Berlinale-Film „The Outrun“: Suche nach dem Wachtelkönig

Die Regisseurin Nora Fingscheidt lässt ihren Star Saoirse Ronan im Norden Schottlands gegen Dämonen kämpfen. Und gegen den Alkohol.

Protagonistin Rona steht vor dem schottischen Meer

Hier ausnahmsweise mit henna­rotem Haar: Rona (Saoirse Ronan) in „The Outrun“ Foto: The Outrun

Ihre Karriere machte dank der Berlinale einen kräftigen Sprung. Vor fünf Jahren hatte die deutsche Regisseurin Nora Fingscheidt mit ihrem Spielfilmdebüt „Systemsprenger“ einen überwältigenden Erfolg. Die Kinderdarstellerin Helena ­Zengel verlieh dem Film mit ihren Aggressionsausbrüchen eine explosive Energie an der Grenze des Erträglichen. Danach folgte 2021 die Netflix-Produktion „The Unforgivable“ mit Sandra Bullock in der Rolle einer Frau, die, nachdem sie aus dem Gefängnis entlassen wurde, um ihre Familie kämpft.

Eine Frau in einer extremen Situation ist auch Rona, die Hauptfigur von Fingscheidts jüngstem Film, „The Outrun“, der auf einer autobiografischen Erzählung der schottischen Autorin Amy Liptrot beruht, sie schrieb auch das Drehbuch. Rona lebt in London und studiert Biologie. Sie scheint in ihrem Fach gut zu sein. In ihrer Freizeit beherrscht ein anderes Thema ihr Leben. Rona ist Alkoholikerin, sie besäuft sich nachts exzessiv, anfangs noch als Teil studentischer Feierei, irgendwann beginnen ihre Freunde und vor allem ihr Freund Daynin (Paapa Essiedu), sich von ihr zu distanzieren. Rona ist für sie schlicht zu schwer zu ertragen.

19. 2., 9.30 Uhr, Cubix 9

21. 2., 15.30 Uhr, Colosseum 1

23. 2., 18.30 Uhr, Zoo Palast 1

Saoirse Ronan spielt diese Rona als zwiegespaltenen Charakter. Im nüchternen Zustand ist sie freundlich und eher zurückhaltend, mit Alkohol im Blut brechen unkontrollierte Regungen aus ihr hervor, die sich nicht selten in Aggressionen äußern. Ronan wechselt präzise kontrolliert zwischen diesen Polen. Gleich zu Beginn des Films erlebt man sie an einem Tiefpunkt. Da ist sie der letzte Gast in einem Pub, will weiter trinken, obwohl man ihr zu verstehen gibt, dass die letzte Runde vorbei ist, sie leert die angebrochenen Gläser auf dem Tresen und beginnt zu schreien und zu schlagen, als ein Kellner sie zur Tür geleiten will.

Die Handlung schaltet danach in beständigem Hin und Her auf mehreren Ebenen durch Ronas Leben. Da ist die Gegenwart, in der sie nach einem Reha-Aufenthalt zu ihren Eltern zurückkehrt auf die Orkney-Inseln, wo sie länger als ein Jahrzehnt nicht mehr war. Daneben gibt es Fragmente aus ihrer Zeit als Studentin vor dem Absturz und sehr kurze Rückblenden aus ihrer Kindheit. Die verschiedenen Phasen ihrer jüngeren Vergangenheit lassen sich dabei mitunter lediglich an den Haaren Ronas unterscheiden. Die sind wahlweise, blond, blau und blond mit blauen Spitzen.

Elektronische Clubmusik und karge Felslandschaften

Auf den Orkneys findet Rona einen ruhigen Job, sie soll auf den Inseln nach Wachtelkönigen suchen, einer gefährdeten Vogelart. Fingscheidt stellt Saoirse Ronan dazu in karge Felslandschaften, in denen sie idyllisch inszenierten Momenten in der Sonne harte elektronische Clubmusik entgegensetzt, die über Ronas Kopfhörer läuft. So ganz scheint Rona noch nicht in dieser Einsamkeit ihrer Kindheit und Jugend wieder angekommen. Was erschwert wird durch ihre streng religiöse Mutter, bei der sie wohnt, und ihren bipolaren Vater, der sich in einen Wohnwagen auf ihrer Farm zurückgezogen hat.

Rona zählt die Tage, die sie trocken ist, eine wahre Stütze sind ihre Mutter und deren Freundinnen für sie jedoch nicht. Stetige Vorwürfe begleiten sie, unterschwellig, doch merklich. Bis Rona sich entscheidet, weiter nördlich auf die kleine Insel Papa Westray zu ziehen und sich dort in einer Hütte einzumieten. Hier blasen die Elemente in voller Wucht über das Eiland, Sturm mit peitschendem Schnee oder Regen gehört im Winter zum Normalzustand. Umgeben von diesen unwirtlichen Elementen, scheint Rona weiter zur Ruhe zu kommen. Vor allem fügt sie sich bestens in die sehr überschaubare Gemeinschaft der Inselbewohner ein.

Die Energie von „The Outrun“ entsteht zum Teil durch die oft heftigen Schnitte quer durch die verschiedenen Stationen in ­Ronas Entwicklung. Risse sind, so die Botschaft, bei ihr an der Tagesordnung. Vor allem aber ist es Saoirse Ronans Fähigkeit, ihre Figur in einer Weise zerrissen zu zeigen, die verschreckend und einnehmend zugleich ist. Nora Fingscheidt versteht sich darauf, ihre Darstellerinnen an heikle Punkte zu führen. Gegenüber „Systemsprenger“ hat sie ihren Ansatz noch einmal verfeinert. Die Orkneys bilden dazu eine hervorragende Kulisse.

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