: Rechts winken, Links blinken
Auf ihrem ersten Parteitag inszeniert sich das „Bündnis Sahra Wagenknecht“ als bessere Linkspartei. Gleichzeitig gefallen sich die Parteivorsitzenden darin, gegen die Ampel zu wettern. Strittige Fragen zur Migrationspolitik und Klimapolitik bleiben außen vor
Aus Berlin Daniel Bax
Austeilen kann sie. Dass Deutschland dem saudischen Königshaus 150 Raketen liefern will, nimmt Sahra Wagenknecht als dankbare Vorlage, um gegen „unsere grünen Moralapostel“ und deren angeblich „feministische Außenpolitik“ zu giften – schon der Begriff sorgt im Saal für erste Lacher. „Wenn in den Rüstungsverträgen gegendert werde, dann sei wohl „die grüne Welt in Ordnung“, ätzt sie in ihrer Rede. Immerhin trügen die Raketen ja den weiblichen Namen Iris. „So viel Feminismus muss im Hause Baerbock wohl sein“, setzt Wagenknecht eine weitere Pointe. Das sitzt, der Saal ist begeistert.
Am Samstag beging das neue „Bündnis Sahra Wagenknecht“ in Berlin seinen ersten Parteitag, und durch das frühere Kosmos-Kino im Ostteil der Stadt wehte ein Hauch von DDR-Nostalgie. Das lag nicht nur daran, dass die nüchtern-modernistische Architektur des ehemaligen DDR-Kinos an der Karl-Marx-Allee an die Aufbaujahre des sozialistischen Staats erinnert. Sondern auch an der Art und Weise, wie straff und diszipliniert der Parteitag um dessen große Vorsitzende herum organisiert wurde – und daran, dass sich das „Bündnis Sahra Wagenknecht“ als eine Art bessere Linkspartei inszenierte. Das war weit weg von den manchmal chaotischen und kontroversen Parteitagen ihrer ehemaligen Partei, der Linken – aber auch von deren demokratischer Diskussionskultur. Hier ist alles vorab von oben geplant.
Zum Auftakt des Parteitags sprach Daniela Dahm, die als „Stimme der Friedensbewegung“ vorgestellt wird. Die 74-jährige Publizistin schlug den Bogen zum Holocaust-Gedenktag und erinnerte daran, dass die Rote Armee vor 79 Jahren das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau befreit habe. Sie habe mit der Linkspartei gebrochen, weil diese sich nicht an der Friedensdemonstration von Wagenknecht und Alice Schwarzer im Februar 2023 in Berlin beteiligt habe, so Dahm. Und sie lobt Wagenknecht für „ihren Mut und ihre Kühnheit, der restaurativen Parteienlandschaft die Stirn zu bieten.“ Viel Applaus erhält sie für die Losung, von diesem Parteitag gehe „unmissverständlich das Engagement für Antirassismus und Antifaschismus aus“. Strittige Fragen, etwa zur Migration, erklärt sie dagegen für „nachrangig.“
Europa und Migration
Die Migrations- und Asylpolitik müsse sich „grundlegend“ ändern, um etwa den „islamistisch geprägten Parallelgesellschaften“ und der „fehlgeschlagenen Integration“ etwas entgegenzusetzen. Einwanderung müsse begrenzt, Asylverfahren an den EU-Außengrenzen und außerhalb der EU sollten eingeführt werden. Migration sei zudem „nicht die Lösung für das Problem von Ungleichheit und Armut in der Welt.“ Deshalb müsse man die Fluchtursachen bekämpfen.
Klima
Bei Klimapolitik und Umweltschutz spricht sich das Bündnis für technologische Innovation, öffentliche Förderung und vernünftige Anreize aus. Längere Garantiefristen bei Produkten sowie Hochgeschwindigkeitszüge helfen angeblich mehr als CO₂-Abgaben. Und Verbrennerautos solle man auch nicht verbieten, dafür seien „Auflagen zur Entwicklung verbrauchsärmerer Modelle oder bezahlbarer klimaneutraler Brennstoffe die weit sinnvollere Strategie.“ (taz)
Das beschreibt die Linie des Parteitags. Viele Rednerinnen und Redner betonen Forderungen nach mehr sozialer Gerechtigkeit und einer anderen Außenpolitik, die mehr auf Diplomatie statt auf Waffenlieferungen setzt. Darauf können sich alle einigen. Umstrittene Themen wie die Migrations- und Klimapolitik werden nur am Rande gestreift. Wagenknechts Rede folgt dieser Linie und markiert vor der Mittagspause einen Höhepunkt des Parteitags. „Lasst uns pfleglich miteinander umgehen!“, redet sie ihren Mitgliedern ins Gewissen. Man müsse „Toleranz und Respekt nicht nur in der Gesellschaft einfordern, sondern auch in unserer Partei leben“, sagt sie, und: „Wir sind keine Linke 2.0.“. Daher arbeite man an „Strukturen, in denen sich nicht die Rücksichtslosesten und Intrigantesten, sondern die Talentiertesten und Besten durchsetzen“.
Wer das ist und wer das entscheidet, ist allerdings nicht besonders transparent. Die ersten rund 450 Mitglieder der Partei wurden handverlesen. Zu den BSW-Spitzenkandidaten für die Europawahl wurden schon Anfang Januar der Ex-Linke Fabio De Masi und Thomas Geisel, der ehemalige SPD-Oberbürgermeister von Düsseldorf, erklärt. An dritter Stelle soll nun der ehemalige deutsche UN-Diplomat Michael von der Schulenburg für das BSW in das Europaparlament einziehen. Das Programm für die Europawahl wurde vorab in einer Online-Delegiertenkonferenz durchgesprochen, damit es auf dem Parteitag keine langen Diskussionen gibt. Es scheint dem Bündnis schwerzufallen, jenseits ihrer Spitzenfrauen qualifizierte Frauen für Führungspositionen zu finden. Bis auf die beiden Vorsitzenden kandidierten fast nur Männer für wichtige Posten, und beim Parteitag führten überwiegend Männer das Wort. Auch der Altersdurchschnitt war relativ hoch. Eine Parteijugend gibt es noch nicht, eine Frauenquote auch nicht. Deshalb erinnerte der Parteitag ein wenig an einen Aufstand alter Männer (und Frauen).
Das Personal besteht hauptsächlich aus ehemaligen Mitgliedern der Linkspartei, nicht selten aus dem engsten Kreis um Wagenknecht. Als Vizevorsitzende wurden die Ex-Linken Friederike Benda und Amid Rabieh nachnominiert und gewählt, der vollständige Vorstand besteht aus 17 Männern und fünf Frauen. Die prominenten Quereinsteiger werden ins Schaufenster gestellt. Einen Coup hat das BSW mit dem Islamwissenschaftler, Nahostexperten und Bestsellerautor Michael Lüders gelandet. Der prominente Publizist kandidierte für den erweiterten Vorstand und für die Europawahl auf Platz neun und erzielte mit jeweils über 98 Prozent beide Male das beste Ergebnis von allen. Das zeigt, dass er einen Nerv trifft.
Einen Tag vor dem Parteitag konnte das „Bündnis Sahra Wagenknecht“ noch einen weiteren prominenten Neuzugang verzeichnen: Oskar Lafontaine gab bekannt, der Partei seiner Ehefrau beizutreten. Viele halten ihn für einen der Strippenzieher im Hintergrund, und für die strategische Ausrichtung der Partei federführend. Auf dem Parteitag hält der ehemalige saarländische Ministerpräsident und Ex-Chef der Linken ein fulminantes Schlusswort, während die Auszählung der Stimmen läuft, und bringt den Saal am Abend noch einmal in Wallung. Es sei nicht falsch, in machen Dingen konservativ zu sein, sagt er und zieht mit Verve gegen „Cancel Culture“ und Gender-Sprache zu Felde: „Ich möchte unsere Sprache bewahren, weil eine linke Partei die Sprache des Volkes sprechen muss“, sagt er unter Applaus.
Sarah Wagenknecht, BSW
Das „Bündnis Sahra Wagenknecht“ wolle eine „Lücke im Parteiensystem“ füllen, hatte er vorher erklärt. Es stimme aber nicht, dass seine neue Partei „rechts“ sei. Vielmehr würden alle anderen Parteien im Bundestag in der Wirtschafts- und Sozialpolitik „rechte Positionen“ vertreten.
Dann kommt er auf den Holocaust zu sprechen, der alle Deutschen verpflichte, gegen Antisemitismus und für den Staat Israel einzutreten, so Lafontaine, aber auch für das Lebensrecht der Palästinenserinnen und Palästinenser. Die Bundesregierung genüge diesem „moralischen Imperativ“ nicht. Den Krieg in Gaza bezeichnet er als „Kriegsverbrechen“ und fordert einen sofortigen Waffenstillstand dort und in der Ukraine. Wenn Deutsche aus der Geschichte gelernt hätten, jüdische Leben zu schützen, dann sei es auch falsch, „Waffen zu liefern, mit denen wieder Russen ermordet werden können“, schlägt er einen wilden Bogen und ruft in den Saal: „Die Lehre unserer Geschichte aus zwei Weltkriegen ist doch ganz einfach: Von deutschem Boden soll niemals wieder Krieg ausgehen.“ Stattdessen solle man lieber wieder „Energie direkt aus Russland beziehen“. Seine Rede wird minutenlang rhythmisch beklatscht.
Das Wagenknecht-Bündnis fordert eine „andere Diskussionskultur“ und mehr Respekt gegenüber anderen Meinungen, das ist eine der zentralen Forderungen. Im performativen Widerspruch dazu steht die rhetorische Härte, mit der viele Rednerinnen und Redner auf dem Parteitag gegen eine angeblich „abgehobene Polit-Blase“, die „irre Ampel“ und insbesondere die Grünen wettern. Deutschland habe die „dümmste Regierung Europas“, sagt Wagenknecht – wortgleich hat das Amira Mohamed Ali keine zwei Stunden zuvor formuliert.
Bemerkenswert sind auch die Gründe, die gegen die AfD ins Feld geführt werden. Viele hätten „ehrlich Angst“ vor dem Erstarken der AfD, sagt Wagenknecht. „Diese Angst habe ich auch.“ Wagenknechts Hauptvorwurf an die AfD aber lautet, diese sei nicht weniger eng mit der Waffenindustrie verbandelt als Agnes Strack-Zimmermann mit Rheinmetall. Auch Christian Leye, der neue BSW-Generalsekretär, warnt vor der AfD mit dem Argument, das sei doch „keine Anti-Establishment-Partei“ und „keine Anti-System-Partei“, sondern eine „Partei der sozialen Kälte“. An Bäuerinnen und Bauern appelliert er, sich das Parteiprogramm der AfD durchzulesen. Er scheint das für eine sinnvolle Strategie gegen die Rechtsradikalen zu halten.
Im Foyer des Kosmos-Kinos gibt es an einem Tresen Filterkaffee, Tee und Wasser für die Delegierten und Gäste, das Angebot ist etwas karg. Dort steht Andrej Hunko, der seit 2009 im Bundestag sitzt – erst für die Linke und nun in der Gruppe um Sahra Wagenknecht. Was ihn zum Wechsel bewogen hat? Das war ein längerer Prozess, der während der Corona-Zeit und der „Anpassung“ der Linken „an zentrale Narrative der Regierung“ begonnen hat, sagt er. Hat der 60-Jährige, der ukrainische Vorfahren hat und in der Linkspartei zur Parteilinken gehörte, kein Problem mit Sahra Wagenknechts Haltung in Migrationsfragen? „Ich finde es wichtig, dass Probleme angesprochen werden. Das macht Sahra Wagenknecht“, sagt er. Und dass sie für Asylverfahren an den Außengrenzen und in Staaten außerhalb der EU eintritt, was die Linke strikt ablehnt? Da weicht Hunko aus. Wichtiger seien für ihn andere Punkte: „Frieden ist für mich ganz zentral“, sagt er, und der „Protest gegen einen verengten Meinungskorridor.“
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