piwik no script img

Kreml-Expertin Belton über Russland„Putin ist ein kleinkarierter Mann“

Der Anschlag in Moskau könnte Wladimir Putin nützen, sagt Kreml-Expertin Catherine Belton. Wenn der Westen die Kurve kriege, könnte sein Thron aber wackeln.

Wie eine kleine Wizard-of-Oz-Figur: Wladimir Putin Foto: Prokofyev/Itar Tass/imago
Jens Uthoff
Interview von Jens Uthoff

wochentaz: Frau Belton, der Terroranschlag von Moskau liegt wenige Tage zurück. Kann er Wladimir Putin schaden – oder wird er ihm sogar nützen?

Catherine Belton: Putin und seine Verbündeten aus den Sicherheitsdiensten zeigen mit dem Finger auf die Ukraine und auf den Westen – es hängt nun alles davon ab, ob sie dieses Narrativ aufrechterhalten können. In seinen ersten beiden Amtszeiten war es die Taktik Putins, den Westen für Terroranschläge verantwortlich zu machen. Insbesondere nach der Geiselnahme von Beslan 2004 beschuldigte er westliche Kräfte, die Teile Russlands abtrennen wollten, hinter dem Anschlag zu stecken. Diese Erzählungen haben ihm jedes Mal geholfen, die Macht seiner Sicherheitsdienste zu stärken und jegliche Opposition im politischen System auszuschalten. Die Chancen stehen gut, dass er diese Methoden erneut erfolgreich anwenden und den Anschlag nutzen kann, um das Land weiter gegen die Ukraine und den Westen aufzuwiegeln. Seine Kontrolle über die Medien ist unglaublich groß, und wir werden nun wahrscheinlich erleben, dass Putins Regime noch aggressiver gegen die Ukraine – und möglicherweise gegen den Westen – vorgeht.

Bei den Sprengstoffanschlägen auf Wohnhäuser in Russland im Jahr 1999 gab es deutliche Hinweise darauf, dass der Geheimdienst FSB beteiligt war. Diesmal hätte der FSB zumindest gewarnt gewesen sein müssen. Wie beurteilen Sie die Versäumnisse der Sicherheitsbehörden?

Es gibt noch viele Fragen, wie es zu diesem Anschlag kommen konnte, warum die Sicherheitsbehörden nicht wachsam waren, obwohl sie so deutlich gewarnt worden waren. Es ist klar, dass der Islamische Staat keine neue Bedrohung für Russland darstellt. Wir wissen nicht, wie es den vier sogenannten unmittelbaren Tätern gelang, so viel Schaden anzurichten. Wo war die Polizei? Ist sie einfach weggelaufen? Und warum haben sich die vier mutmaßlichen Täter nicht getrennt, sondern sind gemeinsam in einem Auto zur Grenze gefahren? Das wäre ein sehr merkwürdiges Verhalten. Irgendetwas passt da nicht zusammen.

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Nach der Scheinwahl in Russland inszenierte sich Putin als großer Sieger, Störaktionen fielen kaum auf. Ging Putin auch aus der „Wahl“ gestärkt hervor?

Für Putin waren die sogenannten Wahlen wichtig als Stempel oder Zertifikat seiner Legitimität. Er denkt, dass das absurd hohe Ergebnis ihn stärker macht. Und ich glaube, er glaubt wirklich, dass diese Unterstützung echt ist. In den Augen des Westens unterstreicht diese enorme Zahl jedoch nur das Ausmaß der Fälschungen, die stattgefunden haben. Die unabhängige Zeitung Novaya Gazeta schätzt, dass 31,6 Millionen gefälschte Stimmen – fast die Hälfte der Gesamtzahl – in die Auszählung eingeflossen sind. Dieser sogenannte Sieg ist dennoch ein fragiler Sieg – und weit entfernt von dem durchschlagenden Sieg, den er präsentieren will.

Was die Unterstützung der Ukraine betrifft, scheint die Einigkeit des Westens zu bröckeln. Hat Putin den Westen jetzt da, wo er ihn gern hätte?

Nein, noch nicht. Das Sorgenkind sind natürlich die USA. Wir hatten diese große Blockade im Kongress, was die Genehmigung weiterer Hilfe für die Ukraine betrifft. Seit Beginn des Krieges ist die Unterstützung für die Ukraine an der Basis der Republikanischen Partei erheblich zurückgegangen. Der rechtsextreme MAGA-Flügel wird einflussreicher, das spielt Putin in die Karten. Der große Test aber steht mit den US-Wahlen noch bevor. Was Europa betrifft, sehe ich es anders: Es war ein starker Schritt von Präsident Macron und der EU-Kommission, die Ukrainehilfe fortzusetzen und sich zu bemühen, Europas eigene Verteidigungsindustrie aufzubauen. Abgesehen von ein paar Ausrutschern des Bundeskanzlers Olaf Scholz steht die EU einigermaßen geeint hinter der Ukraine.

Was kritisieren Sie an den „Ausrutschern“?

Der Bundeskanzler ist zögerlich. Er hat anscheinend Angst, die Entsendung von Taurus-Marschflugkörpern könne zu einer Eskalation führen. Das Vereinigte Königreich und Frankreich haben jedoch ähnliche Langstreckenraketen in die Ukraine geschickt, und es ist nichts passiert. Es scheint also eine Blockade im Kopf des Bundeskanzlers zu sein. Damit gefährdet er Europa, denn Putin ermöglicht diese Zögerlichkeit, in der Ukraine die Oberhand zu gewinnen. Inzwischen gehen Geheimdienstberichte schon davon aus, dass Russland ab 2026 das Baltikum angreifen könnte.

Halten Sie eine militärische Niederlage Russlands für möglich?

Das kommt darauf an, wie man Niederlage definiert. Es gab einen Punkt vor etwa einem Jahr, als Putins Thron gewackelt hat, als Russland militärisch schwach war und Jewgeni Prigoschin einen Putsch plante. Es besteht immer noch die Möglichkeit, Russland derart militärisch zu schwächen. Aber nur, wenn der Westen die Kurve kriegt und die Ukraine in die Lage versetzt, sich nicht nur selbst zu verteidigen, sondern tatsächlich einen bedeutenden militärischen Angriff an der Frontlinie zu starten. Die Frontlinie ist aber über 1.000 Kilometer lang. Es war also einigermaßen verrückt, dass die USA vergangenes Jahr nur 12 Brigaden angemessen ausgestattet haben. Ohne Unterstützung in der Luft, ohne F-16, war es unmöglich für die Ukraine, bedeutende Durchbrüche zu erzielen. Der Westen muss umdenken, die Waffenindustrie muss mehr produzieren.

Adam Ihse/imago
Im Interview: Catherine Belton

Die Frau

Belton, Jahrgang 1973, war von 2007 bis 2013 Auslandskorrespondentin in Moskau. Heute arbeitet sie als Investigativjournalistin für die „Washington Post“.

Das Buch

Beltons Buch „Putins Netz“ (Verlag HarperCollins) gilt als Standardwerk über die russischen Machthaber.

Putins Rüstungsindustrie floriert derweil.

Genau. Aber die Inflation in Russland steigt. Wenn die russische Wirtschaft immer mehr unter Druck gerät, wenn Putins Kriegswirtschaft nicht mehr funktioniert, könnte im kommenden Jahr ein Punkt kommen, an dem die Stunde der Ukraine schlägt – und sie wieder in der Lage ist anzugreifen.

Sie haben von einer neuen europäischen Sicherheitsarchitektur gesprochen. Mit Blick auf den Aufstieg der Populisten: Wie sehr hängt die von politischen Entwicklungen ab?

Es wird entscheidend, wie die AfD bei den Bundestagswahlen 2025 in Deutschland und Marine Le Pen bei den Präsidentschaftswahlen in Frankreich 2027 abschneiden werden. Aber erst mal steht uns im Juni eine Europawahl bevor. Russland bemüht sich, die Stimmen für die rechtsextremen Parteien in Frankreich, Deutschland, in anderen europäischen Ländern und in Amerika zu stärken und setzt auf Desinformationskampagnen. Unsere Recherchen für die Washington Post haben gezeigt, dass der Kreml Agenten im Westen einsetzt – etwa den ehemaligen Front-National-Politiker Jean-Luc Schaffhauser, der in der Vergangenheit geholfen hat, Kredite für Le Pens Partei zu organisieren. Im Moment arbeitet er daran, eine Liste von rechtsextremen europäischen Führern für die Wahlen zum Europäischen Parlament zusammenzustellen. Wenn es Russland gelingt, die politische Ordnung in Europa dahingehend zu destabilisieren, dass russlandfreundliche Parteien an Macht gewinnen, wird es auch keine gemeinsame europäische Verteidigungsindustrie geben. Wir müssen uns im Klaren darüber sein, dass Russland alles versuchen wird, dieses Ziel zu erreichen.

Sie haben 2023 über die Verbindungen von Sahra Wagenknecht nach Russland geschrieben und die Strategie des Kremls, links- und rechtspopulistische Parteien in Deutschland zu stärken, um eine Querfront zu ermöglichen. Nun hat Wagenknecht eine eigene Partei. Ist das im Sinne des Kremls?

Ich glaube, es ist ein bisschen Wunschdenken des Kremls, dass eine Zusammenarbeit von Bündnis Sahra Wagenknecht und AfD zustande kommen könnte. Die meisten AfD-Mitglieder, mit denen ich gesprochen habe, sagten, dass dies aufgrund der politischen Agenda Wagenknechts nicht wirklich möglich sei. Einer jedoch, der AfD-Abgeordnete Petr Bystron, erklärte, dass dieses Bündnis bereits bei den Protesten gegen Pandemiemaßnahmen in Gestalt der Querdenker bestand, es müsse nur durch eine neue Krise reaktiviert werden. Bystron hat gute Verbindungen zu Russland, seine Frau ist mit Sergej Lawrow befreundet, er prahlt mit seiner guten Beziehung zu Steve Bannon.

Können Sie uns über das Propagandaressort des Kremls berichten? Sie haben kürzlich gesagt, der Putin-Vertraute Sergej Kirilenko habe dort nun eine entscheidende Funktion.

Kirilenko ist der erste stellvertretende Chef des Kremls. Seine Aufgabe war es, die Innenpolitik zu überwachen – zum Beispiel dafür zu sorgen, dass die Wahlen in Russland nach dem Willen des Kremls ausgehen. Nachdem die Sender Russia Today und Sputnik in der EU verboten wurden, übernahm er mehr Verantwortung in der Propagandaabteilung. Mit seinem Team ist er für die Überwachung der Medien und des politischen Umfelds in den europäischen Ländern, insbesondere in Frankreich und Deutschland, zuständig. Sie launchen Social-Media-Kampagnen, um die öffentliche Meinung gegen die Ukraine zu beeinflussen. Im Westen haben viele Kirilenko lange für liberal gehalten, genauso wie Putin in Anfangszeiten. Welch fatale Irrtümer.

Der nicht zugelassene russische Präsidentschaftskandidat Boris Nadeschdin hat kürzlich insinuiert, er halte es immer noch für möglich, Russland von innen zu reformieren.

Es wäre möglich, Russland von innen heraus zu reformieren, wenn der Kreml Nadeschdin erlaubt hätte, als Präsidentschaftsanwärter zu kandidieren. Aber wenn sogar er als Kandidat vom Rennen ausgeschlossen wird, ist das realitätsfern. Nadeschdin sagt, er würde mit seiner Anti-Kriegs-Agenda 30 bis 35 Prozent Unterstützung aus der russischen Bevölkerung bekommen. Kein Wunder, dass der Kreml Angst bekommen hat.

Was, wenn Donald Trump die US-Wahlen gewinnt?

Daran wage ich nicht einmal zu denken, denn Trump hat bereits sehr deutlich gemacht, dass er die NATO auflösen könnte, wenn er der Meinung ist, dass bestimmte Mitglieder nicht genug Beiträge zahlen. Wir wissen nicht, was passiert. Wird Trump Putin Tür und Tor öffnen, damit er im Baltikum einmarschieren kann? Es ist sehr wichtig, dass sich die europäischen Regierungen auf diese Situation vorbereiten.

Sie haben lange Zeit in Moskau gearbeitet. Sie haben Putin dort oft gesehen…

…ich bin ihm nur bei den Pressekonferenzen begegnet. Ich kam 1998 nach Moskau, als er Chef des Geheimdienstes FSB war. Für mein Buch „Putins Netz“ habe ich aber mit vielen Leuten gesprochen, die ihm sehr nahe stehen.

Wie haben Sie selbst ihn damals wahrgenommen?

Wie eine kleine Wizard-of-Oz-Figur, um den herum diese riesige Staatsmaschinerie und die Entourage ist. Und er ist der kleine Kerl, der sich hinter einem Vorhang versteckt und diese Maschine steuert und der versucht, den Leuten Angst zu machen. Aber man muss eben immer mit ihm rechnen, sein Gespür und sein Wissen um Details ist unglaublich. Er ist ein Taktiker, wenn auch kein guter Stratege. Eigentlich ist er ein kleiner und kleinkarierter Mann. Vielleicht hat er einen Minderwertigkeitskomplex, jedenfalls sind Statusfragen für Putin sehr wichtig.

In welchen Momenten ist er schwach?

Wir haben gesehen, dass er manchmal in Krisen die Situation nicht unter Kontrolle hatte. Das erste Mal im August 2000, als die Kursk gesunken ist. Putin verschwand daraufhin für ein paar Tage und wollte sich einfach nicht damit befassen. Nach der Prigoschin-Meuterei haben wir es noch einmal sehr deutlich gesehen. Es gab zunächst keine Befehle aus dem Kreml, Putin war völlig gelähmt. Und nun, nach dem Anschlag in Moskau, brauchte er wieder 19 Stunden, um zu reagieren.

Der populärste Oppositionspolitiker Alexei Nawalny ist tot. Glauben Sie, dass Nawalnys Team und Julia Nawalnaya seine Rolle übernehmen können?

Wir müssen abwarten, wie es mit der russischen Opposition weitergeht, aber es scheint klar zu sein, dass Putin nichts dem Zufall überlassen will. Gerade erst wurde der ehemalige Stabschef von Nawalny, Leonid Wolkow, in Litauen mit einem Hammer angegriffen. Dieser Druck wird also eindeutig anhalten.

Fühlen Sie sich eigentlich sicher in Großbritannien?

Es gab Klagen gegen mein Buch. Offensichtlich wäre das nicht passiert, wenn ich nicht einige Leute sehr verärgert hätte, aber sie haben den rechtlichen Weg gewählt. Ich denke, ich bin überhaupt keine prominente Person, nicht so wie diese mutigen politischen Aktivisten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

22 Kommentare

 / 
  • "Nein, noch nicht." Das 'noch' macht Angst...

  • »Und es ist - meine Auffassung (!) - kein Verrat an der sozialdemokratischen Entspannungspolitik Willy Brandts.«



    Natürlich ist es das nicht. Der eigentliche »Verrat«, wenn man das so nennen möchte, begann viel früher, vermutlich 1989 oder den Neunziger Jahren.



    Als man nämlich die Losung »Wandel durch Handel« ausgab, und zwar unabhängig von der jeweiligen Situation und Adressaten und ohne vorher die tatsächlichen Möglichkeiten sowie Intentionen des Gegenübers auch nur zu erkunden, wie es seinerzeit Bahr und Brandt getan haben.



    Mittlerweile wirkt die heutige SPD in Bezug auf die Russlandpolitik wie jemand der nur gelernt hat, mit einem Hammer umzugehen. Das Ergebnis ist eine ziemlich vernagelte Sicht auf die Welt.



    Es wird schwer da wieder heraus zukommen, ohne dass das eine oder andere Ego oder persönliche Weltanschauung, welche jahrzehntelang wie eine Monstranz vor sich her getragen wurde, dabei Schaden nimmt.

  • "Der Anschlag in Moskau könnte Wladimir Putin nützen..."



    Könnte? Was heißt denn hier könnte? Natürlich nutzt er ihm - und er hat ihn ja schon hinreichend instrumentalisiert.



    Zuerst hieß es die Attentäter flohen Richtung ukrainische Grenze, dann wurden offensichtlich gefolterte Verdächtige medienwirksam vorgeführt, zeitgleich wurden - na hoppla - Aufnahmen der Verhöre auf einschlägigen kremltreuen Kanälen zufällig 'geleaked', da ist gut zu sehen wie dem einen erst ein Teil des Ohrs abgeschnitten wird und er es dann essen muss... - und nach ein paar Tagen wurde jetzt auch noch auf muslimische Extremisten umgeschwenkt.



    Das ist schon maximal effizient was Putins Medienapparat da rausgeholt hat 🤷‍♂️ und es passt perfekt zur Ideologie die Putin und seine Entourage seit Beginn des Kriegs verbreiten: alle Welt ist gegen Russland - die Ukraine, der Westen, die gottlosen Moslems - aber gegen Papa Putin haben sie alle keine Chance 💪- wenn die Attentäter jetzt noch relativ zügig in Schauprozessen abgeurteilt werden ist das Bild vom starken Mann im Kreml der alles unter Kontrolle hat rund - Todesstrafe und Mobilisierung bestenfalls als Sahnehäubchen oben drauf 👌

  • Beltons Expertise liegt in der Organisierten Kriminalität rund um Putin, nicht in der Beurteilung militärischer Maßnahmen oder gar der Politik der NATO-Staaten. Es wäre deshalb interessant gewesen, sie mehr zu Putin und dessen möglichen innenpolitischen Hintergründen bzw. dem „Netz“ zu befragen. Das Urteil, was das außenpolitisch bedeutet, hätte man anderen überlassen können.



    Ich nehme mit, dass Putin wie der Chef einer Mafia zu denken und zu handeln scheint, nicht als Politiker. Wichtig ist ihm die Kontrolle über Russland, wenn es noch etwas mehr Fläche zum Ausbeuten und Verteilen gibt, nimmt er das mit, aber das scheint eher nicht der zentrale Aspekt zu sein. Den Krieg gegen die Ukraine wird er nur beenden und Kriege gegen EU-Mitglieder nur unterlassen, wenn er fürchten muss, dass diese Kriege ihn und seine Leute die Macht (und damit das Geschäft) in Russland kosten.

  • »Unabhängig, wie man zu der Person Putin steht,...«



    Kann man das überhaupt? Geht das rein logisch und komplett amoralisch überhaupt, ohne sich selbst zum Teil einer Parallelgesellschaft zu machen?

    »...sollte man doch auch ihm das Kausalitätsprinzip zugestehen, dass auch er seine Gründe für sein Handeln hat und nicht nach magischen Bedingungen agiert.«



    Sie Fragen indirekt nach den Gründen seines Handels, des »Capo di tutti i Capi«? Ernsthaft?



    Sicherlich wäre es Sicht der Psychologen und Soziologen interessant, warum ein solcher Mensch so lange und so weit in einem Staat kommen konnte.



    Und die Historiker und Politikwissenschaftler dürfte ebenfalls interessieren, worin genau der Unterschied im »Erfolg« zu Toto Riina und Wladimir Putin liegt.

    Aber für mich und vermutlich sehr viele andere ist eigentlich nur die Frage entscheidend, wann dieser Wahnsinn endlich beendet wird.



    Wer kämpft aktiv gegen das Unrecht und das Morden an?



    Und wer steht auf der Bremse, weil er sein Weltbild nicht der Realität anpassen will?

    • @Radium:

      Sie übersehen möglicherweise, dass auch Ihr "Wissen" um Putins Person kein objektives ist - sondern ein von interessierter Seite (nämlich der westlichen) gefärbtes. Von Kriegsparteien darf man grundsätzlich keine objektiven Darstellungen des Gegners erwarten - beim Gegner nennen wir diese grundsätzlich negativ gefärbte Auslegung der eigenen Beweggründe "Propaganda".

      Wer nun bedingungslos der "eigenen" Seite vertraut, mag patriotisch sein - ist aber sicher nicht objektiv informiert. Insoweit WISSEN Sie (objektiv) herzlich wenig über Putins wahre Beweggründe - es ginge m.E. darum, diese in ernstgemeinten Gesprächen erstmal herauszufinden (sprich: den Reflex des "Ach die kenne ich doch: Imperialismus, Chauvinismus, altes Sowjetreich, total irre etc." mal hintanzustellen) und in Überlegungen für ein Kriegsende mit einzubeziehen, ganz so wie wir es von der anderen Seite erwarten. Erst dann wird sich was bewegen, versprochen.

  • Unabhängig, wie man zu der Person Putin steht, sollte man doch auch ihm das Kausalitätsprinzip zugestehen, dass auch er seine Gründe für sein Handeln hat und nicht nach magischen Bedingungen agiert.



    Eine kontroverse Person als "kleinkarierten Mann" abzuwerten ist wohl eher das Gegenteil davon. Ist eine solche Aussage sicherlich bereits als persönliche Meinungsäußerung schon keine intellektuelle Meisterleistung, so finde ich sie aus dem Mund einer angeblichen Kreml-Expertin doch sehr irritierend und eher den Horizont der Quelle beschreibend.



    Auf keinen Fall ist eine solche Äußerung zielführend im Sinne einer Lösungsfindung.

    • @Delix:

      Egal, ob jemand noch so gute Gründe für das eigene Handeln hat, immer werden sie auch beeinflusst von den tiefliegenden Strukturen, aus denen die eigene Identität aufgebaut ist.



      Nur weil sie für das eigene Bewusstsein nicht erkennbar sind, spielen sie aber trotzdem eine Rolle.



      Wer seine Macht nutzt, Kritik an sich abzuwehren, baut deshalb mit ziemlicher Sicherheit an einer persönlichen Traumwelt.

      Für andere Menschen, wie die Autorin, ist erkennbar, dass es sich um einen kleinkarierten Mann handelt, zumal er seine Eitelkeit öffentlich zur Schau stellt. Männlichkeitsgehabe ist in der russischen Gesellschaft anscheinend Mainstream und Putin bezieht daraus seine Macht, das kleinkarierte zur Staatsräson zu erheben.

      Es braucht sicher keine große intellektuelle Leistung, um das zu erkennen, das ist richtig.



      Die Leistung besteht in dem Mut, es sichtbar zu machen und der Macht an die Karre zu fahren.



      Zu Ostern ja ein altes Thema.

    • @Delix:

      Na hoffentlich ließt Putin nicht die taz. Nicht, dass er sich noch beleidigt fühlt und sich dann eventuell für eine aggressive Politik gegen die Demokratie, den Westen oder -nicht auszudenken- sogar zu einem Krieg gegen seine Nachbarn hinreißen lässt.



      Man kann noch so herablassend über den Intellekt und den Horizont einer Person fabulieren.



      Wenn man angesichts eines entfesselt und brutal agierenden Autokraten, der Oppositionelle, Kritiker und Minderheiten inhaftieren, foltern und ermorden läßt, sein Nachbarland zerbombt und offen mit atomarer Eskaltation droht, als Argument ins Feld führt, dass er halt "seine Gründe hat", hat man sich auf dieser Ebene bereits komplett entblößt.



      Da muss man gar nicht mehr drauf eingehen, wie grotesk dünn der Strohhalm ist, sich an einer harmlosen Zuschreibung wie "kleinkariert" hochzuziehen.

    • @Delix:

      "Unabhängig, wie man zu der Person Putin steht,"

      Wer einen Post so anfängt, hat schon verloren.

    • @Delix:

      Es st ein relativ harmloser Begriff. Mir würden zu diesem Menschen noch ganz andere Ausdrücke einfallen, die aber nicht jugendfrei sind. Aber wenn das ihre größte Sorge im Umgang mit Putin ist, dann herzlichen Glückwunsch.

  • Es ist eine tausende Jahre alte Taktik: In einem militärischen Konflikt den Gegner auf allen Kanälen klein zu reden.



    Aber Putin mag so kleinkariert sein, wie er will. Er könnte sogar strunzdumm sein - das spielt am Ende keine Rolle: entscheidend ist dass er die Macht hat und seine Gefolgschaft seine Befehle ausführt.



    Und wenn es denn ums Kleinkarierte ginge: Was ist, wenn die politische und militärische Führung "unserer" Seite es gerade bei der Kleinkariertheit locker mit Putin aufnehmen kann?

  • "Inzwischen gehen Geheimdienstberichte schon davon aus, dass Russland ab 2026 das Baltikum angreifen könnte."

    Gut vorstellbar. Putin hat erst kürzlich in einem Interview bekräftigt, dass er nicht beabsichtigt Polen oder das Baltikum anzugreifen. Was das bedeutet ist ja aus der Vergangenheit bekannt.

    Wäre es dann nicht angebracht, die Industrie so langsam einmal auf Kriegswirtschaft umzustellen? Oder haben Scholz und Mützenich immer noch nicht begriffen, worum es Putin eigentlich geht? Kann man als Regierungsbeteiligter so weltfremd sein?

    Das Zögern und Zaudern ist für mich nicht mehr nachvollziehbar. Vielleicht liege ich auch falsch, aber unter umsichtliches und verantwortungsvolles Handeln verstehe ich anscheinend etwas anderes als der Bundeskanzler und seine Genossen.

    Da halte ich es lieber mit Winkler und seinen Historikerfreunden. Deren Positionen liegt wenigstens eine Logik zugrunde.

    • @Sam Spade:

      Unter "verantwortungsvollem Handeln" verstehen unser Kanzler und ein Teil seiner Genossen offensichtlich so etwas wie "aussitzen und hoffen". In zehn Jahren ist die Ära Putin vermutlich vorbei. Da wir (geographisch) nicht in der ersten Reihe stehen, greift er uns in dieser Zeit vielleicht nicht an, wenn wir uns nicht übermäßig gegen ihn exponieren. Und dann sehen wir weiter.

      Ich habe zwar keine Ahnung, welcher russische Despot auf Putin folgen könnte, aber wenn Putin mit seinem Vorgehen Erfolge erzielt, dann ist der russische Imperialismus mit Putins Ableben nicht beendet.

      Niemand hat die Absicht, Russland zu erobern. Aber wir sollten alles tun, damit das Putin-Regime in/an der Ukraine scheitert. Und das sollten wir auch entsprechend kommunizieren. Den Menschen in Russland sollte klar gemacht werden, dass eine Annäherung wieder möglich ist. Putin und seinen Silowiki sollte klar gemacht werden, dass es mit ihnen kein "normales" Zusammenleben mehr geben wird.

    • @Sam Spade:

      Wo Sie den Brandbrief Winklers und seiner Historikerkollegen an die SPD ansprechen: Winkler ist ja nun kein Nobody im Wissenschaftsbetrieb - und er ist seit geschlagenen 60 Jahren SPD-Mitglied (so lange hätte ich das nicht durchhalten können 😉)! Eigentlich war es bei den Sozialdemokraten immer guter Brauch, auf wohlmeinende/nahestehende Intelektuelle (z.B. Grass, Habermas) zu hören, es hat zumindest nicht geschadet.



      Ob da wohl noch Hoffnung besteht, was diese Historiker-Initiative betrifft? Politische wie intellektuelle Größe besteht ja auch darin, gemachte Fehler - hier: außenpolitische Fehler im Umgang mit Putin-Russland - zu erkennen, zu analysieren und schließlich zu korrigieren. Noch ist es dazu nicht zu spät. Und es ist - meine Auffassung (!) - kein Verrat an der sozialdemokratischen Entspannungspolitik Willy Brandts.



      Aber mit Scholz und Mützenich scheint das nicht möglich zu sein - schade, dass sich die SPD gerade derart selbst verzwergt.

      • @Abdurchdiemitte:

        Auf politische Größe braucht man bei der jetzigen SPD nicht zu setzen. Ich denke auch die Intellektuellen der 70er und 80er Jahre würden heutzutage bei Leuten wie Scholz oder Mützenich gar kein Gehör mehr finden. Und Winkler wird wohl aus rein prinzipiellen Gründen sein Parteibuch nicht zurückgeben. Seine Positionen sind ja schon seit längerem konträr zur SPD Linie.

      • @Abdurchdiemitte:

        "Aber mit Scholz und Mützenich scheint das nicht möglich zu sein - schade, dass sich die SPD gerade derart selbst verzwergt."

        Oder wir werden nachher noch dankbar sein, dass Scholz, trotz aller Kritik, in Einklang mit der Biden Administration handelt.

        • @Alexander Schulz:

          Ich habe in meinem Post ja auch explizit auf die Brandtsche Entspannungspolitik der 70er Jahre verwiesen - nein, die ist damals nicht gescheitert, es ist aber nur die EINE Hälfte der Wahrheit, sie als allein maßgeblich für den dann mit Gorbatschows Reformpolitik in der Sowjetunion eingeleiteten Annäherungsprozess zu betrachten. Die ANDERE Hälfte der Wahrheit war eben der NATO-Doppelbeschluss.



          Hier hilft wahrscheinlich die nüchterne Analyse und retrospektive Betrachtung des Historikers eher als der nostalgisch-verklärte oder ideologische Blick des Parteipolitikers, der verzweifelt versucht - angesichts wachsender programmatischer Profillosigkeit seiner Partei - politische Grundsätze zu retten, die für aktuelle Entwicklungen längst keine Gültigkeit mehr beanspruchen können. Schlicht und ergreifend: die (außen)politischen Grundannahmen, die einst für das „Management“ des Kalten Krieges galten, treffen auf den Umgang mit dem aggressiven Regime Putins längst nicht mehr zu.



          Und übrigens: natürlich beinhaltet meine Kritik auch eine strikte Ablehnung aller Positionen, die grundsätzlich und ausschließlich - auch in den aktuellen und zukünftigen Beziehungen zu Russland - auf Eskalation und eine Politik der Stärke setzen. Jedoch gilt derzeit leider: man kann den russischen Imperialismus nicht mit Wattebäuschen bekämpfen.

    • @Sam Spade:

      Die SPD hat einen historischen Mythos mit ihrer Enstpannungspolitik geschaffen und diesen Mythos zu einem Kernstück ihrer Identität gemacht. Nun ist dieser Mythos halt genau das ein Mythos, kein Panacea und erst recht bietet er keine Antworten darauf wie umzugehen sei mit einem imperialistischen Nationalisten wie Putin. Aber Eine andere Politik würde heißen mit dem Mythos zu brechen, mit der eigenen Identität zu brechen. Das ist nicht einfach und gerade in einer gealterten Partei wie der SPD sehr schwer.

      Ich befürchte das Putin im Herbst Truppen an der baltischen Grenze aufmarschieren lässt um Druck im US Wahlkampf auszuüben. Was er dann macht wenn Trump gewinnt kann ich nicht sagen. Aber in jedem Fall ist die Wahrscheinlichkeit eines Krieges hoch. Putin muss nicht nur die NATO sondern auch die EU loswerden, die gefährdet Russlands Einfluss und Putins Herrschaft vielmehr als die NATO, die begrenzt nur seine Möglichkeiten zur imperialen Annexion. Daher wird er bald eine Konfrontation mit dem Westen suchen um NATO und EU zu spalten.

      • @Machiavelli:

        Ich will nicht widersprechen, nur eine Anmerkung zu der These, die EU sei für Putins Gelüste gefährlicher als die NATO: wenn aus der Europawahl die rechten Parteien gestärkt hervorgehen, kommt Putin seinen Zielen leider wesentlich näher.



        Und zur SPD: wahrscheinlich würde der Partei ein zweites Godesberg - diesmal in außenpolitischer Hinsicht bzw. in der Positionierung gegenüber Russland - nur gut tun - wenn es dafür ohnehin nicht schon zu spät ist. Mit Michael Roth verlässt einer der exponiertesten Vertreter dieser neuen außenpolitischen Ausrichtung das sinkende Schiff.

        • @Abdurchdiemitte:

          Es ist 5 vor 12. Die Freiheit der Ukraine und der EU sind ersthaft bedroht.

          Es müssen sich endlich alle Bürger in Deutschlands darüber im klaren werden,

          daß die wechselhafte Haltung des Müntzenich, Stegner - Flügels der SPD wahrscheinlich aus Naivität erfolgt, aber auch trotzdem eine Gefahr für die Freiheit und Demokratie in der EU sind.

          Bei den Wagenknechts, und AfD- Verantwortlichen, sehe ich eher ein klare bewußte Unterstützung für das aggressive Russland aus



          eigener Vorteilsnahme und ideologischer Verbundenheit zur diktatorischen Herrschaft !

          Jedoch sind beide gleich gefährlich, nützten nur dem Aggressor Putin und die möglichen Folgen daraus sind für uns alle dann nicht mehr umkehrbar.







          MatthSchi

          • @MatthSchi:

            Ich habe ja schon an anderer Stelle geschrieben, dass es nicht die Absicht der Vorteilsnahme oder der Verbundenheit mit Putin-Russland ist, der die SPD folgt. Kennt man die Geschichte dieser Partei, wäre es sogar übelste Diffamierung, Sozialdemokraten so etwas wie Nähe zu Autokraten und Diktatoren zu unterstellen.



            Vielleicht ist es Naivität, die Teile der SPD umtreibt, da mögen Sie recht haben. Auf alle Fälle aber ist es das unbeirrbare Festhalten an entspannungs- und friedenspolitischen Prinzipien, die zuzeiten des Kalten Krieges zwar wegweisend waren, jedoch heute nicht geeignet, einen Aggressor wie Putin in die Schranken zu weisen.



            Die Unfähigkeit bzw. fehlende Bereitschaft, hier neu zu denken und hinsichtlich der außenpolitischen Orientierung eine Kurskorrektur zu wagen, ist das ganze Drama mit den Mützenichs und Stegners - und natürlich der Opportunismus des Kanzlers. Da sind sogar die Jusos ihrer Mutterpartei voraus.