piwik no script img

„The Zone of Interest“ in VoraufführungVerstörende Rezeption

Der gefeierte Holocaustfilm „Zone of Interest“ zeigt, dass die Nazis ihre Kinder liebten und trotzdem Massenmörder waren. Hatte daran jemand Zweifel?

Sandra Hüller in ihrer Rolle als Ehefrau des Lagerkommandanten Rudolf Höß im Film „Zone of Interest“ Foto: A24/ap

N och vor dem offiziellen Filmstart kommende Woche wird „Zone of Interest“ in einer Reihe kostenloser Veranstaltungen etwa der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft in München oder der Friedrich-Naumann-Stiftung in Cottbus gezeigt. Auch ich habe das Angebot genutzt und mir im bayerischen Landtag den Film über das Leben der Familie Höß neben der Mauer des KZs Auschwitz angeschaut und bin erschüttert und verstört herausgekommen.

Erschüttert war ich weder davon, was der Film, noch, wie er es erzählt. Dass die Nazis ganz normale Familienmenschen waren und dass die Organisation des millionenfachen Massenmords ein ganz normaler Nine-to-five-Job war, für den sie auch mal Überstunden machten, sind keine neuen Erkenntnisse. Auch nicht, dass sich die Nazi-Ehefrauen um die Pelzmäntel ihrer deportierten Nachbarn kloppten, die auf der anderen Seite des eigenen Gartenzauns ermordet wurden.

Verstört bin ich schon eher darüber, wie begeistert das Spiel von Sandra Hüller als Ehefrau des Lagerkommandanten Rudolf Höß bewertet wird. Eine durchsetzungsstarke Frau mit einem breitbeinigen Gang zu spielen wirkt auf mich nicht verstörend, sondern clownesk.

Erschüttert bin ich auch davon, wie der Film von seinen Zuschauern aufgenommen wird. Auf sämtlichen Festivals hat er Preise abgeräumt, in fünf Kategorien ist er für die Oscars nominiert, und auch in der deutschen Filmrezeption gibt es bisher nur überschwängliches Lob. Der Chef des Axel-Springer-Verlags, Mathias Döpfner, ist bei Weitem nicht der Einzige, für den „Zone of Interest“ der „ungewöhnlichste und beste Holocaustfilm, der je gedreht wurde“, ist.

Der Film zeige die Kälte der Nazis und auch, dass Abwesenheit von Liebe zum Massenmord führe, so Döpfner. Vor solchem Lob muss „Zone of Interest“ noch in Schutz genommen werden, denn die Abwesenheit von Liebe als küchenpsychologische Erklärung für das Gutheißen der Vernichtung aller Juden liefert der Film gerade nicht. Dass nur Leute, die sowieso schon abgestumpft sind, einen Massenmord so selbstverständlich erledigen wie die Morgentoilette, zeigt „Zone of Interest“ nicht. Er zeigt, dass die Nazis ihre Kinder liebten und trotzdem Massenmörder waren.

Tickets für Taylor Swift

Noch nie, so gewieftere Kritiker, sei der Holocaust wie in „Zone of Interest“ aus der Täter­perspektive erzählt worden, und zwar so, dass man sich mit ihnen identifiziere. Nichts scheint man in Deutschland allerdings lieber zu tun: Die Präsidentin des bayerischen Landtags Ilse Aigner erzählt, dass die Platzreservierungen für den Film so schnell weg waren wie sonst nur die Tickets für Taylor Swift. Aigner betonte in ihrem Grußwort mehrfach, dass der Film eine „Zumutung“ sei, und der Leiter der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg sprach sogar von einer „großartigen Zumutung“.

Zumutung? „Zone of Interest“ schwankt ästhetisch zwischen der farbintensiv-skurrilen Kulisse eines Wes Anderson und der Technicolor-Färbung des „Zauberers von Oz“. Jeder Wes-Anderson-Film aber ist, was die Darstellung menschlicher Abgründe betrifft, eine größere Zumutung als die KZ-Geräuschkulisse in „Zone of Interest“.

Der Skandal des NS war doch nicht nur, dass die, die die Macht hatten, ihre Vernichtungsideologie mit nie da gewesener und eiskalter Präzision durchsetzten. Der Skandal war, dass eine Mehrheit der Deutschen das richtig fand. Um die aber geht es in „Zone of Interest“ nicht. Mein Verdacht ist, dass der Film deswegen so gut ankommt.

Der Film ermahne uns, nicht wegzuschauen, so Ilse Aigner. Wegschauen war aber vielleicht noch nie das zentrale Problem, sondern das Mitmachen. Das Problem heute ist nicht das Wegschauen, sondern dass die Politik sich als Zivilgesellschaft inszeniert. Die Aufgabe der Politik aber ist es, dem Faschismus mehr als ein Demoschild und einen Film entgegenzuhalten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Doris Akrap
Redakteurin
Ressortleiterin | taz zwei + medien Seit 2008 Redakteurin, Autorin und Kolumnistin der taz. Publizistin, Jurorin, Moderatorin, Boardmitglied im Pen Berlin.
Mehr zum Thema

10 Kommentare

 / 
  • "... dass eine Mehrheit der Deutschen das richtig fand." - nein, damit macht man es sich zu einfach. Peter Longerich hat das in seiner umfangreichen Studie "Davon haben wir nichts gewusst" gezeigt: Die meisten Deutschen fanden vieles, was die Nazis machten, gut und richtig, die Judenverfolgung gehörte aber weniger dazu, obwohl die Propaganda sicher im Laufe der Jahre einiges bewirkte. Aber viele zogen es vor, davon nichts oder nicht zu viel wissen zu wollen, denn das war bequemer. Und dadurch hatten die Fanatiker und Mörder ein leichtes Spiel. Und darin unterscheiden auch wir heute uns nicht so sehr von den Menschen damals: dass wir vor vielem lieber die Augen verschließen.

  • Größtes Lob für Frau Akrap für die Rezension dieses Filmes, dessen fulminante Presse-Rezensionen und dessen Trailer bei mir ein mulmiges Gefühl hinterließen.



    Frau Akrap schreibt in Bezug auf eine Rezension des Springer-Chefs Döpfner: "Der Film zeige die Kälte der Nazis und auch, dass Abwesenheit von Liebe zum Massenmord führe, so Döpfner. Vor solchem Lob muss „Zone of Interest“ noch in Schutz genommen werden, denn die Abwesenheit von Liebe als küchenpsychologische Erklärung für das Gutheißen der Vernichtung aller Juden liefert der Film gerade nicht."

    Richtig. Hinzuzufügen ist: Eine Historikern, die die Shoa erforscht, weist darauf hin, dass sich Holocaust-Opfer in Auschwitz aus Liebe Essen vom Munde absparten, um einem Mädchen die Chance auf ein Überleben zu geben. "Überlebe, damit du für uns berichten kannst!", lautete ihre Botschaft.

    Leben setzten einige wenige Überlebende jüdische Opfer den deutschen Massenmördern als höchste Wiederstandsform entgegen, weil die Deutschen alle Juden ermorden wollten.







    Die Deutschen funktionierten während der Herrschaft der Nazis durch alle Gesellschaftsschichten wie ein Räderwerk, um das Massenverbrechen der Shoa zu ermöglichen.



    Wiederstand dagegen, wie das Verstecken der deutschen Juden, war eine absolute Ausnahme.

    Erst als Nazis nicht mehr in Amt und Würden in der BRD waren, begann die starke Auseinandersetzung mit dem Mitmachen der Deutschen bei der Shoh, z. B. in der Justiz, die sich nach dem Krieg, wie die Mehrheit der Deutschen, nicht dafür interessierte, den Überlebenden Gerechtigkeit für ihr geraubtes Gut zu verschaffen.

    Die Deutschen Behörden und die deutsche Politik hintertrieben die Entschädigung der deutschen und ausländischen Juden und luden damit eine zweite Schuld auf sich, die bis heute kaum einen interessiert.



    Sehr wenige Deutschen wollen genau wissen, was der Anteil ihrer Vorfahren an der Shoa war und wie sie vom Vermögen der Juden profitierten.

  • Ich habe den Film (noch) nicht gesehen, werde aber dafür ins Kino gehen. Ich habe vor über 40 Jahren Tagebuchausschnitte des Auschwitz-Lagerkommandanten bei einem Besuch des Vernichtungslagers gekauft und gelesen. Dort wird die ganze geistige Trivialität der Täter und Mittäter ausgebreitet wie sie Hannah Arendt beschrieben hat. Soweit ich die Besprechungen des Films verstehe, geht es genau darum.



    Dass es eben nicht irgendwelche monströse Verrückte oder eiskalte Planer sind, die dad System, sei es auch noch so widerlich, am Laufen halten, sondern eben banale Kleingeister, die wir alle sein könnten.



    Oberflächliche Kommentare von Politikern, wie im Artikel zitiert, können doch nicht ernsthaft als Argument gegen den Film verwendet werden.



    Auch Hannah Arendts Buch zur Banalität des Bösen wurde so (falsch) ausgelegt.

  • Nun kann man solchen Unmut verstehen, darf aber eines nicht vergessen: Was die eine Generation hinlänglich kennt und für sich analysiert hat, ist der nächsten noch fremd. Da braucht es einen Kanon von Wieder- und Neuerzählungen, da braucht es Cover-Versionen und Neuauflagen. Es wird uns allen noch öfter so ergehen. Mit diesem Film, mit anderen, mit Ausstellungen, mit Büchern. Die Jungen finden es spannend und "neu", die Alten gähnen. Das sagt dann aber auch etwas über die Rezensentin (und auch mich) aus: Machen wir uns nichts vor, wir sind alt geworden.

  • (Disclaimer: ich habe den Film nicht gesehen)

    Ich denke mal, der Film hätte seine Sprengkraft, wenn wir in der Lage wären einzusehen, dass wir heutzutage auch ähnliche Dinge tun (zur Illustration [1]).

    Aber dann würden ihn Herr Döpfner und Frau Aigner sicher nicht loben. Oder nur dann, wenn der sowieso im Sterben liegt -- wie bei der heiligen Johanna der Schlachthöfe.

    [1] www.theguardian.co...ers-in-viral-photo

  • Achja. Bei jeder Verfilmung des Thema Nationalsozialismus, isses doch das Gleiche. Bei Schindlers Liste gabs Kritik, weil Spielberg mit der Geschichte eines "menschlichen Nazis" "die Deutschen entlasten wolle". Henryk M. Broder war sogar der Meinung, der Film reproduziere "antisemitische Stereotype". Beim Untergang hat man erschüttert gefragt, ob man Hitler und die Nazis überhaupt als Menschen darstellen dürfe. Napola war ein "Persilfilm" der die Schuld des Einzelnen zu verwischen versuche. Bei Mein Führer war der Skandal, man dürfe doch nicht über Hitler lachen. Usw.



    Nun kann kein Spielfilm den Anspruch haben, dass seine Geschichte Allgemeingültigkeit besitzt, das Thema allumfassend und unkontrovers behandelt, ohnne dabei zur x-ten pedantisch abgearbeiteten Geschichtsdoku zu mutieren.



    Ich hab den Film noch nicht gesehen. Und ja, dass die Nazis "ihre Kinder liebten und trotzdem Massenmörder waren" wusste ich auch schon. Aber auch, dass die Verklemmtheit des (linken) deutschen Feuilletons jeden Film zerreißen wird, der sich dem Thema aus einem anderen Blickwinkel, provokant oder parodistisch nähert, schon aus Prinzip zerreisen wird.

  • Auch wenn ich bisher nur den Trailer gesehen habe, habe ich den Eindruck, daß der Film von seiner unausgesprochenen Spannung lebt, ähnlich wie Psycho oder andere Horrorfilme. Das dies hauptsächlich der Unterhaltung dient und nicht der Aufklärung ist damit auch schon fast gesagt.



    Dennoch hat er immerhin auch zu dieser Rezension geführt, die auf einen feinen aber wichtigen Unterschied hinweist. Solage der hier dargestellte Unterschied den meisten nicht klar ist, kann dieser Film eine Startpunkt für diese Diskussion sein, vorausgesetzt man spricht noch miteinander über diesen Fillm.

  • "Die Aufgabe der Politik aber ist es, dem Faschismus mehr als ein Demoschild und einen Film entgegenzuhalten."

    Den Film im Zusammenhang mit Aufgaben "der Politik" gegen den Faschismus zu stellen ist irreführend. Der Film ist kein Film irgendeiner Regierung! Ich würde es ach als beunruhigend ansehen, wenn das Filmwesen in der Hand "der Politik" wäre.

  • Mit der "Banalität des Bösen" war doch dazu alles gesagt ...

    Willhelm Reich hat in seinem Buch "Die Massenpsychologie des Faschismus" (1933) meienr Ansicht nach (neben Arendt) eine der besten Analysen der Parteimitglieder aufgezeigt. Ja ihnen die Masken abgenommen.

    Lest liebre Aredt und Reich. Kino is eh zu teuer.

    • @Thomas O´Connolly:

      Und speziell auf die Familie Höss bezogen: Der Tod ist mein Beruf von Robert Merle.