen zu erreichen und ihnen zu erklären, warum es diesen Tag gibt. Die Berliner Sparkasse zum Beispiel bietet ihren Mitarbeitenden eine Führung durch den Regenbogen-Kiez an. Die Rewe-Gruppe weist in allen internen Medien und in der App auf den Tag hin – das alles ist eingebettet im Kontext von Vielfalt am Arbeitsplatz. Die Clubcommission macht mit, und somit erreichen wir auch viele junge Menschen. Die Komische Oper beteiligt sich im Aktionsmonat: Alle Aufführungen von „La Cage aux Folles“ stehen in Zusammenhang mit dem Gedenktag. Am Tag selbst, also dem 14. Mai, wird das Stück gezeigt, davor gibt es eine Einführung ins Stück, die Bezug auf Magnus Hirschfeld nimmt, und später ein feierliches Zusammensein. Gleichzeitig hat die Komische Oper in ihren digitalen Formaten und ihrem Magazin über Hirschfeld informiert.

Weitere Unternehmen?

Siemens und auch Vattenfall beteiligen sich, die Deutsche Rentenversicherung ist mit dabei.

Das ist breit gestreut.

Ja, unser Ziel war es wirklich, in die Stadtgesellschaft hineinzugehen und breit zu informieren. Wir haben alle Werbematerialien zur Verfügung gestellt, in allen möglichen Variationen auch Biografien erstellt, von kurz bis ausführlich … Wir haben versucht, es so niederschwellig wie möglich zu machen. Es ist zudem eine gute Gelegenheit, mal jenseits der Pride-Saison auf die Vielfalt und der Forderung nach Respekt und Akzeptanz aufmerksam zu machen.

Und am Gedenktag selbst?

Am 14. Mai, einem Dienstag, gibt es eine Kranzniederlegung an der Gedenkstelle gegenüber des Rathauses Charlottenburg, wo Hirschfeld gelebt hat. Und am Vorabend, dem 13. Mai, findet die große Festveranstaltung mit einem tollen Programm statt.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

8 Kommentare

 / 
  • Man muss hier stark differenzieren. Er hat auch Operationen durchführen lassen und er hat die Prostitution mindestens geduldet und damit Schutzbedürftige ausgenutzt.

  • Leider eine recht einseitige Darstellung von Magnus Hirschfeld, den man mit viel mehr Differenzierung und Ambivalenz betrachten muss.



    So war er (zeittypisch) dem eugenischen Denken zugeneigt, dass an eine 'Höherzüchtung' der Menschheit glaubte. Und da war für ihn die Homosexualität (weiterhin) ein Zeichen für Degeneration, die sich so aus der 'Fortpflanzung der Gesunden' praktischerweise selbst aussortiert. Kein sehr emanzipatorischer Ansatz. Ich würde als selbstbewusster Schwuler ihn nicht so unkritisch abgefeiert sehen wollen!



    Mehr Infos hier: www.nd-aktuell.de/...-emanzipation.html

    • @Kühleborn:

      Man könnte an dieser auch erwähnen, dass das Eldorado auch Stammlokal schwuler Nazigrößen wie Ernst Röhm war!

  • Es ist immer gut, wenn an Wissenschaftler erinnert wird, insbesondere wenn diese verfolgt wurden.

    Aber was ist denn das für ein Satz?:



    "...erinnert uns alle daran, dass wir der Wissenschaft vertrauen sollten, denn nur so kommen wir zu wirklicher Gerechtigkeit."

    Falscher geht es wohl nicht mehr. Die Wissenschaft LEBT davon, dass man hier kritisch immer wieder alles in Frage stellt, validiert und falsifiziert. Eine unkritische Haltung führt zu Technikgläubigkeit, Kernkraftwerken, Pestiziden, Medikamentenwahn, Contergan, Mikroplastik im Meer etc etc. Ist das denn so schwer zu verstehen?

    • @Werner2:

      Vertrauen ist nicht Blindgläubigkeit.



      Es macht einen Unterschied, ob ich der Wissenschaft insofern vertraue, dass ich ihr die notwendigen Spielräume zugestehe, in denen sie aus sich selbst heraus durch ihre eigene Methodik (zu der kritisches Hinterfragen gehört) zu immer verlässlicheren Erkenntnissen gelangt -- wohl wissend, dass gegenwärtige wissenschaftliche Positionen immer nur ein vorläufiges Ergebnis wiedergeben.



      Oder ob ich (gerade wie im Fall von Corona oder Klimakrise) der Wissenschaft, den wissenschaftlich arbeitenden und schöpfenden Menschen sowie dem wissenschaftlichen Konsens generell das Vertrauen entziehe oder sie sogar unter Generalverdacht stelle -- und stattdessen mein Weltbild lieber z.B. aus YouTube-Videos von irgendwelchen Einzelpersonen beziehe, die nur sagen, was mir als Laie plausibel erscheint.



      "Kernkraftwerken, Pestiziden, Medikamentenwahn, Contergan, Mikroplastik im Meer"



      Das ist nicht Wissenschaft, das ist kapitalistische Verwertung von einzelnen wissenschaftlichen Erkenntnissen. Wissenschaft hat natürlich eine Verantwortung und einen ethischen Auftrag (s. Entwicklung der Atombombe), aber es sind Politik und Gesellschaft, die entscheiden. Wenn wir diese Auswüchse einfach der Wissenschaft in die Schuhe schieben, als sein kommerzielle technische Verwertung ein Selbstläufer, dann stehlen wir uns aus unserer Verantwortung.

  • Warum wurde nicht Rainer Herrn interviewt, der auf diesem Gebiet kompetenter sein dürfte als der unvermeidliche Alfonso Pantisano ?



    Rainer Herrn, geboren 1957, ist Medizinhistoriker mit den Schwerpunkten Geschichte der Psychiatrie sowie geschlechtlicher und sexueller Minderheiten. Seit 1991 arbeitet er an der Forschungsstelle zur Geschichte der Sexualwissenschaft der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft und seit 2008 am Institut für Geschichte der Medizin und Ethik in der Medizin der Charité. Er hat ein großartiges Buch



    "Der Liebe und dem Leid - Das Hans Magnus Hirschfeld Institut von 1919 bis 1933 " Suhrkamp Verlag



    verfasst.



    Rainer Herrn hätte sicherlich mit größter Sachkenntnis über das Institut informieren können.

  • Es wäre schön, wenn z.B. in einem Folgeartikel konkretere Angaben zu finden wären, was das III. Reich neben der Schließung des Institutes konkret am Schaffens- bzw. Lebenswerk von Magnus Hirschberg der wissenschaftlichen Entwicklung in Deutschland verloren ging (meines Wissens wurde die Bibliothek verbrannt?). Weiterhin wäre es interessant zu wissen, wer sich im weiteren Verlauf als die Nutznießer und Profiteure herausstellte. Als Beispiel dafür, Magnus Hirschfeld war der Spezialist in diesem Fachgebiet und damit auch führend in der Meinungsbildung. Wer wurde denn danach der "Opinion-Leader" und welche Positionen hat diese(r) im Unterschied zu Hirschfeld vertreten?