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Hauptbahnhof in StuttgartEs fährt ein Zug von irgendwo

Auf dem Stuttgarter Hauptbahnhof treffen täglich tausende Menschen aufeinander. Wenn da nicht dieser Umbau zum Milliardengrab Stuttgart 21 wäre.

Achtung, Baustelle! Der Stuttgarter Bahnhof trägt gerade schwer an sich Illustration: Jeong Hwa Min

Stuttgart taz | Der Stuttgarter Hauptbahnhof ist wie ein großer Ameisenhaufen. Reisende ziehen in alle Richtungen eilig ihre Trolleys hinter sich her, Familien versuchen ihre Kinder nicht aus den Augen zu verlieren und junge Leute mit Rucksäcken wollen die Stadt erkunden. Er ist rund um die Uhr geöffnet, hier sind täglich tausende Menschen unterwegs. Sie warten auf jemanden, werden abgeholt, wollen abfahren, aussteigen oder umsteigen. Über 1.200 Züge am Tag sind hier normalerweise unterwegs, Reisende müssen erst einmal das richtige Gleis finden.

Das ist nicht immer einfach, denn der Stuttgarter Bahnhof ist seit vielen Jahren auch eine riesige Baustelle. Unter Aufrechterhaltung des Bahnbetriebs wird neben dem alten Kopfbahnhof der unterirdische neue Durchgangsbahnhof aus dem Boden gestampft, das Großprojekt „Stuttgart 21“.

Begonnen haben die Bauarbeiten 2010, ursprünglich waren 2,5 Milliarden Euro veranschlagt. 2019 sollte das Projekt ursprünglich fertig werden, das die Deutsche Bahn als das „neue Herz Europas“ bewarb, weil über Stuttgart eine Achse Paris–Bratislava laufen sollte. Davon redet keiner mehr.

Vom Bahnhofsvorplatz kommt man nicht mehr ins alte Hauptgebäude hinein, sondern muss in einem großen Bogen darum herumgehen. Große Plakate weisen mit Pfeilen in Richtung „Hauptbahnhof zu den Zügen Gleis 1–16“, auch in englischer Sprache. Ergänzt werden die Plakate durch eine dicke durchgehende grüne Linie auf dem Boden, an der derselbe Text zu lesen ist.

nix wie hin

Die Besonderheit Stuttgart 21 ist die komplette Neuordnung des Bahnknotens in Stuttgart. Bei gleichzeitigem Betrieb des Kopfbahnhofs ist das zentrale Bauwerk des Projekts der künftige unterirdische Durchgangsbahnhof mit nur noch 8 Gleisen. Sein Dach besteht aus 28 Kelchstützen in einer noch nie gebauten Betonkonstruktion.

Die Zielgruppe Alle Bahnreisenden dieser Welt. Die noch bestehenden Teile des Stuttgarter Kopfbahnhofs sind Zeugnisse der Stadtgeschichte und können sich bis heute sehen lassen. Auch wenn man nicht verreisen will.

Hindernisse auf dem WegDie Kosten, die auf inzwischen über 10 Milliarden Euro angestiegen sind. Die Bauarbeiten haben sich durch Wassereinbrüche verzögert, und die ­Um­stellung auf eine neue digitale Leit- und Sicherungstechnik gestaltet sich schwierig.

Weitere großformatige Plakate zeigen die Richtung zur DB-Information, zu den Toiletten (bei Gleis 1), den Wartebereichen und zum Schalter der VVS-Fahrkarten, vor dem eine lange Schlange von Menschen ansteht. Es gilt die Einbahnstraßen-Regelung – wer umdrehen will, läuft gegen den Strom.

Hinter Holzwänden

Während hinter großen Holzwänden, in die Sichtfenster eingelassen sind, an Stuttgart 21 gebaut wird, funktioniert die ganze Abwicklung des Zugverkehrs immer noch über die 16 Gleise des alten Kopfbahnhofs. Allerdings kommt es zu Einschränkungen. Viele Züge fahren Stuttgart gar nicht mehr an, auf manchen Linien müssen Fahrgäste auf den Ersatzverkehr mit Bussen umsteigen.

An den Gleisen wird auf großen Infotafeln angezeigt, wohin die Züge fahren. Interessiert wird die Laufschrift von den Reisenden beobachtet: „… Berlin …Verspätung ca. 70 Minuten …Tübingen … Zug fällt heute aus …Oberstdorf … Geänderte Wagenreihung … In Richtung Schorndorf gibt es einen Busverkehr, … Bitte informieren Sie sich …“, so der freundliche Hinweis. Von den meisten Reisenden werden die Ausfälle und Änderungen schweigend mitgetragen, Mit­ar­bei­te­r*in­nen der DB, bei denen man nachfragen oder sich beschweren könnte, sind nicht in Sicht.

Vor diesen Infotafeln mit ihren unruhigen Botschaften wird deutlich, wie ruhig inzwischen der Umbau zu Stuttgart 21 verläuft. Schritt für Schritt hat sich der Tiefbahnhof in den Untergrund der Stadt gefressen, dabei war Stuttgart 21 von Anfang an umstritten. Markante Wegmarken waren ein rechtswidriger Polizeieinsatz im September 2010, der „Schwarze Donnerstag“ mit der Räumung des benachbarten Schlossgartens, und 2011 eine Volksabstimmung, bei der ein Ausstieg aus dem Bauvorhaben abgelehnt wurde. Bis heute zählen die „Montagsdemonstrationen“ gegen das Projekt zu den längsten Bürgerprotesten im ganzen Land.

Noch immer gibt es am Arnulf-Klett-Platz gegenüber eine Mahnwache, das grüne Häuschen ist täglich von 10 bis 18 Uhr besetzt. Von hier draußen, dem Bahnhofsvorplatz aus, ist zu sehen, wie sich die Baustelle eingekesselt hat. Hinter hohen Zäunen wird gebaggert, gehämmert, gesägt und betoniert, ein Zutritt ist nur für das Personal der Baufirmen möglich. Eine davon, die an den Fassaden und Dachkonstruktionen mitarbeitet, heißt „Seele“.

Historische Verwüstung

Das stolze Empfangsgebäude des Stuttgarter Hauptbahnhofs, der 100 Jahre alte Bonatzbau, soll im Innern vollständig modernisiert werden. Das denkmalgeschützte Gebäude hat durch die Bauarbeiten eine historische Verwüstung erlitten, doch „das stadtbildprägende äußere Erscheinungsbild bleibt erhalten“, so das Versprechen.

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Inzwischen haben sich die geschätzten Kosten für Stuttgart 21 auf über 10 Milliarden Euro mehr als vervierfacht. Die Inbetriebnahme des neuen Bahnhofs ist offiziell für Dezember 2025 vorgesehen, doch an den Termin glaubt außer der Deutschen Bahn niemand mehr.

Irgendwann wird irgendwo schon ein Zug irgendwohin fahren. Die Hoffnung stirbt zuletzt.

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12 Kommentare

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  • Das Problem ist, das 2/3 von BW Stuttgart als Knotenpunkt haben. Daneben ist eigentlich nur die Rheinschiene als Nicht-Stuttgart-ausgerichtet zu nehmen von den wichtigen Bahnlinien.



    Heißt: Ein Problem in Stuttgart = Probleme überall.

  • Na ja, der Volksentscheid war ja eindeutig, dann müssen die Stuttgarter jetzt auch durch.



    Prinzipiell ist es ja nicht verkehrt einen Kopfbahnhof durch einen Durchgangsbahnhof zu ersetzen. Mit der Neubaustrecke Wendlingen gibt es ja auch eine schnellere Anbindung in den Süden und auch noch zum Flughafen.



    Klar ist das Ding zu teuer und auch ein Immobilienprojekt, dass niemand braucht.



    Man muss auch schauen, wie sich der neue Bahnhof bewährt, eventuell braucht man noch zwei Gleise mehr.



    Aber man bekommt, was man bestellt. Dann darf man nicht CDU wählen.

    • @Surfbosi:

      "Na ja, der Volksentscheid war ja eindeutig, dann müssen die Stuttgarter jetzt auch durch."



      Der Volksentscheid war ein Betrug am Wähler, weil mit völlig falschen Daten und Fakten argumentiert wurde, welche die Mehrheit der Wähler glaubte.



      Schon 2013 lehnte eine Mehrheit es ab, sieht hier in taz: taz.de/Exklusive-taz-Umfrage/!5072620/

    • @Surfbosi:

      Stuttgart21 ist ein einziger Betrug am Bürger, realisiert durch eine korrupte kriminelle Vereinigung.

      Die Montagsdemonstrationen hatten jedes Detail bis ins kleinste auf fachlich höchstem Niveau durchleuchtet und dieses Projekt als das identifiziert was es ist: Ein mafiöses reines Immobilienspekulstionsprojekt.



      Daher überraschen die 'Probleme' niemanden. Traurig nur, welchen Schaden unser Rechtsstaat dabei genommen hat. Es wurde mit äußerster Brutalität durchgeprügelt, wie man es nur aus Mafiafilmen kennt. Die Justiz war voll eingespannt. Verantworten musste sich dabei kaum jemand, im Gegenteil, beste Posten hatten sie sich abgestaubt.



      Dieses Projekt hat jedes Vertrauen zerstört!

    • @Surfbosi:

      Volksentscheid hin oder her, den Umbau durchzuziehen, egal was kostet funktioniert nur, weil die DB immer noch ein quasi-staatliches Unternehmen ist, bei einem privatwirtschaftlichen Unternehmen, wäre vermutlich die Reißleine gezogen worden.



      Es ist halt so wie es ist, problematisch ist nur, das die Bahn als staatlich/private Chimäre sich das herauspicken kann was gerade passt, bei Stuttgart 21 wird es durchgezogen, weil sie es als quasi staatliches Unternehmen eben kann, weil die Politik es so möchte, anderswo wird sich hinter der privatwirtschaftlichen Fassade versteckt und behauptet, es (egal was) rechne sich nicht.



      Es könnte das beste aus 2 Welten herauskommen, aber es wird nur genau andersrum gehandhabt.

      • @nutzer:

        Man darf bei den hohen Kosten nicht vergessen, wie langfristig nutzbar die Infrastruktur der Bahn ist. Die aktuellen Zufahrstreckrn zum Stuttgarter Hauptbahnhof, die ja auch weiterhin genutzt werden, stammen größtenteils aus dem 19. Jahrhundert. Auch die neuen Strecken werden hunderte von Jahren genutzt werden.

        Die Vekehrswende, schnelle Verbindungen und zusätzliche Kapazitäten der Bahn sind zunächst mal sehr teure Investitionen, insbesondere dort, wo die Topographie schwierig ist. Das heißt aber nicht, dass diese Investitionen für Jahrzehnte und Jahrhunderte nicht lohnend und sinnvoll sind.

        Wenn man auf der neuen Strecke von Ulm nach Stuttgart fährt, wechselt an aktuell in Wendlingen abrupt vom 21. ins 19. Jahrhundert, um dann zu einem nur vom einer Seite zugänglichen Kopfbahnhof zu landen. Wenn die Bahn nicht ein Vergnügen für Danpfbahnnostalgiker sein soll, sondern ein schnelles Verkehrsmittel, das besser als Auto und Flugzeug ist und technisch auf der Höhe der Zeit, dann macht der Status Quo überhaupt keinen Sinn und es gibt keine wirkliche Alternative zu Stuttgart 21.

        • @Ruediger:

          Die Neubaustrecke hat einen höheren (!) Scheitelpunkt als die alte Strecke über die Geislinger Steige. Der schnelle Nahverkehr über die NBS zwischen Ulm und Wendlingen benötigt zwei Lokomotiven für die paar Waggons, die dazwischen hängen. Sehr energiesparend und zukunftsweisend... Der schöne Nebeneffekt ist, dass die französischen TGVs nicht über die Strecke können (wie über die tolle Achterbahn Frankfurt-Köln, die auch absurd hohe Dauerleistung der Triebfahrzeuge erfordert). Aber so kann man auch Konkurrenz aus dem Land halten. Soviel zum Thema 21. Jahrhundert...

          Und dass die Strecken rundum alt und vergammelt sind, heißt vor allem, dass man Sanierungen jahrzehntelang verschleppt hat. Siehe Gäubahn, deren Zweigleisigkeit (die bis nach dem zweiten Weltkrieg bestand!) nach langem langem Ringen nun nur als Stückwerk teilweise erweitert wird.

          Und die über 60km Tunnel müssen auch unterhalten werden. Der Unterhalt von Tunnelstrecken ist um ein mehrfaches teurer. Aber Zukunft!

          Zur in der Schlichtung versprochenen technischen Lösung gegen das Wegrollen haltender Züge bei dem regelwidrigen Gefälle, hat man auch schon jahrelang nichts mehr gehört. Mal sehen, wie viele Unfälle es an den engen Bahnsteigen es dann geben wird, wenn sich Rollkoffer und Züge von selbst in Bewegung setzen.

          Stuttgart 21 ist ein Lügenbahnhof für die Bau- und Immobilienwirtschaft. Sonst nichts.

          • @Helmut Fuchs:

            Der TGV kann die Strecke nicht nutzen, weil er nicht die neueste ECTS- Generation hat, das ist ein Fehler der Franzosen.



            Der Scheitelpunkt ist nicht relevant, entscheidend ist, dass die Züge auf der Stecke insgesamt schneller unterwegs sind.



            Die bisherigen Strecken sind nicht "alt und vergammelt", sondern überlastet (insbesondere die Filstalstrecke über die Geislinger Steige) und passen in ihrer Streckenführung nicht für schnelle Verbindungen zwischen den Metropolen.

            • @Ruediger:

              P.S. Dass die Geislinger Steige ein Verkehrshindernis ist, ist eine Binse. Dass man für ein Irrsinnsgeld eine Neubaustrecke hinsetzt, die außer schneller befahrbar zu sein, keine Vorzüge hat, ist m.E. kriminell.

            • @Ruediger:

              Das ist die aktuelle Begründung. Zum Zeitpunkt der Planung waren es noch die fehlende Traktionsleistung, die fehlende Wirbelstrombremse und dies oder das.

              Der Scheitelpunkt ist sehr wohl relevant, weil der versprochene Güterverkehr niemals stattfinden wird und durch den langen Auf-/Abstieg jede Menge HGV-Fahrzeuge auf dem Markt nicht tauglich für die Strecke sein werden. Sowohl NBS als auch Bahnhof sind maßgeschneidert – aber nicht für besseren und mehr Verkehr.

              Aber letztlich völlig egal, was wir hier diskutieren. Lassen wir uns überraschen, wie man die Chose in 15 Jahren bewertet.

    • @Surfbosi:

      Falsch:



      Der 'Volksentscheid' war nicht eindeutig - er hatte nichtmal das Quorum erreicht, es hatten schlichtweg zu wenig abgestimmt. Demzufolge war er ungültig und es gab gar keinen Entscheid. Er wurde nur medial dazu aufgeblasen und als Entscheid behauptet.



      Ob die Mehrheit für das Projekt war, lässt sich daraus jedenfalls nicht ablesen.



      Zudem beruhte er auf Desinformation, und die Fragestellung war von vornherein suggestiv.

      Es durften auch Leute über dieses Stadtbauprojekt abstimmen, die überhaupt nichts mit der Stadt und/oder der Bahn am Hut haben.

      Im Übrigen ist es kein Bahnhofsprojekt, sondern ein Abbruchprojekt, denn Stuttgart21 darf zukünftig nach internationalen Normen und Definitionen gar nicht als Bahnhof bezeichnet werden: Aus dem Hauptbahnhof wird ein Haltepunkt.

      Der Unterschied: Auf Grund des großen Gefälles darf der Lokführer die Lok nicht verlassen und der Zug darf nicht unbeaufsichtigt stehen bleiben.

  • Ich bin eine Weile lang immer über Stuttgart gefahren, wenn ich die 'große weite Welt' hinaus wollte (mit der Bahn natürlich!). Von dem Projekt hörte ich 1996 zum ersten Mal und habe den aktuellen Stand dann immer wieder mal betrachtet. Natürlich sind hinterher alle immer schlauer - aber das ist halt doch ein ziemliche Wahnsinnsgeschichte, die dann aber immer so rational verpackt wird; jetzt müssen die Stuttgarter tapfer sein: Mir erschien die baden-württembergische Landeshauptstadt immer ein wenig öde, vielleicht ist selbiger Eindruck ja durch dieses (unglaublich unschwäbisch erscheinende?) Chaos Geschichte geworden. Bleibt zu hoffen, dass nie jemand dabei zu Schaden kommt, so von wegen Gleisneigung, Nadelöhr und Notausgänge...