Eva C. Heldmann über Essayfilm: „Die Schätze liegen auf dem Tisch“
Sie führte Regie, Kamera und Schnitt zugleich. Eva C. Heldmann über ihren Film „Ihre ergebenste Fräulein“ und weibliche Lebensentwürfe in der Provinz.
wochentaz: Eva Heldmann, seit den 1980er Jahren machen Sie experimentelles Kino. Schon oft waren Sie auf der Berlinale im Forum expanded zu Gast. In diesem Jahr zeigen Sie „Ihre ergebenste Fräulein“, einen Essayfilm über die fast vergessene Botanikerin und Pädagogin, Catharina Helena Dörrien, die im 18. Jahrhundert in Dillenburg lebte. Wie sind Sie auf diese historische Biografie gestoßen?
geboren 1951 in Dillenburg, ist Filmemacherin, lebt in Berlin. In den 1980er Jahren betrieb sie das Programmkino Mondpalast bei Limburg an der Lahn und war verantwortlich für die Programmgestaltung im Mal-seh’n-Kino in Frankfurt am Main. Bis 2000 leitete sie die Frankfurter Filmschau.
Auf der Berlinale war sie bisher mit den Filmen „Fremd gehen“ (Forum 2000), „Prufrock Back in America“ (Forum Expanded 2011), „r i v e r r e d“ (Forum Expanded 2012), „Strom“ (Forum Expanded 2015) und „Im Gehäus“ (Forum Expanded 2017) vertreten.
„Ihre ergebenste Fräulein“ („Well Ordered Nature“). Regie: Eva C. Heldmann. Deutschland 2024. 73 Min., Deutsch mit englischen Untertitel
21. 2. 24, 16 Uhr, Arsenal 25. 2. 24, 16 Uhr, Cubix 7
Eva C. Heldmann: Dillenburg, das ist auch mein Heimatort. Da bin ich geboren, obwohl ich nach der Schule fluchtartig weggezogen bin. Aber als meine Mutter sehr alt wurde, war ich dann wieder häufig dort bei ihr. Also habe ich mich mit dem Ort und der Geschichte befasst. Im schönen und einzigen Buchladen, er taucht auch im Film auf, haben sie mich auf Catharina Helena Dörrien und die erschienene Biografie aufmerksam gemacht. Die Autorin, Regina Viereck, habe ich dann besucht. Über Verweise im Buch machte ich noch eine weitere Entdeckung: die Dillenburgische Intelligenz-Nachrichten. Das war ein Wochenblatt für Beamte, in dem ab 1773 ab 1773 Gesetze und Verordnung, aber auch Wohnungsgesuche und Stellenangebote veröffentlicht wurden.
Dillenburg liegt im mittelhessischen Lahn-Dill-Kreis. Was ist das für ein Ort, in dem Sie aufgewachsen sind?
Das ist eine alte Beamtenstadt seit dem 18. Jahrhundert. In dieser Zeit gehörte die Region zum Fürstentum Oranien-Nassau mit Hauptsitz Den Haag. Dillenburg war eine Fürstenstadt mit Stadtschloss.
Im Film erscheint die Region heute ja ein bisschen abgehängt.
Das ist das Dilemma des Ortes. Die Bedeutung als Beamtenstadt ging verloren. In den 1970er Jahren war Dillenburg keine Kreisstadt mehr, und seitdem ist sie tot. Natürlich, die umliegende Kleinindustrie, die in Deutschland so bedeutend ist, ernährt die Gegend immer noch.
Catharina Helena Dörrien steht im Mittelpunkt Ihres Films. Die alleinstehende Frau zog 1749 nach Dillenburg, um im Haus des Archivars Anton Ulrich von Erath zu unterrichten, aber auch wissenschaftlich zu arbeiten. Was verbinden Sie mit ihrer Geschichte?
Erst einmal ist es ein Glück, überhaupt eine so herausragende Frau in der Provinz zu entdecken. Für mich ist sie eine Art weibliche Identifikationsfigur. Dörrien hat in ihrem Leben viel veröffentlicht, zum Beispiel im Hannoverischen Magazin für Pädagogik. Und sie war eine hervorragende Zeichnerin, besonders von Pflanzen. Das Hauptwerk ist natürlich ihr Verzeichnis der wild wachsenden Gewächse im Fürstentum Oranien-Nassau. In ihrer Zeit war sie ein „berühmtes Frauenzimmer“, eine von sechs oder sieben wissenschaftlich arbeitenden Botanikerin im europäischen Raum und Ehrenmitglied in der botanischen Gesellschaft in Florenz und Berlin.
Mit dem Material aus den Archiven und eigenen dokumentarischen Aufnahmen entwickeln Sie zwischen Bild- und Tonspur im Film einen bemerkenswerten Dialog. Dabei verzichten Sie vollständig auf eine zusätzliche Kommentierung. Wie sind Sie vorgegangen?
Zunächst muss man sich diese zwei mächtigen Stimmen im Film vorstellen. Die eine Hälfte sind Texte von Dörrien und die andere Hälfte Texte aus den Dillenburger Intelligenz-Nachrichten. Ein gebildetes „Frauenzimmer“ versus hohe Beamte. Das Interessante ist, dass in den Jahren, in denen auch Dörrien dort gelebt hat, dieses Blatt sehr lebendig war. Beim Zuhören entsteht so etwas wie ein Sittengemälde der Zeit. Am Anfang hatte ich also Texte. Von denen war ich hoch fasziniert und sehr erstaunt. Was für ein Schatz! Aber wie wähle ich aus? Parallel zur Textrecherche habe ich vier Jahre lang mit der Kamera in der Gegend, in Feld und Wald, aber auch in der Stadt gefilmt, um diese „modernen“ Bilder mit dem Text zu konfrontieren. Das hat sehr viel Spaß gemacht.
Die Regie, die Kamera und den Schnitt zu dem Film haben alles Sie gemacht.
Vielleicht bin ich der Typ Eigenbrötlerin. Im Team zu arbeiten, das ist ganz gut für eine Zeit, aber dann muss ich wieder meinen eigenen Blick haben und auch eine Art Kontrolle.
Entstehen Ihre Filme mit der Montage des Materials?
Ja, absolut. Die Schätze liegen auf dem Tisch.
Die Sprache der Intelligenz-Nachrichten ist altertümlich, doch der Inhalt klingt manchmal überraschend gegenwärtig. Es geht um Forstwirtschaft, das Klima, die soziale Fürsorge, die Sanktionen für Arbeitsscheue und die Vertreibung von Fremden. Betonen Sie mögliche Analogien?
Sagen wir mal, ich lasse sie stehen. Zuerst dachte ich, hier wird uns ein Spiegel vorgehalten. Aber so einfach ist es nicht. Die Gesellschaftsformen heute und damals sind sehr verschieden. Ich bin keine Historikerin und auch keine Philosophin. Deshalb habe ich mich eher an den Themen abgearbeitet. Armut und Bettelei, das greift auch Dörrien in ihren Schriften auf. Dann gibt es in den Quellen das Thema der Fremden, Natur, Wald, das Klima. Das sind auch unsere Themen heute.
Catherina Helena Dörriens Sprache ist poetischer. Sie beschäftigt sich mit Erziehung, Bildung, Literatur und vor allem mit Botanik. Der Garten und seine Pflanzenwelt erscheinen wie ein gesellschaftlicher Rückzugsort.
Man hat vielleicht den Eindruck, dass sie sich in einem geschützten Raum bewegt, aber sie gehörte zur gleichen Schicht und Moral wie die Beamten. Trotzdem finde ich ihr Lebenskonzept herausragend. Keine andere Frau ihrer Zeit hat so gelebt, zumindest nicht in der Provinz. Und neben der Arbeit für ihren Lebensunterhalt hat sie noch diese unglaubliche Energie und Freude gehabt zu schreiben, zu malen und zu forschen.
Ein wiederkehrendes Motiv in „Ihre ergebenste Fräulein“ sind tastende Nahaufnahmen von Wildpflanzen, Kräutern, Insekten und Gräsern. Diese intimen Kameraeinstellungen erinnern mich an „Stief“, einen Experimentalfilm der Filmwissenschaftlerin Christine Noll Brinkmann von 1988.
Das würde sie vielleicht freuen.
Wie Christine Noll Brinkmann haben auch Sie in den 1980er und 1990er Jahre in Frankfurt am Main gelebt. Zu dieser Zeit entwickelte sich im Umfeld der Experimentalfilmklasse am Städel, der Zeitschrift „Frauen und Film“ mit Filmwissenschaftlerinnen wie Heide Schlüpmann oder Karola Gramann sowie später der Kinothek Asta Nielsen eine lebendige queerfeministische Independent-Filmszene. Hat Sie das inspiriert, beeinflusst oder gefördert?
Ich war mittendrin. Wir haben Programme im Mal-seh’n-Kino zusammengestellt, oder Heide und Karola haben Filme gezeigt, auch von mir. Heide Schlüpmann ist in gewisser Weise auch meine Lehrerin, obwohl ich nie bei ihr studiert habe.
Woher kam Ihr Interesse an experimentellen Formen des Films?
Ich hatte vorher auf dem Land in Hessen mit zwei Freundinnen ein Kino betrieben, den Mondpalast. Da haben wir europäisches Programmkino gemacht. Wir haben Fassbinder und Ulrike Ottinger gezeigt, auch die Filme von Noll Brinkmann. In dieser Kinozeit habe ich meinen ersten Experimentalfilm gemacht: „Jonny oder das hohe Fleisch“. Das war meine Antwort auf das Kino, mit dem ich andere Formen zeigen wollte. Abstrakt, minimalistisch, Filme in einer Art strenger Zurückgenommenheit. Ich wollte ein anderes, freieres Kino, in dem man nicht so eingesperrt war in die Geschichte, die einen manipulierte.
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