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Beerdigung von Alexej NawalnyAbschied von Russlands Hoffnung

Sie skandieren „Nein zum Krieg“ und „Na-wal-ny“: Trotz Polizei kommen Tausende Menschen zur Beerdigung des Oppositionspolitikers Alexei Nawalny.

Nur etwa 300 Trauernde konnten sich direkt von Nawalny verabschieden, die Polizei erschwerte den Zugang zur Kirche Foto: ap

Moskau taz | Als der schwarze Leichenwagen mit dem Sarg von Alexei Nawalny die Kircheneinfahrt passiert, klatscht die Menge. „Na-wal-ny, Na-wal-ny, Na-wal-ny“, rufen Tausende von Frauen und Männern, die an diesem Tag zur Kirche der Gottesmutter-Ikone „Lindere mein Leid“ in den Südosten Moskaus geradezu gepilgert sind.

Sie wollen sich von der symbolgewordenen Hoffnung für Veränderungen in Russland verabschieden. Sie sind aus Nowosibirsk hierhergefahren, aus Saratow, aus Sankt Petersburg. Manche haben Tränen in den Augen. Dicht an dicht stehen sie im Kirchenvorhof und in den Straßen nebenan, sie klettern auf die Schneehügel. Sie halten Nelken in der Hand und Rosen und Astern. „Alexei, wir vergessen dich nie“, rufen sie immer wieder. Manche haben Tränen in den Augen. „Danke, Alexei!“

Die kirchliche Trauerfeier wird zu einer Kundgebung. Nach einer Zeit skandieren die Menschen „Putin ist ein Mörder“ und „Russland wird frei sein“. Die Hundertschaften von Polizisten lassen sie gewähren. Eine solche politische Versammlung hat Moskau seit Jahren nicht mehr gesehen.

Erst als der Glöckner hoch oben in der Kirche die Glocken läuten lässt, herrscht eine traurige Stille über Marjino. In diesem Stadtteil hatte Nawalny mit seiner Frau Julia, seiner Tochter Darja und seinem Sohn Sachar einst gelebt. Julia Nawalnaja und die Kinder können aus Sicherheitsgründen nicht nach Russland einreisen.

„Als Alexei starb, stürzte meine Welt ein“

Auf Instagram schrieb seine Frau: „Ljoscha, vielen Dank für 26 Jahre absoluten Glücks. Ich weiß nicht, wie ich ohne dich leben soll, aber ich werde versuchen, dich dort oben glücklich zu machen. Wir werden uns eines Tages treffen. Ich habe so viele unerzählte Geschichten für dich und so viele Lieder für dich auf meinem Handy gespeichert, dumme und lustige, um ehrlich zu sein, schreckliche Lieder, aber sie handeln von uns, und ich wollte unbedingt, dass du sie hörst.“

Die Behörden hatten tagelang auf ihre Möglichkeiten der Einschüchterung zurückgegriffen. Laut der Nachrichtenagentur AFP hat die Polizei an diesem Tag 45 Menschen festgenommen. Die Straßen entlang stehen alle fünf bis zehn Meter Männer der Nationalgarde und der Spezialpolizei Omon. Polizisten patrouillieren an den Metroausgängen und an Brückenzugängen, Sicherheitskräfte in Zivil filmen, in den Parks sitzen Polizisten hoch zu Ross.

Trauernde bei der Beerdigung von Alexei Nawalny am 1. März in Moskau Foto: reuters

Die Mobilfunkverbindungen sind gestört, das Internet funktioniert nicht. Immer wieder brüllen Polizisten, die Menschen sollten die Wege nicht blockieren. Doch die Menschen, jung wie alt, schreckt das alles nicht. „Wir vergessen dich nie! Wir werden nicht auf­geben!“, skandieren sie.

Zwei Polizisten kontrollieren die Menschen am Kircheneingang, und nach 40 Minuten ist der Trauergottesdienst vorbei. Im offenen Sarg liegt der tote 47-Jährige aufgebahrt, der am 16. Februar in der Strafkolonie „Polarwolf“ hinterm Polarkreis sein Leben verlor. Seine Eltern Ljudmila und Anatoli sitzen in der Schummrigkeit unter der Kuppel, der Priester betet­ auf Altkirchenslawisch.

Am Ende konnten sich etwa 300 Menschen von Nawalny verab­schieden, bevor sein Sarg zurück in den Leichenwagen getragen und zum Borissowo-Friedhof zehn Autominuten weiter gebracht wird. Die Menschen klatschen wieder, werfen ihre Blumen auf den Wagen, ziehen in einer langen Prozession zum Friedhof.

„Als Alexei starb, stürzte meine Welt ein. Alles vorbei, die Hoffnung tot“, sagt Swetlana, die aus einer Kleinstadt an der Wolga nach Moskau gekommen ist. „Doch Alexei lächelte immer, selbst hinter Gittern­ hat er uns erheitert. Ich versuche nun auch zu lächeln, dem Staat, der uns so viel nimmt, der uns nicht einmal Blumen für einen Toten ablegen lässt, ins Gesicht zu lachen“, sagt die 51-Jährige, die drei Stunden vor der Kirche anstand. Noch kann sie nicht lachen, sie bricht an diesem Tag in Tränen aus.

Auch Polina, einer 28-Jährigen, laufen Tränen über die Wangen, als sie den Weg an den vielen Polizisten vorbei sucht, um sich in den Zug der Trauernden zum Friedhof einzureihen. „Seit zwei Jahren spüre ich gleichzeitig Wut, Hilflosigkeit, Trauer. Ich bin für mich hier. Ich will mir selbst beweisen, dass wir für Alexei, für unser Land selbst kämpfen müssen. Zu lange saß ich nur gleichgültig zu Hause, dachte, irgendeiner werde es schon machen, dass ich in einem freien Land leben kann. Ich ging selten zu Straßenprotesten, vertraute auf andere. Aber nein, ich bin es selbst, die dafür einstehen muss. Das ist Alexeis Vermächtnis.“ So sprechen viele rund um die Kirche und auf dem Weg zum Friedhof.

„Wir sind uns der Risiken bewusst, in einer Diktatur zu leben, in der es immer düsterer wird. Aber wir sind nicht allein. Ich sehe so viele Menschen hier, die genauso denken wie ich. Das stärkt“, sagt die 40-jährige Natalja. Sie sei zusammengebrochen, als sie von Nawalnys Tod erfahren habe. Dann aber habe sie ein Lied für den Oppositionspolitiker geschrieben, das habe ihr Kraft gegeben. „Es freut mich, hier zu sehen, dass es in unserem Land doch noch vernünftige Menschen gibt“, sagt sie und weint wieder. Später hallt ein lautes „Nein zum Krieg“ rund um die Kirche. Der Abschied ist auch ein politischer.

Druck der Behörden

Selbst als Leichnam bestimmte Nawalny die Politik des Landes mit. Das zeigte der Umgang mit seiner Familie nach seinem Tod, den sein Team, seine Anhänger und auch die EU als politischen Mord bezeichnen. Lange war nicht klar, wo sich seine sterblichen Überreste befinden. Ljudmila Nawalnaja, die Mutter des 47-Jährigen, suchte tagelang nach ihrem Sohn. Die Behörden hatten sie immer wieder vertröstet, auch unter Druck gesetzt. Sie sollte einer stillen Trauerfeier zustimmen, nur im engsten Kreis.

Selbst Leichenwagenfahrer wurden von den Behörden unter Druck gesetzt, damit sie Nawalnys Leichnam nicht in die Kirche fahren. Das Team Nawalny ist Schikanen jedoch seit jeher gewohnt. Mittlerweile operiert es aus dem Ausland, in Russland gelten die Organisationen Nawalnys als extremistisch. „Jeder, der will, kann sich von Aelxei verabschieden.“ So einfach ist das nicht.

Zum Friedhof lässt die Polizei die Trauernden bis zum späten Abend nicht, Spezialpolizisten in voller Montur sperren den Zugang. Selbst in Hinterhöfen, die kilometerweit davon weg sind, stellen Polizisten Absperrungen auf, damit sich die Menschen keine Schleichwege suchen. „Ich will doch nur Blumen ablegen. Wir werden doch sein Lächeln nie mehr in Echt sehen“, sagt Swetlana und versucht, ihre Tränen zurückzuhalten.

Mehrere Hundert Menschen harren bis in die Dunkelheit an den Absperrungen aus, schalten die Lichter ihrer Telefone an und bewegen sich nicht fort. Autos, die vorbeifahren, hupen aus Solidarität. Manche Trauernde lassen ihre Blumen im Schnee entlang den Straßen liegen, stellen Kerzen und Bilder von Nawalny aus. Schnell bilden sich Menschengruppen drumherum und gedenken dem Toten.

Die Behörden geben schließlich nach, lassen nach und nach Menschen zum frischen Grab. Ruhig legen sie ihre Blumen dort nieder, gehen verweint zur Metro. In der Ferne ist ein „Nein zum Krieg“ zu hören. „Alexei, du bist nun frei!“, sagt eine ältere Frau.

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11 Kommentare

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  • "Alle geopolitischen Konflikte zwischen Russland und dem Westen werden sich nicht lösen lassen, wenn in Moskau eines Tages wieder ein neuer, demokratischerer Wind weht, das wäre eine trügerische Illusion (auch ein Nawalny hätte die nationalen Interessen Russlands vehement verteidigt). "



    Sie können an dem Gedanken, dass die Aggressionen des putinistischen System von einem "geopolitischen Konflikt" getrieben werden, ja gern festhalten (da sind Sie ja nicht der einzige, obwohl mich nach über zwei Jahren Krieg die mangelnde Lernfähigkeit wundert), aber dafür sollten Sie sich bitte nicht auf Nawalny berufen. In dessen politischem Denken kommt das Wort "Geopolitik" nicht vor, und der Popanz einer "äußeren Bedrohung" der russischen Souveränität durch die NATO ebenso wenig.

    • @Barbara Falk:

      "(da sind Sie ja nicht der einzige, obwohl mich nach über zwei Jahren Krieg die mangelnde Lernfähigkeit wundert), "

      Den Vorwurf könnte man aber auch den Falken machen, deren Ziel immer noch eine "krachende Niederlage" von Russland ist. Unter emotionalen Aspekten verständlich, aber nüchtern betrachtet sehr unwahrscheinlich. Wir haben schon gesehen, dass China Putins Regime aushilft bei hightech Angelegenheiten, wenn es für Russland nicht möglich war über Türkei usw. China würde sein Engagement wesentlich hochfahren, wenn eine Gefahr bestehen würde, dass Russland verliert. China möchte Stabilität und hat kein Interesse an einem auseinanderfallenden Russland oder einer nuklearen Eskalation.



      Auch wird nachwievor von den Falken gerne aussen vorgelassen, dass Putin unter Umständen gar nicht bereit ist sich besiegen und stürzen zu lassen (Stichwort nukleare Eskalation).



      Am Ende wird es wohl einen Kompromiss geben müssen; eine Art Minsk 3, wie schon Heusgen (Chef der Münchener Sicherheitskonferenz bemerkte).



      Die Alternativen zu Minsk 3 wären bei nüchterner Betrachtung alle schlechter (und blutiger) auf langfristige Sicht.

    • @Barbara Falk:

      Antwort an @Abdurchdiemitte

  • Die vielen tausend Menschen, die dem von der Staatsmacht ermordeten Nawalny in Moskau jetzt die letzte Ehre erwiesen haben, machen Hoffnung auf ein neues, besseres Russland als es das derzeitige autokratische und kleptokratische Putin-Regime ist.



    Alle geopolitischen Konflikte zwischen Russland und dem Westen werden sich nicht lösen lassen, wenn in Moskau eines Tages wieder ein neuer, demokratischerer Wind weht, das wäre eine trügerische Illusion (auch ein Nawalny hätte die nationalen Interessen Russlands vehement verteidigt). Aber es besteht Anlass zur Hoffnung auf ein friedliches Europa. Noch aber ist das alles Zukunftsmusik. Genau so wichtig wie die Unterstützung der Ukraine ist es jetzt jedoch, die russische Oppositionsbewegung nicht im Regen stehen zu lassen, auch ohne das Vorhandensein einer Gallionsfigur wie Alexej Nawalny.

  • Ich muß einfach weinen. So ein großer Verlust! Dieser Gnom sitzt währenddessen abgeschottet in seiner Prachthütte und malträtiert das Nachbarland und die eigenen Leute. Ekel erregend.

  • Es ist schon erstaunlich, wie viele Menschen Nawalny auf seinem letzten Weg begleitet haben. Bei den Repressionen, denen sie ausgesetzt sind hätte ich das nicht gedacht.

    Die Vermutung liegt nahe, dass es neben den Mutigen noch sehr viel mehr (durchaus nachvollziehbar) Ängstliche gibt, die ähnlich denken. Vielleicht ist die russische Gesellschaft ja doch (noch) nicht so apathisch (gefügig, abgestumpft), wie Putin hofft und wir (von außen) vermuten.

    Für Putin war heute mit Sicherheit kein guter Tag.

    • @Al Dente:

      "Die Vermutung liegt nahe, dass es neben den Mutigen noch sehr viel mehr (durchaus nachvollziehbar) Ängstliche gibt, die ähnlich denken. "



      Projekt.media hat vor einigen Tagen eine Studie zur politischen Repression in Putins vierter Amtszeit vorgestellt. In diesem Zeitraum (2018-Ende 2023) wurden fast 116.000 Menschen rechtskräftig wegen politischer Vergehen verurteilt (an erster Stelle: Verstöße gegen das Versammlungsrecht, an zweiter: Meinungsäußerungen). Diese Zahl ist höher als die Verfolgung „antisowjetischer Umtriebe“ in der Chruschtschow-Ära und in den ersten sechs Jahren der Ära Breschnjew.



      www.proekt.media/e...s-in-russia-study/



      Die Zahl stellt eine Untergrenze dar, weil sie nur die Verurteilung nach dezidiert „politischen“ Paragrafen erfasst. Beliebte Methoden, um Menschen einzuschüchtern, ist auch die Verfolgung wegen „Wirtschaftsstraftaten“, das Unterschieben von Drogen oder Kinderpornografie, sowie Verstöße gegen Anti-Covid-Verordnungen. Rekordhalter ist der gern auch gegen Demonstranten gerichtete Paragraf, der „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“ und „Nichtbefolgung der Anweisungen von Vollstreckungsbeamten“ regelt: 600.000 (!) Verurteilungen in sechs Jahren.



      Nicht quantifizierbar ist die Repression unterhalb der gerichtlichen Schwelle: Wie viele Menschen haben ihren Job verloren, weil der FSB beim Arbeitgeber angerufen hat. Die ewigen „prophylaktischen Gespräche“ mit Studenten, Schülern, und Staatsangestellten. Wie viele erleben die Repression gegen Menschen in ihrem persönlichen Umfeld mit, u.s.w.



      Im Vorfeld des 1. März wurden überall im erweiterten Umfeld des Borisowo-Friedhofs Überwachungskameras aufgestellt. Die Moskauer Hochschulen haben ihre StudentInnen schriftlich gewarnt, dass sie zwangsexmatrikuliert werden, wenn sie an der Bestattung teilnehmen.

  • Der russische Regierungssprecher Peskow meinte: „Wir haben der Familie Nawalny nichts zu sagen“.



    Klar das ein Mafiasystem lieber nichts sagt, ganz anders Putin bei seiner „Rede“ der will „neurussischen“ Gebieten und Menschen seine Fürsorge angedeihen lassen.



    Offenbar die selbe Fürsorge wie bei Nawalny.

  • "Abschied von Russlands Hoffnung", treffend formuliert. Hier der Link, wo für Nawalny eine Kerze im Internet entzündet werden kann. Über 100.000 Kerzen brennen dort bereits.

    www.remember-navalny.io/

  • Dieser Trauermarsch und die Worte Polinas machen Hoffnung.



    „… ich bin es selbst, die dafür einstehen muss. Das ist Alexeis Vermächtnis.“

    Ich verneige mich vor Nawalny. Ein Mann, der vielen Russinnen und Russen Mut gemacht hat und Hoffnung gab.

    Putin wird und ob diese Bilder und Rufe kochen vor Wut und wahrscheinlich im Nachhinein viele dafür büßen lassen.

  • ...das ist wahre Zivilcourage!