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Pro und Contra gebührenfreie AngeboteNicht mehr gratis für alle?

Erik Peter
Kommentar von Erik Peter und Stefan Alberti

Die SPD streitet darüber, ob die Kostenlos-Politik bei Kita oder Schulessen unabhängig vom Einkommen wieder abgeschafft werden soll.

Grundschulkinder beim Mittag – und niemand zahlt Foto: Ralf Rottmann/Funke Foto Services/imago

Ja

B erlin hat über 60 Milliarden Euro Schulden. Im Landeshaushalt sind demnächst Milliardeneinsparungen nötig. 2026 soll das noch dramatischer werden. Spätestens jetzt ist der Zeitpunkt, ganz genau hinzusehen, wofür das Land Geld ausgibt. Und festzustellen, dass staatliche Zuwendungen seit über eineinhalb Jahrzehnten zunehmend an Menschen gehen, die gar nicht danach gerufen haben und sie teils gar nicht brauchen.

Es war gar nicht Raed Saleh, der die ihm nun angelastete Kostenlos-Politik auf den Weg brachte. Los ging es damit schon, als der damalige SPD-Regierungschef Klaus Wowereit im Wahlkampf 2006 warb: „Wir machen die Kita beitragsfrei.“ Damals fehlte wie heute der Zusatz: „bis soundsoviel Euro“.

Das lag und liegt nicht daran, dass darauf auf einem Wahlplakat kein Platz war. Die SPD-Verantwortlichen drückten sich schlicht darum, eine Grenze zu ziehen, ab wann wer bezahlen müsste. Dabei ist es die Aufgabe von Politik, Entscheidungen zu treffen. Zudem machte die SPD das Ganze zu einer Grundfrage: Kita sei Bildung, die dürfe nichts kosten, sonst stelle man ja auch den freien Schulbesuch infrage. Der Unterschied ist bloß: Berlin würde durch Kita-Gebühren nur einen noch vor gar nicht langer Zeit üblichen Zustand wieder herstellen: Wer nix hat, zahlt nix, wer wenig hat, zahlt wenig, wer viel hat, viel. Nach dem klassischen Sozialprinzip: Starke Schultern müssen mehr tragen als schwache.

Mit einer durch die Kita-Beitragsfreiheit und die späteren Beschlüsse zu BVG-Schülerkarte und Schulessen beförderten und nicht nur von Bundesfinanzminister Christian Lindner so bezeichneten „Gratismentalität“ soll die SPD-Politik nicht zu tun haben. Das beteuerte Saleh vielfach.

Warum der Staat und vor allem die SPD nicht nur den Bedürftigen und Wenig-Verdienern hilft, sondern selbst Begüterten Kita, Ticket und Essen bezahlt, vermochte er dabei nur so zu erklären: Er wollte da nicht differenzieren, sondern die Spitzenverdiener „über ein gerechteres Steuersystem abrechnen“. Was aber weder schnell noch auf Berliner Landesebene durchzusetzen ist.

Selbst wenn Berlin die eingangs erwähnten Milliarden nicht einsparen müsste, wäre nicht einfach Geld „über“. Da muss man gar nicht mal zum Schuldenabbau kommen, obwohl dessen Höhe bei wachsenden Zinsen den Landeshaushalt immens belastet. Egal ob Brückensanierung, Bäder-Unterhalt oder Obdachlosenhilfe – drängende Projekte gibt es genug.

Wenn den Gratis-Befürwortern sonstige Argumente ausgehen, kommt meist: aber der Verwaltungsaufwand! Der sei angeblich riesig und es darum letztlich billiger, undifferenziert an alle zu überweisen – wie bei der Energiepauschale 2022. So kann man argumentieren. Aber nur, wenn man in der Politik innerlich kapituliert hat. Stefan Alberti

Nein

Seit anderthalb Jahrzehnten arbeitet Berlin daran, das Grundrecht auf Bildung für alle Kinder zu verwirklichen – unabhängig vom Geldbeutel der Eltern. Seit Einführung eines ersten kostenfreien Kita-Jahres 2007 wurden die Hürden sukzessive abgebaut; vergangenes Jahr kam als bislang letzter Schritt das dritte Gratis-Hort-Jahr hinzu.

In keinem anderen Politikbereich hat die Landespolitik in der Vergangenheit so konsequent an der Verwirklichung einer positiven, sozialen Vision gearbeitet. In puncto kostenfreier Bildung, zu der das Schulmittagessen genauso gehört wie die Nachmittagsbetreuung, ist Berlin Vorreiter, bundesweit. So familienfreundlich, so inklusiv, so unbürokratisch geht es nirgends sonst zu.

Dass nun ausgerechnet aus der SPD selbst, die maßgeblich für diese Politik verantwortlich ist, die Forderung nach einer partiellen Rückabwicklung kommt, ist eine Groteske. Sie zeigt, jeder fortschrittlichen sozialdemokratischen Politik wohnt die Regression inne. Geschliffen werden könnte der letzte positive Markenkern der hauptstädtischen SPD. Man sieht schon die Wahlplakate vor dem geistigen Auge: „Kostenloses Schulessen für alle abschaffen. SPD!“ Eine Partei im Selbstzerstörungsmodus.

Der rechte Parteiflügel, jener, der sich unnötigerweise der CDU als Juniorpartner an den Hals geworfen hat, begründet den Vorstoß mit dem angeblichen Streben nach Gerechtigkeit, schließlich sollen ja nur die Gutverdienenden zur Kasse gebeten werden. Mit jenem Scheinargument hatte sich auch CDU-Bürgermeister Kai Wegner vor Kurzem kritisch zur allgemeinen Kitagebührenfreiheit zu Wort gemeldet.

Schon daran sieht man: Jedes Aufweichen der bisherigen Teilhabepolitik – und sei es nur die Wiedereinführung der Zuzahlung beim Mittagessen für gut verdienende Eltern – öffnet Tür und Tor. Aus der SPD reicht man den kleinen Finger, und diejenigen, die überall und dann womöglich auch für alle ein Preisschild dranhängen wollen, reißen schon am Arm. Eine Politik, die die Interessen der Mehrheit der Familien ohne hohe Einkommen verteidigt, ist nicht selbstverständlich in Zeiten, in denen Bür­ger­geld­emp­fän­ge­r:in­nen wieder als Sündenböcke für eine verfehlte – die Reichen schonende – Steuerpolitik herhalten müssen.

Ganz praktisch kommt hinzu: Durch den allgemeinen Grundsatz der Gebührenfreiheit hat sich Berlin riesiger Verwaltungsaufgaben entledigt. Keine Einkommensprüfungen, keine Anträge, keine überforderten Bezirksämter. Will man das alles wieder künstlich reaktivieren, um ein paar Milliönchen an der falschen Stelle einzunehmen, die dann zum Teil für die Verwaltung wieder draufgehen? Wer an dieser Schraube dreht, beweist nur eines: Er ist nicht bereit, Bildung zur – auch finanziellen – Priorität zu machen. Erik Peter

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Erik Peter
Politik | Berlin
Redakteur für parlamentarische und außerparlamentarische Politik in Berlin, für Krawall und Remmidemmi. Schreibt über soziale Bewegungen, Innenpolitik, Stadtentwicklung und alles, was sonst polarisiert. War zu hören im Podcast "Lokalrunde".
Redakteur für Berliner Landespolitik
Jahrgang 1967. Seit 2002 mit dreieinhalb Jahren Elternzeitunterbrechung bei der taz Berlin. Schwerpunkte: Abgeordnetenhaus, CDU, Grüne.
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7 Kommentare

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  • Ich halte die Beteiligung der Familie an den Kosten für das Mittagessen und Kitabesuch im Rahmen der Einkommen für angebracht.



    Das hat was mit Respekt gegenüber den Einrichtungen und Leistungen zu tun und die ewige Nörgelei wird weniger?

    Mein Verdacht, die Gratisleistungen wurden eingeführt, um die Verwaltungen zu entlasten.

  • Wie bereits zum Artikel " die Sache mit der Waffel" kommentiert, halte ich Gebührenfreihet für ungerecht.



    Auch bei uns gab es diese Diskussionen vor Jahren.



    Da war, wie oben beschrieben, Stand der Dinge, dass Gebühren einkommensabhängig sind.



    Für arme Eltern war der Kitabesuch für Ihre Kinder frei.



    Es erschließt sich mir nicht, warum es für reiche Eltern auch frei sein soll.



    Es werden diverse Ansprüche "an den Staat " gestellt, die finanziert werden müssen. Steuern und Abgaben sind die Einnahmequelle.



    Wie wir am Solidaritätszuschlag bemerkt haben, läßt sich noch Vieles finanzieren, wenn nur 10% der Steuerzahler ihn entrichten.



    Es ist für einem Sozialstaat zielführend, wenn Diejenigen, die reicher sind , höher belastet werden um dem ärmeren Teil der Gesellschaft unter die Arme zu greifen.



    Abgesehen davon ist Schulden machen kein langfristiges Konzept. Wie gerade aus der Stadt Berlin zu hören ist, scheitern Pläne manchmal an bereits vorhandenen Schulden.



    Eine gute Haushaltsführung sorgt sich auch um die Einkommensseite.



    Ich halte es für sträflich, Gut Wetter Politik zu betreiben und die Gegenfinanzierung den Nachfolgern zu überlassen.



    Imagemaßig ist die Finanzierung nun natürlich in den Pudding gefallen. Aber das Wort "Gerechtigkeit" passt auch auf ein Wahlplakat.

  • Es werden auch heute schon Gebühren gezahlt. Zb auch die Geringverdiener in BW oder Bayern zahlen, durch ihre Steuern und Gebühren, für die Besserverdienenden ihre kostenlose Kita.

  • Es wäre sicherlich in Ordnung wenn gut verdienende Leute in verschiedenen Bereichen auch ihren Anteil leisten. In der Vergangenheit war es für uns hier in Hamburg aber so, das wir mit einem mittleren Einkommen immer schon gleich beim Höchstbeitrag waren. Wenn also Leute die gerade eben so viel verdienen dass sie aus allen möglichen Förderungen für Kinder, Wohnen etc raus fallen dann auch in den Bereichen auf ein mal Höchbeiträge zahlen führt es zu einer Schieflage und der eine oder andere wird wieder auf Teilzeit gehen wo er durch verschiedene Förderungen kaum weniger Geld hat. Also Anteil leisten gerne, aber die Grenzen realistisch hoch ansetzen.

  • "Egal ob Brückensanierung, Bäder-Unterhalt oder Obdachlosenhilfe..." Grandios!

    Wenn Herr Alberti seinen Artikel ehrlich durchdacht hätte, dann hätte an dieser Stelle "Schulbausanierung, Schul-IT-Unterhalt oder Lehr-, Sozial- und Schulsicherheitskräfte" gestanden. Alles ganz sicher Themen, für die die zur Zahlung aufgerufenen einkommensreichen Eltern der betroffenen Schüler ganz sicher gerne etwas zahlen würden, wenn sich hierdurch nur echte spürbare Verbesserungen im Bildungsbreich einstellen würden.

    "Brückensanierung, Bäder-Unterhalt oder Obdachlosenhilfe", da bin ich dann doch eher bei Herrn Erik.

    • @DiMa:

      Die einkommensreichen Eltern zahlen dies bereits mit Steuern. Diese Steuern werden von Abgeordneten des Abgeordnetenhauses und den Berliner Senatoren aber lieber für andere Zwecke ausgegeben, damit möglichst viel immer gratis für jeden ist.

  • Jetzt haben wir länger auf die Wahlversprechen gewartet als die SPD braucht, um sie wieder einzukassieren.