Social Media gegen rechts: Der Kampf um PoliTiktok

Auf Tiktok dominiert die AfD und stellt De­mo­kra­t*in­nen vor ein Dilemma. Sollen sie ihnen entgegentreten oder sich vom Problem-Netzwerk fernhalten?

Eine Frau schaut in die Kamera

Heidi Reichinnek nach ihrer Wahl zur Doppelspitze der Gruppe der Linken im Bundestag mit Sören Pellmann Foto: Carsten Koall/dpa

BERLIN taz | Die Finger wischen von Kurzvideo zu Kurzvideo, als würde man sich von Sender zu Sender durchs TV-Programm zappen. Anders als im Fernsehen scheint die Auswahl auf Tiktok allerdings unendlich. Die Socia-Media-Plattform ist schnell, schrill und laut im Kampf um Aufmerksamkeit. Aber schnell kann Heidi Reichinnek, die Vorsitzende der Linken im Bundestag. Wenn sie spricht, klingt es, als hätte jemand den Wiedergaberegler auf doppelte Geschwindigkeit gestellt.

„Nach der NFT-Briefmarke und dem Bitcoin-Hype kommt jetzt die nächste Idee von Finance-Bro Lindner: die Aktienrente“, sagt die Politikerin energisch, der Blick direkt in die Kamera, ihr Gesicht in Großaufnahme. „Und die ist typisch FDP – Für den Papierkorb.“ Sie zerknüllt ein Blatt mit dem Logo der Freidemokraten, zieht eine leichte Schnute. Mit etwas Show, kurzen Memes und knackigem Einstiegssatz versucht die Abgeordnete, Nut­ze­r*in­nen auf Tiktok für ihre linke Politik zu begeistern. Und es gelingt.

Reichinnek gehört – neben Po­li­ti­ke­r*in­nen der AfD und Sahra Wagenknecht – zu den erfolgreichsten deutschen Po­li­ti­ke­r*in­nen auf Tiktok. Eines ihrer meistgeklickten Videos ist eine Plenarrede, in der sie sich über AfD-Anträge zum Thema Gendern lustig macht. Es wurde millionenfach abgespielt. Lange war sie eine von wenigen, die den Rechten auf der Plattform Paroli geboten hat.

Auf Tiktok kann man sich der AfD kaum entziehen, auch wenn man sonst wenig Berührungspunkte hat. Outfitcheck – Influencerin zeigt traditionelle Geschlechterrollen beim Brotbacken – Alice Weidel tanzt im Auto – Tipps aus dem Gym. Solche Inhalte könnten auf der Startseite der App, der „For You Page“, aufeinander folgen, vom Algorithmus ausgewählt.

Das digitale Spiel um Aufmerksamkeit

Die AfD hat als politischer Akteur längst die Plattform vereinnahmt und ein radikales Netz gesponnen, unterstützt von rechten In­flu­en­ce­r*in­nen und Anhängern, die auf Inhalte der Partei reagieren und sie erneut ausspielen. Politik verknüpft mit Popkultur, immer die Emotionen anregend. Damit sprechen die Rechten insbesondere eine jüngere Generation an.

Die demokratischen Parteien stellt das vor ein Dilemma, das sie in den vergangenen Monaten versucht haben, aufzulösen: Halten sie an der berechtigten Kritik an Tiktok – die App wird von dem chinesisch kontrollierten Anbieter Bytedance betrieben – fest, und riskieren damit, den Rechten dort das Spielfeld zu überlassen? Oder lassen sie sich auf das digitale Spiel um Aufmerksamkeit ein?

Heidi Reichinnek hat sich entschieden, als sie 2021 Mitglied des Bundestags wurde.

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Ende Februar sitzt Reichinnek an einem runden Tisch in ihrem Büro. Sie trägt ein schwarzes Langarm-Shirt, auf dem linken Unterarm und am Ausschnitt spitzen ihre Tattoos hervor. Auch die waren schon Thema in ihren Videos. Den Rechten müsse man etwas entgegenhalten, „sonst stehen ihre Lügen unwidersprochen im Raum“, sagt Reichinnek.

Daher müssten alle was machen und dürften der AfD nicht das Feld überlassen. „Ich weiß, dass Menschen durchaus in der Lage sind, kritisch zu denken und sich zu informieren. Aber wenn du von allen Seiten mit dem AfD-Schund überschwemmt wirst, hinterfragst womöglich nicht genug“, sagt sie.

Der AfD-Erfolg liegt auch an der Plattform

Dass gerade die AfD auf Tiktok dermaßen erfolgreich ist, liegt auch an der Funktionsweise der Plattform. Anders als bei Facebook oder Instagram ist die Zahl der Fol­lo­wer*­in­nen nicht die wichtigste Währung. Der undurchsichtige Tiktok-Algorithmus spült Videos, die er für gut befindet, in verschiedenste Feeds, sodass sie sich auch außerhalb der eigenen Blase schnell verbreiten.

„Auf Tiktok können Inhalte, die den Algorithmus triggern, extrem schnell große Reichweiten und Sichtbarkeit erreichen und damit – genau das macht die AfD – den Diskurs verschieben“, erklärt Martin Fuchs, Politikberater für digitale Kommunikation.

Über 20 Millionen Nut­ze­r*in­nen im Monat soll Tiktok nach eigenen Angaben in Deutschland haben. Zwei Drittel der 12- bis 19-Jährigen geben an, regelmäßig die App zu nutzen. Zunehmend suchen sich jüngere Menschen dort auch ihre Informationen.

Das könnte zum Problem werden. Im Juni darf bei der Europawahl in Deutschland erstmals schon ab 16 gewählt werden. Mit fast fünf Millionen jungen Menschen könnte die Gruppe der Erst­wäh­le­r*in­nen diesmal besonders wichtig werden. Dass gerade die AfD diese Altersgruppe mit ihren Inhalten erreicht, hat sich bereits bei vergangenen Landtagswahlen gezeigt.

In Brandenburg darf das Landesparlament schon länger ab 16 gewählt werden. Hier, wie auch in Sachsen und Thüringen, finden im Herbst Wahlen statt. In allen drei Bundesländern ist die AfD nach aktuellen Umfragen stärkste Kraft. Die Absenkung des Wahlalters droht den Förderern der Neuregelung, SPD und Grünen, auf die Füße zu fallen. Die etablierten Parteien müssen nachlegen, wenn sie um die jungen Stimmen buhlen wollen. Das haben sie verstanden und suchen neue Kommunikationswege, etwa über Tiktok.

Plattform bekommt Zuwachs von Links

Seit Jahresbeginn ist besonders die Anzahl der Accounts von Linken, SPD und Grünen gewachsen, beobachtet Politikberater Martin Fuchs. Erst kamen Konten der Bundestagsfraktionen, dann der Bundesparteien und schließlich auch prominenter Po­li­ti­ke­r*in­nen dazu. Pünktlich zur Cannabis-Legalisierung eröffnete Gesundheitsminister Karl Lauterbach sein Tiktok-Konto.

Auch Kanzler Olaf Scholz kann man seit dem 8. April unter @teambundeskanzler in seinem politischen Alltag begleiten, inklusive seiner Aktentasche, die er seit Jahren mit sich trägt. Andere, wie Kevin Kühnert (SPD), reaktivierten kürzlich ihr bestehendes Konto. Im Zuge der Kampagne #ReclaimTikTok kamen nach langem Zögern die Grünen hinzu, die bisher vor allem auf Instagram setzten. Und während die CSU als eine der ersten demokratischen Parteien längst auf Tiktok mitmischt, zog die CDU erst jetzt nach.

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Ferda Atamann, Antidiskriminierungsbeauftragte des Bundes, bewertet die neue Tiktok-Intitiative der Parteien, insbesondere die des Kanzlers, kritisch. Solange Tiktok sich nicht an die Regeln halte, junge Menschen nicht vor Diskriminierung schütze und Desinformation nicht bekämpfe, „ist das keine Plattform für den Staat“, sagte Ataman in einem Interview. Und auch die FDP zeigt sich bisher zurückhaltend.

Jungen Liberalen bleiben Tiktok fern

Gerade der Nachwuchs der „Digital First, Bedenken Second“-Partei halten an ihrer Tiktok-Kritik fest. Trotzdem hat Phil Hackemann ein Konto auf der Plattform. Der Bayer ist Spitzenkandidat der Jungen Liberalen (JuLis) für die Europawahlen, er steht auf Listenplatz 7 der FDP. Zu viel Bedeutung will der 29-Jährige seinem Account aber nicht beimessen.

Anders als die JuLis in Bayern hat sich 2021 der Jugendverband auf Bundesebene gegen die Nutzung von Tiktok entschieden. Daher tritt Hackemann auf Tiktok auch nicht als Spitzenkandidat der Jugendorganisation auf. „Wenn die Bundes-Julis diese Haltung vertreten, dann habe ich mich letztlich daran zu halten und akzeptiere das auch“, sagt Hackemann der taz.

Tiktok zu nutzen, um Reichweite zu generieren, sei „nicht nur eine pragmatische, sondern vor allem eine politische Entscheidung“, heißt es im JuLi-Beschluss. Die App würde bestimmte Inhalte zensieren, etwa LGBTQ-Hashtags. Hinzu kämen sicherheitspolitische Bedenken. Es sei davon auszugehen, dass der chinesische Staatsapparat wenigstens potenziell über einen Zugang zu den Nutzdaten von ByteDance verfüge.

Zu ihrem Wahlkampfauftakt trat zwar auch EU-Spitzenkandidatin Marie-Agnes Strack-Zimmermann Tiktok bei, und auch die Bundestagsfraktion der Freidemokraten führt dort ein Konto – doch als Gesamtpartei behandelt sie die Plattform nachlässig. Inwieweit die Bundes-FDP ein eigenes Konto eröffnen möchte oder wie sie zum Beschluss der JuLis steht, lässt sie auf Anfrage unbeantwortet. Stattdessen betonten sie, im digitalen Raum andere Plattformen zu nutzen, und erklären, sie würden „die Entwicklungen und Rahmenbedingungen bei Tiktok zudem fortlaufend beobachten“.

Ganz kampflos will Hackemann das Feld dennoch nicht den Populisten überlassen. „Es ist wichtig, junge Menschen dort zu erreichen, wo sie sind“, sagt er. Seine Aufgabe sieht er darin, nicht nur klassischen Politikcontent zu teilen, sondern zu versuchen, in bisher unpolitische Blasen vorzustoßen. Er denkt dabei auch an die Streamingplattform Twitch. Auf dem nächsten JuLi-Kongress im Mai könnte der Tiktok-Beschluss wanken.

Demokraten haben es schwerer aufzuholen

Doch wie können Jugendliche vor rechtsextremen Inhalten und Falschinformationen geschützt werden? Ein Ansatzpunkt liegt in der EU. Genauer im Digital Service Act, der etwa zu ausreichender Moderation der Inhalte verpflichtet. Ein weiterer Vorschlag lautet, große Konten einzuschränken oder sogar zu löschen. 2021 hat Tiktok etwa den Bundesaccount der AfD gelöscht. Viel gebracht hat das allerdings nicht – das Netzwerk ist zu groß, die Accounts sind zu zahlreich. Es braucht also ein Gegengewicht. Nur bleibt unklar, ob die Parteien den Vorsprung der AfD überhaupt noch einholen können.

Für die AfD sei es sehr einfach, im Dualismus von Gut und Böse zu kommunizieren – die Grünen oder der Staat seien scheiße, die AfD sei dagegen, sagt Politikberater Fuchs. Vor allem für die Regierungsparteien und andere, die komplexe Zusammenhänge erklären wollen, sei das schwieriger. Sie dürfen sich nicht zum Hampelmann machen, sondern sollen für souveräne Politik stehen. „Ich erwarte von den klassischen Parteien, dass sie positive Emotionen verwenden, um ihre Inhalte zu verbreiten“, sagt Fuchs.

Heidi Reichinnek gilt dafür als Positivbeispiel. Sie wird von anderen in ihrer Partei gebeten, ihr Erfolgsrezept zu teilen. Später an dem Nachmittag Ende Februar hat Heidi Reichinnek noch einen Termin im Kalender stehen: „Kiffen mit Ates“. Gemeint ist Ates Gürpinar, der drogenpolitische Sprecher der Linken. Zusammen drehen sie ein Video zum Cannabis-Gesetz. 143.000 Views bekommt es – allein hätte er das wohl nicht geschafft.

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