piwik no script img

Attac ohne GemeinnützigkeitAngst vor Attac-Schicksal

Seit zehn Jahren gilt die NGO Attac nicht mehr als gemeinnützig. Viele Vereine halten sich seitdem politisch zurück – dabei gibt es Lösungsvorschläge.

Das Finanzamt Frankfurt/Main entzog der globalisierungskritischen Organisation Attac den begehrten Status der Gemeinnützigkeit Foto: imago

Berlin taz | Fünf Prozent der zivilgesellschaftlichen Organisationen in Deutschland machen sich Sorgen um ihre Gemeinnützigkeit – und halten sich deshalb mit ihrem politischen Engagement zurück. Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage aus dem Jahr 2023, der ZiviZ-Survey, auf die Stefan Diefenbach-Trommer am Mittwoch verwies. Deshalb forderte er mit den rund 200 Vereinen und Stiftungen seiner Allianz für „Rechtssicherheit der politischen Willensbildung“ eine gesetzliche Reform der Gemeinnützigkeit.

Für zehntausende Organisationen ist der vom Finanzamt verliehene Status der Gemeinnützigkeit fester Bestandteil der Finanzplanung. Spenden aus der Bevölkerung sind dann steuerlich absetzbar, was die Spendenbereitschaft und damit die Einnahmen erhöht. Außerdem wird keine Körperschaft- und Gewerbesteuer fällig. Allerdings läuft seit Jahren ein grundsätzlicher Rechtsstreit. Den will die Bundesregierung eigentlich mit einer gesetzlichen Änderung klären. Doch das dafür eingesetzte Gremium aus sechs StaatssekretärInnen kann sich nicht einigen.

Die Hängepartie begann vor fast genau zehn Jahren. Damals entzog das Finanzamt Frankfurt/Main der globalisierungskritischen Organisation Attac den begehrten Status. Diese wehrte sich juristisch, worauf der Bundesfinanzhof 2019 ein weitreichendes Urteil fällte. Die ständigen Versuche der einseitigen Politikbeeinflussung durch Attac stünden nicht in Einklang mit den gemeinnützigen Zwecken der „Volksbildung“ und der „Förderung des demokratischen Staatswesens“. Nun liegt der Fall beim Bundesverfassungsgericht.

Anfangs bekam Attac weiter viele Spenden. Sprecherin Frauke Distelrath führte das auf den Solidaritätseffekt zurück. Seit 2019 aber nahmen die Einnahmen ab, was wohl auch mit der fehlenden Absetzbarkeit zu tun hat. Vergleichbare Entscheidungen der Finanzämter ereilten in der Zwischenzeit zahlreiche Vereinigungen, etwa die Kampagnen-Organisation Campact, die Petitionsplattform innn.it oder den antifaschistischen Verband VVN. Innn.it und VVN erhielten die Gemeinnützigkeit mittlerweile zurück.

Liste der gemeinnützigen Zwecke erweitern

Lösen ließe sich das Problem durch eine Änderung der Abgabenordnung, die momentan 26 förderungswürdige Tätigkeiten aufführt. Andreas Fisahn, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Bielefeld, plädierte für Formulierungen, die mehr Offenheit ermöglichen. Die Demokratie werde auch durch den Streit über konträre und einseitige politische Positionen gefördert, argumentierte er. Diefenbach-Trommer hielt es für möglich, den Katalog der gemeinnützigen Zwecke zu erweitern.

Derartige Bewegung ist augenblicklich jedoch nicht zu beobachten. Weder entscheidet das Bundesverfassungsgericht über die Klage von Attac gegen den Entzug der Gemeinnützigkeit. Noch kommt die Regierung voran. Die zuständigen Abgeordneten von SPD und Grünen, Nadine Heselhaus und Sabine Grützmacher, erwarten zwar, dass die Lösung im Jahressteuergesetz 2024 steht. Doch das Bundesfinanzministerium von Christian Lindner (FDP) hält sich bedeckt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
  • "Die Stiftung Familienunternehmen ist eine Lobbyorganisation (verfasst als gemeinnützige Stiftung des bürgerlichen Rechts), welche gemeinsam mit der ausgegründeten Stiftung Familienunternehmen und Politik (nicht gemeinnützig) die Interessen von einigen großen Unternehmen in Deutschland vertritt, welche sich selbst als „Familienunternehmen“ verstehen oder vermarkten." [1]

    Dem ist wohl nichts hinzuzufügen.

    [1] de.wikipedia.org/w...amilienunternehmen

  • Man lasse sich den Begriff "Gemeinnützigkeit" mal auf der Zunge zergehen.



    Das ist schon ein gewaltiger Anspruch.

    • @Mal Nombre:

      Warum?

  • "Die Demokratie werde auch durch den Streit über konträre und einseitige politische Positionen gefördert,"

    Der Schuss kann auch nach hinten losgehen...

  • Ich denke, welche Art von Politik in Deutschland betrieben wird sieht man gut daran, wer hier "gemeinnützig" ist und wer nicht. Attac und der nicht rechtsstaatliche Umgang mit den KlimaaktivistInnen zeigen deutlich, dass die AfD möglicherweise eine Gefahr für die Demokratie ist, die Bundesregierung bzw. die entsprechenden Landesregierungen (->Bayern) es aber sicher auch sind.

    Die TAZ hat darüber ja schon berichtet: taz.de/Gemeinnuetz...von-NGOs/!5574219/