Arbeitsbedingungen an Unis: Letzte Hoffnung Bundestag

Noch im März möchte die Ampel eine Reform für bessere Arbeitsbedingungen an Hochschulen beschließen. Strittige Punkte überlässt sie dem Parlament.

In der Wissenschaft bleiben oder woanders arbeiten? Ab­sol­ven­t:in­nen der Uni Bonn Foto: Jakob Studnar/Funke Foto Services/imago

BERLIN taz | Sara Kunze ist eine äußerst qualifizierte Wissenschaftlerin. Die Anglistin hat seit Kurzem ihre Habilitation in der Tasche. Ihre Publikationsliste umfasst mehr als 20 Einträge. Und sie hat schon fast eine halbe Million Euro an Drittmitteln eingeworben – eine stolze Summe in den Geisteswissenschaften. Dennoch wartet Kunze auch mit 44 Jahren noch immer auf eine unbefristete Stelle.

Im Oktober ist ihre jüngste Vertretungsprofessur ausgelaufen. Seither lebt die Shakes­peare-Expertin von Arbeitslosengeld. Um ihre mit der Habilitation erworbene Lehrbefähigung nicht zu verlieren, muss sie unbezahlte Vorlesungen geben. „Ich hoffe, bald auf eine unbefristete Professur berufen zu werden“, sagt Kunze. Ihre Chancen bezeichnet sie dabei als „Lotteriespiel“.

Aus gutem Grund. Neben den vergleichsweise wenigen Professuren gibt es für For­sche­r:in­nen an deutschen Hochschulen so gut wie keine entfristeten Stellen. Nur 8 Prozent der „Nachwuchswissen­schaftler:innen“ unter 45 Jahren haben aktuell eine Dauerstelle. Alle anderen hingegen müssen auf dem Weg zur Professur auf Lebenszeit über viele Jahre prekäre Arbeitsbedingungen in Kauf nehmen.

So auch die Anglistin Sara Kunze, die wegen laufender Berufungsverfahren ihren richtigen Namen lieber nicht gedruckt sehen möchte. Seit Abschluss ihrer Promotion hatte sie bereits zwölf Verträge an mehreren Unis, öfter betrug die Laufzeit nur sechs Monate. „Da ist natürlich keinerlei Lebensplanung drin“, sagt sie.

Ein Jahr Stillstand

In ihrem Koalitionsvertrag hat die Ampel versprochen, die Arbeitsbedingungen an Hochschulen zu verbessern. Unter anderem möchte sie erstmals Mindestvertragslaufzeiten für Promovierende (zwei Jahre) und Postdocs (drei Jahre) einführen, auch wenn diese Vorgaben nicht juristisch bindend wären. Die Eckpunkte der Reform legte Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) bereits vor einem Jahr vor. Doch bei den kniffligen Fragen sind sich SPD, Grüne und FDP bis heute nicht einig. Allen voran, wie lange For­sche­r:in­nen in Zukunft befristet angestellt werden dürfen.

Aktuell erlaubt das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) befristete Arbeitsverträge für insgesamt zwölf Jahre – sechs vor und sechs nach der Promotion. Nach den Plänen von Stark-Watzinger soll die Befristungshöchstdauer künftig bei zehn Jahren liegen, eine Verlängerung um weitere zwei Jahre soll nur mit fixer Anschlusszusage möglich sein. Konkret hieße das: Forscher:innen, die bereits promoviert sind, müssten in der sogenannten Postdoc-Phase bereits nach vier Jahren entfristet werden, außer sie erhalten zu dem Zeitpunkt die Zusage für eine spätere Dauerstelle.

Dieses „4+2-Modell“ ist der favorisierte Reformweg der Hochschulen. Das Bundesbildungsministerium (BMBF) teilt auf taz-Anfrage mit, dass das Modell „eine gute Balance für die Befristung nach der Promotion“ biete, die „sowohl die unterschiedlichen Fächerkulturen und Karrierewege in der Wissenschaft“ berücksichtige und „für den Fall der Bewährung eine adäquate unbefristete Position in Aussicht stellt“. Eine weitere pauschale Senkung der Höchstbefristungsdauer werde dem aus BMBF-Sicht nicht gerecht.

SPD und Grünen kommt die Entfristung jedoch zu spät. Sie fordern, wie auch die Linkspartei und Gewerkschaften, dass die Betroffenen viel früher Klarheit über ihre berufliche Zukunft erhalten. Auch wollen sie, dass die bislang geltende Tarifsperre fällt und sich die Ar­beit­neh­me­r:in­nen notfalls mit Hilfe von Gewerkschaften bessere Arbeitsbedienungen erkämpfen können.

Nicht nur Koalitionspartner unzufrieden

Umso bemerkenswerter ist es, dass das SPD-geführte Arbeitsministerium jetzt trotz früherer Einwände grünes Licht für das Modell Stark-Watzinger gegeben hat. Wie mehrere Medien am Sonntag übereinstimmend berichteten, soll das Kabinett noch im März die Reform beschließen – und zwar im Wesentlichen so, wie es Stark-Watzingers ursprünglicher Referentenentwurf aus dem vergangenen Sommer vorsieht. Oder anders formuliert: Weil sich die Ministerien nicht einig geworden sind, überlassen sie die Aufgabe dem Parlament. Ein entsprechender Vermerk im Kabinettsbeschluss soll den Abgeordneten auftragen, die strittigen Punkte zu prüfen. Denn SPD und Grüne sind alles andere als einverstanden mit dem aktuellen Regierungsentwurf.

„Von einer Einigung kann noch keine Rede sein“, sagte die grüne Bundestagsabgeordnete Laura Kraft am Montag im Deutschlandfunk. Es gebe noch „einige Punkte, die nachgebessert werden müssen“. Darunter die Befristungshöchstdauer und der Zeitpunkt der Anschlusszusage. Ähnlich äußerte sich SPD-Politikerin Carolin Wagner auf taz-Anfrage. Erklärtes Ziel für die Reform des WissZeitVG sei „eine frühere Aussicht auf ein unbefristetes Arbeitsverhältnis“, so Wagner. Diese Planbarkeit sei elementar für die Zukunft des Arbeitsmarktes im wissenschaftlichen Bereich. Aus diesem Grund habe die SPD „dem Entwurf bisher nicht zustimmen“ können.

Auf standfeste Koalitionspartner setzen auch die Betroffenen: „Das ist keine Reform oder Verbesserung, sondern der Super-GAU für den Wissenschaftstandort Deutschland“, schreibt ein promovierter Forscher aus Frankfurt (Oder) auf „X“. „Ich hoffe, das scheitert im Parlament“. Das Netzwerk für Gute Arbeit in der Wissenschaft (NGAWiss) appelliert an SPD und Grüne: „Jetzt nicht einknicken!“ Das Netzwerk befürchtet, die geplante 4+2-Regelung werde gar nicht zu mehr Entfristungen führen, sondern lediglich den Druck auf die For­sche­r:in­nen erhöhen.

Sara Kunze, Anglistin

„Was die Ampel hier beschlossen hat, wird nicht zu mehr Dauerstellen führen“

Schließlich klaffen bei ihnen heute schon im Schnitt 3,5 Jahre zwischen Ende der Sonderbefristung und Berufung auf eine Professur. Diese Lücke, warnt Mathias Kuhnt vom NGAWiss, werde nun noch größer. Aktuell überbrücken viele For­sche­r:in­nen diese Zeit mit Drittmittelverträgen (die vom WissZeitVG ausgenommen sind) – oder beziehen Arbeitslosengeld wie die Anglistin Sara Kunze. Auch sie glaubt: „Was die Ampel hier beschlossen hat, wird nicht zu mehr Dauerstellen führen.“

Haushälter machen Druck

Dass diese Einschätzung durchaus realistisch ist, zeigt eine Stellungnahme der Hochschulrektorenkonferenz (HRK): „Die nun von der Politik mit dem ‚4+2‘-Modell verknüpfte Erwartung einer Anschlusszusage wird von den Hochschulen … nicht als zielführend und realistisch erachtet“, heißt es auf Anfrage. Auch eine frühere Anschlusszusage würde nicht zu mehr Stellen führen, so die HRK: „Mehr unbefristete Stellen … erfordern mehr dauerhafte Mittel für die Grundfinanzierung der Hochschulen“.

Die Bundesregierung wiederum sieht die Unis in der Pflicht. Am Dienstag sagte ein Sprecher, das sei „Aufgabe der Hochschulen in ihrer Funktion als Arbeitgeber“. Doch so einfach wird es der Bundestag der Ampel nicht machen. Bereits im Oktober forderte der Haushaltsausschuss Stark-Watzinger auf, ein Konzept zum Ausbau wissenschaftlicher Dauerstellen neben der Professur vorzulegen – übrigens auch ein Ampelversprechen.

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