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Bundestagsdebatte über Ukraine-KriegDie unbeantwortete Taurus-Frage

Die Debatte im Bundestag über den Ukraine-Krieg ist zu einem innenpolitischen Schaukampf geraten. Dabei hätte sie auch ganz anders verlaufen können.

Der Bundestag diskutiert über die mögliche Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine. Pistorius diskutiert nicht mit Foto: Lisi Niesner/reuters

Berlin taz | Das Einfallstor hatte Boris Pistorius selbst geöffnet. Im Antrag der Ampelparteien war von der „Lieferung von zusätzlich erforderlichen, weitreichenden Waffensystemen“ die Rede. Ob damit auch Taurus-Marschflugkörper gemeint seien, fragte ihn der CDU-Abgeordnete Jürgen Hardt in der Bundestagsdebatte über den Ukrainekrieg am Donnerstag. „Das kann ich nicht beantworten“, antwortete der sozialdemokratische Verteidigungsminister schmallippig. „Die Antragssteller werden sich ihren Teil dabei gedacht haben.“

Einfacher hätte er es der Union nicht machen können. Diese machte es von nun an zum Running Gag, je­de:r Red­ne­r:in von SPD, Grünen und FDP die Frage zu stellen, wie ihr Antrag eigentlich gemeint sei. Während die einen – aus den Reihen der Grünen und der FDP – gewunden antworteten, dass sie eigentlich für die Taurus-Lieferung seien, verweigerten die anderen von der SPD jegliche klärende Aussage, ob sie dafür oder dagegen sind. Ein peinliches Schauspiel.

Damit verkam auch diese Debatte zu einem innenpolitischen Schaukampf, der angesichts der äußerst schwierigen Kriegssituation in der Ukraine unangemessen wirkte. Schließlich wissen alle Seiten, dass der Ukraine der Taurus zwar nützen würde. Ihre Chance, den Krieg nicht zu verlieren, hängt aber von anderem ab. Der CDU-Abgeordnete Roderich Kiesewetter sagte denn auch, dass der Taurus „nur ein Symbol“ sei. Tatsächlich sind die militärischen Probleme der Ukraine weitaus größer.

Die Debatte hätte auch ganz anders verlaufen können. Vor Pistorius hielt der SPD-Abgeordnete Ralf Stegner eine nachdenkliche Rede. „Viele reden ausschließlich darüber, wie Kriege am besten geführt werden können“, sagte er. Fast niemand spreche darüber, wie sie beendet werden können. Forderungen nach diplomatischen Initiativen würden lächerlich gemacht. Dabei wünsche sich ein Großteil der Bevölkerung „eine Friedenspolitik, die unsere Wehrhaftigkeit mitdenkt, aber nicht ausschließlich der militärischen Logik folgt“.

Darüber zu diskutieren hätte sich gelohnt. Doch Stegners Vorstoß, auch über nichtmilitärische Aktivitäten nachzudenken, die den Druck auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin erhöhen könnten, ohne der Ukraine die notwendige militärische Unterstützung zu verweigern, wurde von anderen Red­ne­r:in­nen nicht aufgegriffen.

Die Ampelkoalitionäre und die Ver­tre­te­r:in­nen der Union sprachen nur über das Militärische. Selbst ein Nachdenken über schärfere Sanktionen, wie dies der ukrainische Präsident Wolodomyr Selenskyj auf der Münchener Sicherheitskonferenz gefordert hatte, blieb aus. Die Linkspartei, das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) und die AfD, sie alle sprachen sich hingegen ausschließlich für Diplomatie und Verhandlungen aus.

Wobei die AfD wie auch die Wagenknecht-Partei damit nur die Kapitulation der Ukraine meinten. Beide verwechselten, wer wen angegriffen hat. Es sei „weder verantwortungsvoll noch anständig, weiter Ukrainer für diesen Stellvertreterkrieg zu verheizen“, sagte die BSW-Abgeordnete Sevim Dağdelen. Aus Sicht des AfD-Abgeordneten Matthias Moßdort lehre der Ukrainekrieg: „Wer sich mit Russland anlegt, endet entweder wie Napoleon 1812 oder, noch schlimmer, wie 1945.“

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13 Kommentare

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  • Schmierentheater - schämt euch was

    Jedes mal wird der Kriegserfolg an einem einzelnen Waffentyp festgemacht. Nie brachte ein Waffentyp den Erfolg. Diese Taurus Diskussion halte ich für unsäglich dumm, denn auch sie ist kein Gamechanger. Was die Ukraine viel dringender benötigt ist Munition, und zwar sehr viel Munition.



    Es ist ein einzige Schmierentheater, was da gerade zwischen Regierung und Opposition Medienwirksam wegen einer Waffe gestritten wird. Da profilieren sich Parteien, während in der Ukraine Menschen sterben - schämt euch was.

    • @Rudi Hamm:

      Taurus ist quasi Munition.

    • @Rudi Hamm:

      Es geht nicht primär um den Taurus. Aber allein mit ausreichender Munition für die Front ist der Ukraine auch nicht geholfen. Was sie dringend benötigt, das sind Präzisions-Flugkörper aller Art, mit denen sie (aus sicherer Entfernung) die Nachschublinien der Russen erreichen und nachhaltig unterbrechen kann. Erst wenn der Nachschub auf russischer Seite ins Stocken gerät oder gar ausbleibt, wird deren quantitative Überlegenheit an Soldaten und Material weitgehend wertlos.

      • @Al Dente:

        Wenn die Ukraine aufrüstet, rüstet Putin einfach auch auf. Man nennt es Rüstungsspirale. Also werden wir immer und immer wieder den Ruf nach noch besseren Waffen hören.



        Ich fürchte das wird so eine Art Afghanistan 2.0.

  • Sevim Dagdelen hat mit ihrem Statement eigentlich das Argument geliefert, um die Taurus-Lieferung jetzt und sofort zu begründen: Die Waffen, um die russische Etappe mit dem russischen Nachschub anzugreifen würde das Verheizen von UkrainerInnen an der Front vermindern helfen.

    Da denkt man doch nur noch: Mein lieber Herr Pistorius-Fanverein ... das war keine Stunde der Fan-Bindung für die letzte Scholz-Alternative, die die Ampel zu bieten hat ... Im Umfragekeller ist auch noch Platz für Boris ... wie sein Namensvetter Becker verspielt er sein Kapital: Seine Beliebtheit.

  • Es gibt nicht sehr viel mehr gute Möglichkeiten Putins Russen den Nachschub zu erschweren und Putin den Sommer auf der Krim unangenehmer zu machen. Das wäre auch für die Ukrainer*Innen gut. Würde es Ihnen doch eine Verschnaufpause verschaffen.



    Schickt den Stier an die Front.

  • Ein Verteidigungsminister mit einer



    blamablen Einlassung zum Antrag der



    Regierungsparteien. Fast glaubt man sich in Russland zu befinden, weil



    bestimmte Worte nicht ausgesprochen werden dürfen. Grotesk!

  • So eine wichtige Abstimmung, und der Kanzler ist nicht da. Besser kann er sein Desinteresse nicht zeigen.

    • @Stoffel:

      Hoffentlich werden zu meinen Lebzeiten die Hintergründe dafür aufgedeckt. Es würde nichts ändern, aber neugierig bin ich schon.

  • "Stegners Vorstoß, auch über nichtmilitärische Aktivitäten nachzudenken, die den Druck auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin erhöhen könnten, ohne der Ukraine die notwendige militärische Unterstützung zu verweigern, wurde von anderen Red­ne­r:in­nen nicht aufgegriffen."

    Ich warte seit zwei Jahren auf eine konkrete, realistische (!) Antwort der Anhänger des oben genannten Ansatzes, wie Putin zu Friedensverhandlungen zu bewegen ist, wenn er nicht durch militärische Niederlagen dazu gebracht werden soll, was die "Friedenstauben" ja ablehnen. Bisher kam da - auch hier in den Kommentarspalten - nur heiße Luft á la "man müsste, man sollte, China, Indien, Friedenstruppen,..."

    Die einzige realistische Antwort im Sinne der "Friedenstauben" wie Stegner, Wagenknecht und ihrer Freunde ist diese: Die Ukraine gibt auf, verliert ihre Souveränität, Demokratie, territoriale Integrität, und Putin bekommt, was er will. Der sogenannte "Frieden", der dann herrscht, wird eine Friedhofsruhe sein, wie sie gerade wieder tagtäglich in russischen Städten mit Knüppeln den Blumen niederlegenden Menschen eingeprügelt wird.

    Fällt die Ukraine, können wir die Taurus (die wir vorher nicht liefern wollten) dann tatsächlich schon mal aus dem Depot holen, denn wenn die Balten als nächstes dran sind, stehen deutsche Soldatinnen und Soldaten wirklich an vorderster Front. Oder sind wir dann auch so devot und halten unsere vertraglich garantierte NATO-Beistandspflicht nicht ein, weil das Putin provozieren könnte?

  • Beschämend. Die Unentschlossenheit Deutschlands spielt Putin in die Karten.

    • @DaBa:

      Nicht nur die Unentschlossenheit. Wenn ich mich recht erinnere, hat die GroKo unter Beifall der Grünen die ganzen, nicht gerade kleinen Munitionsbestände der NVA vernichten lassen. Heute könnte die UA das brauchen. Hier müssten die Parteien auch mal Selbstkritik üben, aber das würde ja ihren Mangel an Zukunftsfähigkeit deutlichst sichtbar machen. Den sie sehr wahrscjheonlich heute auch noch haben, also gebe ich auf die Absichten von Strck-Zimmermann, Scholz usw so gut wie nichts. Dass die GroKo auch 4000 marder, 1500 leos, Geparden, die NVA Panzer hatte verschrotten lassen (könnte man alle heute sehr gut gebrauchen) sollte man auch nicht vergessen...

      • @Gerald Müller:

        „Könnte man heute brauchen“ war damals halt schwer vorstellbar. Und selbst wenn: was soll man prophylaktisch mit hunderttausenden Granaten im falschen Kaliber, die irgendwann auch altern? Wenn man etwas kritisieren kann, dann den Umstand, dass nicht adäquat bzw. gar nicht nachbeschafft wurde in NATO Standard-Kalibern.