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Folgen des UkrainekriegsEU setzt auf mehr Verteidigung

Angesichts russischer Gefahr will Brüssel Milliarden in die hiesige Rüstungsindustrie stecken. Nur: Eigentlich ist das nationale Angelegenheit.

Aus Angst vor Russland: Europa will mehr Waffen produzieren Foto: Fabian Bimmer/reuters

Brüssel taz | Die Botschaft, die am Dienstag von Brüssel ausgeht, ist unmissverständlich: Die Zeit der „Friedensdividende“ ist vorbei. Die EU-Kommission hat dazu einen Aktionsplan vorgestellt, der massive Investitionen in die hiesige Rüstungswirtschaft vorsieht. Neben einer „Strategie für die Verteidigungsindustrie“ legte die EU-Behörde ein Investitionsprogramm vor, das zunächst 1,5 Milliarden Euro umfassen soll. Langfristig könnte es aber auf 100 Milliarden anwachsen – wie das deutsche Sondervermögen für die Bundeswehr.

Begründet wird der Vorstoß, mit dem sich die EU wohl endgültig vom Ziel einer Friedensunion verabschiedet, mit Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine. Auch die Lage in den USA spielt eine Rolle: Brüssel will sich vor einer möglichen Rückkehr von Donald Trump ins Weiße Haus unabhängiger machen.

Russland brutaler Angriff auf die Ukraine hat den Krieg zurück nach Europa gebracht“, sagte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell am Dienstag. „Nach Jahrzehnten der Unterfinanzierung müssen wir mehr in die Verteidigung investieren – aber wir müssen es besser und gemeinsam tun.“ Konkret schlägt die Kommission vor, neue Rüstungsprojekte künftig gemeinsam anzugehen. Wenn sich mehrere EU-Länder bei der Waffenproduktion zusammentun, sollen sie bei den Mehrkosten entlastet werden. Ziel soll es sein, bis zum Jahr 2030 40 Prozent der Ausrüstung gemeinsam zu beschaffen.

Brüssel hat auch in Sachen Unabhängigkeit eine Zielmarke formuliert: So sollen bis 2030 mindestens 50 Prozent der Rüstungsgüter auf dem europäischen Binnenmarkt gekauft werden.

Derzeit fließen nach Angaben von Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager knapp 80 Prozent der Mittel in Länder außerhalb der EU, davon allein 60 Prozent in die USA. „Das ist nicht mehr tragbar, wenn es überhaupt jemals tragbar war“, sagte Vestager. Besonders viele Waffen kaufen Polen, Deutschland und die Niederlande in den USA.

Wer steuert die Aufrüstung politisch?

Wollte das Programm per Anleihen finanzieren: EU-Kommissar Thierry Breton Foto: Yves Herman/reuters

Frankreich hatte gefordert, mehr in Europa zu produzieren und sogar eine „Buy European“-Klausel vorgeschlagen. Damit konnte sich Paris jedoch ebenso wenig durchsetzen wie mit der Idee, ein neues, schuldenfinanziertes Rüstungsprogramm aufzulegen. Der französische EU-Kommissar Thierry Breton hatte die Zahl von 100 Milliarden Euro ins Spiel gebracht, die über Anleihen („Eurobonds“) finanziert werden könnten. Hierzu sagten jedoch Deutschland, die Niederlande und andere „frugale“ (sparsame) EU-Länder Nein. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) setzt auf eine andere Methode: Alle EU-Länder sollen ihre Waffenproduktion in Eigenregie hochfahren und auch mehr Kriegsgerät in die Ukraine schicken – unabhängig von Brüssel.

Der Vorschlag der EU-Kommission ist offenbar ein Kompromiss zwischen den deutschen und den französischen Positionen. Er kommt auch der Ukraine entgegen: Sie soll künftig wie ein Mitgliedstaat behandelt werden, wenn es darum geht, gemeinsam mit anderen EU-Staaten mehr Waffen zu beschaffen. Die Aufsicht soll in Brüssel liegen. Die EU-Kommission will sogar neue Gremien schaffen und Sammelbestellungen bei Waffenschmieden wie Rheinmetall aufgeben. Das Vorgehen erinnert an die Corona­krise, bei deren Bewältigung die Brüsseler Behörde ebenfalls die Führung übernommen hatte.

Allerdings sehen die EU-Verträge diese neuen Befugnisse eigentlich nicht vor. Die Verteidigung ist bisher eine nationale Angelegenheit; jedes Land wacht eifersüchtig über „seine“ Rüstungsindustrie und „seine“ Waffen – wie sich aktuell am Streit über das deutsche Taurus-System zeigt. In Brüssel wird daher mit Widerstand nicht nur aus Berlin, sondern auch aus anderen Hauptstädten gerechnet. Dass sich die Kommission auf vier verschiedene Artikel im Vertrag über die Arbeitsweise der Union (TFEU) berufe, deute auf eine schwache Rechtsposition hin, hieß es.

Streit droht auch über die Frage, wer die europäische Aufrüstung politisch steuert. Die EU-Kommission wolle sich wie während der Pandemie neue Machtbefugnisse aneignen, argwöhnen Diplomaten und Abgeordnete. Auch die Linke sieht in dem Rüstungsprogramm einen Verstoß gegen EU-Verträge. Deren Europa-Parlamentarierin Özlem Alev Demirel sprach zudem von „Kriegswirtschaft“.

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19 Kommentare

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  • Die EU war und ist ein Zweckverband zwischen Staaten, die angeführt von Regierungen ihre eigenen Interessen verfolgen. Die nationalen Regierungen haben ebenso wenig Neigung, eigene Machtbefugnisse an eine Supraregierung der EU abzugeben wie sie bereit sind, den BürgerInnen der EU mehr Mitsprache einzuräumen. Als Regierungen von Nationalstaaten sind sie sich in vielen Punkten nicht einig. Wenn sie nun angesichts eines gemeinsamen Feindbildes näher zusammenrücken wollen, hat dass wenig bis nichts mit neuer Leidenschaft für ein europäisches Vereinigungsprojekt zu tun. Es geht darum, die eigene Macht abzusichern; wenn nötig, auch auf Kosten der BürgerInnen und mit dem sicherheitspolitischen Risiko, dass einzelne EU-Mitglieder jederzeit ausscheren können oder die Seiten wechseln. Bevor die EU sich als Militärmacht etablieren will, sollte sie sich um die Angleichung der Lebens- und Sozialstandards innerhalb der EU und um eine gemeinsame Außenpolitik kümmern. Erst dann könnte Sie von sich behaupten, sie würde mit einer gemeinsamen Verteidigungspolitik auch für die Interessen der Menschen in der EU eintreten.

    • @Stoersender:

      ...fein beobachtet - um die Bürger geht's bei der EU wahrlich wenig...

  • Wie wäre es denn mal wenn wir mehr Medikamente, Medizinprodukte und Impfstoffe in Europa produzieren und eine " buy European" Klausel dafür einführen, damit wir nicht bei der nächsten Pandemie wieder dumm da stehen und es hier nicht ständig zu einem Mangel an lebensnotwenidigen Medikamente kommt oder Kinderfiebersaft etc.



    Die Frage ist doch, will das die Mehrheit der Europäer überhaupt, das wird fast gar nicht diskutiert. Viele Länder haben sich nicht mal vollständig von der Coronakrise erholt und der Inflation und Energiekrise. Immer mehr Menschen kommen kaum noch mit ihrem Gehalt aus. Die Inflation mag gesunken sein aber die Lebenshaltungskosten sind es nicht, die gehen weiter nach oben. In vielen europäischen Staaten ist der Unmut eh schon groß, weil zu wenig für das gemacht wird, was die Menschen interessiert und ihnen tatsächlich helfen würde. Bildung, Gesundheit, Pflege und Soziales, Klimawandel für all das ist immer kein Geld da, da hört man immer: wir würden ja aber wo sollen wir nur das Geld her nehmen? Das ist einfach nicht finanzierbar. Steuersenkungen und Schlupflöcher für Reiche- kein Ding, nichts gegen Geldwäsche machen?- ein Klax, klimaschädliche Subventionen einsparen?-nö Subventionen für Milliarden- Unternehmen?- Kinderspiel. Sich die Diäten immer schön erhöhen und Ausgleichszahlungen für Corona und Inflation? aus der Portokasse. Und nun kommt noch hinzu Milliarden für Waffen? Null Problemo! Die Frage ist macht uns das dann tatsächlich sicherer oder gibt uns das nur ein falsches Gefühl von Sicherheit (und heizt die Situation nur noch mehr auf).

    • @Momo Bar:

      In Billiglohnländern billigst produzieren und hier überteuert verkaufen ist smarter.

  • Ein kleiner Vorstoß in Richtung eines EU Heeres. Die EU schon lange mehr als ein Wirtschaftsgemeinschaft. Und dass zu unserer aller Vorteil. Eine gemeinsame Verteidigung ist vielfältig sinnvoll. Bisher war das nie ein Thema, da die USA als unsere Schutz und Friedensgarantie fungiert hat. Jetzt findet aber ein Wandel statt.

  • Das die Franzosen gerne ihre Rüstungsindustrie quer subventionieren lassen wollen ist verständlich. Dann aber bitte auch keine Sonderwege aus dem Élysée der ehemaligen Großmacht.

    • @vieldenker:

      Welches Land will das nicht?

  • 4G
    48798 (Profil gelöscht)

    UvdL (?) hat sich unmittelbar nach der Abwahl von Trump für die Anschaffung von F35 anstelle eines europäischen Gemeinschaftsprojektes entschieden. Gegen alle auch schon damals geäußerten Bedenken!



    Ein Argument (außer der wenig diskutierten Amerika-Hörigkeit der Deutschen) war die schnelle Verfügbarkeit...:



    Nun, man wird schon sehen wie das dann demnächst unter Trump laufen wird.

    Wäre vielleicht angebracht, das die "Atlantiker" in den sog. "Volksparteien" hier Verantwortung übernehmen, wenn es, wie zu erwarten, schief geht.

    • @48798 (Profil gelöscht):

      "UvdL (?) hat sich unmittelbar nach der Abwahl von Trump für die Anschaffung von F35 anstelle eines europäischen Gemeinschaftsprojektes entschieden." Weil wir die Jets in den nächsten Jahren brauchen nicht 2040, der Eurofighter fing mal als Fighter 90 an. Solche Projekte sind ganz nett aber mit den Mengen die Europa kauft, den unterschiedlichen Wünschen von Franzosen, Deutschen etc. macht es einfach keinen Sinn.

      " Nun, man wird schon sehen wie das dann demnächst unter Trump laufen wird." Waffen wird der uns definitiv auch verkaufen.

  • ...was für elektronische Systeme stellt noch die Firma Baumüller von Söders Ehefrau Karin Baumüller-Söder mit ihrer Firma Weltweit in über 28 Standorten her ?

    • @Alex_der_Wunderer:

      Scholz subventioniert Frau Söder?

      • @Ahnungsloser:

        ...Scholz ? Wenn dann wir mit unseren Steuern...

  • Die Ukraine verteidigen und den Vormarsch Russlands durch den Süden der Ukraine bis "Transnistrien" stoppen!



    keine Ersatzaktivitäten!

  • Bitte die 100 Milliarden in Bildung investieren. Dann steigt die Chance, dass die nächsten generationen von Politikern klüger sind als die momentanen..

    • @Micha.Khn:

      Die Idee, 100 Mrd. Euronen in Russland für Bildung auszugeben, finde ich zwar nobel, aber politisch ist das vermutlich nicht durchsetzbar. Über den Sinn mal gar nicht zu reden.

    • @Micha.Khn:

      Ja, die sind dann klüger. Die können dann auch russisch als Fremdsprache.

      • @Der dreckich Katz:

        Ne, ist klar. Sollte der Spinner ins Auge fassen ein Nato Mitglied anzugreifen, lässt er sich bestimmt dadurch abschrecken, dass die EU jetzt ein bisschen aufrüstet...

        • @Micha.Khn:

          "Sollte der Spinner ins Auge fassen ein Nato Mitglied anzugreifen, lässt er sich bestimmt dadurch abschrecken, dass die EU jetzt ein bisschen aufrüstet..."



          Ist das jetzt ein Plädoyer für eine massive Aufrüstung stattdessen, oder das Gegenteil?

        • @Micha.Khn:

          Die vermeintlich UNbesigbarkeit der russischen Armee ist schon lange nicht mehr gegeben.



          Wir sehen schließlich in der Ukraine dass sie nicht wie geplant in ein paar Tagen das ganze Lander erobern konnten.



          Also ist das Glas halb voll und nicht halb leer.



          Nicht besser ncihts versuchen es könnte ja schließlich funktionieren.