Gericht gibt Petitionsplattform recht: Wieder offiziell gemeinnützig
Im Rechtsstreit über die Gemeinnützigkeit hat die Petitionsplattform innn.it einen Teilerfolg erzielt. Doch die angekündigte große Reform hakt noch.
Karlsruhe taz | Die Petitionsplattform innn.it erhält ihre Gemeinnützigkeit zurück. Das entschied am Dienstagnachmittag das Finanzgericht Berlin-Brandenburg in Cottbus. Der Rechtsstreit wird aber vermutlich beim Bundesfinanzhof landen. Unterdessen arbeitet die Ampelkoalition an einer Reform des Gemeinnützigkeitsrechts.
Auf innn.it kann jeder eine Petition starten. Das Team um Gründer Gregor Hackmack unterstützt insbesondere bei der Öffentlichkeitsarbeit. Früher firmierte innn.it als Teil des globalen Netzwerks change.org, seit 2022 ist man selbständig. Rund 22.000 Förderer:innen finanzieren bei innn.it 13 Mitarbeiter:innen.
Von Change.org hat innn.it einen Streit über die Gemeinnützigkeit der Plattform geerbt. 2021 hat das Finanzamt Berlin change.org e.V. die Gemeinnützigkeit entzogen, weil dort nicht nur Petitionen an staatliche Stellen, sondern auch an private Unternehmen unterstützt werden. Dies sei nicht vom Gemeinnützigkeitszweck „Förderung des demokratischen Staatswesens“ gedeckt.
Zwar richten sich nur rund 20 Prozent der innn.it-Petitionen an Unternehmen, aber Hackmack will darauf nicht verzichten. So erreichte etwa eine junge Frau mit einer Petition an die Deutsche Bahn AG, dass diese in ihren Bordrestaurants fair gehandelten Café verkauft.
Das Finanzamt geht wohl in Revision
innn.it klagte gegen die Aberkennung der Gemeinnützigkeit. „Das demokratische Staatswesen ist nicht nur der Staat, sondern das gesamte Gemeinwesen“, argumentierte Hackmack. Das Finanzgericht Cottbus hat er damit offensichtlich überzeugt, der Klage von innn.it wurde stattgegeben. Die Begründung wird aber erst in einigen Wochen veröffentlicht. Das Urteil ist auch noch nicht rechtskräftig; das Finanzamt hat bereits die Einlegung der Revision angekündigt.
Darüber müsste dann der Bundesfinanzhof (BFH) in München entscheiden, der 2019 mit seinem Attac-Urteil eine neue Debatte um die Gemeinnützigkeit ausgelöst hat. Der BFH hatte damals entschieden, dass Attac zu Recht die Gemeinnützigkeit entzogen wurde. Wer sich für „Einzelinteressen“ einsetze, fördere nicht das „demokratische Staatswesen“. Und wer versuche, auf die Politik einzuwirken, um seine eigene Position durchzusetzen, betreibe keine „politische Bildung“. Attac hat inzwischen beim Bundesverfassungsgericht geklagt. Wann dieses entscheidet, ist noch unklar.
Möglicherweise wird der BFH im Fall von innn.it völlig anders entscheiden, weil innn.it keine eigenen Kampagnen durchführt, sondern vielfältige Anliegen von Bürger:innen fördert.
Allerdings hat das Attac-Urteil für nachhaltige Unsicherheit unter politischen NGOs geführt. Die Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“ prognostizierte nach dem Attac-Urteil, dass nun hunderte Organisationen ihre Gemeinnützigkeit verlieren werden. So schlimm ist es bisher zwar nicht gekommen. Aber es gibt neben innn.it weitere prominente Einzelfälle, etwa das Kampagnen-Netzwerk campact.
Campact klagt nicht – und arbeitet weiter
Campact, das vor allem eigene Kampagnen durchführt, klagt nicht gegen den Verlust seiner Gemeinnützigkeit. So könne man weiterhin zum Beispiel Kampagnen gegen die CDU-Bundestagskandidatur des nach rechts gerückten Ex-Verfassungsschutz-Chef Hans-Georg Maaßen organisieren. Obwohl Spenden an Campact nicht mehr steuerbegünstigt sind, gingen sie seither nicht zurück. Campact-Geschäftsführer Felix Kolb sprach von einem „Solidarisierungseffekt“.
Die Ampelkoalition hat im Koalitionsvertrag vereinbart, das Gemeinnützigkeitsrecht zu reformieren, um der Unsicherheit nach dem Attac-Urteil entgegenzuwirken. „Bisher ist aber nicht viel passiert“, kritisiert Stefan Diefenbach-Trommer von der Rechtssicherheits-Allianz. Erst im August 2023 wurde ein Kabinetts-Ausschuss aus sechs Staatssekretär:innen aus sechs Ministerien eingerichtet, die die Reform vorbereiten sollen.
Wer dem Ausschuss angehört, wollte das Finanzministerium nicht mitteilen. Nach taz-Informationen sind es Luise Hölscher (Finanzen), Angelika Schlunck (Justiz), Juliane Seifert (Innen), Rolf Bösinger (Wohnen), Margit Gottstein (Familie) und Sven Giegold (Wirtschaft). Ergebnisse sind noch nicht absehbar.
Um dem eher zögerlichen Finanzminister Christian Lindner (FDP) zu verdeutlichen, dass nicht nur linke Organisationen unter der Unsicherheit nach dem Attac-Urteil leiden, hat Campact ein Rechtsgutachten über den Bund der Steuerzahler in Auftrag gegeben. Demnach ist auch die Gemeinnützigkeit der Steuerzahler-Lobby, die sich ebenfalls auf die „Förderung des demokratischen Staatswesens“ beruft, gefährdet. Der Einsatz gegen eine Vermögenssteuer oder den Solidaritätszuschlag diene ebenfalls nur Partikularinteressen.
Macht sich der Bund der Steuerzahler nach dem Campact-Gutachten Sorgen um seine Gemeinnützigkeit? „Nein“, hieß es auf Anfrage der taz. Doch kurz danach trat die Organisation ebenfalls der „Allianz Rechtssicherheit für politische Willensbildung“ bei.